Mit dem Ruf »Auf Wiedersehen im nächsten Jahr!« verabschiedete er sich, nachdem er am 29. August den letzten Akt der sechzehnten und letzten »Parsifal«-Aufführung dirigiert hatte, von seinen Künstlern, die in Wiedergabe dieses seines Werks das Vollkommenste leisteten, was deutsche Darstellungskunst bis dahin auf der Gesangsbühne hervorgebracht. Er ahnte wohl nicht, daß er zum letztenmal in ihrer Mitte weilte. Wenige Wochen später verließ er mit den Seinen Bayreuth, um dem nordischen Winter zu entfliehen, dem seine durch die ungeheueren Anstrengungen und Erregungen erschütterte Gesundheit seit den letzten Jahren nicht mehr Stand halten wollte. Den vorausgehenden Winter hatte er in Palermo zugebracht, woselbst er am 13. Januar 1882 auch die letzte Hand an den »Parsifal« legte. Diesmal wählte er Venedig und einen seiner stolzesten Paläste, den Palazzo Vendramin am Canale grande, zum Aufenthalt. Genußvoller Muße gab er sich auch hier nicht hin, wo er sich fast zwei Monate lang des Besuchs von Liszt erfreute und diesem, wir lesen's bei Glasenapp, wie oftmals schon, »ernstlich zuredete, ein für allemal bei ihm, in seinem Hause zu bleiben«. Wann hätte der Rastlose, dessen eiserner Wille der widerstrebenden Natur das scheinbar Unmögliche abzwang, je geruht? Brustkrämpfe suchten ihn häufig heim und er klagte viel über sein Befinden, erschien darnach aber wieder wohl und verschönte die Abende im Familienkreise durch sein herrliches Vorlesen von Dichtungen und Prosawerken. Am 25. Dezember feierte er den Geburtstag seiner Gattin durch Aufführung seiner wiederaufgefundenen Jugendsymphonie im Liceo Marcello und bereitete den Seinen das glücklichste Weihnachtsfest. Er zeichnete musikalische Eingebungen auf und traf für die »Parsifal«-Vorstellungen im Juli 1883 alle Bestimmungen und Vorbereitungen. Auch schrieb er ein Vorwort zu Heinrich von Steins »Dialogen« und begann am 11. Februar eine ihn noch an seinem Todestag beschäftigende Arbeit »Über das Weibliche im Menschlichen«. Sie sollte den Abschluß seines in den »Bayreuther Blättern« veröffentlichten Aufsatzes »Religion und Kunst« bilden, darin er aufs neue seinen Glauben an eine Regeneration der Menschheit kundgibt, die sich die Aufgabe stelle, »für die ethische Seele der Zukunft zu sorgen«. [1]

Kein Vorgefühl eines nahen Abschieds beschwerte den Starken. Rasch und unerbittlich trat am 13. Februar 1883 der Tod an den, trotz seiner fast vollendeten siebzig Jahre, noch Lebens- und Schaffensfreudigen heran und machte durch einen Herzschlag seinem Leben ein jähes Ende. In freundlicher Gestalt wenigstens nahte er ihm: in den Armen der über alles geliebten Frau, seiner treuen verständnisinnigen Helferin und Genossin, durchkämpfte er den letzten Kampf. Was sterblich an Richard Wagner war, das wurde nach erfolgter Überführung nach Bayreuth, unter Geleit von Freunden und Verehrern des Heimgegangenen, am 18. Februar 1883 im grünen Schatten des Wahnfried-Gartens der Erde wiedergegeben.

»Er war eine durchaus dämonische Natur«, bezeugt Paul Joukowsky, der Wahnfried nah verbundene Schöpfer der Parsifal-Dekorationen. »Die Gewalten, welche in ihm lebten, besaßen ihn vollständig. Sein Bedürfnis künstlerisch zu gestalten, sein Wollen und Wünschen, sein Lieben und Hassen, die Ideen, die in ihm geboren wurden, alles das nahm vollständig von ihm Besitz; für ihn war das künstlerische Schaffen und die schriftstellerische Tätigkeit Befreiung von dem erdrückenden Reichtum seiner Natur. Er war in jedem Augenblick seines Lebens schöpferisch. In der Welt mußte ein solcher Mensch – bei grenzenloser Zartheit und Reizbarkeit der Nerven – ein Martyrium zu tragen haben. Wie keiner zum Herrschen geboren, mit einer Kraft begabt, die bauen und zertrümmern konnte, mit einem Durst nach übermenschlicher Schönheit, hat er drei Vierteile seines Lebens mit jeder Art des Mangels, dabei mit Krankheit, Not und gänzlicher Verständnislosigkeit seiner Nächsten kämpfen müssen.«

Unter den letzten Aufzeichnungen von Wagners Hand fand man nach seinem Tode die Worte: »Durch Aufführung seiner Werke ehrt man einen verstorbenen Künstler weit höher und in einem edleren Sinne, als durch Niederlegen von Lorbeerkränzen auf seinem Sarge.« Nun, der Mahnung, des Meisters Gedächtnis durch Aufführung seiner Werke in uns lebendig zu erhalten, bedurfte es bei seinem Hinscheiden nicht mehr. Die Bühne vermag derselben, die sie beherrschen, nicht mehr zu entraten, und der empfängliche Sinn für die ihnen innewohnende ideale Macht wird unserem Volk, so Gott will, nicht abhanden kommen. Nur darum konnte es sich noch handeln, den Festspielen überhaupt und dem »Parsifal«, Wagners letztem Vermächtnis im besonderen, in Bayreuth zu periodischer Wiederkehr eine bleibende Stätte zu sichern. Nicht auf unseren Alltagsbühnen ist ja sein Platz, auf geweihterem Boden muß er leben und wirken, soll er nicht seiner eigensten Wirkung verlustig gehen. Wer hätte das nicht, da er ihn hörte, empfunden?

In gerechter Würdigung des letzten Willens des großen Meisters bildete sich nun zu Pfingsten 1883 zu Nürnberg der »Allgemeine Richard Wagner-Verein« »zur Erhaltung und Fortführung der Bayreuther Festspiele«. Neben ihm setzte der Verwaltungsrat der letzteren sein emsiges Wirken nach wie vor fort, und die in die Intentionen ihres verstorbenen Gatten tief eingeweihte Witwe Richard Wagners widmete sich der Verwirklichung derselben, als der ihr hinterlassenen hohen Lebensaufgabe. Die führenden Geister des musikalischen Teils der Aufführungen blieben die bereits bei Lebzeiten Wagners erprobten Musterkapellmeister Hans Richter und Hermann Levi, denen sich weiter Felix Mottl, Richard Strauß, Karl Muck, Michael Balling anschlossen. Seit 1894 führt auch Wagners Sohn Siegfried, der Erbe einer eigenartigen schöpferischen Begabung und auserlesenen Bildung, zugleich ein Genie in der Kunst der Inszenierung, den Dirigentenstab.

Der tätige Schutz König Ludwigs II. blieb bis zu seinem tragischen Ende den Festspielen erhalten; dann erstand ihnen im Prinzregenten Luitpold von Bayern ein neuer Protektor. Auch der deutsche Kaiser Wilhelm II. brachte durch Besuch derselben im August 1889 dem Genius Wagners und seinem nationalen Werke seine Huldigung dar. Seit der Große die Augen schloß, hat sein »Parsifal« schon zu vielen Malen seine hehre Kraft bewährt; [2] mit ihm sind auch »Tristan und Isolde«, »Tannhäuser«, »die Meistersinger«, »Lohengrin«, der »Holländer« und wiederum der »Ring« im Festspielhause nacheinander eingezogen und zu stilgerechter Wiedergeburt gelangt.

Um die Zukunft Bayreuths braucht uns nicht bange zu sein, auch wenn mit dem Jahre 1913, in dem das deutsche Volk, späten Dankes voll, den 100. Geburtstag seines größten Tondramatikers feiert, die dreißigjährige Schutzfrist für die Werke Wagners erlischt und der »Parsifal«, dem letzten Willen seines Schöpfers zum Trotz, tatsächlich zum Allgemeingut werden sollte. Die Tradition des Stils lebendig erhaltend, steht Bayreuth außerhalb jeden Wettbewerbs; es hat in der gesamten Kulturwelt nicht seinesgleichen. Als zu einer Stätte idealer künstlerischer Erbauung, wallfahret, so oft die Spiele wiederkehren, ein Weltpublikum nach der alten Markgrafenstadt. Möge, inmitten einer realistischen Zeit, Wagners Kunstgeist, zum Besten unseres gesamten Musiklebens, vom Festspielhügel aus bis in die feinste Zukunft seine reinigende und erhebende Wirkung üben!

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Anmerkungen:

  1. Vgl. Arthur Prüfer »Das Werk von Bayreuth«. 2. Aufl. Leipzig, Siegel. 1909.
  2. In den Jahren 1883, 1884, 1886, 1888, 1889, 1891, 1892, 1894, 1896, 1897, 1899, 1901, 1902, 1904, 1906, 1908, 1909, 1911, 1912.
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