Das Jahr 1720 brachte für Händel's Leben eine entscheidende Wendung. Eine sonnenhelle, genußfreudige Wanderung war es bisher gewesen. In unverkümmerter Lust hatte er gestrebt und geschaffen, nur vom Hörensagen kannte er die Dornen und Drangsale des Künstlerlaufs. Nun sollte er sie in Wahrheit kennen lernen und, zum Kampf mit den Verhältnissen herausgefordert, seine Kraft erproben. Das Ereigniß, an das sich diese Wendung knüpfte, war die durch Subscription des Königs und der Aristokratie erfolgende Gründung der Royal academy of music. Nicht wie die Pariser Academie, von der sie den Namen entlehnte, stellte sich die Londoner Kunstanstalt eine nationale Aufgabe. An Erneuerung der früheren englischen Opernversuche dachte man nicht; man wollte die italienische und zwar ausschließlich die ernste Oper in musterhaften Aufführungen pflegen. Mit Engagement eines diesem Plan entsprechenden Künstlerpersonals ward Händel beauftragt, der denn auch bald einen Kometenschweif glänzender Sängergrößen, wie Baldassari, Senesino, Cuzzoni, Faustina, hinter sich drein zog. In der musikalischen Leitung wechselte er mit den Italienern Buononcini, Attilio Ariosti u. A., die man zeitweise zur Vorführung ihrer Werke gewann, ab. Gerade diese letztere Einrichtung aber war einem friedlichen Gedeihen des neuen Unternehmens von vornherein hinderlich. Gegen die überragende Größe des deutschen Meisters, der die Italiener auf ihrem eigenen Gebiete und mit ihren eigenen Waffen niederschlug, kämpften Neid und Mißgunst in fortgesetzten Feindseligkeiten und machten, mit den Eifersüchteleien der Sänger, den Meinungsverschiedenheiten der Unternehmer und den Intriguen der Operngegner im Bunde, ein harmonisches Zusammenwirken unmöglich. Alles ging im Parteiwesen unter. Der Hof stellte sich auf die Seite Händel's, wie er ihrer schönen Rivalin Faustina Bordoni gegenüber die häßliche aber unvergleichlich geniale Cuzzoni begünstigte. Andere schrieben Buononcini und die Faustina auf ihre Fahne und gaben ihre Sympathien in lärmenden Demonstrationen kund. Wenn die Eine sang, pfiffen und tobten die Parteigänger der Andern; die rücksichtslosesten Scenen spielten sich während der Vorstellungen im Publicum ab. Am Ende kam es gar auf offener Bühne zu einer Rauferei zwischen beiden Sängerinnen.

Händel verstand seinerseits schon mit ihnen fertig zu werden; ihren Launen, ihrer Herrschsucht setzte er, im Gegensatz zu der Tyrannei, die andere Componisten von ihnen erdulden mußten, die ganze Macht seiner Persönlichkeit entgegen. Als die Cuzzoni einmal eine Arie zu singen verweigerte, wenn er sie nicht nach ihrem Willen abändere, ergriff er die Widerspenstige mit riesenstarkem Arm und hielt sie zum Fenster hinaus mit der in flammendem Zorne ausgestoßenen Drohung, sie hinab zu werfen, dafern sie nicht sofort gehorche. »Daß Sie eine leibhaftige Teufelin sind, das weiß ich, Madame«, donnerte er ihr zu; »aber ich will Ihnen zeigen, daß ich Beelzebub, der Teufel Oberster, bin!« Er hatte sich über sie, den »weiblichen Gott sei bei uns aller italienischen Capellmeister«, hinfort nicht mehr zu beklagen.

Seine Gegner Buononcini und Ariosti, die es schließlich, wenn auch ohne besonderes Glück, mit Nachahmung seiner Weise versuchten, schlug Händel durch seine schöpferischen Thaten aus dem Felde. Eine lange und stattliche Reihe von Opern: »Radamisto« (1720). »Muzia Scevola«, »Floridante« (1721), »Ottone«, »Flavio« (1723), »Giulio Cesare«, »Tamerlane« (1724), »Rodelinda« (1725), »Scipio«, »Alessandro« (1726), »Admeto«, »Ricardo I.« (1727), »Siroe« und »Tolomeo« (1728), die sich von Haymarket aus über ganz Europa verbreiteten, scheuchten sie endlich vom Schauplatz hinweg. Ein Pamphlet, mit dem sein alter Feind Buononcini an dem deutschen Künstler Rache zu nehmen vermeinte, blieb wirkungslos – Händel war jetzt alleiniger Leiter der Academie. Doch die Theilnahme des Publicums war den beständigen Streitereien der Sänger zufolge erkaltet; an der »Uebervorzüglichkeit ihrer Sänger«, so meint ein Zeitgenosse, ging die mächtige Oper zu Grunde. Die satyrischen Feldzüge der Dichter und Literaturhelden Swift, Pope und Gay, und zumal des Letzteren »Bettleroper« – eine mit Volksgesängen gespickte Vereinigung von Farce, politischer Satyre und musikalischer Parodie, die, ihre Spitzen auch gegen die italienische Oper kehrend, sich im Umsehen über ganz England verbreitete und zahllose rohe Nachahmungen nach sich zog – gaben dem ohnehin verschuldeten Unternehmen den Todesstoß. Die Academie löste sich auf; doch nur um sich binnen Kurzem unter veränderten Verhältnissen und ohne den bisherigen kostspieligen Verwaltungsapparat auf's Neue zu constituiren. Da diesmal die Gründung im Wesentlichen vom Hofe und von dem zu diesem haltenden Adel ausging, wurde, während man für die technische Leitung wie bisher Heidegger beibehielt, die künstlerische nun ausschließlich in Händel's Hand gelegt. Denn in hohem Maße erfreute sich Letzterer der Gunst des Königshauses. Bald nachdem er 1726 das englische Bürgerrecht erlangt, hatte ihn Georg I. zum Hofcomponisten ernannt. Es änderte nichts in seiner Stellung zum Thron, daß, als den König im Juni 1727 auf einer Reise in Osnabrück ein plötzlicher Tod ereilte, dessen Sohn ihm in der Regierung folgte. Der Krönungsfeier Georg's II. in der Westminster-Abtei mußten Händel's »Krönungsanthems« die musikalische Weihe geben, und für einen zum Geburtstag des neuen Staatsoberhauptes veranstalteten Hofball schrieb er eigenhändig mehrere Menuetts. Desgleichen componirte er später zur Vermählung seiner Lieblingsschülerin Prinzessin Anna mit dem Prinzen von Oranien ein Trauungsanthem und die Serenade Parnasso in festa (1734). Auch die Hochzeit des Prinzen von Wales feierte er dann (1736) mit einem gleichen Festgesang. Außer dem Musikunterricht der Prinzessinnen übernahm er die Leitung der Hofconcerte, wie bei allen besonderen Gelegenheiten das Orgelspiel, die Composition und Aufführung der Musik, ohne ein officielles musikalisches Amt am Hofe zu bekleiden und ein solches je zu suchen. Obgleich von seinen englischen Kunstgenossen beneidet und gehaßt, verschmähte er, sich zu ihrem Schaden vorzudrängen und zu bereichern und die königliche Gunst zu seinem Vortheil auszunutzen. In hohem Grade ruhmbegierig, als Mann der Welt auch Geld und Geldeswerth nicht mißachtend, streckte er doch auch nach dem ihm Begehrenswerthen nie auf Kosten Anderer die Hände aus. Kleiner Mittel bediente sich sein großer Charakter nie; groß und rein wie seine Kunst war auch sein Geist, seine Seele. War als Jüngling sein Kunstschaffen mehr auf äußeren Erfolg gerichtet, so vertiefte sich dasselbe mehr und mehr. Immer gewann er an künstlerischer Charakterwürde, und die Größe seiner Schöpfungen entsprach seinem eigenen Innern. Seiner äußeren Erscheinung selbst war eine imponirende Würde und Mannhaftigkeit aufgeprägt. Die große, etwas volle Gestalt zeigte eine vornehme Haltung, und die meist ernste, fast finstere Miene milderte ein leise durchblickender Zug von Freundlichkeit. Lächelte er, so war es, wie wenn die Sonne durch Wolken bricht, sagt Burney. Geistesgröße und Genie sprachen aus seinem Antlitz. Im geselligen Verkehr liebte und bethätigte er, der mit den bedeutendsten Männern Umgang pflog und sich für alle großen Ideen und Ereignisse seiner Zeit interessirte, Humor und Laune; so leidenschaftlich er bei seinem cholerischen Temperament auch zu Zeiten aufbrausen konnte und so rauh und rücksichtslos er zumal jedes unkünstlerische Ansinnen von sich wies. Denn in der Kunst, in seinem Berufe ging sein Leben auf. Ein heroischer Charakter, zum Herrscher geboren, war er als solcher verehrt und gefürchtet. Man zitterte und bebte in den öffentlichen Proben und Aufführungen vor dem tyrannischen Mann, der jeden Fehler, jede Versäumniß mit unerbittlicher Strenge rügte. Pflegte er doch selbst seinem Unmuth freien Lauf zu lassen, wenn bei den Oratorien-Proben in Carlton-House die fürstlichen Besitzer, Prinz und Prinzessin von Wales, auf sich warten ließen. Wagten es gar die Hofdamen, während der Musik zu plaudern, so rief er sie scheltend beim Namen, bis die Prinzessin von Wales mit gewohnter Milde und Sanftmuth begütigend sagte: »Still, Händel ist böse!«

Dabei schlug ihm das Herz warm und innig in der Brust. Dem Vortheil Armer machte er sein Können gern und häufig dienstbar. Zum Besten eines Vereins für arme Musiker, dessen Mitbegründer er war, sowie des Findlings-Hospitals veranstaltete er alljährlich, selbst zu einer Zeit, wo er selber in Bedrängniß war, Concerte, wie er ersteren auch in seinem Testament bedachte. An den Seinen hing er mit treuer Liebe. Die uns erhaltenen Briefe, die er seinem Schwager Michaelsen schrieb, sind dessen Zeuge. Nach dem Tod seiner letzten Schwester setzte er deren Tochter und einziges Kind Friederike, die er aus der Taufe gehoben hatte und der er väterlich zugethan war, zur Haupterbin seines beträchtlichen Vermögens ein. Und wie seine kindliche Fürsorge den Lebensabend seiner Mutter schmückte, das rühmte ihm noch an deren Grabe (1731) der Mund des Predigers inberedten Worten nach. Wie er um ihretwillen wiederholt den Weg nach der Heimat machte, so reiste er, um den letzten Segen der Erblindeten, Hochbetagten zu empfangen, auch im Juni 1729 nach Halle. Ein Versuch Bach's, bei dieser Gelegenheit eine Begegnung mit seinem großen, von ihm aufrichtig bewunderten Kunstgefährten herbeizuführen, schlug leider gleich einem früheren fehl. Sie sollten einander niemals im Leben die Hand reichen. Und doch sagte Bach von ihm: »Das ist der Einzige, den ich sehen möchte, ehe ich sterbe, und der ich sein möchte, wenn ich nicht der Bach wäre.«

Auch mit dieser Reise wiederum verband Händel, wie schon zehn Jahre zuvor, einen künstlerischen Zweck. Wie damals galt es ihm die Anwerbung von Sangeskräften für die neu zu begründende Academie. Statt nach Deutschland, wie jenes erste Mal, aber wandte er sich jetzt direct an die Quelle, an das Vaterland der Gesangskunst: er ging in Begleitung seines alten Freundes Steffani, der sich als 74jähriger Sänger noch in Ottoboni's Academie hören ließ, nach Italien. Eine reiche Ausbeute an Partituren, Operndichtungen und Sängern brachte er mit nach England heim; unter Letzteren Bernacchi und die Strada – welche sich nach Eröffnung des Theaters unter seiner Führerschaft zur vollen Größe entfaltete und ihm dies durch treueste Anhänglichkeit lohnte – als erste Sterne. Aber Bernacchi gefiel nicht; er mußte ihn bald durch den früheren anspruchsvollen Sopranisten Senesino ersetzen. Selbst gegenüber seinen eigenen Opern: »Lotario« (1729), »Partenope« (1730), »Poro« (1731), »Ezio«, »Sosarme« (1732) und »Orlando« (1733), die er abwechselnd mit den Werken Anderer zur Darstellung brachte, zeigte sich das Publicum immer spröder und wetterwendischer. Dabei erwies sich die Gunst des äußerst unbeliebten, mit sich selber in Unfrieden lebenden Königshauses als ein sehr zweifelhafter Vortheil für den Dirigenten. Immer entschiedener spielte man die politische Opposition auf das Gebiet der Kunst hinüber. Man benutzte die Rachsucht des von Händel in Folge maßloser Ansprüche weggejagten Senesino, wie die Charakterlosigkeit seiner Collegen, und eines Tages überraschte man London durch Errichtung einer neuen italienischen Oper, mit den oppositionellen Baronen und dem Prinzen von Wales an der Spitze, der offen gegen seine Eltern und Geschwister Partei ergriff. Da mit Ausnahme der Strada sämmtliche Sänger dem deutschen Maestro fahnenflüchtig wurden, ging nach nur vierjährigem Bestehen die Academie wiederum auseinander.

Wollte Händel, wogegen sein Künstlerstolz sich auflehnte, nun nicht die Waffen strecken, so blieb ihm nichts übrig, als mit Heidegger, der inzwischen das Haymarket-Theater käuflich an sich gebracht hatte und ihm contraktlich noch des Weiteren verpflichtet war, die Oper auf eigenes Wagniß hin weiter zu führen. Er gewann sich in Italien neue Sänger und eröffnete mit Carestini, dem ersten Sopranisten seiner Zeit, und seiner getreuen Strada im Bunde, im October 1733 in Gegenwart des Hofes den Wettkampf. Um Sein oder Nichtsein handelte es sich für ihn wie für die Oper des feindlichen Adels, die unter Anführung Porpora's und Hasse's, mit Farinelli als singendem Hauptmagnet in Lincoln's-Inn-Fields ihre Wohnung aufgeschlagen hatte. Wo sich bisher nur eine Gesellschaft mit Mühe behauptet, vermochten zwei nicht auf die Dauer zu bestehen. Mit der glänzenden Streitmacht seiner Opern: »Ariadne«, »Oreste« (1734) »Ariodante«, »Alcina« (1735) »Atalanta« (1736), »Giustino«, »Arminio« und »Berenice« (1737) nebst dem Tanzspiel »Terpsichore«, die Händel eine nach der andern in's Feld führte, konnten die Andern freilich nicht rivalisiren. Dafür sang sich ihr Farinelli mit Allgewalt in die Gunst des Publicums ein. Dem Componisten, selbst einem Händel, stellte sich in jener Zeit der Sängerherrschaft auf der Bühne der Gesangsvirtuos als feindliche Macht gegenüber. Als aber der blos sinnliche Reiz, den Farinelli's Gesang ausübte, endlich an der Uebersättigung der Zuhörer seine natürliche Grenze und damit zugleich auch die Gegenoper, von der sich der Prinz von Wales bereits abgewandt hatte, ihr Ende fand, stand auch Händel am Ende seines Vermögens. Mit Aufbietung aller seiner Thatkraft hatte er nach der 1734 erfolgten Trennung von Heidegger die Oper auf Rich's neuerbautem Coventgarden-Theater weitergeführt. Doch der Kämpfe und Sorgen, der Mühen und Anstrengungen waren zu viele gewesen selbst für seine riesige Natur. Ein Schlaganfall traf ihn inmitten seiner Thätigkeit und beraubte ihn, den nie Rastenden, des Gebrauchs seines rechten Armes. Mit der Zerrüttung seiner Körperkräfte fiel noch die seines Geistes zusammen, und zu alledem kam die gänzliche Vernichtung seines Wohlstandes, der Frucht langer, emsiger Arbeit – er sah sich verarmt und außer Stande, den Verpflichtungen gegen seine Sänger nachzukommen. Aber wie trotz seiner persönlichen Niederlage doch seine Sache gesiegt hatte, so bewährte sich auch die ganze Stärke seiner Heldennatur. Die Aachener Bäder, die er im Sommer 1737 in seiner stürmisch energischen Weise gebrauchte, wirkten Wunder; sie gaben ihm binnen Kurzem die verlorene Gesundheit des Geistes und Körpers zurück. Wenige Stunden nach seinem letzten Bade wallfahrte er in die Kirche, um mit der nun wieder völlig genesenen Hand Gott auf der Orgel sein Dankopfer darzubringen. War es so unbegreiflich, wenn die Nonnen, die solches Orgelspiel nie zuvor vernommen, seine Heilung für ein Mirakel erklärten?

 Top