Ist von den im Jahre 1817 geschaffenen Werken außer fünf Klaviersonaten vorzugsweise der Lieder »Der Tod und das Mädchen«, »Memnon«, »Ganymed«, »An die Musik«, »Die Forelle«, »Gruppe aus dem Tartarus« noch nachträglich zu gedenken, so weisen die künstlerischen Ergebnisse von 1818, außer den zuvor erwähnten, als Bekanntestes auf: mehrere geistliche Lieder, drei Sonette von Petrarca für Gesang, die ersten Walzer op. 9 (mit dem bekannten Trauer- oder Sehnsuchtswalzer, der lange Zeit irrtümlich Beethoven zugeschrieben wurde), und die vierhändigen Variationen op. 10 für Klavier. Der Instrumental- und zumal der Klavierkomponist Schubert ist im Vergleich zum Liederkomponisten seit je in der allgemeinen Schätzung zu kurz gekommen. Nichtsdestoweniger blieb er auch als solcher seinem Charakter als Lyriker treu. Mit Gesang und üppiger Klangschöne erfüllte er auch jene größeren Formen, wenn es ihm auch nicht wie einem Beethoven gegeben war, sich in die abgrundreichen Tiefen der Menschenbrust zu versenken und in titanischem Ringen Stürme heraufzubeschwören und zu stillen. Selbständige Wege ging er auch da. Gleich allen Nachkommenden wuchs er empor an der Riesengröße des Einen, aus dessen Hand sozusagen er die von ihm zu lösende künstlerische Aufgabe empfing. Aber als ein Eigener steht er ihm gegenüber, als einer der Hauptvertreter der romantischen Richtung, für die Beethoven, der Vollender der Klassizität, zugleich Fundament und Ausgangspunkt war. Es ist wahr, wo Schubert nach größeren musikalischen Formen greift, tritt die organisierende, die thematisch entwickelnde Kraft zurück hinter der erfinderischen. Der überquellenden Phantasie will sich die Selbstzucht nicht gesellen, die jene in engere Schranken weist, endlose Wiederholungen meidet und Geringwertiges von Bedeutendem scheidet. Der Reichtum wird ihm zum Fehler, vor dem ihn Armut bewahren würde. Wie viele aber dürfen ihm diesen Überreichtum beneiden!

»Unsere Pianisten ahnen kaum, welch herrlicher Schatz in den Klavierkompositionen Schuberts zu heben«, schrieb Liszt schon vor nahezu 50 Jahren. In Wahrheit, hätte nicht er selber, der sich schon durch seine unvergleichlichen Transkriptionen Schubertscher Lieder um Popularisierung des Wiener Meisters größere Verdienste als irgendeiner erwarb, den großen »Wanderer-Dithyrambus« op. 15, die Märsche, die Walzer unter dem Titel »Soirées de Vienne« und anderes durch seine glänzenden Bearbeitungen konzertfähig gemacht, man würde uns höchstens noch dann und wann einen der »Moments musicals«, oder eins der »Impromtus« zu hören geben, in denen wir die Keime zu Mendelssohns Lied ohne Worte und zu Schumanns Charakterstück erkennen. Aber die Sonaten – namentlich die A-moll, die D-durund die drei letzten – wo bleiben sie? wo die G-dur-Phantasie, die d'Albert vorübergehend auf seine Programme setzte und die Liszt eine Virgilsche Dichtung nennt? »O rastlos quellender, liebevoller Genius!« ruft er Schubert einmal an,[1] »o mein trauter Heros des Jugendhimmels! Wohlklang, Frische, Kraft, Anmut, Träumerei, Leidenschaft, Besänftigung, Tränen und Flammen entströmen Dir aus Herzenstiefen und -höhen, und fast lässest Du die Größe Deiner Meisterschaft vergessen ob dem Zauber Deines Gemüts!«

Im Jahre 1819 endlich ward dem unermüdlich Schaffenden die Freude zuteil, eins seiner Lieder – »Schäfers Klagelied«, durch den Opernsänger Jäger in den Konzertsaal dringen und reichen Beifall ernten zu sehen. Ferner empfing er durch Vogls Vermittlung von der Direktion der kaiserlichen Oper den Auftrag, ein aus dem Französischen übertragenes Singspiel »Die Zwillingsbrüder« in Musik zu setzen. Aber obgleich die Aufführung im Juni 1820 eine befriedigende war und besonders Vogl sein Möglichstes tat, die durch ihn vertretene Hauptrolle zur Geltung zu bringen; obgleich die Musik selbst so ansprach, daß man am Schluß den Komponisten zu sehen verlangte, erlebte sie doch nur sechs Vorstellungen. Auch als man sie in einer neuen Bearbeitung von Fuchs 1882 an ihrer Geburtsstätte wieder aufnahm, war ihr keine erfreulichere Laufbahn beschieden.

Nicht besser erging es dem Melodrama »Die Zauberharfe«, das im August 1820 auf dem Theater an der Wien zur Aufführung gelangte. Die Kritik erwies sich, bei Anerkennung des sich darin kundgebenden Talentes, gegen die »grellen Harmoniefolgen und das fortwährende Modulieren, das zu keiner Ruhe kommen lasse,« empfindlich. Schubert selbst zählte diese Arbeit zu seinen gelungenen. Bekanntlich wird eine Nummer derselben, unter dem irrtümlichen Namen der Rosamunden-Ouvertüre (op. 26), noch heute öfters gehört.

Neben einer dritten dramatischen Komposition: der unvollendet gebliebenen Oper »Sakontala«, und verschiedenen kleineren Werken – den Antiphonen zur Palmenweihe, dem 23. Psalm für vier Frauenstimmen (für die Schwestern Fröhlich), dem »Gesang der Geister über den Wassern«, der C-dur-Phantasie (über den Wandrer, op. 15) und einer Anzahl Lieder – entstammt diesem Jahr noch eine andere umfangreiche Schöpfung: das Oratorium »Lazarus, oder die Feier der Auferstehung.« Es blieb Fragment. Von den drei »Handlungen«, die es umfassen sollte, blieb die dritte ungeschrieben, die zweite unvollendet. Schuberts flüssige Melodik und dramatische Empfindung fehlen auch diesem Werke nicht; doch hat die Monotonie der zugrunde gelegten Niemeyerschen Dichtung stark auf die musikalische Behandlung abgefärbt. Die endlosen ariosen Rezitative, die instrumentale Dürftigkeit, der Mangel an Gegensätzen in Arien und Chören, an rhythmischer und harmonischer Mannigfaltigkeit, wie er aus dem konsequenten Festhalten derselben sentimentalen Stimmung resultiert, lassen die vereinzelten Schönheiten nicht zur Geltung kommen und berauben den »Lazarus« – wie wiederholte Aufführungen in Wien ergaben, von deren einer d. Verf. Zeuge war – einer lebendigen Wirkung.

Einigermaßen günstiger gestalteten sich Schuberts Verhältnisse endlich, als ihm das Jahr 1821 zwei um das Musikleben Wiens verdiente Kunstfreunde: Dr. v. Sonnleithner Vater und Sohn, zuführte. Emsig um seinen Ruhm bemüht, brachten sie nicht allein bei den in ihrem Hause regelmäßig stattfindenden musikalischen Aufführungen des öfteren seine Werke zu Gehör, sie veranstalteten auch, nachdem verschiedene Versuche, einen Verleger zu gewinnen, gescheitert waren, eine Herausgabe des »Erlkönigs« auf eigene Kosten. Durch Subskription wurde sodann das Erscheinen elf anderer Werke ermöglicht, die Diabelli in Kommission gegeben wurden.

Im März 1821 erschien der »Erlkönig« als op. 1 im Druck. Wenige Wochen vorher, im Januar, war er von Gymnich, einem bewährten Dilettanten, zum erstenmal in einem öffentlichen Konzert gesungen wurden. Am 7. März brachte ihn dann Vogl in einer im Kärntnertor-Theater stattfindenden Akademie mit so hinreißendem Feuer zum Vortrag, daß er auf stürmisches Verlangen wiederholt werden mußte. Von zwei mehrstimmigen Gesängen Schuberts, die noch auf dem Programm standen, gefiel nur »Das Dörfchen«, während der herrliche »Chor der Geister über den Wassern« zu des Autors nicht geringem Verdruß ohne Eindruck auf die Zuhörer blieb. Alsbald fand der »Erlkönig« reißenden Absatz und »warf Schubert« – so berichtet wiederum Spaun – »einen nicht unerheblichen Gewinn ab, als erste Frucht seines Talents. Nun war die Bahn gebrochen und die Verleger übernahmen nach und nach seine Kompositionen; allein der bescheidene Schubert, der in Geldangelegenheiten ein wahres Kind war, war mit allem zufrieden, was sie ihm gaben, und so konnte er sich noch immer nicht auch nur das Unentbehrlichste erwerben.« Auch anderen Werken des mit einem Male berühmt gewordenen jungen Tonsetzers öffnete sich nun der Konzertsaal. Ein trefflicher Begleiter seiner Lieder, gab er selbst dem größeren Publikum zuweilen Gelegenheit, ihn zu hören; denn wenn auch kein Virtuos im modernen Sinn, war er doch auch am Klavier, zumal bei Vermittlung des Selbstgeschaffenen, ein vielbewunderter Künstler. So hat namentlich der Vortrag seiner Sonaten ihn allen, die ihn vernommen, unvergeßlich gemacht. Man rühmt in gleichem Maße die Vollendung der Technik wie des Ausdrucks bei Wiedergabe derselben, die nicht eben geringe Kräfte beanspruchen. Nur von der Wanderer-Phantasie wird erzählt, er sei, als er sie einmal im Freundeskreis spielte, im letzten Satz stecken geblieben und mit den Worten aufgesprungen: »Das Zeug soll der Teufel spielen!«

Wie begreiflich lenkte der zunehmende Ruhm des Künstlers die Aufmerksamkeit der Wiener mehr und mehr auch auf seine Person. Die verschiedensten Kreise taten sich ihm auf; doch zog sein einfacher ungebundener Sinn dem Glanze der großen Welt den Verkehr in der schlichten Sphäre vor, der er selbst durch Geburt und Erziehung angehörte. »Als« – so erzählt Kreißle – »in dem Hause der Fürstin Kinsky vor einer Gesellschaft mehrere seiner Lieder gesungen worden waren, ohne daß sich jemand um ihn bekümmert hatte, und die Hausfrau endlich selbst zu ihm hintrat, um ihm einige schöne Worte zu sagen und gleichsam das Benehmen der Gäste zu entschuldigen, antwortete er der Fürstin, sie möge sich nicht bemühen, er sei das schon gewohnt und fühle sich so weniger geniert.« Unter den Freunden dagegen gab er sich treuherzig und offen, heiter und gesprächig, und auch an Witz fehlte es ihm nicht, wenngleich er den Ausdruck lauter Fröhlichkeit nicht kannte. »Er war zart und tieffühlend,« sagt Spaun; »nur liebte er es, seine Gefühle nicht bloßzulegen, sondern in seinem Innern zu verschließen.« »Die ihn näher kannten, wissen, wie tief ihn seine Schöpfungen ergriffen und wie er sie in Schmerzen geboren. Wer ihn nur einmal gesehen hat, während er komponierte, glühend und mit leuchtenden Augen, ja selbst mit anderer Sprache, einer Somnambule ähnlich, wird den Eindruck nie vergessen.«

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Anmerkungen:

  1. »Liszts Briefe«, herausgeg. von La Mara. Bd. II. Nr. 78. Leipzig, Breitkopf & Härtel. 1893.
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