Lehrreich und interessant ist es, an der Hand der Werke Beethoven's seiner künstlerischen Entwickelung nachzugehen. Zwar ist die Opuszahl bei ihm nicht immer ein sicherer Führer; manche der frühesten Zeit entstammende Compositionen reihten sich erst spät der Folge seiner Werke ein. Auch ist dem Eifer der Forscher zum Trotz bis heute manch dunkler Punkt im Leben und Schaffen des Meisters unaufgehellt geblieben. So hat der augenscheinliche Mangel an Productivität von seinem 12. bis zu seinem 22. Jahre, im Gegensatz zu der auffallenden Ergiebigkeit des nächstfolgenden Jahrzehnts, begreifliche Verwunderung erregt. Doch löst Thayer in gewiß berechtigter Weise das Räthsel dahin, daß er manche der in den ersten zwölf Jahren des Wiener Lebens herausgegebenen Werke als von Bonn dorthin mitgebracht und nur mehr oder weniger verändert, vermehrt und vervollkommnet annimmt. Die Forschungen von Thayer und Nottebohm namentlich (die verdienstvollen Herausgeber des chronologischen [1] und thematischen[2] Werkverzeichnisses des Meisters) haben uns auch für die wichtige Frage der Entstehungszeit der einzelnen Arbeiten mannigfache Aufklärung gebracht. Als wesentlichstes Hülfsmittel zur Feststellung der Chronologie haben sich Beethoven's Skizzenbücher erwiesen. Er pflegte auf zusammengeheftete Blätter nicht allein Einfälle, wie sie ihm eben durch den Sinn gingen, zu notiren, sondern die verschiedenen Motive, Passagen, Wendungen derjenigen Compositionen, die ihn gerade beschäftigten, im Einzelnen auf das Sorgfältigste durchzuarbeiten und umzubilden. Da er sich in der Regel mit mehreren Werken gleichzeitig trug, so laufen die immer wiederholten Versuche der verschiedenen Compositionen vielfach durcheinander. Trotz solchen Durcheinanderarbeitens zeigt sich, daß der Componist in der Regel von Anfang an über das zu erreichende Ziel klar war und die einmal erfaßte Form bis an's Ende durchführte. Auch das Gegentheil läßt sich bemerken. Er ging eben auf die verschiedenste Weise zu Werke. Jeder zweite Entwurf aber ist eine höhere Entwickelungsstufe des ersten. Nicht als das fertige Geschenk einer verschwenderischen Eingebung empfing er seine Gedanken; in ernster, mühevoller Arbeit mußten sie reisen, bevor er ihnen die vollendete Gestalt gab, wie wir sie in seinen Werken sehen. Unablässig geschäftig erscheint die künstlerische Selbstkritik in dem langen Processe des Schaffens. Wir sehen bei Beethoven fort und fort auch die Reflexion lebendig; aber im Gegensatz zu Andern, bei denen die Phantasie während der Arbeit erschlafft, arbeitet sie bei ihm vielmehr ungeschwächt fort und »erhebt sich oft erst im letzten Augenblick zu ihrem höchsten Fluge.« »Diese Geschmeidigkeit der Phantasie«, sagt Nottebohm »dem wir die Herausgabe zweier solcher Skizzenbücher [3] wie der erwähnten Beethoveniana danken, »und der Rigorismus, die Kälte, Besonnenheit und ausdauernde Geduld beim Arbeiten bilden einen Theil der Eigenschaften, auf denen die Größe Beethoven's beruht und ohne welche Beethoven nicht Beethoven geworden wäre.« Er selbst scheint offenbar Werth auf diese Skizzen gelegt zu haben. Im Gegensatz zu seinen sonstigen Manuscripten, die er, sobald sie gedruckt waren, achtlos verloren gehen ließ, bewahrte er sie auf und ließ sie in ihrer ursprünglichen Ordnung zusammenbinden. Leider sind diese Skizzenbücher, die den lebendigsten Einblick in die Werkstätte des arbeitenden Künstlers eröffnen, und, eine Fülle nie benutzter Themen und Motive enthaltend, erst eine richtige Vorstellung von der Fruchtbarkeit seines Genius gewähren, im Laufe der Zeit zerstreut, zum Theil selbst blattweis verzettelt worden. Nur zwei derselben wurden, wie erwähnt, von Nottebohm beschrieben und veröffentlicht.

Das Jahr 1800, dem das beliebte Septett op. 20, das dritte Clavierconcert, die Streichquartette op. 18, die Sonaten op. 17 und 22 ihre Entstehung danken, brachte auch die erste Symphonie des Meisters an die Oeffentlichkeit. In einem Concerte im Kärnthnerthor-Theater führte er sie gemeinsam mit dem Septett und dem C-dur Concert zum ersten Male auf. Die Mozart'sche Verwandtschaft, die Einfachheit der Form, der Instrumentation und des harmonischen Gewebes, die dieselbe von den späteren gleichartigen Schöpfungen des Künstlers unterscheiden, gewannen ihr beim Publicum schnellen Eingang und die Stimme der Kritik lautete günstig: »Viel Kunst, Neuheit und Reich thum an Ideen.« Ein anderer Recensent freilich bezeichnet die Symphonie sammt den ersten Trios als »confuse Explosionen dreisten Uebermuths eines jungen Mannes von Talent«, und gleicherweise hatte die Kritik seine früheren Werke angegriffen. Bei Besprechung einer Variationencomposition z.B. zog man die Frage ernstlich in Zweifel, ob Beethoven »ein ebenso glücklicher Tonsetzer als fertiger Clavierspieler« sei; bezüglich seiner jugendlich frischen Violinsonatenop. 12 aber bezüchtigte man ihn der »Bizarrerie und Unnatur, des Mangels an Gesang und guter Methode« u.s.w., um ihm schließlich den Rath zu geben, »sich mehr selbst zu verleugnen und den Gang der Natur einzuschlagen, damit er bei seinem Talent und Fleiß uns recht viel Gutes für sein Instrument liefere.«

Mit kühner Hand bemächtigt sich Beethoven nun wie in Sonate, Quartett und Concert, so auch in der großen orchestralen Form der Erbschaft Haydn's und Mozart's, um in der Symphonie die Kunstform auszubilden, welche an die Spitze der gesammten musikalischen Entwickelung treten sollte. An die Stelle reinen Tonspiels, allgemeinerer, unbestimmterer Gefühle und Stimmungen ziehen nun auch hier bestimmte Gedanken ein; zur Darstellung des poetischen Inhaltes von Natur und Leben befähigt er die Instrumente, deren Chor er entsprechend erweitert. So dehnt und vertieft sich die Architectur des Ganzen. Die thematische Arbeit im Durchführungstheil des ersten Satzes stellt wesentlich erhöhte Ansprüche; unerschöpflich reiche Seelenergüsse werden im Adagio laut, die Menuett wird zum ungleich bedeutsameren Scherzo, das leichtgeschürzte Rondo-Finale gestaltet sich zum Schwerpunkt des Werkes, in ihm steigert und gipfelt sich der gesammte Gedankenproceß. Erscheinen die Vor-Beethoven'schen Symphonien nach Louis Köhler's Ausdruck nur wie »Gattungs-Symphonien, aus denen die sechs großen Mozart's allerdings als Charaktere von besonderer Physiognomiehervortreten«, so sind Beethoven's Werke dieser Art »Individuen, deren jede sozusagen auf einem eigenen Postament steht und eine Entwickelungsphase personificirt.« Er wird zum Vollender der Symphonie, wie er zum Vollender von Quartett und Sonate wird.

Seine erste Symphonie zeigt im Bund mit der zweiten (sammt den Geigensonaten op. 23, 24 und 30, den Claviersonaten op. 26, 27, 28 und 31, dem Quintettop. 29, der Serenade op. 25, den Variationen op. 34 und 35, dem Ballet »Die Geschöpfe des Prometheus« und dem wenig belangreichen Oratorium »Christus am Oelberg« dem Resultat der Jahre 1801 und 2) erst den Anfang dessen. Hier, wo der junge Meister sich schon auf die Höhe Mozart's gestellt, waltet noch die reine Schaffenslust. Sein Genius lächelt, während sein Herz in Thränen steht. Denn wie es gerade zur Zeit, als er die D-dur-Symphonie schrieb und ein seit dem Jahre 1796 fühlbar werdendes Gehörleiden seine sich immer steigernde Besorgniß erregte, um seinen Gemüthszustand bestellt war, das offenbart uns ein Schriftstück, das man, vom 6. October 1802 aus Heiligenstadt datirt, nach seinem Tode vorfand: sein für seine Brüder Carl und Johann bestimmtes Testament. Es lautet also:

»O ihr Menschen, die ihr mich für feindselig, störrisch oder misantropisch haltet oder erkläret, wie unrecht thut ihr mir, ihr wißt nicht die geheime Ursache von dem, was euch so scheinet. Mein Herz und mein Sinn waren von Kindheit an für das zarte Gefühl des Wohlwollens; selbst große Handlungen zu verrichten, dazu war ich immer aufgelegt, aber bedenkt nur, daß seit sechs Jahren ein heilloser Zustand mich befallen, durch unvernünftige Aerzte verschlimmert, von Jahr zu Jahr in der Hoffnung gebessert zu werden betrogen, endlich zu dem Ueberblick eines dauernden Uebels (dessen Heilung vielleicht Jahre dauern oder gar unmöglich ist) gezwungen. Mit einem feurigen lebhaften Temperamente geboren, selbst empfänglich für die Zerstreuungen der Gesellschaft, mußte ich früh mich absondern, einsam mein Leben zubringen; wollte ich auch zuweilen mich einmal über alles das hinaussetzen, o wie hart wurde ich durch die verdoppelte traurige Erfahrung meines schlechten Gehörs dann zurückgestoßen, und doch war's mir noch nicht möglich, den Menschen zu sagen: sprecht lauter, schreit, denn ich bin taub! Ach wie wäre es möglich, daß ich die Schwäche eines Sinnes zugeben sollte, der bei mir in einem vollkommeneren Grade als bei Andern sein sollte, einen Sinn, den ich einst in der größten Vollkommenheit besaß, in einer Vollkommenheit, wie ihn wenige von meinem Fache gewiß haben, noch gehabt haben! – O ich kann es nicht! – Drum verzeiht, wenn ihr mich da zurückweichen sehen werdet, wo ich mich gerne unter euch mischte. Doppelt wehe thut mir mein Unglück, indem ich dabei verkannt werden muß. Für mich darf Erholung in menschlicher Gesellschaft, feinere Unterredungen, wechselseitige Ergießungen nicht statt haben. Ganz allein fast, nur so viel als es die höchste Nothwendigkeit fordert, darf ich mich in Gesellschaft einlassen. Wie ein Verbannter muß ich leben. Nahe ich mich einer Gesellschaft, so überfällt mich eine heiße Aengstlichkeit, indem ich befürchte, in Gefahr gesetzt zu werden, meinen Zustand merken zu lassen. – So war es denn auch dieses halbe Jahr, was ich auf dem Lande zubrachte. Von meinem vernünftigen Arzte aufgefordert, so viel als möglich mein Gehör zu schonen, kam er fast meiner jetzigen natürlichen Disposition entgegen, obschon, vom Triebe zur Gesellschaft manchmal hingerissen, ich mich dazu verleiten ließ. Aber welche Demüthigung, wenn Jemand neben mir stand, und von weitem eine Flöte hörte und ich nichts hörte, oder Jemand den Hirten singen hörte und ich auch nichts hörte! Solche Ereignisse brachten mich nahe an Verzweiflung, es fehlte wenig, und ich endigte selbst mein Leben. – Nur sie, die Kunst, sie hielt mich zurück! Ach es dünkte mir unmöglich, die Welt eher zu verlassen, bis ich das alles hervorgebracht, wozu ich mich aufgelegt fühlte. Und so fristete ich dieses elende Leben wahrhaft elend, einen so reizbaren Körper, daß eine etwas schnelle Veränderung mich aus dem besten Zustande in den schlechtesten versetzen kann. – Geduld – so heißt es, sie muß ich nun zur Führerin wählen! Ich habe es. – Dauernd, hoffe ich, soll mein Entschluß sein, auszuharren, bis es den unerbittlichen Parzen gefällt, den Faden zu brechen. Vielleicht geht's besser, vielleicht nicht. Ich bin gefaßt. – Schon in meinem 28. Jahre gezwungen Philosoph zu werden. Es ist nicht leicht, für den Künstler schwerer als für irgend Jemand. – Gottheit, du siehst herab auf mein Inneres, du kennst es, du weißt, daß Menschenliebe und Neigung zum Wohlthun drin hausen! O Menschen, wenn ihr einst dieses leset, so denkt, daß ihr mir Unrecht gethan, und der Unglückliche, er tröste sich, einen seines Gleichen zu finden, der trotz allen Hindernissen der Natur doch noch Alles gethan, was in seinem Vermögen stand, um in die Reihe würdiger Künstler und Menschen aufgenommen zu werden. – Ihr meine Brüder Carl und .... –[4] sobald ich todt bin, und Professor Schmidt lebt noch, so bittet ihn in meinem Namen, daß er meine Krankheit beschreibe, und dieses hier geschriebene Blatt füget ihr dieser meiner Krankengeschichte bei, damit wenigstens so viel als möglich die Welt nach meinem Tode mit mir versöhnt werde. – Zugleich erkläre ich euch Beide hier für die Erben des kleinen Vermögens (wenn man es so nennen kann) von mir. Theilt es redlich, und vertragt und helft euch einander. Was ihr mir zuwider gethan, das wißt ihr, war euch schon längst verziehen. Dir Bruder Carl danke ich noch insbesondere für deine in dieser letztern spätern Zeit mir bewiesene Anhänglichkeit. Mein Wunsch ist, daß euch ein besseres, sorgenloseres Leben als mir werde. Empfehlt euren Kindern Tugend; sie nur allein kann glücklich machen, nicht Geld. Ich spreche aus Erfahrung. Sie war es, die mich selbst im Elende gehoben; ihr danke ich nebst meiner Kunst, daß ich durch keinen Selbstmord mein Leben endigte. – Lebt wohl und liebt euch! – Allen Freunden danke ich, besonders Fürst Lichnosky und Professor Schmidt. – Die Instrumente von Fürst L. wünsche ich, daß sie doch mögen aufbewahrt werden bei einem von euch; doch entstehe deswegen kein Streit unter euch. Sobald sie euch aber zu etwas Nützlicherem dienen können, so verkauft sie nur. Wie froh bin ich, wenn ich auch noch im Grabe euch nützen kann. So wär's geschehen. – Mit Freude eile ich dem Tode entgegen. Kommt er früher, als ich Gelegenheit gehabt habe, noch alle meine Kunstfähigkeiten zu entfalten, so wird er mir, trotz meinem harten Schicksale doch noch zu früh kommen, und ich würde ihn wohl später wünschen; – doch auch dann bin ich zufrieden, befreit er mich nicht von einem endlosen leidenden Zustande? – Komm', wann du willst, ich gehe dir muthig entgegen. Lebt wohl, und vergeßt mich nicht ganz im Tode, ich habe es um euch verdient, indem ich in meinem Leben oft an euch gedacht, euch glücklich zu machen; seid es!«

Darauf folgt die Nachschrift:

»So nehme ich denn Abschied von dir – und zwar traurig. – Ja die geliebte Hoffnung, die ich mit hierher nahm, wenigstens bis zu einem gewissen Punkt geheilet zu sein, sie muß mich nun gänzlich verlassen. Wie die Blätter des Herbstes herabfallen, gewelkt sind, so ist auch sie für mich dürr geworden. Fast wie ich hierher kam, gehe ich fort; selbst der hohe Muth, der mich oft in den schönen Sommertagen beseelte, er ist verschwunden. O Vorsehung, laß einmal einen reinen Tag der Freude mir erscheinen! So lange schon ist der wahren Freude innigerer Widerhall mir fremd. O wann, o wann, o Gottheit! kann ich im Tempel der Natur und der Menschen ihn wieder fühlen? – Nie? nein – o es wäre zu hart!«

Nicht zum ersten Mal ringt sich die Klage über die schwindende Gehörkraft aus dem gepreßten Herzen los, und nicht zum ersten Mal giebt er der peinvollen Furcht vor dem drohenden Gespenst der Taubheit Ausdruck. Vertrauten Freunden hat er's bekannt, was er sich selber kaum zu gestehen wagt: das Gebrechen, dessen er sich schämt und das ihm, dem Musiker, zum zwiefachen Unheil wird. Jahrelang hat er's schweigend getragen. Erst im Juni 1800 entdeckt er sich Wegeler, nicht ohne ihm strengste Geheimhaltung zur Pflicht zu machen. »Ich kann sagen, ich bringe mein Leben elend zu«, heißt es in dem betreffenden Briefe. »Um Dir einen Begriff von dieser wunderbaren Taubheit zu geben, so sage ich Dir, daß ich mich im Theater ganz dicht am Orchester anlehnen muß, um den Schauspieler zu verstehen. Die hohen Töne von Instrumenten, Singstimmen, wenn ich etwas weit weg bin, höre ich nicht; im Sprechen ist es zu verwundern, daß es Leute giebt, die es niemals merkten; da ich meistens Zerstreuungen hatte, so hält man es dafür. ... Ich habe schon oft – mein Dasein verflucht: Plutarch hat mich zu der Resignation geführt. Ich will, wenn's anders möglich ist, meinem Schicksale trotzen, obschon es Augenblicke meines Lebens geben wird, wo ich das unglücklichste Geschöpf Gottes sein werde. ... Resignation! welches elende Zufluchtsmittel, und mir bleibt es doch das einzig übrige!«

Im November desselben Jahres schreibt er demselben Freund etwas trostreicher; die aufkeimende Liebe zu Giulietta erfüllt ihn mit Muth und frischem Hoffen. »Ich will dem Schicksal in den Rachen greifen; ganz niederbeugen soll es mich gewiß nicht. – O es ist so schön, das Leben tausendmal leben! – Für ein stilles Leben, nein, ich fühl's, ich bin nicht mehr dafür gemacht! – ... Nichts von Ruhe! – ich weiß von keiner andern als dem Schlaf, und wehe genug thut mir's, daß ich ihm jetzt mehr schenken muß als sonst«. ... »Für mich«, sagt er an selber Stelle, »giebt es kein größeres Vergnügen, als meine Kunst zu treiben und zu zeigen.« Und: »Jeden Tag gelange ich mehr zum Ziel, was ich fühle, aber nicht beschreiben kann. Nur hierin kann Dein Beethoven leben.«

In seiner Kunst also suchte er Vergessen für das, was sein Gemüth beschwerte, Ersatz für die wachsende Vereinsamung seines äußeren Lebens. Und wol ward es still und stiller um ihn, bis endlich die ganze Welt für ihn verstummte und die Kunst, klanglos, körperlos, nur noch als Gewißheit in seiner Seele lebte. An die Stelle mündlichen Gedankenaustausches trat nun, wie die uns aufbewahrten Conversationshefte nachweisen, allmälig schriftliche Unterhaltung. Mißtrauen und Argwohn, der Taubheit traurige Gefährten, ergriffen das sonst so edle Gemüth und machten ihn ungleich in seinen Stimmungen, ungerecht gegen seine Freunde, heftig bis zur Raserei. Häufige Zerwürfnisse und ein gleiches Uebermaß von Reue seinerseits waren das Ergebniß dessen; mangelte ihm doch in Folge vernachlässigter Erziehung die Gewohnheit der Selbstbeherrschung, und bei seinem natürlichen Hang zu Extremen nahm Alles, was er empfand, Hoffnung wie Verzweiflung, einen leidenschaftlichen Ausdruck an. »Sie glauben nicht«, schreibt sein Jugendfreund Stephan von Breuning, der sich nach Wien gewandt hatte, im November 1806 an Wegeler, »welchen unbeschreiblichen Eindruck die Abnahme seines Gehörs auf Beethoven gemacht hat. Denken Sie sich das Gefühl, unglücklich zu sein, bei seinem heftigen Charakter; dabei Verschlossenheit, Mißtrauen oft gegen seine besten Freunde, in vielen Dingen Unentschlossenheit. Größtentheils nur mit wenig Ausnahmen, wo sich sein ursprüngliches Gefühl ganz frei äußert, ist der Umgang mit ihm eine wirkliche Anstrengung, da man sich nie sich selbst überlassen kann.«

Oft faßt ihn Verzweiflung an und führt ihm mehr denn einmal den Gedanken zurück, sein qualvolles Leben eigenmächtig zu enden. »Hätte ich nicht irgendwo gelesen, der Mensch dürfe nicht freiwillig scheiden von seinem Leben, so lange er noch eine gute That verrichten kann, längst wär ich nicht mehr – und zwar durch mich selbst. – O so schön ist das Leben, aber bei mir ist es für immer vergiftet.« – So klagt er dem Freunde, dem er sein Herz am rückhaltlosesten öffnete. Doch die Hoffnung läßt ihn nicht. »Die Hoffnung nährt mich«, schreibt er später Bettinen, »sie nährt ja die halbe Welt, und ich habe sie mein Lebtag zur Nachbarin gehabt, was wäre sonst mit mir geworden!«

Mit heroischer Kraft kämpft er gegen das Verhängniß und seine Kunst bleibt die milde Trösterin, die ihn mit dem Schwersten versöhnt. So schafft er seine frommen Gellert'schen Lieder, seine berühmte »Kreuzer-Sonate« op. 47, die Pianoforte-Sonaten C- undF-dur (op. 53 und 54), das Tripelconcert und – dieEroica. Mit Letzterer gedachte er, Napoleon Buonaparte eine musikalische Huldigung darzubringen. Die Heldengestalt des ersten Consuls erfüllte ihn, der den Erscheinungen und Bewegungen seiner Zeit voll regen Antheils folgte, mit enthusiastischer Bewunderung. Lebte er doch in seiner Weltunkunde des festen Glaubens, daß Napoleon nach platonischen Grundsätzen Frankreich republikanisiren und somit eine allgemeine Weltbeglückung anbahnen werde.

Im Mai 1804 war das Werk beendet. Auf das Titelblatt der Partitur schrieb der Componist mit eigner Hand das Wort: Buonaparte, darunter seinen Namen. Kein Wort mehr, erzählt Ries. Eben sollte das Werk durch Vermittelung der französischen Gesandtschaft nach Paris abgehen, als in Wien die Botschaft eintraf, Napoleon habe sich zum Kaiser erklärt. Ries selbst überbrachte seinem Meister die Nachricht, worauf er, wie er schreibt, »in Wuth gerieth« und das Titelblatt zerriß. Lange währte es, ehe er sich dazu bewegen ließ, dem Fürsten Lobkowitz die Composition auf einige Jahre zur Benutzung zu überlassen; sie ward in dessen Palast auch mehrmals aufgeführt und endlich herausgegeben. Unter dem Titel: »Sinfonia eroica, composta per festeggiare il sovvenire di un grand'uomo« gelangte sie an die Oeffentlichkeit. Von Napoleon war keine Rede mehr; er gehörte für Beethoven eben nur noch der »Erinnerung« an. Verzeihen konnte er ihm nie, daß auch er »nichts anders gewesen war, wie ein gewöhnlicher Mensch!« Selbst die Nachricht von dem Tode des Gefangenen auf St. Helena entlockte ihm nur die sarkastische Aeußerung: er habe zu dieser Katastrophe bereits die passende Musik componirt, damit auf den Trauermarsch in der Symphonie hindeutend.

Bestimmte Situationen, ein poetischer Vorwurf treten hier zum ersten Mal in einem symphonischen Kunstwerke in's Leben. Aus der Lyrik der ersten Symphonien gehen wir in das Epos, oder vielmehr das instrumentale Drama über. Jetzt sehen wir dem echtesten Beethoven in's Angesicht. Wir stehen – wenn wir an der hergebrachten Dreitheilung seines Schaffens festhalten – seiner zweiten Periode gegenüber. »Die Beethoven'sche Symphonie«, sagt Schuré[5], »bezeichnet den Rückweg des Musikers zur Dichtkunst. Ihre Geschichte von der Eroica bis zur Neunten ist aufzufassen als eine Neugeburt der Poesie aus den Tiefen der Harmonie.« An die Stelle des alten fröhlichen Spiels mit Tönen setzt sich nun ein ernstes Dichten in Tönen, und die bisherige Naivetät des Schaffens wandelt sich in bewußte Gedankenarbeit. Beethoven ist der erste eigentliche Tondichter und -Denker. Eine bewundernswerthe Mannigfaltigkeit offenbart er in Behandlung der Rhythmik, die vornehmlich vermittelst Anwendung von Syncopen und Betonung der schlechten Tacttheile in der Eroica von frappan er Wirkung ist. Nicht minder zeigt sich die Harmonik von bisher noch nicht dagewesener Kühnheit. Wir erinnern nur an die bekannte Dissonanz im Durchführungstheil vom ersten Satz, oder an den Horneintritt mit dem Hauptthema auf dem Geigentremolo b-as, der Ries bei der ersten Probe zu der Aeußerung verleitete: »Das klingt ja infam falsch!« und ihm dafür beinah »eine Ohrfeige« vom Meister eingetragen hätte. Auch die Instrumentation ist reicher und farbenprächtiger denn bisher; die Blasinstrumente namentlich werden in größere Mitwirkung gezogen und die ganze Klangfülle erscheint mächtig gesteigert. Und dieses Wunder von Neuheit und Genialität bezeichnete Carl Maria von Weber als »ein musikalisches Ungeheuer und verworrenes Chaos«!

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Anmerkungen:

  1. Berlin 1865.
  2. Leipzig, 1868.
  3. Leipzig, Breitkopf & Härtel, 1865 und 1880.
  4. Beethoven grollte seinem Bruder Johann so sehr, daß er seinen Namen nicht nennen mochte.
  5. as musikalische Drama. Deutsch von Wolzogen. Leipzig, Schlömp.
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