Unmittelbar nach Beethoven's Ankunft in Wien (November 1792) ward der Unterricht bei Haydn begonnen. Ueber die Gegenstände desselben berichtet G. Nottebohm[1] nach den noch erhaltenen Studienheften des Schülers aus jener Zeit. Wir erfahren durch ihn, daß »Uebungen im einfachen Contrapunkt über sechs feste Gesänge in den alten Tonarten« Beethoven zunächst beschäftigten. Es war ihm darum zu thun, einen vollständigen Cursus im Contrapunkt durchzumachen, um in die Menge der bisher erworbenen theoretischen Kenntnisse Ordnung und System zu bringen. So viel es ihm, dem nach Freiheit und Kraftbethätigung Dürstenden, auch kosten mochte, er drängte mit der ihm eigenen starken Willenskraft den mehr und mehr hervorquellenden Ideenreichthum zurück und vertauschte die Lust des Schaffens mit theoretischen Studien. Nicht an den Rechten freilich war er bei Haydn gekommen. Der große Meister war, so scheint es, kein pädagogisches Genie, wie er ein schöpferisches war, und minder glücklich als das Schaffen ging ihm das Lehren, mindestens Beethoven gegenüber, von der Hand. Dazu war er eben jetzt, von der englischen Reise zurückkehrend und für eine zweite sich vorbereitend, viel beschäftigt; er hatte vollauf mit sich selbst zu thun. Zum Verständniß der großartig angelegten Individualität seines Jüngers aber fehlte ihm der Schlüssel. Stand er doch dessen hoher, tiefernster Geistesrichtung so fremd gegenüber wie der Geist des Jahrhunderts, das Jenes wahre Größe zeitigte, dem Zeitalter, das ihn, den Mann mit Zopf und Perrücke und dem steten Sonnenschein im frommen Gemüthe, groß gezogen. Ein kühner Neuerer war er selbst gewesen, und doch blickte er, der auf den Höhen des Lebens stehende, vollendete Meister, kopfschüttelnd herab auf den werdenden, deß eigenwilliger, hochfliegender Geist jeglicher Fessel zu spotten schien und in dem eine Welt neuer revolutionärer Gedanken sich regte. Ueberdem fühlte sein schlicht bürgerlicher, demuthsvoller Sinn sich verletzt von dem hohen Selbstgefühl, der stolzen Selbständigkeit des Jüngeren, und ob er ihm auch scherzend den Beinamen des »Großmogul« gab, die wachsende Größe und Eigenart desselben entfernte ihn doch immer weiter von den eigenen künstlerischen Idealen. Nur zu bald sah er seinen genialen Zögling seiner Schule entwachsen, und schon nach kaum begonnenem Unterricht, im Januar 1793, berichtete er nach Bonn, er werde ihm »große Opern aufgeben und selber bald aufhören müssen zu componiren.« Vergeblich suchte er ihn in zahmere Bahnen zu leiten. Ja, als er, da Beethoven seine drei Trios op. 1 zum ersten Mal unter lebhaftem Beifall zur Aufführung brachte, ihm die Herausgabe des dritten in C-moll in bester Meinung widerrieth, erblickte Beethoven, der in demselben mit Recht gerade das hervorragendste und eigenartigste von allen erkannte, hierin mißgünstige Absichten, und war nicht zu bewegen, bei der Veröffentlichung seiner drei Claviersonaten op. 2, die er Haydn widmete, sich auf dessen Wunsch seinen Schüler zu nennen; denn, so erklärte er Jahre nachher noch im Unmuth gegen Ferdinand Ries: »er habe nichts von ihm gelernt.« Gewiß ist, daß er dem stets nach Gebühr von ihm geschätzten Componisten Haydn ungleich mehr verdankte als dem Lehrer, daß er aus dessen Werken mehr Belehrung schöpfte als aus seinem Unterricht. Wenigstens wird uns erzählt, daß er, nachdem Johann Schenk, der Componist des Dorfbarbiers, ihn eines Tages auf allerlei Fehler aufmerksam gemacht, welche Haydn in seinen Arbeiten unverbessert gelassen haben sollte, zu diesem im Geheimen seine Zuflucht nahm, seine Studien bei Haydn nur pro forma fortsetzend, bis dessen abermalige Reise nach England (im Januar 1794) einen schicklichen Anlaß zur Beendigung derselben gab.

Albrechtsberger, der auch als Kirchencomponist und Domcapellmeister zu St. Stephan thätige, berühmteste Theoretiker seiner Zeit, übernahm nun die Weiterführung Beethoven's in Contrapunkt und Fuge, und haben uns die Mittheilungen Nottebohm's auch mit dem Gang dieses Unterrichts zur Genüge bekannt gemacht. Sie belehren uns, wie emsig er beflissen war, sich mit den grammatischen Kenntnissen seiner Kunst die Herrschaft über all' ihre Mittel zu eigen zu machen; so unverholen manche seiner Aeußerungen andererseits andeuten, wie wenig auch die pedantische Weise dieses Lehrers seinem genialen Sinn entsprach. Denn wie er seinen freieren Kunstprincipien in seinem Schaffen zu energischem Ausdruck verhalf, so wollte er dieselben auch auf das Lehren angewendet wissen. Ferdinand Ries, wenn er in seinen Mittheilungen die Geduld und Milde des sonst so reizbaren Meisters als Lehrer rühmend hervorhebt, giebt uns ein schönes Zeugniß von Beethoven's hoher Auffassung des künstlerischen Lehrberufs, und ein Brief, den Letzterer gelegentlich des Unterrichts seines Neffen an Czerny geschrieben, bekundet, wie er in die geistige Durchdringung des Stoffs vor allem das Wesen echter und wahrer Kunstbildung setzt. Das rein Technische, die leere Form an und für sich war ihm werthlos; nicht in die Knechtschaft des Handwerks sollte der Geist sich dahingeben, sondern freiwaltend dieses beherrschen. Die Idee allein sollte die Form bedingen und beseelen, ihr Leben und Bedeutung leihen, und weil der Geist der Zeit ein sich verjüngender, befreiender und erneuernder geworden, sollten die durch die Arbeit von Jahrhunderten geheiligten Schranken wol nicht zerbrochen, aber erweitert werden, dem veränderten Inhalt gemäß, der sich in ihnen offenbarte. Denn: »Freiheit, Weitergehen ist in der Kunstwelt, wie in der ganzen großen Schöpfung Zweck«, sagt er selbst.

Das waren, auf das Gebiet der Kunst übertragen, die ersten Lebensregungen einer neuen, hochbewegten Zeit, wie sie emporstieg an der Schwelle eines neuen Jahrhunderts, die Welt mit Thatverlangen und Freiheitsdrang erfüllend, nach einem lichteren, goldneren Morgen, einem sonnigeren Völkerfrühling ringend. Beethoven war der erste, ruhmreichste Repräsentant dieser großen Bewegung auf tonkünstlerischem Gebiet, der erhabenste Freiheitsverkündiger, den das Reich der Töne nennt. Die Musik, so wie sie ihm von seinen Vorgängern Haydn und Mozart überkommen, als Weltsprache in echt classischer Weise weiterbildend, ward er zugleich zum Neubildner eines subjectiven Elementes, das dem allgemein menschlichen Empfinden ein besonderes, der universalen Weltanschauung eine individuelle entgegensetzt. Der poetische Gehalt von Leben, Natur und Geschichte, das Endliche und Unendliche, was den Menschengeist Höchstes und Tiefstes bewegt, wird nun, nachdem die Bildungsarbeit des Tonelementes allseitig vollbracht ist und dasselbe zur Aufnahme der mannigfaltigsten Aufgaben geschmeidigt erscheint, der Inhalt des Kunstwerks. Die Individualität, die persönliche Lebensäußerung machen ihr Recht geltend. Kein früherer Meister zeigt in seinem Schaffen das eigene Spiegelbild so klar und scharf gezeichnet als Beethoven.

Jenes große starke Ich, das, seine eigenen Bahnen zu gehen berufen, die stolze Eigenart nicht verleugnen kann und mag, schaut es uns nicht schon aus dem Haydn so bedenklich erscheinenden Trio in C-moll entgegen, das der Schüler Beethoven schrieb? Ein bequemer, fügsamer Schüler freilich mag er nicht gewesen sein, und gern glauben wir's, wenn wir hören, daß seine Lehrer einstimmig in die Klage ausbrachen, er sei »eigensinnig und selbstwollend«. Auch Salieri schloß sich dieser Meinung an, als er ihm über dramatische Composition und Behandlung der Singstimmen Anweisung ertheilte, und Schindler erzählt, wie dieser sich zu Cherubini bei dessen Anwesenheit in Wien, über seinen einstmaligen Schüler noch beklagt habe. Zwar, daß er, der echt deutsche, von Anbeginn dem Wahren, Charaktervollen zugewandte Künstler, der oberflächlichen italienischen Schule wenig Sympathien abgewann, begreift sich leicht. Aber auch Salieri's Lehren über Stimmbehandlung schenkte er nur geringe Beachtung, so wie er später ähnliche Wünsche und Bemerkungen der Sänger fast spurlos an sich vorübergehen ließ. Um so eifriger war er dagegen bestrebt, sich mit dem Mechanismus der verschiedenen Instrumente immer vertrauter zu machen; wie er sich namentlich über die Leistungsfähigkeit des Horns durch Punto, über die des Contrabasses durch Dragonetti später unterrichten ließ und unter Leitung von Krumpholz auch seine Studien auf der Violine, unter Förster im Quartettsatz wieder aufnahm.

Aeußerst fruchtbringend neben dem eigentlichen Unterricht war für ihn auch das Lesen und Abschreiben und besonders das häufige Anhören von Meisterwerken, an deren Aufführung er vielfach Antheil nahm. Wol durch die Empfehlungen seines Gönners Graf Waldstein insbesondere ward Beethoven in den im zwiefachen Sinne tonangebenden Kreisen des musikliebenden Wiener Adels eingeführt. Es war ja zu jener Zeit das schöne Vorrecht der Aristokratie des Landes, im Anschluß an die kaiserliche Familie, Allen voranzugehen in der Pflege der Tonkunst und ihr in ihrer Mitte eine gedeihliche Stätte zu bereiten; wie denn der Berliner Capellmeister Reichardt den österreichischen Adel geradezu als den »allermusikalischsten, den es vielleicht je gegeben«, bezeichnet. Einige der reicheren Fürsten unterhielten vollständige musikalische Institute, wie eine italienische Oper. Andere, wie Fürst Lobkowitz, gewährten sich den edlen Luxus einer kleineren oder größeren Privat-Capelle, einer Harmoniemusik oder eines Streichquartetts. Daß man die Künstler als Virtuosen wie als Componisten reichlich lohnte, gereichte der Kunst selbst zum Heile, und so geschah es, daß die Kammer- und Orchestermusik im österreichischen Lande dazumal einer Blüte entgegentrieb, die zu keiner Zeit noch übertroffen worden ist. So war durch Mozart's und Haydn's directen Einfluß namentlich die musikalische Bildung der fürstlichen Häuser Lichnowsky und Rasumowsky wesentlich gefördert worden. Neben ihnen nahm Baron van Swieten, der Gründer und Secretär eines hochadeligen Musikvereins, eine bevorzugte Rolle in den tonkundigen Kreisen der Kaiserstadt ein. Ein eifriger Anhänger Sebastian und Philipp Emanuel Bach's wie Händel's, wird er als so unersättlicher Musikenthusiast geschildert, daß er Beethoven »mit der Schlafhaube im Sack« zu sich bestellte, und ihn selten entließ, ohne daß dieser ihm erst ein halb Dutzend Bach'scher Fugen »zum Abendsegen« vorspielen mußte.

Alle Salons der Metropole waren dem genialen Rheinländer alsbald geöffnet. Kam ihm doch überdies das holländische Wörtchen van vor seinem Namen zu statten, das ihn in den Augen des Adels auch als von gleichberechtigter gesellschaftlicher Stellung erscheinen ließ. Begreiflicherweise freilich fanden seine Virtuosität und sein eminentes Improvisationsgenie selbst in diesen kunstverständigen Kreisen schnelleren Eingang als die Kundgebungen seiner schöpferischen Muse. Zweifellos war es bald anerkannt, daß er als Virtuos Alle hinter sich zurückließ. Nur Wölffl und Hummel haben ihm eine Zeit lang den Rang streitig gemacht, und Czerny erzählt in seiner Autobiographie, wie Letzterer und Beethoven »Parteien bildeten, welche einander mit aller Macht anfeindeten.« Während die Anhänger Hummel's Beethoven vorwarfen, daß er »das Fortepiano malträtire und ihm alle Reinheit und Deutlichkeit mangele, daß er durch den Gebrauch des Pedals nur confusen Lärm hervorbringe und seine Compositionen gesucht, unnatürlich, melodielos und überdem unregelmäßig seien«, behaupteten die Anderen dagegen, Hummel ermangele aller Phantasie, sein Spiel sei monoton wie ein Leierkasten u. dergl. m. Den Kennern natürlich blieb es nicht verborgen, wie das Talent eines Hummel himmelweit überragt wurde von Beethoven's Genie, wie die anmuthig eleganten, nur auf den Effect berechneten Leistungen des Jüngers der Mozart-Clementi'schen Schule weit in Schatten gestellt wurden von der zündenden Gewalt, mit der Jenes Spiel sich alle Geister und Herzen unterwarf. Was schon die Zeugen seiner Kindheit an Ludwig, dem Knaben, gerügt, eine durch die Beschäftigung mit dem Orgelspiel verursachte gewisse Härte der Technik, das trat jetzt hinter dem Feuer, der Begeisterung und Phantasiefülle seines Spiels weit zurück. »Auch im Clavierspielen habe ich mich sehr vervollkommnet,« schreibt er im Juni 1800, und in der That sind uns zahlreiche Anecdoten aufbewahrt, die seine seltene Geläufigkeit und die unfehlbare Sicherheit seines musikalischen Gefühls übereinstimmend schildern. So spielt er einst ein ihm unbekanntes Quartett eines Wiener Autors aus der Handschrift vom Blatt. Im zweiten Theil des ersten Satzes kommt das Violoncell heraus und schweigt; da erhebt sich Beethoven und singt, seine Partie gleichzeitig immer fortspielend, die fehlende Stimme hinein. Gegenüber den Ausdrücken lauter Bewunderung, wie er die ausbleibende Stimme des ihm völlig unbekannten Werkes also zu ergänzen vermöge, erwiderte er lächelnd: »So mußte die Baßstimme sein; sonst hätte der Autor ja keine Composition verstanden.« Auf eine andere Bemerkung: er habe ja das niegesehene Presto so schnell gespielt, daß es schlechterdings unmöglich gewesen, die einzelnen Noten zu erkennen, entgegnete er: »Das ist auch keineswegs nöthig; wenn du schnell liesest, so mögen eine Menge Druckfehler vorkommen, du siehst oder achtest sie nicht, wenn nur die Sprache dir bekannt ist.« Von einer gewissen zunehmenden Undeutlichkeit seines Spiels freilich berichten uns auch Ries, Schindler und Andere und zwar in dem Maße, als er an der Feinheit seines Gehörs, dieses dem Musiker unentbehrlichsten Sinnes, Einbuße erlitt. Begeistert aber zeugen Alle, die sie je vernommen, von dem Zauber seiner Improvisationen, deren Reichthum an Erfindung und Vielgestaltigkeit der Durchführung selbst die gleichartigen Hervorbringungen des phantasiereichen Mozart (nach dem Urtheil von Ohrenzeugen) hinter sich zurückließ. Wie jedoch die Tonfülle, die er hervorrief, oftmals in heißen Schmerzen den Tiefen seiner Brust entquollen, das verrieth sich – so wird uns von einem Zeitgenossen geschildert – auf dem Angesicht des sonst so verschlossenen Meisters. »Seine Gesichtsmuskeln schwollen an und seine Adern traten hervor, das ohne hin wilde Auge rollte noch einmal so heftig, der Mund zuckte und Beethoven hatte das Aussehen eines Zauberers, der sich von den Geistern überwältigt fühlt, die er selbst beschwor.«

Die bevorzugte Stätte, wo solche Darbietungen des Künstlers zumeist angeregt und genossen wurden, war das Haus des Fürsten Lichnowsky, dasselbe, das ihn jahrelang beherbergte und ihm eine gastliche Zuflucht bot. Von hier aus auch begannen einige seiner Compositionen zuerst ihren Weg in die Oeffentlichkeit. So die Trios op. 1, deren letztes hier, wie schon erwähnt, Haydn's Bedenken erregte; so auch die diesem gewidmeten Claviersonaten op. 2. Auch das Quintett op. 4, das eine Bonner Arbeit, nur in veränderter Gestalt zeigt, empfing hier durch Graf Apponyi den Anlaß zu seiner Entstehung. Als es galt, dem jungen noch unbekannten Tonsetzer für sein op. 1 einen Verleger zu gewinnen, war es die Vermittelung des Fürsten Lichnowsky, der zufolge sich Artaria in Wien bereit fand, ihm dasselbe mit einer Summe von 212 Fl. zu honoriren, die er freilich ohne Wissen Beethoven's vom Fürsten ausgezahlt erhielt. Später (seit dem Jahre 1799) setzte der Letztere seinem Schützling sogar ein Jahrgeld von 600 Fl. aus, eine um so willkommenere Gabe, als er von Seiten des cölnischen Kurfürsten keinerlei Unterstützung mehr empfing. Unermüdlich, wie sich der Fürst in Beweisen seiner Freundschaft und Hochachtung zeigte, bezeichnet ihn Beethoven selbst, »als den von Allen erprobtesten« und »seinen wärmsten Freund«, und seiner Gemahlin, die all seinen Absonderlichkeiten sanfte Duldung und entschuldigende Milde gegenübersetzte, gedenkt er in Dankbarkeit in den Worten: »Mit großmütterlicher Liebe hat man mich dort erziehen wollen, und die Fürstin Christiane hätte eine Glasglocke über mich machen mögen, damit kein Unwürdiger mich berühre.« Auch der Bruder des Fürsten, Graf Lichnowsky, ein Schüler Mozart's und ausgezeichneter Clavierspieler, »überhäufte ihn völlig mit Gefälligkeiten.«

Leider vermochte das freiheitliebende Naturell unsers Künstlers der Vortheile seines Aufenthaltes inmitten der fürstlichen Freunde nicht dauernd froh zu werden. Ihn beschwerten die leichten Fesseln, die ihm die Ordnung des Hauses auferlegte, und wenig zeigte er sich geneigt, Rücksichten zu gewähren. Vielleicht auch kränkte es seinen Stolz, immerdar nur empfangen zu sollen, wo er sich selber reich zum Geben fühlte, sich abhängig zu wissen, voll des lebendigsten Unabhängigkeitsdranges. Den Mangel einer frühen Welterziehung empfindend, ohne ihn gleichwol überwinden zu können, fühlte er sich beengt von den Formen und Schranken, wie die Gesellschaft sie zwischen sich aufgerichtet, und voll des Bewußtseins der ihm eingeborenen Gotteskraft, die ihn emporhob über Millionen Andere, lehnte er sich auf gegen die Macht des Standesunterschiedes. »Demuth des Menschen gegen den Menschen, sie schmerzt mich«, sagt er einmal, und Bettina schreibt von ihm: »O Goethe! kein Kaiser und kein König hat so das Bewußtsein seiner Macht und daß alle Kraft von ihm ausgehe, wie dieser Beethoven!« Seinem hohen Selbstgefühl giebt er einen schneidigen Ausdruck. »Ich darf das, Sie nicht!« sagt er einem jungen Componisten, und einem Anderen: »Sie müssen noch lange spielen, ehe Sie einsehen lernen, daß Sie nichts können!« Jede Nichtachtung seines Künstlerthums, mehr wie seiner Person, berührt ihn empfindlich. Als man z.B. einst bei einer die Anwesenheit des Prinzen Louis Ferdinand feiernden Assemblée für den fürstlichen Gast und Einige vom hohen Adel eine besondere Tafel servirte, ohne Beethoven dabei zu bedenken, verließ er unter ziemlich derben Ausfällen gegen die Wirthin sofort das Haus. Glücklicherweise verstand es der Prinz, dem von ihm hochverehrten Künstler Genugthuung zu geben, indem er bei einem Mittagsmahl, das er wenige Tage später veranstaltete, der betreffenden Dame den einen, ihm aber den anderen Platz an seiner Seite anwies.

Sich der Etikette der Großen zu fügen, kam ihm allezeit sauer an, und sein Erscheinen bei Hofe erregte gar mancherlei Aergerniß. Nur widerstrebend unterzog er sich dem Unterricht des Erzherzogs Rudolph, den er seufzend seinen »Hofdienst« nannte. Immer von Neuem mußte die Umgebung seines hohen Schülers ihn an die Beobachtung der höfischen Bräuche erinnern, bis er endlich, der fortgesetzten Mahnungen müde, diesem voll Entrüstung erklärte, er hege für ihn selber allen nur möglichen Respect; den leeren Aeußerlichkeiten, von denen er umgeben sei, gerecht zu werden aber vermöge er nun und nimmer. Der Erzherzog lächelte darauf und befahl, den Meister künftighin unbehindert seine Wege gehen zu lassen – da er nun einmal nicht zu ändern sei.

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Anmerkungen:

  1. Beethoveniana. Leipzig, Rieter-Biedermann. 1872.
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