Leider machte der ausbrechende Krieg dem glücklichen Karlsruher Stilleben ein rasches Ende. Der Herzog wurde zur Armee abberufen, die Kapelle aufgelöst und ihr brotlos gewordener Intendant vom Herzog an seinen Bruder, Herzog Ludwig von Württemberg, empfohlen. Als dessen »Geheimsekretär« zog Carl Maria nun im Juli 1807 mit seinem Vater nach Stuttgart.

»Der Not gehorchend« übernahm Weber ein Amt, das seine musikalischen Fähigkeiten nur nebenher, als Lehrer der herzoglichen Kinder, in Anspruch nahm, ihm im wesentlichen aber außer der zu besorgenden Korrespondenz die Ausgabe stellte, in die äußerst derangierten Kassenverhältnisse seines üppig lebenden Herrn Ordnung zu bringen und für neue Geldzuflüsse mit möglichst geschickter Hand zu sorgen. Die Aufgabe war schwierig, insofern sie für den jungen Sekretär häufige Szenen mit den Gläubigern des Herzogs, wie mit dem über dies Gebaren erzürnten königlichen Bruder des letzteren herbeiführte. Sie war nicht minder gefährlich für den ohnehin leichtlebigen Künstler, den das Schicksal in Gestalt seines Vaters bisher ziemlich planlos umhergeworfen hatte, und der, seit seinem Wiener Aufenthalt an eine heitere Auffassung des Lebens gewöhnt, bei erregbarer Phantasie und allen Eindrücken offenstehenden Sinnen sich unbedenklich dem ungebundensten Lebensgenuß hingab. An lustigen Genossen fehlte es ihm, dessen gesellige Talente und liebenswürdiger Frohsinn ihm allerwärts Freunde erweckten, auch an dem damals ziemlich locker lebenden Stuttgarter Hofe ebensowenig, wie andrerseits an Umgang mit geistig hervorragenden Männern, die ihn, Kapellmeister Danzi und Bildhauer Dannecker an der Spitze, zu erneuter Bildungsarbeit an sich selber anregten. Seine Arbeiten aus dieser Zeit – wie die Es-dur-Polonaise, die Kantate »Der erste Ton«, die aus einer Neubearbeitung von Text und Musik des »stummen Waldmädchens« entstandene Oper »Silvana« – gewinnen bereits ein individuelleres und jenes gesangfreudige Gepräge, das den späteren Weber kennzeichnet. Schon stand die Aufführung der »Silvana« auf der Stuttgarter Bühne bevor, als ein verhängnisvolles Ereignis dem heiteren Leben des jungen Musikers eine unerwartet ernste Wendung gab.

Immer mißlicher hatten sich die finanziellen Verhältnisse des Herzogs gestaltet. Zu immer verzweifelteren Mitteln nahm man die Zuflucht, ja der fürstliche Herr verschmähte es sogar nicht, seine Einkünfte durch die Dankbarkeit begüterter Familien vermehren zu lassen, deren Söhne, durch nur scheinbare Einverleibung in seinen Hofdienst, der in den damaligen Kriegszeiten besonders gefürchteten Militärpflicht entbunden wurden. Obwohl nur der Mitwissenschaft um den unrechtmäßigen Handel schuldig, ward Weber, als Opfer einer gemeinen Intrige, des Unterschleifs angeklagt und auf Befehl des Königs am 9. Februar 1810 inmitten des Theaterorchesters in Haft genommen. Die Untersuchung ergab zwar seine Unschuld, da aber dabei seine und seines leichtfertigen Vaters Schulden an den Tag kamen, wurden sie beide am 26. Februar über die Grenze gebracht und aus württembergischen Landen zeitlebens verwiesen.

Die Erfahrung war bitter, doch gereichte sie Carl Maria von Weber zum Heile. Eine ernstere Anschauung des Lebens und seiner Pflichten griff fortan in ihm Platz, und was der Jüngling gefehlt, das suchte der Mann zu sühnen und vergessen zu machen. Durfte er doch schon zu Ende dieses ereignisschweren Jahres (1810) in sein Tagebuch schreiben: »Ich kann mit Beruhigung und Wahrheit sagen, daß ich diese zehn Monate über besser geworden bin; meine traurigen Erfahrungen haben mich gewitzigt, ich bin ordentlich in meinen Geschäften, anhaltend fleißig geworden.«

Wieder folgten drei Wanderjahre (1810–12). Bald verweilte Carl Maria in Mannheim, wo er mit dem Musiktheoretiker Gottfried Weber ein dauerndes Freundschaftsbündnis schloß; bald trieb er in Darmstadt, mit Meyerbeer und Gänsbacher – dem nachmaligen Kapellmeister an der Wiener Stefanskirche – um die Wette, bei seinem alten Lehrer Abt Vogler erneute Studien. Mit besonderem Stolze nannte Vogler Weber und Meyerbeer seine Jünger. »O«, rief er einst aus, »wenn ich hätte von der Welt gehen sollen, ehe ich diese beiden ausgebildet hatte, welches Weh würde ich empfunden haben! Es ruht etwas in mir, was ich nicht herausrufen konnte; diese beiden werden es tun! Was wäre Perugino, was Fra Bartolommeo ohne Rafael.«

Jenen Jahren entstammt ein großer Teil der Lieder, deren uns Weber eine reiche Anzahl – im ganzen 128 – geschenkt hat und in deren Vortrag er selber als unübertroffener Meister geschildert wird. Heutzutage wenig mehr gekannt, sind sie der schlichte Ausdruck einer in ihrer naiven Reinheit wahrhaft volkstümlichen Lyrik. Auf Mozarts Liedern und den einfachen Strophengesängen der älteren Meister fußend, herrscht in ihnen die strophische Form vor; die allgemeine Grundstimmung ist meist in eine einfache Melodie zusammengefaßt, die, dem Texte folgend, sich unverändert wiederholt. Auch die Begleitung ist auf die unentbehrlichste harmonische Unterlage beschränkt. Gleichwohl enthüllt sich uns in diesen schlichten Gesängen manches lebendige Situationsbild, manch' anmutige Blüte musikalischer Genremalerei. Es sei nur beispielsweise der »Serenade«, des »Bettlerliedes«, »Heimlicher Liebe Pein«, »Unbefangenheit«, des »Schneeglöckchens« gedacht. Das Wiegenlied »Schlaf Herzenssöhnchen« – samt dem Jungfernkranz im »Freischütz« wohl das populärste der Weberschen Lieder – lebt trotz seiner hundert Jahre noch immer im Munde des Volkes.

Der gesangsfrohen Zeit dieser Lieder gehören weiter das Klavierkonzert in C-dur op. 11 und die komische Operette »Abu Hassan« an, deren Stoff, Webers eigenem Leben entnommen, von seinem Freund, dem Stuttgarter Schriftsteller Hiemer, bearbeitet war, der schon das alte Libretto vom »Waldmädchen« zu dem der »Silvana« für ihn umgeschaffen hatte. »Silvana« erlebte am 16. September 1810 in Frankfurt a. M. ihre erste, beifällig aufgenommene Aufführung. Dabei lernte der dirigierende Tonsetzer in der Darstellerin der Titelrolle, Caroline Brandt, seine nachmalige Gattin kennen. Der lustige »Abu Hassan« ging, dank dem Schutze des bayerischen Königspaares, am 4. Juni 1811 im Münchner Hoftheater erstmals in Szene. Beide Bühnenwerke erfuhren nach einem reichlichen halben Jahrhundert der Ruhe eine Wiederaufnahme. Das Jahr 1872 sah sowohl die »Silvana« im Théâtre lyrique zu Paris, als den »Abu Hassan« in der Wiener Hofoper wieder aufleben, worauf letzterer auch in München, Leipzig, Wiesbaden, Berlin und anderwärts wieder auftauchte. Die in ihrer Originalgestalt völlig veraltete »Silvana« wurde, mit Unterlegung eines neuen Textes und einer neuen Handlung von E. Pasque, 1885 durch Ferdinand Langer, unter Zuhilfenahme zahlreicher Weberscher Fragmente (darunter die »Aufforderung zum Tanz«, die Es-dur-Polonaise, Sonatenteile usw.) einer musikalischen Neubearbeitung unterworfen, die zuerst in Hamburg, Leipzig, Mannheim zu Gehör kam. Sie glich freilich mehr einem Potpourri denn einem einheitlichen dramatischen Kunstwerk, so daß auch diese neue »Silvana« bald wieder hinter den Kulissen verschwand. Als ein gelungeneres Experiment stellte sich später die Vollendung der »Drei Pintos«, des aus sieben Nummern bestehenden Bruchstücks einer komischen Oper Webers aus den Jahren 1820 und 1821 dar, aus dem des Meisters Enkel, Carl von Weber (als Textverbesserer), in Verbindung mit Gustav Mahler eine durch allerhand Webersche Manuskripte vervollständigte Partitur herstellte. Sie, die freilich nicht als ein stilvolles, echt Webersches Werk gelten kann, begann am 20. Januar 1888 in Leipzig ihre Bühnenlaufbahn mit Glück, hat sich jedoch nicht dauernd auf den Brettern behauptet.

In die Mannheim-Darmstadter Periode fällt Webers erste schriftstellerische Betätigung. Sie wurde durch einen von ihm und seinen Mannheimer Freunden gegründeten »Harmonischen Verein«, der sich eine objektive Kritik zur Aufgabe stellte, hervorgerufen. Weber war der erste unserer großen Musiker, deren kritisches Wirken mit ihrem künstlerischen Hand in Hand ging. Somit eröffnete er auch nach dieser Richtung neue Bahnen.

In den verschiedensten Zeitschriften zerstreut sind seine literarischen Arbeiten erschienen. Erst nach seinem Tode stellte sie Theodor Hell und später noch vollständiger Max Maria von Weber, der Sohn, zusammen. Dem letztgenannten, der als Geheimer Regierungsrat im Ministerium der öffentlichen Angelegenheiten 1881, 59 Jahre alt, in Berlin starb, danken wir auch das wertvolle Geschenk einer umfangreichen Biographie seines Vaters[1], an der die vorliegende Skizze ihre wesentlichste Basis fand. Eine willkommene Ergänzung erfuhr diese Biographie am 100jährigen Geburtstag Carl Marias durch seine von seinem Enkel Carl von Weber herausgegebenen »Reisebriefe an seine Gattin Carolina«[2]. Sie rücken uns den großen Tonmeister auch menschlich in traute Nähe und enthüllen uns die Tiefen eines Künstlergemüts, wie es reiner und edler sich wohl selten auf Erden findet. Vielseitige Verdienste um die Weber-Literatur hat sich ferner der 1888 verstorbene Weberforscher Professor F. W. Jähns in Berlin durch sein Quellenwerk »C. M. von Weber in seinen Werken« [3] durch eine kurze »Lebensskizze«,[4], durch zahlreiche Ausgaben und Arrangements Weberscher Kompositionen, wie endlich durch die äußerst reichhaltige Sammlung »Weberiana« erworben, die 1881 in den Besitz der Berliner königl. Bibliothek überging.

Kunstreisen, die Weber meist in Begleitung seines Freundes, des Klarinettvirtuosen Bärmann, unternahm, für den er mehrere Konzerte schrieb, gaben München, der Schweiz und Norddeutschland Gelegenheit, ihn gleichzeitig als Klavierspieler und als Komponisten zu bewundern.

Leipzig, so wenig sympathisch es Weber berührte, wurde durch die erneute Bekanntschaft mit Rochlitz, dem Dichter seines »ersten Tons«, wie durch die mit Mahlmann und andern Schöngeistern angeknüpften Verbindungen für Webers literarische Neigungen derart anregend, daß der ihn schon seit längerem beschäftigende Plan eines Romans: »Tonkünstlers Erdenwallen« wieder in den Vordergrund trat. Als Abbild seines eigenen künstlerischen Lebens war derselbe gedacht, und das noch erhaltene Fragment enthält so viel des Anziehenden und Originellen, daß man die Nichtvollendung eines Werkes, das mit E. T. A. Hoffmanns Weise manches Verwandte zeigt, bedauern darf. Von den darin niedergelegten Aussprüchen über seine Kunst sei hier nur des einen charakteristischen gedacht: »Was die Liebe den Menschen, ist die Musik den Künsten wie den Menschen, denn sie ist wahrlich die Liebe selbst.«

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Anmerkungen:

  1. C. M, v, Weber, 3 Bde. Leipzig Keil, 1864-66.
  2. Leipzig, Alphons Dürr. 1886.
  3. Berlin, Schlesinger. 1871.
  4. C. M. v. Weber. Leipzig, Grunow. 1873.
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