Im Norden Deutschlands, in der holsteinschen Stadt Eutin, stand Carl Marias, oder wie sein vollständiger Name lautet, Carl Maria Friedrich Ernest von Webers Wiege. Dort ward er am 18. Dezember (nach Angabe seines Vaters, während das Kirchenbuch wohl irrtümlich den 20. November als seinen Tauftag bezeichnet) im Jahre 1786 als erstes Kind einer zweiten Ehe geboren, die sein schon alternder Vater, Franz Anton Freiherr von Weber – der Onkel von Mozarts Gattin Constanze – in Wien mit der schönen achtzehnjährigen Genoveva von Brenner aus Oberdorf in Bayern geschlossen hatte. In seiner dem sechzehnten Jahrhundert entstammenden, einst in Niederösterreich begütert gewesenen Familie war seit Generationen eine an Manie grenzende Leidenschaft für Musik und Bühnenwesen erblich, die endlich für Franz Anton verhängnisvoll werden und, bei einem ohnehin haltlosen Charakter, die völlige Zerrüttung seiner äußeren Verhältnisse herbeiführen sollte. So war aus dem ehemaligen kurpfälzischen Offizier nach mannigfachen Wandlungen ein wandernder Schauspieldirektor und schließlich ein schlichter Stadtmusikus in Eutin geworden. Noch den unruhvollen Geist litt es auch da nicht lange. Wenige Monate nach Carl Marias Geburt gab er seine Stellung wieder auf; eine neue Schauspielergesellschaft wurde mit Hilfe seiner Kinder aus erster Ehe – er besaß deren acht – gebildet, und von neuem begann das alte Wanderleben durch Deutschland.

Während eines längeren Aufenthaltes in Salzburg verlor der elfjährige Carl Maria im März 1798 die junge Mutter, an die er, zart und kränklich von Natur, dazu durch ein Hüftleiden von Kindheit an lahm, sich mit Innigkeit angeschlossen, und deren sanfte Obhut ihn bisher vor den gefährlichen Einflüssen eines abenteuerlichen Lebens behütet hatte. Dem Vater lag vor allem die künstlerische Bildung des Knaben am Herzen. Von jeher war es sein heißester Wunsch gewesen, sich und der Welt in einem seiner Kinder ein musikalisches Genie zu erziehen. Er hatte, dieser Hoffnung hingegeben, mit jedem Kind, das ihm der Himmel schenkte, allerhand musikalisch-pädagogische Experimente angestellt und zwei seiner Söhne sogar der Führung Joseph Haydns in Wien anvertraut, ohne seine Bestrebungen durch hervorragende Resultate belohnt zu sehen. Auch bei Carl Maria zeigte sich auf solche zunächst so wenig Aussicht, daß sein ältester Stiefbruder, der ihn mit dem Vater unterrichtete, einmal voll Unmut ausrief: »Carl, du kannst vielleicht alles werden, aber ein Musiker wirst du nimmermehr!«

Erst der Unterweisung des Kammermusikus Heuschkel in Hildburghausen (1796) gelang es, die tonkünstlerische Begabung des nachmaligen Freischütz-Komponisten zu wecken. Dieser selbst bekennt in dem von ihm verfaßten kurzen Lebensabriß[1] daß er »den wahren, besten Grund legte zur kräftigen, deutlichen und charaktervollen Spielart und zu gleicher Ausbildung beider Hände auf dem Klavier.« In Salzburg, wo Carl Maria 1797 als Kapellknabe in das fürsterzbischöfliche Institut eintrat, nahm sodann Michael Haydn, der Bruder des großen Haydn in Wien, durch die Talente des Knaben aufmerksam gemacht, denselben unter seine besondere Zucht. Als Ergebnis dessen trat denn auch ein erstes Opus seines Schülers in Gestalt von »Sechs Fughetten« im Sommer 1798 an die Öffentlichkeit. Doch die von Michael Haydn vertretene Kunstrichtung vermochte den Absichten Franz Anton von Webers für die Zukunft seines Sohnes nicht auf die Dauer zu entsprechen. Um ihn, das Kind der Bühne durch Geburt und Erziehung, der ihm zugedachten Bestimmung zum dramatischen Komponisten möglichst schnellen Schrittes zuzuführen, wurde vielmehr die Fortsetzung seiner Studien in München beschlossen, woselbst die damals von Winter und Danzi geleitete Oper seit dem kunstliebenden Regiment Carl Theodors von der Pfalz in hoher Blüte stand. Dahin siedelte die Familie Weber denn gegen Ende des Jahres 1798 über. Das Glück bescherte Carl Maria hier in Nepomuk Kalcher, dem nachmaligen Hoforganisten, einen Lehrer, dessen »klarem, stufenweise fortschreitenden, sorgfältigen Unterricht« er, seinen eigenen Worten zufolge, »größtenteils die Herrschaft und Gewandtheit im Gebrauche der Kunstmittel, vorzüglich in bezug auf den reinen vierstimmigen Satz dankte.« Bereitwilliger als die früheren Lehrmeister ging er auf die individuelle Begabung des Knaben ein, dessen Produktionsvermögen sich dank seinem Einfluß auffällig steigerte. Eine Partitur nach der andern entstand im Laufe eines Jahres, darunter eine Oper »Die Macht der Liebe und des Weins«, eine Messe, Trios, Sonaten, die sämtlich nachmals ein Raub der Flammen wurden.[2] Daneben errang der zwölfjährige Tonschöpfer, der bei dem berühmten Sänger Wallishauser oder Vallesi auch seine gesangliche Ausbildung betrieb, gleichzeitig als Sänger und Klavierspieler seine ersten Triumphe.

So wenig auch diese vorzeitig angestrengte Geistestätigkeit der zarten Organisation seines Kindes zuträglich schien: den in der Schwäche der Eitelkeit befangenen Vater erfüllte sie trotzdem mit Stolz und Freude. Vergebens bemühte er sich fort und fort, für die jugendlichen, von ihm überschätzten Werke Carl Marias einen Verleger zu gewinnen. Da kam er, durch die Bekanntschaft mit Sennefelder, dem Erfinder des Steindrucks, auf den Gedanken, daß sein Sohn ja sein eigner Drucker und Verleger werden könne. Das Geheimnis Sennefelders war ihm bald abgelauscht. Carl Maria begann selbst in dessen Werkstätte eifrig zu arbeiten und, durch frühere Übungen im Zeichnen und Kupferstechen unterstützt, sich die Technik der neuen Kunst so vollständig zu eigen zu machen, daß er binnen kurzem sechs eigenhändig lithographierte Variationen, sein opus 2, erscheinen lassen konnte. »Der rege jugendliche Geist, der alles Neue und Aufsehenerregende mit Hast sich anzueignen suchte«, erweckte, so erzählt Weber selbst, in ihm die Idee, vermittelst einer von ihm und seinem Vater konstruierten verbesserten Presse, Sennefelder »den Rang abzulaufen. Der Wille, diese Sache ins Große zu betreiben«, bewog sie, im Frühling des Jahres 1800 ihren Wohnsitz nach Freiberg zu verlegen, »wo alles Material am bequemsten zur Hand schien. Die Weitläufigkeit und das Mechanische, Geisttötende des Geschäfts ließen Carl Maria aber bald die Sache aufgeben und mit verdoppelter Lust die Komposition fortsetzen.«

Ein Opernplan, zu dem er durch den Direktor der Freiberger Schauspielgesellschaft, Steinsberg, die Anregung empfing, drängte wohl hauptsächlich das Lithographieren bei ihm in den Hintergrund. Genug, am 24. November 1800 gelangte die binnen wenig Wochen geschaffene Oper »Das stumme Waldmädchen« in Freiberg und bald darauf auch in Chemnitz zur Aufführung. Weber selbst bezeichnete sie späterhin als »ein höchst unreifes und nur hier und da nicht ganz an Erfindung leeres Produkt.« Als jedoch die Kritik aussprach, daß man sie »nur als Blüten betrachten dürfe, die erst in der Folge schöne und reifere Früchte versprechen«, entspann sich zwischen dem dreizehnjährigen Komponisten, oder richtiger dessen Vater, und dem Rezensenten ein Federstreit, der den Entschluß Webers, Freiberg wiederum zu verlassen, nach sich zog. Abermals begab man sich auf die Wanderschaft, und im Frühjahr 1802 kam, nach wiederaufgenommenen Studien bei Michael Haydn, in Salzburg eine dritte (komische) Oper: »Peter Schmoll und seine Nachbarn« ans Licht. Zu sonderlichem Erfolg brachte sie es bei ihrer ersten Vorführung in Augsburg (1803) ebensowenig als die ihr vorangegangene.

Nach Wien wandten sich nun zu Beginn des Sommers 1803 die beiden Weber. Die Blütestätte musikalischer Klassizität war schon längst das Ziel der Sehnsucht Carl Marias gewesen. Doch vergeblich hatte er gehofft, daß Joseph Haydn ihn zum Schüler annehmen werde: der greise Meister erwies sich seinen Wünschen unzugänglich. So ward denn statt seiner Abt Vogler, der als Theoretiker und Komponist, als Orgelspieler und Lehrer eines weit verbreiteten Rufes genoß, dazu erlesen, die mannigfachen Lücken in Carl Marias Wissen und Können auszugleichen, die sein ungeregelter Bildungsgang verschuldet hatte. Ein Jahr lang wurde fleißig studiert und – so schwer dies Weber, laut seinem eignen Zeugnis, auch fiel – auf alles Schaffen verzichtet; dann erklärte Vogler ihn zur Annahme einer selbständigen Stellung reif. Mit achtzehn Jahren trat Weber im November 1804 das Amt eines Kapellmeisters am Breslauer Stadttheater an.

Ungern nur schied er von Wien, dessen heiteres, genußfrohes Leben ihn mehr als heilsam in Bann genommen hatte. Doch mit allem Feuereifer seiner Natur, der noch durch das Bemühen gesteigert ward, die gegen seine Jugendlichkeit laut werdenden Vorurteile durch seine Leistungen zu besiegen, begann er seine Wirksamkeit, und der erste Verlauf derselben bereits bekundete das ihm angeborene organisatorische Genie, dem bei seiner späteren umfassenderen Bühnentätigkeit so großartige Resultate entspringen sollten. Schon das erste Jahr seiner Leitung des Breslauer Theaters bereicherte dessen Repertoire durch eine Anzahl der besten klassischen Opern, während er gleichzeitig für Verbesserung und Komplettierung des Orchester- und Bühnenpersonals wirkte und eine neue Orchesterordnung einführte. Nur ward leider die Freiheit seiner Bewegungen durch das intrigante Treiben einer Oppositionspartei gehemmt, deren eifriges Bestreben dahin ging, ihn vom Ruder zu bringen. Als sodann noch Zerwürfnisse mit der Direktion hinzukamen, sah er sich veranlaßt, im Mai 1806 seine Entlassung zu nehmen.

Zum Glück bot sich ihm, dem die Sorge für seinen alten kränkelnden Vater oblag, als »Musikintendant« des kunstliebenden Herzogs Eugen von Württemberg in Karlsruhe in Oberschlesien, ein neuer, ihm sympathischer und seine Dirigentenbegabung fördernder Wirkungskreis dar. Auch schöpferisch war er für Karlsruhe tätig, und wie er in Breslau ein Opernfragment »Rübezahl« und eine »Overtura chinesa«, die er später in »Turandot«-Ouvertüre umtaufte, geschrieben hatte, so entstanden hier u.a. ein Hornkonzert, die Variationen über »Vien quà, Dorina bella« und zwei Symphonien. Wer kennt dieselben heute noch? Und doch verdient die zweite Symphonie in C-dur (die Prof. Hermann Kretzschmar in den von ihm geleiteten Akademischen Konzerten in Leipzig 1892 wieder aus dem Schlummer erweckte) gehört zu werden. An Schwung und innigem Gesang, an sprudelndem Humor, wie an instrumentalem Farbenreichtum ist sie ein echter phantastischer, wenn auch sehr jugendlicher Weber, der dem »Freischütz«-Komponisten präludiert. Die Kunst der thematischen Arbeit, der strengen organischen Entwicklung ist freilich hier ebensowenig als in seinen späteren Kammerkompositionen – einem Quintett, Quartett, Trio und Duo, sowie einer Reihe Sonaten – Webers starke Seite. Seine Größe lag anderswo. Er war kein absoluter Musiker. Seine Tonsprache liebt den Anschluß an einen poetischen Stoff; seine Ouvertüren wie seine schönsten Klavierwerke tragen ein Programm in sich. Er ist in erster Linie Dramatiker. Demgemäß drängte ihn sein Genius nicht zu der reinen Instrumentalkunst und deren sich selbst genügenden Gattungen Symphonie und Sonate, sondern zur Oper hin.

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Anmerkungen:

  1. Hinterlassene Schriften, herausgeg. von Th. Hell. Bd. I. Dresden u. Leipzig. Arnoldische Buchhandlung. 1828.
  2. Webers Sohn und Biograph, Max Maria v. W., berichtet, daß diese Jugendarbeiten seines Vaters auf rätselhafte Weise in und mit einem Schrank in Kalchers Wohnung verbrannt seien, während nachmals Musiol (»Weberiana«, N. Berliner Musikzeit., 1879) im Einverständnis mit Jähns, der ersten Autorität in Sachen Webers, die Ansicht vertrat, daß Weber bei erwachender Reife, nach Wiederaufnahme seiner Studien in Salzburg, jene Kompositionen eigenhändig vernichtet habe."
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