Tieferen Einfluß auf Webers innere Entwicklung gewann Berlin, dessen scharfe kritische Luft auf den bisher an süddeutsche Art Gewöhnten, naiv Schaffenden klärend wirkte und seine Bestrebungen bewußteren Zielen zulenkte. Offenen Blicks erkannte er die Schwächen seiner Schreibweise. »Ich habe bemerkt, daß ich sehr über meine Manieren wachen muß«, bekennt er sich selbst in seinem Tagebuch. Auch die Berechtigung des häufig gehörten Vorwurfs der Kritik, daß seine Schöpfungen die strenge Architektur des Aufbaues, die Plastik der Form vermissen ließen, daß sie, in einem malerischen, koloristischen Element ihren Reiz suchend, dem Zeitgeschmack und dem Effekt huldigten, blieb ihm nicht verborgen. Ein üppiges Schmuckwerk überwuchert tatsächlich in seinen Instrumentalkompositionen – auch in seinen Klavierwerken – vielfach die strenge Gliederung der Form, und die Gedanken zeigen sich durch Phrasen überdeckt, die bei aller Fülle an melodischer Erfindung doch eine gewisse Verwandtschaft untereinander bekunden. Mag seine Melodik auch vielfach an Mozart – sein Ideal – erinnern, so verrät doch eine jeder seiner Wendungen und namentlich das ihm spezifisch eigentümliche Figurenwerk, das ihn zum Schöpfer einer neuen Klaviertechnik werden ließ, das Kind einer jüngeren nachklassischen Zeit. Webers Weise trägt eine ganz bestimmte Physiognomie, über die wir uns nirgend zu täuschen vermögen. Als sein Freund Drieberg ihn, gelegentlich seiner ungeschminkten Beurteilung der »Silvana«, auf eben diese Familienähnlichkeit der einzelnen Stücke untereinander hinwies, unterwarf der gewissenhafte Komponist sich einer ernsten Selbstprüfung. »Sollte ich keine Mannigfaltigkeit der Ideen besitzen,« heißt es am 13. Mai 1812 in seinem Tagebuch, »so fehlt mir offenbar Genie, und sollte ich mein ganzes Leben hindurch alle mein Streben, alle meinen Fleiß, alle meine glühende Liebe einer Kunst geopfert haben, zu welcher Gott nicht den echten Beruf in meine Seele gelegt hätte? – Diese Ungewißheit macht mich höchst unglücklich; um keinen Preis möchte ich in der Mittelklasse von den 1000 und 1000 Kompositeurleins stehen; kann ich nicht eine hohe eigne Stufe erklimmen, möchte ich lieber gar nicht leben, oder als Klavier-Professionist mein Brot mit Lektionen zusammenbetteln.« Am 10. Juli, nach Aufführung der »Silvana« auf der Berliner Hofbühne, aber schreibt er, durch den guten Erfolg derselben beruhigt, nieder: »Selbst meine Feinde gestehen mir Genie zu, und so will ich denn bei Anerkennung meiner Fehler doch mein Selbstvertrauen nicht verlieren und mutig und vorsichtig über mir wachend, fortschreiten auf der Bahn der Kunst.«

Der Verkehr mit den Berliner Musikgrößen gestaltete sich übrigens wenig erfreulich für ihn. Kalt und ablehnend traten Bernhard Anselm Weber, Righini, Zelter ihm gegenüber. Um so wärmer schlossen sich ihm der berühmte Zoolog Hinrich Lichtenstein, Friedrich von Drieberg, Fürst Anton Radziwill, der »Faust«-Komponist, wie später auch der Generalintendant des Theaters Graf Brühl, Tieck, Brentano und andere bedeutende Männer an. Herzliche Aufnahme bereiteten ihm besonders die Eltern Meyerbeers, die ihn während seines halbjährigen Aufenthaltes in der norddeutschen Hauptstadt gastlich beherbergten.

Mit dem Berliner Aufenthalt (in dessen Verlaufe er die Nachricht von dem in Mannheim erfolgten Tod seines Vaters erhielt) schließt Webers Jugendperiode ab; sein Schaffen nimmt nun den Aufschwung, der in der Vollendung seiner Dramen gipfelt. Aber auch die Wanderjahre des Künstlers erreichten bald darauf ihr Ende. Mit einem mehrmonatlichen Verweilen am Hofe des Herzogs Leopold August von Gotha und einem Besuch Weimars, zu dem ihn die kunstliebende Großherzogin Maria Paulowna veranlaßte und der ihm die persönliche Bekanntschaft mit Goethe und Wieland vermittelte, beschloß Weber das Jahr 1812, den 1. Januar 1813 durch ein glanzvolles Debüt im Leipziger Gewandhaus mit seinem neuen brillanten Klavierkonzert in Es-dur feiernd. Als er wenige Tage darnach, eine Reise nach Italien, der Schweiz und Südfrankreich planend, Prag berührte, traf ihn der ehrenvolle Antrag, die Direktion der daselbst neu zu organisierenden deutschen Oper zu übernehmen. Allen weitergehenden Plänen entsagend, schlug er ein und ließ sich, wie er selbst sagt, ein Joch anlegen.

Sein angebornes Direktionstalent zu bewähren fand Weber in Prag Gelegenheit. In Kürze brachte er das vollkommen neugeschaffene Operninstitut, dessen erste Leistung: Spontinis »Cortez«, am 9. September 1813 schon laute Anerkennung erntete, zu schönstem Gedeihen. Die erste Sängerin, die er engagierte, war seine Frankfurter Silvana, Caroline Brandt, die anmutige und gefeierte Soubrette, die bald sein Herz gefangen nahm. Schwer entbehrte er indessen die künstlerische Anregung und Berührung mit verwandten Elementen, deren er bedurfte. »Ich bin ganz isoliert und auf mich selbst beschränkt, eine unendliche Verstimmung geht durch mein ganzes Wesen«, klagt er seinen Freunden, und an anderer Stelle: »Der Trieb zum Arbeiten, zu schaffenden Leistungen ist so hohen Ursprungs wie die Liebe und läßt sich ebensowenig erzwingen.«

Er konnte nicht heimisch werden in der böhmischen Königsstadt, deren Kunstleben er als »ein immerwährendes Sterben« bezeichnete. Kurz, als er nach drei Jahren uneigennützigen Wirkens erfuhr, daß weder Publikum noch ständische Verwaltung seine Verdienste zu schätzen wußten, kündigte er rasch entschlossen zu Ostern 1816 seinen Dienst.

Ein halbes Jahr später war er frei. Um im Hause seines Freundes Lichtenstein zuvörderst der Komposition zu leben, begab er sich im Oktober 1816 nach Berlin. Durch den ihn nach Gebühr schätzenden Intendanten Graf Brühl hoffte er daselbst eine ihm zusagende Stellung zu finden. Hier wie allerwärts hatte ihn bereits 1814 die Vertonung von Körners Liederzyklus »Leier und Schwert«, die bald ganz Deutschland sang, mit einem Schlag populär und berühmt gemacht. Die Wirkung dieser Gesänge war eine ungeheure, alle andern politischen Lieder verdunkelnde. Auch seine die Schlacht bei Waterloo feiernde Kantate »Kampf und Sieg« wurde bei ihren Erstlingsaufführungen in Prag (22. Dez. 1815) und Berlin (Juni 1816) mit Begeisterung begrüßt. Mag der Erfolg des längst vergessenen Werkes immerhin mehr patriotischer als musikalischer Natur gewesen sein, für die künstlerische Entwicklung des Autors ist es bedeutsam; denn unzweideutig kündigt das sich darin aufrollende Schlachtbild den künftigen Meister der Oper an. Seine Absichten bei Schaffen der Kantate legte Weber »für seine Freunde« in einem besonderen Aufsatze dar. Ebenso hatte er in Prag mit Veröffentlichung kurzer historischer Notizen begonnen, die er der Aufführung neuer Opern, zur Erleichterung des Verständnisses, vorauszuschicken pflegte: eine Gewohnheit, die er während der längsten Zeit seiner Bühnenwirksamkeit, auch in Dresden (bis 1821) beibehielt.

In Berlin schrieb er vor allem seine Klaviersonaten in As-dur und D-moll, die eine voll Frühlingsduft, die andere voll Leidenschaft. Ihm selber war ja ein Liebesfrühling aufgegangen: Caroline Brandt, die Prager Sängerin, die zur Zeit in Berlin gastierte und seit langem schon seine Neigung besessen, ihm aber ihr Jawort nicht leicht gemacht hatte, ward am 19. November seine glückliche Braut.

Und noch eine andere entscheidende Wendung erfuhr sein Schicksal noch bevor dies Jahr zu Ende ging. Hatten sich seine Berliner Hoffnungen zerschlagen, so brachte ihm der Weihnachtsabend 1816 die Kunde von seiner erfolgten Anstellung als »königlich sächsischer Kapellmeister und Direktor einer in Dresden neuzuschaffenden deutschen Oper«.

Schon am 13. Januar 1817 fand Weber sich in seiner neuen Heimat ein, in der er Großes und Dauerndes zu wirken bestimmt war. Eine Neuschöpfung von Grund aus sollte die deutsche Oper sein, zu deren Organisation Weber berufen wurde, denn Dresden hatte eine solche bisher nicht besessen. Hier herrschte seit Mitte des siebzehnten Jahrhunderts, mit verschwenderischem Glanz gepflegt, die italienische Oper uneingeschränkt, als das mit blendenden Reizmitteln ausgestattete Schoßkind des Hofes. Nicht sowohl dieses letzteren Gunst und Bedürfnis, als vielmehr der Wunsch des Volkes, das seinem nationalen Bewußtsein genugzutun strebte, rief die deutsche königliche Oper in Dresden ins Leben. Die Antipathie des Adels und der vornehmen Gesellschaft war somit von Anbeginn ihre bedenkliche Mitgabe, und der Boden, auf dem sie sich erheben sollte, erwies sich als wenig günstig. Gleichgültigkeit oder Vorurteil auf der einen, offene oder versteckte Feindseligkeit auf der andern Seite begrüßten das neue Unternehmen; in einen Kampf mit Hemmnissen aller Art sah Weber sich von vornherein hineingestellt. »Die Herren Italiener«, schreibt er schon nach vierzehn Tagen an Lichtenstein, »lassen natürlich Himmel und Hölle los, um mich und die ganze deutsche Oper zu vertreiben. Nicht nur daß noch gar nichts vom Notenschreiber bis zur ersten Sängerin da ist, sondern jeder Schritt wird mit tausend Schwierigkeiten verkabaliert.«

Da bedurfte es in der Tat eines so energischen organisatorischen Talentes, wie desjenigen Webers, um das Werk mit sicherer Hand aufzunehmen und zum Ziele zu führen, ob ihm als Lohn für die schwer vollbrachte Arbeit auch wenig mehr zuteil geworden ist, als die Freude über das Gedeihen derselben. Es vollzog sich das seltsame Schauspiel, daß Weber aller Orten ein hochgefeierter, berühmter Mann war, nur nicht an dem einen Orte, dem er Leben und Kräfte weihte, dem sein Name noch heute zum Schmuck und zur Ehre gereicht. Wohl zeigt der Dresdner jetzt mit Stolz auf das von Rietschel 1860 geschaffene Standbild des Meisters, das, gleich dem dreißig Jahre später in Eutin errichteten Denkmal (von Petterich), die geliebte Gestalt des populärsten deutschen Komponisten auch fernen Zeiten zur Erscheinung bringt – dem Lebenden jedoch verstand man nicht gerecht zu werden. Mehr als einmal stand er voll Unmuts im Begriff, die Stellung niederzulegen, die man ihm so bitterlich erschwerte; aber er hielt, treu seinem Wahlspruch: »Beharrlichkeit führt zum Ziel«, standhaft aus und wies selbst günstigere Anerbietungen später zurück in dem Bewußtsein, Großes und Segensreiches für seine Kunst an eben jener Stätte zu wirken.

Während die Aufnahme des neuen Kapellmeisters nach seinen eigenen Worten »überall, nur nicht bei Hofe, eine brillante« war, blieb sein Dienstverhältnis ein »sehr unangenehmes«. Die ihm zur Verfügung gestellten Mittel waren, im Vergleich zu dem glänzenden Institute der Italiener, das Francesco Morlacchi leitete, sehr beschränkt. Die ausgezeichnete Kapelle zwar stand ihm wie jenem zu Gebote, als Personal aber war ihm dasjenige des deutschen Schau- und Singspiels, sowie nötigenfalls die Verwendung einzelner Mitglieder der italienischen Oper bewilligt, welche sich indes für die deutsche wenig brauchbar zeigten, während ihm betreffs Erwerbung neuer Kräfte »möglichste Sparsamkeit« befohlen war. Vergeblich betonte er seinem ihm wohlgesinnten Chef, dem Intendanten Graf Bitzthum, gegenüber die Forderung: »deutsche und italienische Kunst soll gleiche Vorrechte haben«; es gelang auch den unermüdeten Bestrebungen jenes nicht, die gerechten Wünsche des Meisters zu befriedigen, denen sich eine förmliche Partei gegenüberstellte. Kapellmeister Morlacchi, der Konzertmeister Polledro und der sogenannte »Kirchenkompositeur« Schubert bildeten, gemeinsam mit dem einflußreichen Kabinettsminister von Einsiedel, eine Gegnerschaft, die sich Weber in mancherlei Beziehung als eine bis ans Ende unüberwindliche erwiesen hat und die auch dem Grafen Bitzthum dermaßen sein Amt verleidete, daß er sich kampfesmüde nach einigen Jahren davon zurückzog.

So sah sich Weber denn genötigt, seinem bevorzugten Rivalen gegenüber mit einer Reihe ungeschulter Sänger in die Schranken zu treten. Er tat dies schon nach siebzehn Tagen mit einer Leistung, die dem Publikum – das er durch einen kurzen Aufsatz in der »Abendzeitung« über das von ihm zu Gewärtigende verständigt hatte – gewaltig imponierte. Méhuls »Joseph in Ägypten« war die erste Oper, die unter seiner Leitung am 30. Januar 1817 über die Dresdner Hofbühne ging und selbst den strengen Lippen König Friedrich Augusts I. das Geständnis abzwang, daß seine Erwartungen weit übertroffen seien. Schon in dieser ersten Vorstellung schien das aus einem künstlerischen Ensemble hervorgehende »Gefühl der Einheit« erreicht, das Weber als das Ziel seines Strebens und die Aufgabe jeglicher dramatischen Leistung bezeichnet.

Dem ersten glücklichen Debüt folgten weitere gelungene Resultate. Voll rastlosen Eifers den Interessen des ihm anvertrauten Institutes hingegeben, forderte der gewissenhafte Künstler aber auch von seinen Untergebenen ein Gleiches. Nichtsdestoweniger verwandelte die Mißstimmung der Kapellmitglieder und Sänger, die sich infolge des ungewohnt strengen Regiments kundgab, sich bald in um so wärmere Anerkennung und Liebe für den Dirigenten und die Sache, der er diente.

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