Eine erste Kunstreise unternahm Richard Wagner als Gymnasialschüler im Sommer 1829 nach Magdeburg, wo seine an den Sänger Wolfram verheiratete Schwester Kläre am Theater angestellt war. Dem dortigen Musikdirektor Kühnlein legte er seine Kompositionen vor. Wenig ermutigend aber lautete dessen Urteil; er fand an denselben »kein gutes Haar«.

Kurze Zeit nach der Julirevolution, die nach Wagners eigenen Worten »heftig und vielfach anregend« auf ihn wirkte, brach der nun siebzehnjährige Jüngling seinen Kursus auf der Leipziger Thomasschule ab. Er bezog 1831 die Universität, nicht um sich einem Fachstudium zu widmen, denn für den Musikerberuf war er entschieden, sondern um daselbst philosophische und ästhetische Kollegia zu hören. Doch profitierte er von denselben nicht viel. Er gab sich vielmehr dem Studentenleben in so wildem Taumel hin, verfiel sogar eine Zeitlang der Leidenschaft des Spiels, daß er sich bald »angewidert« fühlte und zur Besinnung kam. Seiner Mutter zu Liebe unterwarf er sich endlich einem streng geregelten Studium der Musik, und die Vorsehung ließ ihn in Theodor Weinlig, dem Kantor der Leipziger Thomasschule, den rechten Mann finden, der ihm nach anfänglich geringen Erfolgen »neue Liebe zur Sache einflößte und sie durch den gründlichsten Unterricht läuterte«. Nach nur halbjährigen Studien im Kontrapunkt und Ausführung »einer besonders reich ausgestatteten Doppelfuge« erklärte ihn Weinlig für »selbständig« geworden. »Wahrscheinlich«, sagte er, »werden Sie nie in den Fall kommen, Fugen und Kanons zu schreiben; was Sie jedoch sich angeeignet haben, ist Selbständigkeit. Sie stehen jetzt auf Ihren eigenen Füßen und haben das Bewußtsein, das Künstlichste zu können, wenn Sie es nötig haben.«

Die Früchte dieser Studien treten schon in den zu jener Zeit entstandenen Arbeiten zutage. Im Gegensatz zu seiner früheren schwülstigen Schreibweise erscheint jetzt sein Satz einfach-natürlich, wie eine 1831 veröffentlichte Sonate in B-dur, sein op. 1, beweist, dem Weinlig selbst zum Druck verhalf. Eine Klavierphantasie in Fis-moll, Ouvertüren zu Raupachs »König Enzio« (im Leipziger Theater am 16. März 1832 aufgeführt) und zur »Braut von Messina«, so wie Kompositionen zu Goethes »Faust« (letztere beide ungedruckt) entstanden um diese Zeit. Die eigenartig interessante Klavierphantasie, die mit ihren beredten Rezitativen, ihrem poetisch programmatischen Stil, ihrer thematischen Einheit bereits den großen Neuerer ahnen läßt, darf als wertvollstes Musikstück aus Wagners Jugendperiode bezeichnet werden. Im Gewandhauskonzert ernten eine am 23. Februar 1832 aufgeführte Ouvertüre in D-moll und eine Symphonie in C, die nach vorausgegangener Vorführung in Prag und in der Leipziger »Euterpe«, am 10. Januar 1833 daselbst zu Gehör kam, aufmunternden Beifall. Beethoven war dabei des jungen Tondichters »Hauptvorbild«, »Klarheit und Kraft, bei manchen sonderbaren Abirrungen«, sein Bestreben. Die Symphonie, die er später, behufs einer vergebens erhofften Wiederholung, Mendelssohn übergab. ging spurlos verloren. Erst vier Jahrzehnte darnach wurden die Stimmen durch Fürstenau und Tappert wieder aufgefunden und durch Anton Seidl zur Partitur zusammengestellt. Während seines letzten Venetianer Aufenthaltes veranstaltete Wagner zu Weihnachten 1882 im Liceo Marcello eine Aufführung derselben im intimen Kreise, die, nach seinen eignen Worten, »nur die Bedeutung einer freundlichen Familien-Erfahrung haben könne«, da er »sein Werk nur noch einmal als Familiengeheimnis zum Ertönen gebracht habe.« Vier Jahre nach seinem Tode wurde sie aber für alle Welt laut und machte, dank der von seiner Witwe für die Frist eines Jahres gegebenen Erlaubnis, in den Konzertsälen die Runde [1]. Wagners eigenste Physiognomie blickt nur hin und wieder wie verstohlen aus diesem Jugendwerk, so frisch und natürlich kraftvoll seine Sprache, so erstaunlich seine technische Sicherheit in der Instrumentierung insbesondere ist. Noch steht er ganz im Banne Beethovens; ihm bringt er mit seiner Symphonie eine feurige Huldigung dar. »Ich zweifle«, schrieb Heinrich Dorn (in der Schumannschen Musikzeitung 1837), »daß es zu irgend einer Zeit einen jungen Musiker gegeben hat, der mit Beethovens Werken vertrauter war, als der achtzehnjährige Wagner. Des Meisters Ouvertüren und größere Instrumentalkompositionen besitzt er größtenteils in eigenhändig geschriebenen Partituren; mit den Sonaten geht er schlafen, mit den Quartetten steht er auf, die Lieder singt er, die Konzerte pfeift er, denn mit dem Spielen will es nicht recht vorwärts gehen; kurz es war ein furor teutonicus, der, gepaart mit höherer wissenschaftlicher Bildung und eigentümlich geistvoller Regsamkeit, kraftvolle Schößlinge zu treiben versprach.« Der erwähnten mühevollen Kopistenarbeit opferte er seine nächtliche Ruhe; ihr aber und namentlich dem hierdurch erzielten volleren Verständnis der »Neunten« verdankt er, wie seine eigenen Äußerungen bestätigen, »das, was er bei keinem Lehrer hätte erlernen können: das praktische Verständnis und das gründliche Eindringen in Beethovens heilige Mysterien.«

Mit der fertigen Symphonie machte er sich im Sommer 1832 auf die Reise nach Wien, um die alte Metropole der Tonkunst kennen zu lernen. Was er dort hörte, erbaute ihn jedoch trotz mannigfacher Anregung wenig, und die herrschende »Zampa«-Manie vertrieb ihn nach sechs Wochen. Unvergeßlich blieb ihm »die für jede von ihm vorgegeigte Pièce – auch ein Zampa-Potpourri – an Raserei grenzende Begeisterung des wunderlichen Johann Strauß, dieses Dämons des Wiener musikalischen Volksgeistes.« In Prag ließ Dionys Weber ihm mehrere seiner Kompositionen, darunter die neue Symphonie, im Konservatorium spielen. Hier auch dichtete Wagner einen Operntext tragischen Inhalts: »Die Hochzeit«. Er hatte, in seine Vaterstadt heimgekehrt, bereits zu Weinligs Freude mit Vertonung desselben begonnen, als ein abfälliges Urteil seiner Schwester Rosalie, die, als Versorgerin ihrer Angehörigen, deren besondere Schätzung und Liebe genoß, ihn zur Vernichtung des Textbuches veranlaßte.

Doch entschädigte er sich bald dafür durch eine andere Opernarbeit, die er bei seinem älteren Bruder Albert ausführte. Bei ihm, dem Vater der nachmals gefeierten Sängerin Johanna Jachmann-Wagner, der als Opernsänger und Regisseur in Würzburg lebte, brachte er, inzwischen Chordirektor-Dienste beim dortigen Theater verrichtend, das Jahr 1833 zu. Den Text zu der in dieser Zeit komponierten romantischen Oper »Die Feen« hatte er nach Gozzis Märchen »Die Frau als Schlange« wieder selbst verfaßt. Charakteristisch für Wagner enthält schon dieser, seinem Sinn für das Wunderbare, Zauberhafte entsprechende Stoff die bei ihm immer wiederkehrende Erlösungsidee: das sich aufopfernde, liebende Weib. Auch in der Musik kündigt sich, neben vorwaltenden Einflüssen Webers und Marschners, Beethovens und Mozarts, in zahlreichen Anklängen an »Holländer«, »Tannhäuser«, »Lohengrin« der spätere Wagner an. Einzelne Bruchstücke des Werkes, die er in Würzburger Konzerten zur Aufführung brachte, gefielen; allein die Hoffnung des jungen Komponisten, sie in Leipzig, wohin er sich zu Beginn des Jahres 1834 zurückwandte, in Szene gesetzt zu sehen, blieb trotz ihm eröffneter Aussichten unerfüllt. Erst am 29. Juni 1888, 54 Jahre nach ihrem Entstehen, wurde die Oper auf der Münchner Hofbühne, der sie (außer Prag) bisher ausschließlich angehört, lebendig. Mit außerordentlichem Glanze inszeniert, bildet sie daselbst nicht nur eine »Sehenswürdigkeit ersten Ranges«, die, so oft sie erscheint, die Menge in Scharen herbeilockt, auch für Beurteilung der Entwicklung ihres Autors ist und bleibt sie überaus wichtig.

Die bezüglich seiner Oper erlebte erste Enttäuschung, in Verbindung mit dem überwältigenden Eindruck, den die 1834 in Leipzig gastierende Schröder-Devrient auf ihn ausübte, die »als Romeo alles mit sich fortriß«, bewirkte eine wunderliche Wandlung in ihm. In der Vereinigung »der glücklicher gewählten und ausgebildeten Mittel« der Italiener und Franzosen glaubte er plötzlich den Schlüssel zum Geheimnis des Opernerfolgs gefunden zu haben, wie er später im »Rienzi« gleicherweise vorübergehend in den Bahnen der Pariser großen Oper steuerte. Italienische und französische Vorbilder drängten seine klassischen Ideale Beethoven, Mozart und Weber eine Zeitlang bei ihm in den Schatten, und der Verkehr mit Heinrich Laube, einem Hauptvertreter des die Berechtigung der Materie proklamierenden »jungen Deutschland«, trug in einer zweiten Oper: »Das Liebesverbot, oder die Novize von Palermo«, die er nach Shakespeares »Maß für Maß« auf einer böhmischen Reise mit seinem Freund Apel[2] entwarf, seine Früchte.

In eine erste amtliche Tätigkeit trat er im Sommer 1834 als Musikdirektor des Magdeburger Theaters ein. Er hatte dieselbe zuvörderst in dem durch Goethe und Schiller bekannt gewordenen Bad Lauchstedt sowie in Rudolstadt auszuüben, an welch ersterem Orte er in der schönen jungen Schauspielerin Minna Planer seine nachmalige Gattin kennen lernte. »Das Einstudieren und Dirigieren der leichtgelenkigen französischen Modeopern machte mir oft kindische Freude, wenn ich vom Dirigierpult aus links und rechts das Zeug loslassen durfte,« schreibt er selbst über seine damalige Wirksamkeit. Die Berührung mit der pikanten Welt hinter den Kulissen entsprach seiner Stimmung und Zerstreuungslust. Komponiert wurde unter diesen Verhältnissen wenig. Nur ein Symphoniesatz, ein Neujahrsfestspiel und eine Ouvertüre samt Chor und Orchesterstück zu Apels Drama »Columbus« kamen außer der erwähnten Oper: »Das Liebesverbot« in Magdeburg zur Reife. Gegen Neujahr 1836 ward diese beendet und nach nur zehntägiger Vorbereitung, am 29. März, eine Aufführung durchgesetzt, ohne daß das, wegen Fortgang der beliebtesten Opernmitglieder, allzu hastig einstudierte und somit mangelhaft dargestellte Werk irgend welchen Eindruck zu üben vermochte. Eine zweite Vorstellung kam, zufolge »unerhörter Szenen«, die sich unter dem Personal hinter den Kulissen abspielten, nicht zustande. Zahlungsunfähigkeit des Direktors veranlaßte unmittelbar darauf die Auflösung der Magdeburger Gesellschaft. Wagner, der sich inzwischen mit Minna Planer, einem Mitglied derselben, verlobt hatte, folgte ihr nach Königsberg, wohin ein neues Engagement sie rief. »Es fehlte ihr«, nach seinen eigenen Worten, »an aller Idealität. Die eigentümliche Macht, welche sie über mich ausübte, rührte keineswegs von der ursprünglich mächtig auf mich wirkenden idealen Seite der Dinge her, sondern im vollen Gegenteile wirkte sie durch die Nüchternheit und Solidität des Wesens, welches bei meiner großen Zerfahrenheit auf den Irrwegen nach einem idealen Ziele mir nötigen Anhalt und Ergänzung bot. Sehr bald hatte ich mich daran gewöhnt, mein ideales Bedürfnis nie vor Minna in das Spiel zu bringen.« Dennoch schloß er, mit Schulden überlastet, am 24. November 1836 in Königsberg mit ihr in »heftigem Eigensinn eine übereilte Ehe«. »Unter dem widerlichen Eindruck einer besitzlosen Häuslichkeit quälte er sich und andere und geriet so in das Elend, dessen Natur es ist, Tausende und aber Tausende zugrunde zu richten.« Zu der ihm in der preußischen Krönungsstadt versprochenen Stelle als Theatermusikdirektor ließ man ihn erst zu Ostern 1837 gelangen. »Ich mußte mir so durchhelfen. Ich war sehr unglücklich«, schreibt er an Apel. Das Jahr, das Wagner in Königsberg zubrachte, ging unter Sorgen kleinlichster Art, im steten Kampf mit materieller Not für seine Kunst fast verloren. Eine Ouvertüre »Rule Britannia», der eine in Berlin entstandene »Polonia« vorangegangen war, sowie der Entwurf einer komischen Oper »Die glückliche Bärenfamilie« (nach »1001 Nacht«) sind uns als einziges künstlerisches Ergebnis jener Zeit verblieben. Übrigens setzte der Bankerott der Theaterdirektion seiner Tätigkeit schon im Mai ein Ziel.

In der heißempfindenden Seele Wagners entwickelte sich mittlerweile bis zur verzehrenden Sehnsucht der Drang, »aus der Kleinheit und Erbärmlichkeit der ihn beherrschenden Verhältnisse herauszukommen«. Eheliche Zwistigkeiten nahmen überhand, so daß Minna ihn zeitweise verließ. Der Mensch und der Künstler in ihm seufzten nach Erlösung. Voll des brennenden Verlangens, sich dem kleinen deutschen Theaterleben zu entziehen und einen weiteren Wirkungskreis für sein Schaffen zu gewinnen, richtete er sein Auge auf Paris. Ein nach Heinrich Königs Roman »Die hohe Braut« bearbeiteter Entwurf zu einer großen fünfaktigen Oper sollte, an Scribe geschickt, ihm den Weg dahin bahnen; doch blieb die Sendung ohne Erfolg. Da führte ein kurzer Aufenthalt in Dresden im Sommer 1837 ihm eine schon früher gehegte Lieblingsidee zurück, den Helden des Bulwerschen Romans »Rienzi« zu einem Opernhelden umzugestalten, und inmitten des Jammers seines häuslichen Lebens erfüllte ihn die Vorstellung eines großen historisch-politischen Ereignisses mit Begeisterung. Doch erst nachdem er im Herbst 1837 die Stelle eines ersten Musikdirektors bei dem unter Holteis Leitung neueröffneten Theater zu Riga angetreten und für dortige Zwecke einige Operneinlagen geschrieben hatte, ward »Rienzi« ernstlich in Angriff genommen. Wagner bekennt, auch bei Verfertigung dieses Textes im wesentlichen noch an nichts anderes, als an ein »wirkungsvolles Opernbuch« gedacht zu haben. Die Eindrücke der heroischen Oper Spontinis, des glänzenden, von Paris ausgehenden Genres der »Großen Oper« Aubers, Meyerbeers und Halévys forderten ihn zur Nacheiferung auf. »Die ›Große Oper‹, mit all' ihrer szenischen und musikalischen Pracht, ihrer effektreichen, musikalisch-massenhaften Leidenschaftlichkeit«, stand vor ihm, und »sie nicht bloß nachzuahmen, sondern mit rückhaltloser Verschwendung nach allen ihren bisherigen Erscheinungen zu überbieten«, erstrebte sein künstlerischer Ehrgeiz. Auf Sprache und Vers wurde noch keine übergroße Sorgfalt verwandt; »Duette und Terzette, fünf glänzende Finales fanden sich von selbst« im Anschluß an die hergebrachten Formen. »Meine künstlerische Individualität«, sagt er, »war den Eindrücken des Lebens gegenüber noch in der Wirkung rein künstlerischer, oder vielmehr kunstförmlicher, mechanisch bedingender Eindrücke durchaus befangen.« Nichtsdestoweniger erklärte Meyerbeer später das Textbuch des »Rienzi« für die beste aller ihm bekannten Operndichtungen und bestellte sich bei Scribe ein ähnliches, als welches ihm dieser nachmals den »Propheten« lieferte. –

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Anmerkungen:

  1. Part. u. Stimmen erschienen bei Max Brockhaus, Leipzig.
  2. Vgl. Wagners Briefe an ihn, Breitkopf & Härtel 1910. Liebesverbot, Feen, Hochzeit, Bärenfamilie usw. Sämtl. Schr. XI.
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