Von Schuberts Kirchenkompositionen, aus denen seine sieben Messen und das Stabat mater hervorragen, hat die Musikwelt erst seit etwa vier oder fünf Jahrzehnten Kenntnis genommen. Unter seinen vier Jugend-Messen, welche die echt Schubertsche Neigung zum Liedton miteinander gemein haben, wird die reifste in G mit ihrer knappen Form noch heute mannigfach im katholischen Gottesdienst benutzt. Die späteren Messen in As und Es zählen, wenn sie auch nicht in allen ihren Einzelteilen zu gleichmäßiger Vollendung gediehen, ebenso wie das gefühlsinnige Stabat, auf das Dr. Georg Gühler neuerdings die Aufmerksamkeit gelenkt hat, zu den vornehmsten Erzeugnissen der Gattung und den eigenartigsten und tiefsten Hervorbringungen ihres Schöpfers. In mancher ihrer Eingebungen weisen sie auf Beethoven hin, dem Schuberts spätere Arbeiten für Kammermusik, bei all ihrem romantischen Wesen, noch ersichtlicher zuneigen.

Unter diesen haben sich vorzugsweise das als oeuvre posthume erschienene tiefpoetische D-moll-Quartett (über »Der Tod und das Mädchen«), das nicht minder bewundernswerte Streichquintett und die Trios in B- und Es-dur op. 99 und 100 verbreitet. Sie sichern dem großen Liedersänger auch auf diesem Gebiet Unsterblichkeit. Die beiden Trios stellte Schumann dem B-dur-Trio Beethovens zur Seite. Sie, wie die C-dur-Symphonie, Schuberts größte instrumentale Schöpfung, deren »himmlische Länge« Schumann begeisterte, ob sie ihr auch kaum als Tugend nachzurühmen ist, künden die blühende Originalität seines Genius. Wie in seinen Liedern die Menschenstimme, singen und klingen die Instrumente. »Er beflügelt die Phantasie, wie außer Beethoven kein anderer Komponist,« meint Schumann. »Er war der Ausgezeichnetste nach Beethoven, der, Todfeind aller Philisterei, Musik im höchsten Sinne des Wortes ausübte.«

Die Früchte seines Schaffens zu ernten war Schubert jedoch nicht beschieden. Als er starb, hatten nur etwa hundert Lieder und einige Klavier- und Kammerkompositionen den Weg in die Öffentlichkeit gefunden. Seine acht Symphonien, seine Quintette und Quartette, seine Messen, seine Opern und Chorgesänge, seine zwei- und vierhändigen Sonaten, Phantasien usw. – wer kannte sie? Ein einziges Mal nur in seinem Leben trat er, dem Drängen seiner Freunde nachgebend, als Konzertgeber vor das Publikum und führte am 26. März 1828 den Wienern einige seiner Werke vor. Das glänzende Ergebnis forderte zu einer Wiederholung auf, aber sie kam erst nach seinem Hinscheiden zustande und lieferte die Mittel, ihm einen Grabstein zu setzen. So blieb das erste Konzert zugleich das letzte und einzige in seinem Leben; denn auch eine beabsichtigte Konzertreise nach Pest, zu der Lachner und Schindler ihn dringend einluden, mußte, ebenso wie der Besuch bei einer befreundeten Familie in Graz, bei der er schon im Herbst 1827 einige frohe Wochen verlebt hatte, teils aus Mangel an den nötigen Mitteln, teils um seiner angegriffenen Gesundheit willen, aufgegeben werden.

Selbst die Hoffnung, seine große C-dur-Symphonie aufgeführt zu hören, blieb unerfüllt. Zum Dank für eine ihm verliehene Gratifikation von 100 fl. hatte Schubert dieselbe dem Wiener Musikverein übergeben. Das bereits begonnene Studium derselben wurde jedoch »zu großer Schwierigkeiten halber« wieder eingestellt und seine sechste Symphonie dafür in Angriff genommen; aber selbst die Aufführung dieser erfolgte erst nachdem er von hinnen gegangen war.

Zehn Jahre später kam Robert Schumann nach Wien und in das Haus Ferdinand Schuberts, des Bruders von Franz. Dort fand er unter der Hinterlassenschaft seines Lieblings dessen noch nicht laut gewordene letzte Symphonie, »die zehnte Muse nach den neun von Beethoven geborenen«. Voll Eifers, die Welt mit ihr bekannt zu machen, schickte er sie an Mendelssohn. Im März 1839 erwarb sich dieser durch ihre Vorführung im Gewandhaus den begeisterten Dank der Musikfreunde Leipzigs, die sie seitdem unter die beliebtesten der alljährlich wiederkehrenden Repertoirestücke zählen.

Im Hochsommer 1828 verschlimmerte sich das Kopfleiden, das Schubert in den letzten Jahren öfters heimzusuchen pflegte, in hohem Grade. Zwar besserte sich seine Gesundheit wieder so weit, daß er anfangs Oktober in Gesellschaft seines Bruders Ferdinand und zweier Freunde einen mehrtägigen Ausflug nach Ungarn unternahm, sich auch während desselben voll heiterster Stimmung zeigte; nach Wien zurückgekehrt aber nahm sein Leiden wieder zu. Blutwallungen und Schwindel stellten sich immer heftiger ein und Arzneien waren beinahe das Einzige, was er noch zu sich nahm. Im Freien nur glaubte er Linderung seines Zustandes zu finden und suchte sich daher so viel als möglich Bewegung zu schaffen. So ging er am 3. November nach Hernals, wo ein Requiem Ferdinands aufgeführt wurde. Es war die letzte Musik, die er hörte. Bei der Rückkehr klagte er über große Ermüdung, doch an eine ernste Krankheit dachte er nicht. Tags darauf noch besprach er sich mit einem ihm bekannten Musiker über vorzunehmende Studien bei Sechter im Fugensatz; so waren seine Gedanken noch immer seiner Kunst geweiht. Auch als ihn vom 11. November an zunehmende Schwäche ans Lager gebannt hielt, korrigierte er während der ersten Tage noch die Druckbogen seiner »Winterreise«, und mit Lachner und Bauernfeld, die ihn besuchten, unterhielt er sich stundenlang über Ideen, die ihn beschäftigten, namentlich über die Oper, die er auf einen Text des letzteren (»Der Graf von Gleichen«) bereits entworfen hatte und mit »völlig neuen Harmonien und Rhythmen« ausstatten wollte. Dem Gespräch der ihn täglich aufsuchenden Freunde gab er sich voll Teilnahme hin. Frei von eigentlichem Schmerz, klagte er nur über Ermattung und Schlaflosigkeit, Am 16. erregte der Zustand des Kranken das Bedenken der Ärzte, ohne daß sie die Hoffnung auf Genesung aufgaben: ein Nervenfieber war ausgebrochen. Fortan aber umdunkelten Phantasien fast ohne Unterlaß seinen Geist. Am Abend des 18. November rief er seinen Bruder an sein Bett und fragte ihn mit leiser Stimme: »Du, was geschieht denn mit mir?« Als jedoch jener, gemeinsam mit dem Arzte, die aufsteigende Todesahnung in ihm zu beschwichtigen suchte, sagte er langsam und ernst: »Hier ist mein Ende!« Am Nachmittag des 19. November, nach Empfang der heiligen Sterbesakramente, ward es still in ihm – er lauschte nun himmlischen Harmonien.

Arm, wie er auf die Welt gekommen war, verließ er sie. Sein gesamter Besitz an Kleidern, Wäsche, Betten, »alten Musikalien« wurde auf 63 fl. gerichtlich eingeschätzt. Unter den auf 10 fl. taxierten »alten Musikalien« waren die kostbaren Manuskripte all der ungezählten noch unveröffentlichten Werke Schuberts inbegriffen. Seinem Vater blieben »an bestrittenen Krankheits- und Leichenkosten 269 fl. 19 Kr. C. M. zu fordern«.

Reich kränzte man die Bahre, die ihn trug, des wahre Größe man erst erkannte, da er nicht mehr unter den Lebenden weilte. Eine große Zahl Teilnehmender folgte seinem Sarge, als man ihn nach feierlicher Einsegnung am Nachmittag des 21. November 1828 nach dem Währinger Friedhof geleitete. Ein inmitten seiner Fieberträume ausgesprochener Wunsch des Verklärten fand pietätvolle Erfüllung: in nächster Nähe Beethovens, seines großen Vorbildes, grub man ihm sein stilles Grab. Und nun begann seiner Vaterstadt die Erkenntnis dessen aufzugehen, was sie in ihm besessen hatte. In der Augustiner-Hofkirche wie zu St. Ulrich wurde zu seinem Gedächtnis ein Requiem aufgeführt, und wenig später veranstaltete man zwei Konzerte, deren Programm aus seinen Kompositionen zusammengestellt war. Der Ertrag derselben ward zur Errichtung eines Denksteins an seinem Grabe bestimmt. Seit 1829 schmückte er dasselbe. Er trug die Büste des Meisters, um, gleich dem 1872 im Wiener Stadtpark errichteten Denkmal, sein Bild der Nachwelt zu überliefern. Es ist nicht schön, dieses Bild, auch an seinen Zügen und an seiner Gestalt hatte das Schicksal seinen Segen gespart. Unter der Büste las man außer dem Datum seines Geburts- und Sterbetages Grillparzers Worte: »Der Tod begrub hier einen reichen Besitz, aber noch schönere Hoffnungen.«

So hatten die irdischen Reste Franz Schuberts 60 Jahre im Währinger Friedhof geruht, als man sie wegen Aufhebung dieses letzteren am 22. September 1888 der Erde entnahm, um sie ihr tags darauf mit fast königlichen Ehren in der imposanten Totenstadt des neuen Wiener Zentralfriedhofs wiederzugeben. In der Reihe der Ehrengräber, die die Stadt Wien für ihre ruhmreichsten Söhne bereit hält, unter der Hut eines Denkmals, das ihm der Wiener Männergesangverein gestiftet, schlummert nun der größte deutsche Liedersänger, wiederum in Beethovens Nachbarschaft, der Ewigkeit entgegen.

Grillparzers Grabschrift ist Schubert an seine neue Ruhestätte nicht nachgefolgt. Sie dünkte dem heutigen in Vollbesitz seines reichen Erbes getretenen Geschlecht mit Recht nicht mehr am Platze. Darum wollen wir, in Umdeutung der Worte des Dichters, voll Dank gegen den Genius, lieber sagen: »Uns starben in ihm schöne Hoffnungen, aber uns lebt in ihm ein unsterblicher Besitz!«

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