Seiner Bühnenthätigkeit war Händel müde geworden. Nur um seine Gläubiger zu befriedigen und dem drohenden Schuldgefängnisse zu entgehen, schrieb er, um dieselbe Zeit, als er sich mit schmerzlicher Ueberwindung seines Stolzes auch zu einem Benefiz-Concert für sich selber bestimmen ließ, für Heidegger, der aus den Trümmern beider Operngesellschaften eine neue aufbaute, die Opern »Faramondo« (1737) und »Serse« (1738), sowie das Pasticcio, »Alessandro Severo«, denen später noch »Jupiter in Argos« (1739), »Imeneo« und »Deidamia« (1740) folgten. Mit diesem letzten, dem 39sten italienischen Drama, das er der englischen Bühne geschenkt hatte, kehrte er derselben nun für immer den Rücken. Was er in der Oper zu leisten bestimmt war, das hatte er geleistet. Er steht in ihr noch wesentlich auf italienischem Boden. »Arienbündel, durch Recitativfäden zusammengehalten«, nennt Chrysander seine Bühnenwerke. An dem Bestreben, den Text an sich dramatisch umzugestalten und die Oper zu einem musikalisch-dramatischen Ganzen durchzubilden – wie wir es Gluck später verfolgen sehen – hat Händel sich trotz verschiedener dramatisch wirksamer Scenen, die seine Opern enthalten, nie betheiligt. Er will mehr das Musikalisch-Concertmäßige als das Dramatische, ob er auch an innerer Durchbildung der Tonformen, an freierer und reicherer Gestaltung des instrumentalen Satzes, wie an vertiefter Textbehandlung, an Wahrheit der Charakter- und Seelenmalerei, an Schlagfertigkeit des Ausdruckes über seine Vorgänger hinausgeht und den Zielen der Oper erkennbar näher rückt. Seine eigenen Ziele gingen jetzt über die Bühne hinaus. Mehr noch als in der künstlerischen Darstellung des Einzellebens sollte sich in der Charakteristik ganzer Volksindividualitäten und Menschheitsperioden seine Eigenart in ihrer vollen Bedeutung offenbaren. Dem Oratorium, das er bisher nur nebenbei gepflegt, wandte er sich nun ausschließlich zu. Seit seine in und für Cannons geschriebenen Erstlingsarbeiten dieser Gattung: »Esther« und »Galatea«, bei erneuter Vorführung (auf der Scene, 1731 und 32) dem lebendigen Antheil des Publicums begegnet waren und zudem der große Erfolg der wiederholten Aufführung seines Utrechter Tedeums sammt Jubilate und Anthems (zum Besten einer milden Stiftung) ihn auf den in der Oeffentlichkeit erwachten ernsteren Musiksinn hinwies, hatte er sich zu regelmäßigen derartigen Aufführungen entschlossen und somit auch das geistliche Musikdrama des Oefteren zum Feld seiner Thätigkeit erwählt. Die Oratorien »Deborah« (1733) – mit den schon in's Große gearbeiteten Chören –, »Athalia« (es wurde auf Einladung der Oxforder Universität 1733 componirt und aufgeführt) und das »Alexanderfest« – eine schnell zur Popularität gelangende Verherrlichung der Tonkunst (1736) – waren die Ergebnisse dessen. Ihnen schlossen sich als ernste Genossen die »Cäcilien-Ode« (1739), sowie das schöne Begräbnißanthem für die 1737 verstorbene Königin Caroline an, welches letzere mit verändertem Text in Deutschland als Passions-Oratorium »Empfindungen am Grabe Jesu« bekannt geworden ist. Händel selber wies der herrlichen Begräbniß-Hymne bei Composition seines »Israel in Aegypten« als Klage um Joseph's Tod die Stelle eines ersten Theiles an und brachte sie als solchen zur Aufführung, ohne sie dann aber in die Partitur aufzunehmen, sodaß wir sie jetzt nicht mit derselben hören.

Der eben genannte »Israel« zeigt gleich dem ihm vorausgehenden »Saul«, mit dem Händel's große oratorische Periode begann (1738), den Meister des Oratoriums im siegreichen Fortschreiten auf der betretenen Bahn. Was Händel's unvergleichliche Größe bedingt: die Kunst und Kraft, mit der er vermöge der Einführung großer Chormassen, wie kein Anderer, ganze große Volks- und Menschheitsperioden und -Stimmungen, Charakterbilder des geschichtlichen und insbesondere des biblischen Lebens in Töne faßt, das tritt uns nun hier mit überzeugender Gewalt vor die Seele. Die Urmacht dieser Chöre, die das charakteristisch Individuelle uns gleichsam im großen Weltrahmen vorführen, wo hatten sie bis dahin ihres Gleichen gehabt? Es waren Wunder an Neuheit und Wahrheit, diese Klänge und Massenwirkungen, die hier zum ersten Male laut wurden. Denn auch Bach redete in anderen, übersinnlicheren Tönen; seiner subjectiven mystischen Weise lag der objectiv plastische, realistischere Ausdruck des Künstlers fern, der wie Ludwig Nohl jüngst bezeichnend sagte, »mit beiden Füßen fest auf dieser Erde steht.« Nichts von Bach's überschwenglicher Tiefe haftet auch der Sprache seines religiösen Gefühls an. Sie bleibt voll schlichter Zuversicht und Kraft; es ist ein Held auch im Glauben, dessen Rede wir vernehmen. Und wie natürlich entströmt sie seinen Lippen! Wir spüren auch hier, daß »weß' das Herz voll ist, deß' der Mund übergeht.« Fromm und gottesfürchtig war er, wie selten Einer, und das S.D.G., das ist Soli Deo Gloria, vergaß er keinem seiner Werke als Segensspruch beizufügen. Seine Bibel kannte er so gut, daß er sich daraus seine Oratorientexte mit dichterischem Sinn selbst zusammenzustellen vermochte. Als der Bischof von London ihm einst beim Herstellen eines Schrifttextes – nach Angabe der Einen soll es sich um den »Messias«, nach Anderen um die Anthems gehandelt haben – seine Hülfe anbieten ließ, rief er aus: »Wie, glaubt er was Besseres zu liefern als Propheten und Apostel? oder meint er, ich kenne die Bibel nicht auch so gut wie er?« Es dünkte ihm ja seinem eigenen Bekenntniß zufolge »eine Wohlthat«, wenn sich ihm eine Gelegenheit bot, »Worte der heiligen Schrift in Musik setzen zu können; da er so innerst erbaut werde durch Versenkung in die erhabenen Spruchreden, von denen die heiligen Schriften voll sind.« Biblischen Geist athmen in der That seine testamentarischen Oratorien durch und durch, auch wenn sie, zum Unterschied von denen seiner Vorgänger, nicht wie die Passions-Oratorien in directer Beziehung zur Kirche, sondern vielmehr außerhalb deren Cultusformen stehen. Er gab uns in ihnen religiöse, aber keine Kirchenmusik. Man höre nur die gewaltigen Doppelchöre im »Israel«, wie sie Jammer und Jubel des Gottesvolkes, die Plagen, unter denen es seufzt und seine wunderbare Errettung malen! Hier, wo nicht eine einzelne Persönlichkeit, sondern das Volk Israel der ausschließliche Träger des Ganzen ist, setzt sich das Ganze wesentlich nur aus Chören zusammen. Die sparsam eingestreuten Soli treten ihnen gegenüber wie an Zahl so an Bedeutung ganz in den Hintergrund. In anderen, mehr dramatisch gehaltenen oratorischen Werken, wie »Samson«, »Judas Maccabäus«, »Josua«, dagegen, wo der Kampf der Israeliten in einzelnen Heldengestalten personificirt erscheint, welche redend und handelnd eingeführt werden, kommen auch die Soloformen zu ihrem Recht. Händel giebt keins der Mittel der italienischen Oper, von der er her kam, auf. Recitativ, Arie, Coloratur finden auch in seinen Oratorien ihren Platz. Aber selbst die letztere, die – mag sie uns gemeinhin heute auch ein überflüssiges und überlebtes Formenwerk dünken – während der damaligen höchsten Blüte der Gesangskunst förmlich in der Luft lag, gewinnt eine geistigere Physiognomie und dient häufig zur Steigerung der Gefühlsaccente. Welcher Wirkung und Ausdruckstiefe Händel auch in Recitativ und Arie fähig ist, das ersehe man beispielsweise aus den mit den Chören eng verknüpften Gesängen in »Judas Maccabäus« oder »Samson« und anderen Oratorien; wie denn auch Gluck nach Seiten der Charakteristik im Einzelnen Vieles von Händel erlernen und für seine Reform der Oper nützen konnte. Nichtsdestoweniger liegt der Schwerpunkt und die ewige Wirkungskraft der Händel'schen Oratorien vorwiegend in den monumentalen Chorbildern, die uns anschaulicher, als es je eine scenische Darstellung vermöchte, die Geschichte der Völker und der Menschheit künden. Die Freiheit und Sicherheit der Auffassung, den weitschauenden, welthistorischen Blick hatten ihm sein Genie, seine Weltbildung eröffnet. Zur souveränen Herrschaft über die gesammte Technik war er durch die lange Opernpraxis und die beständige allgemeine musikalische Uebung gelangt. Mochte seine contrapunktische Meisterschaft, so gewaltig und alle seine Zeitgenossen im Uebrigen überragend sie an sich war, immerhin, wie Ph. Em. Bach es ausspricht [1], hinter der seines Vaters namentlich im Instrumentalen erheblich zurückstehen, wie dieser auch an Tiefsinn und Eigenartigkeit der Harmonie und Modulation Händel überbot: auf rhythmisch-melodischem Gebiete vertritt Letzterer hinwiederum Bach gegenüber den Fortschritt. Seinem Rhythmus – man vergegenwärtige sich nur seine oft mit grandioser Gewalt dreinfahrenden Bässe! – ist die ganze Willensstärke und Kraft, das ganze Daseinsgefühl seines Wesens aufgeprägt; seine Melodik ist klar und flüssig, moderneren Zuges und ungleich eingänglicher als die des großen Orgelmeisters.

Ein Blick auf die Claviercompositionen Beider schon macht dies ersichtlich; denn Händel veröffentlichte von 1720 an auch vier Sammlungen »Suites de pièces pour le clavecin«, sowie Sonaten für Violine, Flöte oder Oboe mit Baß und Concerte für Streichinstrumente und für Orgel. Man braucht nur neben die Suiten Bach's diejenigen Händel's, wie beispielsweise die in E-dur mit den Variationen über »The harmonious blacksmith«, zu halten, um dessen inne zu werden. Eine gewisse »gesellige Gefälligkeit« ist hier heraus gekehrt, die bei aller ihr eigenen Würde wunderbar mit dem gewichtigen Ernste Bach's contrastirt. Wir sehen hier den Weltmann vor uns, dessen vornehm leichte Art nicht nur bei denen, für die die Compositionen zunächst bestimmt waren (die Clavierstücke sollen meist für Prinzessin Anna und ihre Schwestern, die Violinsonaten für den Prinzen von Wales geschrieben sein), sondern allseitigen Anklang fand. In den Fugen macht sich eine Neigung zur Ungebundenheit geltend. Ohne Bedenken geht er da ab und zu aus der polyphonen in die homophone Schreibart über, oder läßt je nach Belieben bald zwei, bald drei, bald vier Stimmen reden; auch wenn er, wie Mattheson [2] sagt, »alle Auswege der Harmonie dergestalt kennet und besitzet, daß er nur damit zu schertzen oder zu spielen scheinet, wenns andern arbeitsam vorkömmt.« Wie im Allgemeinen seine Instrumentalcompositionen im Gegensatz zu seinen anderen Werken, machen sie den Eindruck bequemen Sich gehen lassens, flüchtigeren Entstehens. Es ist als seien sie aus dem Stegreif geschaffen, das Resultat eines augenblicklichen freien Ergusses. Was Wunder bei der außerordentlichen Leichtigkeit und Schnelligkeit, mit der ihm das Schaffen von der Hand ging? Eine wirkliche Weiterbildung wie durch Bach haben die sich zu seiner Zeit entwickelnden Instrumental-Formen allerdings nicht durch ihn erfahren. Er begnügte sich damit, sie so, wie er sie vorfand, mit der ihm eigenen Meisterschaft zu beherrschen und mit einem seinem Geiste entsprechenden Gedankeninhalt zu füllen. So übertrug er in seinen Concerti grossi (den sogenannten Oboenconcerten) einfach die Form der Corelli'schen Sonate in größere Verhältnisse, indeß er in seinen Orgelconcerten die wirkliche Concertsatzform zur Anwendung bringt. Er behandelt die Orgel darin mehr claviermäßig, wie denn die Concerte auch ebensowol für Clavier bestimmt sind. Den eigentlichen Orgelstil hat er wenig gefördert; denn nicht wie Bach war ihm die Königin der Instrumente Grundlage und Mittelpunkt seines Schaffens, ob er ihr auch eine musikalische Machtstellung in seinen Oratorien einräumte und als Virtuos außer Bach nicht sei nes Gleichen hatte. In seinen oratorischen Concerten in England pflegte er sich während der Zwischenpausen regelmäßig (seit 1735) mit einer freien Phantasie, einem Concert oder dergl. zur Bewunderung und Erbauung Aller hören zu lassen. Der größere Orgelkünstler von Beiden war gleichwol Bach, obschon Händel's, des größeren Improvisators, Spiel hinreißender und zündender wirkte. Auch hier gehörte der Preis der Popularität ihm, der, wie er die Tonmassen mit fester Hand beherrschte, auch die bunte Masse der Hörer zur Andacht und zum Mitempfinden zwang.

»Israel in Aegypten« erfreute sich trotz alledem zu Anbeginn (es wurde am 4. April 1739 zuerst aufgeführt) keiner warmen, verständnißvollen Aufnahme. So erfolgreich sonst die oratorischen Aufführungen des Künstlers verliefen, dies Werk war, wie eine Freundin Händel's, Mrs. Delany, in ihrer Autobiographie schreibt, »zu feierlich für gewöhnliche Ohren.« Tiefernst, grübelnd in sich versenkt, wie man ihn sonst nie gesehen, sann er indessen neuen Ideen und Aufgaben nach. Als Ergebniß dessen trat am 27. Februar 1740 das Oratorium »L'allegro, il pensieroso ed il moderato« (Frohsinn und Schwermuth) an die Oeffentlichkeit. Von den gleichartigen Schöpfungen seines Urhebers unterscheidet es sich sehr wesentlich dadurch, daß sein Inhalt nicht auf großen historischen und religiösen Grundlagen ruht, sondern das bunte Treiben der Welt, in ungebundene, fast zusammenhangslose Stimmungsbilder gefaßt, unmittelbar wiederspiegelt. Gerade aber in dieser seiner Ausnahmsstellung wirst es ein interessantes Licht auf die Vielseitigkeit und Beweglichkeit des Händel'schen Geistes. Den wir als Meister des musikalischen Epos kennen, der tritt uns nun als Lyrikernahe. Der Gegensatz zwischen einem heiteren und einem schwermuthsvollen Gemüth, den Milton in zwei gleichlautenden Oden vorführt, bot dem Componisten zur Entfaltung einer reichen und mannigfaltigen Tonlyrik Anlaß, die sich oft auch – wie Händel dies gern thut – malerischer Züge bedient. Statt wie in Milton's Dichtung jedoch mit einer unaufgelösten Dissonanz zu enden, fügten Händel und sein Textbearbeiter und -Dichter, Jennens, als harmonischen Abschluß noch das »Moderato«, die Stimme der Mäßigung hinzu, welche die widerstreitenden Gegensätze zu mildern und zu versöhnen sucht.

Warum dies schöne Werk, das sein Schöpfer mit der ihm eigenen fabelhaften Raschheit des Producirens binnen drei Wochen auf das Papier zauberte (auch der »Messias« entstand innerhalb 24 Tagen), von jeher eine unbillige Zurücksetzung hinter den anderen Erzeugnissen Händel's erfahren, das fragt sich vergeblich, wer die darin niedergelegten Perlen kennt. Eben darum auch ist Robert Franz' Verdienst um so höher zu preisen, daß er ihm durch seine geistvolle zeit- und sinngemäße Bearbeitung [3] eine weitere Verbreitung anbahnte. Ebenso wie vor ihm Mozart »Acis und Galatea«, »Messias«, »Cäcilienode« und »Alexanderfest«, desgleichen Mendelssohn »Israel in Aegypten«, unterwarf er auch das »Jubilate« den bei den Händel'schen Partituren nothwendigen instrumentalen Ergänzungen. Mit fortgesetztem Eifer ist ferner Chrysander, der Biograph Händel's, seit Jahren an der von ihm angeregten Gesammtausgabe von dessen Werken thätig, die (nach Vorausgang der Engländer) von der deutschen Händel-Gesellschaft veranstaltet [4], sich gegenwärtig allgemach ihrer Vollendung nähert. Hans von Bülow, Louis Köhler, Mortier de Fontaine und Andere bieten des Meisters Suiten, Fugen, Concerte etc. der clavierspielenden Welt in neuen Ausgaben dar, während die singende durch eine Sammlung von Gesängen [5], welche Victorie Gervinus als musikalische Ergänzung der vielbesprochenen Händel-Apotheose ihres verstorbenen Gatten [6] zusammenstellte, in seine Opern und Oratorien eingeführt wird. So vereinigen sich die vielfältigsten Bemühungen, um unser gegenwärtiges Geschlecht in lebendiger Fühlung mit dem mächtigen Tongenius zu erhalten, der, wo immer die Musik in deutschen oder fremden Landen ihre Feste feiert, herbeigerufen wird als der edelsten Festgäste einer.

Und ein Deutscher blieb er auch inmitten des fremden Volkes, das ihm eine Heimat gab. Ja, nach einer fast 30jährigen Wirksamkeit unter demselben erwog er, durch die beständig sich wiederholenden Anfeindungen und die Ungunst der englischen Zeitverhältnisse (1741) müde gemacht, allen Ernstes den Gedanken der Rückkehr in sein altes Vaterland. Auf Berlin, wo Friedrich der Große der Musik einen neuen Schutzort begründet hatte, richtete sich sein Blick. Aber eine andere Kunst als die seine sollte auf deutschem Boden ihre Blüten treiben. Sein Stern hielt ihn in England zurück. Ohne Letzteres, das ist gewiß, wäre weder der Händel, der im Kreise unserer gefürsteten Tonhäupter in vorderster Reihe steht, noch die Krone seines Schaffens: das Oratorium, denkbar. Dem Volke, das sich durch eine freie Verfassung und sein Parlament zuerst in Europa auf sich selbst gestellt und in sich selbst gegliedert, sich überdies durch politisch-religiöse Kämpfe neuerlich energisch hindurch gekämpft hatte, dankte er für den eigenen Kunstzweig wesentliche Anregungen und Anschauungen. Doch in so inniger Beziehung seine Oratorien, in denen sich der beste Lebensinhalt seiner Zeit verkörperte, zu England stehen und von welch unermeßlichem Einfluß sie auch für die Kräftigung des britischen Volksthums wurden, ihre Bedeutung liegt nicht nur in nationalen Grenzen beschlossen. Händel's Sendung war eine größere, und aller blos nationalen Musik gegenüber verhielt er sich ablehnend. Das Erwachen des siegreichen germanischen Geistes zeigten seine Thaten an. In England selbst aber bereiteten sie einer neuen Volksmuse den Boden. Die Nationalhymnen Rule Britannia und God save the king wurden durch Händel angeregt, und die sie sangen: Arne und Carey, waren seine begeisterten Verehrer.

Inzwischen kämpfte er weiter als tapferer Streiter. Aber auch die alte Opposition ruhte nicht. Ihr fiel selbst der »Messias« bei seiner ersten Aufführung (1741) zum Opfer; denn – so berichtet Burney »zum ewigen Vorwurf der Nation« – dieselbe ward weder zahlreich besucht noch sonderlich aufgenommen. Erst nach mehrfachen Wiederholungen eroberte das erhabene Werk sich die gebührende Schätzung des Publicums, das nun durch um so eifrigere Theilnahme das begangene Unrecht zu sühnen trachtete. Zahllose wohlthätige Zwecke hat der »Messias« seitdem fördern helfen, und mit Recht durfte Burney von ihm rühmen, daß er »die Hungrigen gespeist, die Nackenden bekleidet, die Waisen verpflegt« habe. Gegenwärtig bildet er nicht nur, wie Nohl bemerkt, »ein Stück ethischer wie künstlerischer Bildung der englischen Nation«, sondern Aller, deren Herz den hehrsten Wirkungen der Tonkunst offen steht. Nicht vom Standpunkte des Protestanten aus, der im Gegensatz zu dem des Katholiken steht, ist er geschaffen. Ein confessioneller Unterschied ist darin nirgend betont – es ist das Urchristenthum, das hier zur Erscheinung kommt. Eben hierin unterscheidet sich der »Messias« wesentlich von Bach's Matthäuspassion und hoher Messe. Bach erfaßt die gleiche Aufgabe: die kirchliche Gestaltung des Inhalts des Christenthums, unter dem dogmatischen und zwar specifisch protestantischen Gesichtspunkt, während Händel die seine unter den geschichtlichen stellt. Dem entsprechend leistete der Eine an Tiefe des Empfindungsgehaltes, der Andere an faßlicher Plastik der Darstellung das Höhere. Die leichtere Eingänglichkeit hat Händel auch hier wieder vor Bach voraus. Die ihm eigene Klarheit, die ihn auch im höchsten Pathos, beim Gestalten der riesigsten Verhältnisse, bei aller Tiefe und Kunst nicht verläßt, die Freiheit bei aller Großartigkeit des Ausdruckes, welche mit einem Griff das Ganze erfaßt und dessen Kern darlegt – sie sichern seinen Werken eine durchgreifende Wirkung auf die Massen, wie sie der tiefsinnigere Bach selten erzielte. Seine Formen sind durchsichtiger, knapper, seine Mittel einfach. »Geht hin und lernt mit wenig Mitteln so große Wirkungen hervorbringen!« sagt Beethoven von ihm. Es ist, als sei diese Musik durch Naturnothwendigkeit entstanden.

Seiner Form nach zerfällt der »Messias« in drei Theile. Der erste behandelt die Verheißung der Ankunft des Herrn, seine Geburt und sein Wirken auf Erden. Der zweite schildert sein Leiden, seine Auferstehung und die Ausbreitung seiner Lehre. Der dritte endlich redet von den letzten Dingen. Die wunderherrlichen Arien und Chöre, die innerhalb dieses weiten Rahmens Platz finden – denn die epische Breite versteht sich bei Händel von selbst – haben uns dies Werk des Meisters vor anderen lieb gemacht. Es ist wol auch das verbreitetste von allen. Am berühmtesten unter seinen einzelnen Sätzen ist das den zweiten Theil abschließende »Halleluja« geworden. Händel selber bekannte später vertrauten Freunden, er habe sich während der Composition desselben in einem Zustande befunden, den er in diesem Grade niemals, weder vor- noch nachher erfahren, von dem er jedoch keine Rechenschaft zu geben vermöge. Er hatte wol recht, sein »Halleluja« für ein Erzeugniß ganz besonderer prophetischer Begeisterung zu halten. Hallt es nicht frommen Klanges durch die Jahrhunderte?

Auf eine Einladung des Vicekönigs von Irland schlug Händel im November 1741 auf der grünen Insel für neun Monate seine Wohnung auf, um eine Reihe seiner Oratorien, unter ihnen auch den »Messias«, in Dublin mit großem Beifall zu Gehör zu bringen und unter verbesserten Verhältnissen im August 1742 wieder nach London heimzukehren. Der »Samson«, den er darauf zur Aufführung brachte (18. Februar 1743) wurde begeistert aufgenommen und behauptete alsbald im Herzen des englischen Volkes die nächste Stelle neben dem »Messias«. Dann folgten Jahr auf Jahr neue Gaben: das große Dettinger Te Deum (November 1743) und die Oratorien: »Semele« (1743), »Herakles«, »Belsazar« (1744), das »Gelegenheits-Oratorium« zur Feier des Sieges bei Culloden, »Joseph«, »Judas Maccabäus« (1746), »Josua«, »Alexander Balus« (1747), »Salomo«, »Susanna« (1748) und »Theodora« (1749). Ein musikalisches Zwischenspiel »Die Wahl des Herkules« (1750), sowie endlich die oratorischen Werke »Jephtha« (1751) und »Der Sieg der Zeit und Wahrheit« (1757) beschlossen die lange Reihe seiner Thaten, deren materielle Fülle uns nicht minder als ihr ideeller Werth mit Staunen füllt.

Allmälig verstummten auch seine Gegner. Im Kampfe mit Reichthum und weltlicher Macht, mit aller Ungunst des Geschickes und der Zeitlage hatte sein Genius gesiegt. Während er früher oft vor einem leeren Hause, wenn auch unter beständiger Antheilnahme seines Königs, seine Oratorien aufgeführt hatte, drängte man sich jetzt zu seinen Concerten, und jedes einzelne derselben mehrte seinen Ruhm und sein Vermögen. Fleißig und arbeitsam von Natur, ganz der Ausübung seiner Kunst hingegeben, zog er sich mit dem zunehmenden Alter, Vergnügungen und selbst freundschaftlichem Umgang entsagend, mehr und mehr in sich selbst zurück. Seine Besuche in den Häusern der Großen wurden selten, nur die königliche Familie sah ihn noch bei sich. Im Uebrigen war er fast allein in der Kirche und bei der Aufführung seiner Oratorien noch sichtbar. Er setzte die letzteren unbehindert fort, selbst als ihn, indeß er am »Jephtha« beschäftigt war, gleich seinem großen Kunstverbündeten Bach das harte Los des Erblindens traf. »Tiefdunkle Nacht«, wie um seinen »Samson«, war es nun auch um ihn geworden. Hatte er die ergreifende Klage, die er nie ohne tiefe Bewegung zu hören vermochte, wol in Vorahnung seines eigenen Jammers gesungen? Seinem Schüler Smith überließ er jetzt die Direction; er selber aber setzte sich an die Orgel, um mit ungeschwächter Kraft, wie in den Tagen der Jugend, alle ihre Geister zu entfesseln. Zu einer Tondichtung aus der Zeit seines Lebensfrühlings: »Der Sieg der Zeit und der Wahrheit«, griff er nun am Lebensende wiederum zurück. Der blühenden Jugendkraft reichte die tiefste Kunst- und Lebenserfahrung noch einmal die Hand. Es war das letzte Werk, das er vollendete und am 11. März 1757 in die Oeffentlichkeit einführte.

Noch acht Tage vor seinem Tode, am 7. April 1759, wo man ihn zum letzten Male auf der Orgel hörte, hatte seine Phantasie nichts von ihrem Feuer, ihrer Frische verloren. Mit der Aufführung seines »Messias« nahm er Abschied von der Welt. Am 13. April vor Mitternacht, an einem Charfreitag, ging er nach vollbrachtem Tagewerk hin in Frieden. Zum Tode bereit, hatte es ihn verlangt, »seinen Gott und Erlöser am Tage seiner Auferstehung zu sehen.« Sein Wunsch ward erfüllt.

Unter den Größen ihrer Nation, in der Westminster-Abtei, haben die Engländer die sterbliche Hülle Händel's beigesetzt und ihn, dem Einer ihres Volkes schon bei Lebzeiten ein Denkmal in Vauxhall-Gardens errichtet hatte, mit einem Monument gefeiert. Auch seine Vaterstadt Halle blieb ihrem großen Sohn die pietätvolle Erinnerung nicht schuldig. Sein ehernes Standbild giebt dort kommenden Zeiten und Geschlechtern von ihm Kunde. Denn mag immerhin England ihn als sein Nationaleigenthum betrachten, auch wir Deutsche wollen den deutschen Meister nicht unter uns missen. Sein Herz, der Grund seines Wesens war deutsch, ob auch sein Wirken hinausging über die nationalen Schranken. Mit Deutschland haben auch Italien, Frankreich, England an seiner künstlerischen Entwickelung Antheil, und von keinem Anderen wol gilt es in höherem Grade als von ihm, daß er eine universale Sprache redete, welche diejenigen Saiten des Menschengemüths anzuklingen verstand, die, von Nationalität und Zeit unabhängig, immer dieselben sind und bleiben. Nordische Kraft und Gelehrsamkeit mit südlicher Formenschöne, kirchliche und weltliche Elemente zu vereinen und mit einander auszugleichen war sein Beruf und Werk. Wie alles Menschenwerk, so hat auch das seine seiner Zeit den Tribut zahlen müssen: es ist Manches daran hinfällig geworden, was einst in hellem Jugendglanze prangte. Aber das Ewige überwiegt mindestens in seinen Oratorien weithin das Zeitliche – und an das Ewige wollen wir uns halten. Was Großes und Unvergängliches in ihm war, das lebt nicht allein in seinen Oratorien fort, auch in Gluck's und seiner Nachfolger Werk ist viel von seinem Geist und Wesen eingedrungen und weht uns daraus mit seinem Odem und Flügelschlag an. Durch Händel hindurch ging die Entwickelung der Oper, und ihre Meister, die nach ihm kamen, standen auf seinen starken Schultern. Das haben Gluck und Mozart neidlos anerkannt, und selbst Beethoven nannte ihn, sich selbst vergessend, den Meister der Meister. So wirkt die Macht seiner Kunst mittelbar und unmittelbar von Jahrhundert zu Jahrhundert!

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Anmerkungen:

  1. In einem Brief an Eschenburg. Nohl, Musikerbriefe. 2. Ausg. Leipzig, Dunker & Humblot. 1873.
  2. Der vollkommene Capellmeister. Hamburg, 1739.
  3. Leipzig, Leuckart.
  4. Leipzig, Breitkopf & Härtel.
  5. 7 Bde. Leipzig, Breitkopf & Härtel.
  6. Händel und Shakespeare. Leipzig, Engelmann. 1868.
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