Schuberts gestaltende Tätigkeit umfaßt im Jahre 1821 als Wesentlichstes: die Skizze einer Symphonie in E-dur (die Mendelssohn ursprünglich auszuführen beabsichtigte), eine Reihe von Liedern, sowie den grüßten Teil der in erstaunlicher Fülle entworfenen Tänze, die er bei Gelegenheit zu improvisieren und, dafern sie ihm dessen wert erschienen, aufzuschreiben pflegte. Endlich fällt in die Herbstmonate dieses Jahres auch der Beginn der Oper »Alfonso und Estrella«, deren leider recht fades Textbuch Franz von Schober verfaßte. Wort- und Tondichtung entstand während eines mehrmonatlichen Aufenthaltes beider Freunde bei Schobers Onkel, dem Bischof von Dankesreithner, auf dessen Schloß Ochsenburg und in St. Pölten. In die Stadt zurückkehrend, brachte Schubert zwei Akte fertig mit, im Februar 1822 ward dann der dritte und letzte beendet. Doch vergebens waren alle Bemühungen, die Oper in Wien oder andernorts zur Aufführung zu bringen. »Die Freunde und Genossen« – erklärt Bauernfeld –, »in deren Mitte Schubert am liebsten weilte, waren wenig in der Lage, ihm tatkräftig unter die Arme zu greifen; in höhere Kreise sich zu drängen und Gönner zu suchen, die ihn emporzuheben vermochten, dazu fehlte ihm Neigung und Geschick. Kein Wunder also, daß er es weder zu einer Anstellung brachte, noch irgend eine seiner Opern zur Aufführung gelangte.« Genug, die zu jener Zeit fast ausschließlich von Rossini beherrschten Bühnen blieben seinem Werke unzugänglich. Die Hoffnung, dasselbe in Berlin mit Hilfe von Anna Milder-Hauptmann, der gefeierten, dem Komponisten von Wien her befreundeten Sängerin, aufs Repertoire gebracht zu sehen, scheiterte ebenso wie ein Versuch Carl Maria von Webers in Dresden. In Wien aber zeigte man sich wohl zu verschiedenen Malen nicht abgeneigt, tat jedoch in Wahrheit nichts, um die Sache zu fördern. Erst den Bestrebungen Franz Liszts gelang es nach drei Jahrzehnten, »Alfonso und Estrella« im Juni 1854 auf die Weimarer Bühne zu bringen. Nur blieb es bei einer einmaligen Aufführung. Die Oper ruhte weitere dreißig Jahre, bis man sie 1881 und 1882 in einer zeitgemäßen Bearbeitung des Wiener Hofopernkapellmeisters J. R. Fuchs in Karlsruhe, Kassel, Wien, Berlin, Köln, München, Hannover aufs neue lebendig werden ließ. Der musikalische Erfolg blieb bei diesem verspäteten Akt der Pietät nirgend aus, der dramatische hingegen allenthalben. Für die Bühne eignete sich nun einmal die Tonsprache des großen Lyrikers nicht, so dramatisch sie im engen Rahmen des Liedes erscheint. »Schubert«, sagt Liszt in seinem geistvollen Aufsatz über »Alfonso und Estrella« (Ges. Schriften, Bd. III. Leipzig, Breittopf & Härtel. 1881.), »erfüllte die wichtige Mission, der lyrischen Komposition eine ungeahnte künstlerische Bedeutung zu geben und sie den höchsten Kunstgattungen gleichberechtigt an die Seite zu stellen. Während er aber die Formverhältnisse der Lyrik erweiterte, gingen die der Szene über seine Kräfte – vielleicht, daß sie ihn zerdrückt haben würden, wenn er sich ihnen gewidmet hätte. In ein zu breites Bett geleitet, verlor der reiche, mächtige Strom seiner Melodien an Tiefe. Das Theater hatte für seinen Blick einen zu ausgedehnten Raum, und für seine plötzliche unmittelbare Inspiration war das Gewebe, welches die Bühne erfordert, zu kompliziert. Schuberts Bestimmung war, indirekt der dramatischen Muse einen immensen Dienst zu erweisen. Dadurch daß er in noch höher potenzierter Weise als Gluck es getan, die harmonische Deklamation anwandte und ausprägte, sie zu einer bisher im Liede nicht für möglich gehaltenen Energie und Kraft gesteigert und Meisterwerke der Poesie mit ihrem Ausdruck verherrlicht hat, übte er auf den Opernstil einen vielleicht größeren Einfluß aus, als man es sich bis jetzt klar gemacht hat. Auf diese Weise verbreitete und popularisierte er die Deklamation, machte ihr Eingang und Verständnis leicht, und indem er uns die Verbindung edler Dichtung mit gediegener Musik schätzen lehrte und letztere mit den pathetischen Akzenten durchdrang, naturalisierte er gleichsam den poetischen Gedanken im Gebiete der Musik und verschwisterte ihn mit derselben wie Seele und Körper.«

Besonderes Interesse verleiht der in Rede stehenden Oper noch der Umstand, daß sie die Veranlassung zu einer unerquicklichen Begegnung zwischen Schubert und Carl Maria von Weber ward. Als letzterer nämlich zur Aufführung seiner »Euryanthe« 1823 nach Wien gekommen war, wohnte auch Schubert derselben bei. Ein absprechendes Urteil, das er darüber gefällt hatte, kam dem Komponisten zu Ohren und veranlaßte diesen zu der Äußerung: »Der Laffe soll früher etwas lernen, bevor er mich beurteilt!« Schubert nahm hierauf seine Partitur zu »Alfonso und Estrella« unter den Arm und begab sich mit ihr zu Weber. Dieser ging sie durch und nachdem er noch einmal auf Schuberts Urteil über seine Oper die Rede gelenkt, sagte er in gereizter Stimmung, in der Meinung ein Erstlingswerk vor sich zu haben: »Ich aber sage Ihnen, daß man die ersten Hunde und die ersten Opern ertränkt.« Dessenungeachtet trennten sich die beiden Künstler nicht als Feinde, und Weber selbst hat durch seine spätere Teilnahme an eben dieser Oper das ihr angetane Unrecht wieder zu sühnen gesucht.

Im übrigen war es Franz Schubert leider nicht vergönnt, zu seinen großen zeitgenössischen Kunstgefährten in nähere Beziehung zu treten. Selbst Beethoven, der doch dreißig Jahre dieselbe Luft mit ihm atmete, ging teilnahmlos an seinem nächsten Erben vorüber. Eine schüchterne Huldigung des jungen Künstlers, die Dedikation der vierhändigen Variationen op. 10 (1822), blieb unbeachtet. Allerdings widersprechen sich die Berichte hierüber seltsam. Schindler erzählt in seiner Beethoven-Biographie, Schubert habe bei persönlicher Überreichung seines Werkes mut- und fassungslos vor Beethovens Künstlermajestät gestanden, zumal als dieser ihn mit sanften Worten auf eine harmonische Unrichtigkeit aufmerksam machte. »Erst außer dem Hause raffte er sich wieder zusammen und schalt sich selber derbe aus. Er hatte niemals wieder den Mut sich ihm vorzustellen.« Dagegen gab Josef Hüttenbrenner an, Schubert habe Beethoven bei seinem Besuch nicht angetroffen, ihn demnach weder gesehen noch gesprochen. Sein Bruder Anselm Hüttenbrenner, der näher als ein anderer der Freunde Schuberts mit Beethoven verkehrte und diesem bekanntlich die Augen zudrückte, wollte sogar wissen, daß Schubert zu Beethoven ungehindert Zutritt hatte. Unser Gewährsmann Spann aber bezeugt: »Schindlers Erzählung über den Besuch Schuberts bei Beethoven ist vollkommen unrichtig. Schubert klagte oft und namentlich bei dem Tode Beethovens, wie leid es ihm tue, daß dieser so unzugänglich gewesen«, daß es ihm nie möglich war, »sich ihm zu nähern«. Erst auf seinem letzten Krankenlager, im Februar 1827 lernte Beethoven eine Anzahl Schubertscher Lieder kennen. »Mehrere Tage hindurch«, so schreibt Schindler, »konnte er sich gar nicht davon trennen und stundenlang verweilte er täglich bei »Iphigenie«, »Grenzen der Menschheit«, »Allmacht«, »junge Nonne«, »Viola«, den »Müllerliedern« und anderen mehr. Mit freudiger Begeisterung rief er wiederholt aus: ›Wahrlich, in dem Schubert wohnt der göttliche Funke!‹« In höchste Verwunderung versetzte es ihn, als Schindler ihm sagte, daß mehr denn fünfhundert solcher Lieder bereits geschrieben seien, und er erschöpfte sich im Lob der originellen Bearbeitung und des dramatisch Wirkungsvollen vieler derselben. Auch seine Opern und Klavierwerke verlangte er nun zu sehen, doch nahm seine Krankheit bereits dermaßen zu, daß es nicht mehr dazu kam. Er sprach noch viel von Schubert und bedauerte, ihn nicht früher kennen gelernt zu haben, von dem er prophezeite: »daß er noch viel Aufsehen in der Welt machen werde.« Die sieben Rellstabschen Lieder, die jetzt den »Schwanengesang« zieren, aber ursprünglich Beethoven vom Dichter zur Komposition übergeben worden waren, sandte er nun mit eigenhändig hinzugefügten Bleistiftzeichen an Schubert, da er sich selbst zu krank fühlte, die Arbeit zu vollenden.

Kurz vor Beethovens Tod erschien Schubert in Begleitung zweier Freunde in dem einsamen Krankenzimmer. Schweigend umstanden sie das Sterbelager unsers größten Tonmeisters, und Beethoven, dem man ihre Namen genannt hatte, fixierte sie unbeweglichen Auges, seine Hand erhob sich zu einigen ihnen unverständlichen Zeichen. Aufs tiefste erschüttert schied Schubert von ihm, dem er wenige Tage später das letzte Geleite gab. Als er mit seinen Freunden Lachner und Randhartinger vom Begräbnis zurückkehrte, füllte er, in eine Weinstube eintretend, die Gläser und leerte das erste auf das Gedächtnis des Heimgegangenen, das zweite auf den, der ihm zunächst folgen werde. Er feierte damit ahnungslos sein eigenes Gedächtnis. Noch ehe sich ein zweites Jahr vollendete, ruhte er selber zur Seite der geweihten Gruft. Ein eigenes Verhängnis wollte es, daß er Beethoven, dessen Titanenerscheinung seine bescheidenere Größe so lange er lebte in Schatten gestellt hatte, nun auch nur kurz überdauern durfte.

So viel Schuberts Leben ihm an Glück schuldig blieb, verkennen läßt es sich doch nicht, daß er selbst manches ungeschehen ließ, was zur Verbesserung seiner Lage hätte dienen können. So ließ er sich, seinem Unabhängigkeitsbedürfnis zuliebe, die sich ihm durch die Protektion des Grafen Dietrichstein darbietende Organistenstelle der kaiserlichen Hofkapelle entgehen. Jegliches Band drückte und hemmte ihn; vermochte er es doch nicht einmal über sich, bei gelegentlichen Musikproben mit der nötigen Pünktlichkeit zu erscheinen. Gänzlich unbegabt in jeder Art praktischer Geschäftsführung, verstand er es auch seinen Verlegern gegenüber nicht, seinen Vorteil wahrzunehmen, und so günstige Aussichten ihm der glänzende Erfolg seiner zwölf ersten Diabelli in Kommission gegebenen Werke eröffnete – denn allein der »Erlkönig« trug ihm in den ersten dreiviertel Jahren nach Erscheinen 800 fl. ein – sie blieben zumeist durch seine eigene Schuld ungenützt. Während er nämlich alle Verlagsangelegenheiten sonst der tätigen Fürsorge seiner Freunde zu überlassen pflegte, ließ er sich unbedachter Weise von Diabelli verleiten, das Eigentumsrecht für diese zwölf Werke für den Preis von 800 fl. an diesen zu veräußern – eine Summe, deren Unverhältnismäßigkeit die einfache Tatsache in ein grelles Licht stellt, daß die Verlagshandlung an einem einzigen dieser Lieder, dem »Wanderer«, bis zum Jahre 1861 nicht weniger als 27000 fl. verdient hat. Unglaublich klingt, was die Verleger Schubert zu bieten wagten. Für die berühmte Wanderer-Phantasie ließ er sich beispielsweise mit 35 Mark nach unserem Geld abfinden, und für die sechs ersten Lieder der »Winterreise«, die er, schon auf dem Sterbelager liegend und dringend des Geldes bedürftig, Haslinger durch Lachner anbieten ließ, vermochte dieser nur mit Mühe 6 fl. W, W., also nach damaligem Stande achtzig Pfennig für jedes Lied, herauszupressen.

Von hervorragenden Werken des Jahres 1822 ist, außer Liedern und mehrstimmigen Gesängen, vornehmlich der Messe in As, wie der unvollendet gebliebenen Symphonie in H-Moll zu gedenken. Aus zwei vollständigen ersten Sätzen und einem bloß skizzierten Scherzo bestehend, lag die Handschrift der letzteren mehr denn drei Jahrzehnte im Besitz Anselm Hüttenbrenners in Graz verborgen. Erst im Jahre 1865 erlangte Herbeck in Wien von diesem die Erlaubnis, sie zur Aufführung zu bringen. In ihrer strafferen Fassung, an formeller Vollendung ihrer jüngeren Schwester, der sechs Jahre später geschriebenen großen C-dur-Symphonie, überlegen, zeigt sie uns, der hellen Frühlingsstimmung jener verglichen, ein schwermutsvolles Antlitz, dem Tiefe und Größe mit kindlicher Naivetät zugleich aus den Augen blicken. Bescheiden tritt hinter diesen beiden größten und allerwärts beliebten symphonischen Werken Schuberts die sechste seiner vollendeten Symphonien – sie steht gleichfalls in C und wurde wohl nach 1822 geschaffen – zurück. Sie ist harmloserer Natur, wenn auch ein holdes Kind Schubertschen Geistes. Im Konzertsaal hat man sie außerhalb Wiens wohl nur an wenigen Orten – so neuerdings in Leipzig unter Josef Pembaur jun. – kennen gelernt.

Einen reichen künstlerischen Segen vergegenwärtigt das Jahr 1823. Es weist drei der umfänglichsten Arbeiten Schuberts auf: die Musik zur »Rosamunde«, die Oper »Fierrabras« und die Operette »Der häusliche Krieg«. Das erste dieser Werke wurde zu einem Lustspiel Helmina von Chezys geschrieben und kam in Verbindung mit diesem am 20. Dezember des gleichen Jahres auf dem Theater an der Wien zur Aufführung. Es setzt sich aus Gesang- und Instrumentalstücken zusammen, deren anziehende Wirkung sich schon beim ersten Hören bewährte. Leider nur zog das baldige Verschwinden der unlebensfähigen Dichtung von der Bühne auch das der Schubertschen Musik nach sich, welche letztere nur 1881 in Wien noch einmal zu kurzem Lampenleben wieder auftauchte. Auch »Fierrabras«, der zweiten großen Oper Schuberts, war kein freundlicheres Geschick als ihren Vorgängern beschieden. Die Administration des Hoftheaters, in deren Auftrag das Textbuch von Kupelwieser verfaßt ward, löste sich auf, bevor das schon angenommene Werk zur Aufführung kam. Nur in Wiener Konzerten wurden Bruchstücke daraus wiederholt und beifällig gehört, bis ihm, bei Gelegenheit der Schubert-Zentenarfeier, Felix Mottl die Karlsruher Hofbühne auftat.

Ein hellerer Stern hat nur über der Operette »Der häusliche Krieg« oder »Die Verschworenen«, wie ihr ursprünglicher Name lautete, geleuchtet. Wohl hat auch sie, das Schicksal vieler Werke Schuberts teilend, Jahrzehnte hindurch lebendig begraben gelegen. Doch begann eine spätere Zeit sich ihrer zu erinnern: Frankfurt a. M., Wien, Leipzig, ja sogar Paris sahen sie, trotz ihres schlichten, mehr lyrischen als dramatischen Charakters, über ihre Bretter gehen, nachdem der Wiener Musikverein sie im März 1861 im Konzertsaal zur ersten Aufführung gebracht hatte. Auch erfuhr sie 1911 durch R. Hirschfeld eine neue Textbearbeitung.

In erstaunlicher Weise zeigt sich uns Schuberts Fruchtbarkeit, wenn wir hören, daß er die große Oper »Fierrabras« binnen vier Monaten geschaffen, daß der erste Akt derselben nur der Frist von sieben Tagen zum Entstehen bedurfte, daß endlich gleichzeitig mit den drei letztgenannten dramatischen Werken noch eine Fülle köstlicher Liederblüten – darunter die »Müllerlieder«, »Auf dem Wasser zu singen«, »Der Zwerg« – emporkeimte. Von mühseligem Aufbauen, von dem, was man Arbeit nennt, war bei ihm keine Rede. Fertig, »wie ein holdes Wunder«, löste sich das Kunstwerk aus seiner Seele. Mit Recht sagt Schumann: »Was er anschaut mit dem Auge, berührt mit der Hand, verwandelt sich zu Musik; aus Steinen, die er hinwirft, springen, wie bei Deukalion und Pyrrha, lebende Menschengestalten.« Bei der Überfülle seines tondichterischen Vermögens nirgends auf Beschränkung angewiesen, griff er fast wahllos nach poetischen Unterlagen und verschwendete den Segen seiner Töne nicht selten an wertlose Reimereien. Das ist ihm namentlich bei seinen dramatischen Produktionen zum Schaden geworden. Aber auch unter seinen Liedern trägt manches das Gepräge zufällig flüchtigen Entstehens; nicht alles, was er uns gab, ist reif für die Unsterblichkeit. Von der »schönen Müllerin« wird uns erzählt, wie Schubert bei Randhartinger die Gedichte Wilhelm Müllers fand und eilig mit sich nach Hause nahm, um am andern Morgen schon dem erstaunten Freund die musikgewordenen ersten fünf Müllerlieder vorzulegen. Die Mehrzahl der übrigen Gesänge des ewig jungen, frühlingsduftigen Zyklus wurde während einer ernsten Krankheit im Hospital vollendet. Der »Zwerg« ward inmitten des Gesprächs mit Randhartinger, das »Ständchen« (»Horch, horch«) im Tumult eines Gasthauses aufs Papier geworfen. Demzufolge meinte Vogl, die ihm unbegreifliche Schaffensleichtigkeit seines Freundes als »einen Zustand von clairvoyance, oder somnambulisme, in dem er ohne alle Willkür, durch höhere Gewalt und Eingebung« tätig sei, erklären zu müssen. Den Beweis dafür fand er in der allerdings wunderlichen Tatsache, daß Schubert einmal eins seiner eigenen Lieder, das ihm in fremder Abschrift transponiert vorgelegt wurde, nicht wieder erkannte, sondern als echtes Wiener Kind ausrief: »Schaut's, das Lied is nit uneb'n, von wem ist denn das?«

Auf eine Periode lebendigsten Aufschwungs folgte zu Anfang des Jahres 1824 ein Zustand tiefer Herabstimmung und Niedergeschlagenheit des Gemüts, wie ein solcher nie wieder in Schuberts Leben bemerkbar ist. Druck der äußeren Verhältnisse, körperliche Leiden und mannigfach erduldete Täuschungen mögen vereint gewirkt haben, um ihm jene schmerzliche Klage zu entringen, mit der er seinem Freunde Kupelwieser im März 1824 »seine Seele ausschüttete«. »Denke Dir einen Menschen«, schreibt er, »dessen Gesundheit nie mehr richtig werden will, und der aus Verzweiflung darüber die Sache immer schlechter, statt besser macht; denke Dir einen Menschen, sage ich, dessen glänzendste Hoffnungen zu nichte geworden find, dem das Glück der Liebe und Freundschaft nichts bietet als höchstens Schmerz, dem Begeisterung für das Schöne zu schwinden droht, und frage Dich, ob das nicht ein elender, Unglücklicher Mensch ist? Meine Ruh' ist hin, mein Herz ist schwer, ich finde sie nimmer und nimmermehr, so kann ich jetzt wohl alle Tage sagen; denn jede Nacht, wenn ich schlafen geh', hoffe ich nicht mehr zu erwachen, und jeder Morgen kündet mir neu den gestrigen Gram.« – Auch die Tagebuchfragmente aus diesem Jahre zeugen von vorwiegend düsterer Stimmung, und es liegt etwas seltsam Ergreifendes in seinen Worten, wenn er sagt: »Meine Erzeugnisse in der Musik sind durch den Verstand und durch meinen Schmerz vorhanden; jene, welche der Schmerz allein erzeugt hat, scheinen die Welt am meisten zu erfreuen. – Keiner, der den Schmerz des andern und keiner, der die Freude des andern versteht. Man glaubt immer zueinander zu gehen und man geht nur nebeneinander.« Glücklicherweise bewährte sich der Sommeraufenthalt in Zéléz als eine heilsame Kur für das umwölkte Gemüt des Künstlers. Die ländliche Stille und Abgeschiedenheit wirkte beruhigend auf ihn, wenn er auch fortgesetzt ernst gestimmt blieb. »Ich suche mir die miserable Wirklichkeit durch meine Phantasie so viel als möglich zu verschönen«, schreibt er an seinen Bruder, und in der Tat läßt selbst jene Zeit innerlichen Druckes keinen Stillstand seines Schaffenstriebes erkennen, den er u. a. durch das Oktett op. 166, die Streichquartette in A-Moll, E und Es und das schon erwähnte vierhändige Duo op. 140 (das von Joachim später instrumentiert und als Symphonie herausgegeben ward), neben kleineren Stücken für Gesang und Klavier betätigte.

Eine viel geringere musikalische Ausbeute bot das nächstfolgende Jahr (1825) dar: in der Hauptsache nur die A-Moll-Sonate op. 42 und die Gesänge aus Scotts »Fräulein am See« – ob es dem Meister gleich ein wesentlich freundlicheres Gesicht zeigte. Vom Frühjahr bis zum Spätherbst war er mit Vogl auf einem künstlerischen Wanderleben in dem ihm schon im Sommer 1819 so lieb gewordenen Oberösterreich begriffen. Mit seinem ganzen Herzen hing Schubert an der Natur, und doch kam er, eben diese Künstlerfahrten mit Vogl, den wiederholten Aufenthalt in Zéléz und einige wenige nähere Ausflüge zu oder mit Freunden abgerechnet, sein Lebtag nicht über Wien hinaus. Seine Anhänglichkeit an seine Vaterstadt ward ihm gleichwohl so wenig gelohnt, daß sein im Jahre 1826 eingereichtes Gesuch um die erledigte Stelle eines Vizehofkapellmeisters, gleich demjenigen um die Dirigentenstelle am Hofoperntheater, abschlägig beschieden ward. Mag nun – wie Schindler rücksichtlich der letzteren erzählt – der bei Gelegenheit einer Probe bewiesene Starrsinn Schuberts den unglücklichen Ausschlag gegeben haben, oder mochte, nach J. Hüttenbrenners Lesart, seine Anstellung an Theater-Intrigen gescheitert sein, genug, er blieb von neuem seiner bisherigen ungebundenen, aber auch ungesicherten Existenz überlassen. Selbst der Annahme seiner Kompositionen von Seiten der Verleger stellten sich allerlei Schwierigkeiten entgegen, und der geniale Tonschöpfer, der, in voller Erkenntnis seiner Bedeutung, von sich selber sagen konnte: »Wenn das Wort Kunst ausgesprochen wird, ist von mir die Rede«, mußte es sich gefallen lassen, immer und immer wieder um technische und intellektuelle Vereinfachung seiner Schreibweise ersucht zu werden. Trotz alledem trug ihn der Genius nur immer höheren und kühneren Fluges aufwärts; immer vollendetere Gebilde erzeugte er, je näher er dem Ziele kam, das seinem kurzen Dasein gesteckt war. Meisterwerke wunderbarster Art reifen in seinen letzten Lebensjahren. So weist das Jahr 1826 das Rondeau brillant für Klavier und Geige op. 70, die Streichquartette in D-Moll und G-dur, das B-dur-Trio und den eisten Teil der »Winterreise«, das Jahr 1827 den zweiten Teil der letzteren, das »Ständchen« für Altsolo und Frauenchor, den »Nachtgesang im Walde«, die Impromptus op. 142 (die eine regelrechte Sonate bilden), das Es-dur-Trio und die »deutsche Messe«, das Jahr 1828 endlich die große Symphonie in C, das Streichquintett in C, die Messe in Es, die Kantate »Mirjams Siegesgesang«, die letzten drei Klaviersonaten und den sogenannten »Schwanengesang« auf, als die letzten Vermächtnisse Schuberts, mit denen er seine Mission hienieden vollendete.

Die »Winterreise« enthält gleich der früher entstandenen »schönen Müllerin« eine von Wilhelm Müller gedichtete Folge von Liedern, die nach Stimmung und Charakter in engem Zusammenhang untereinander stehen, ähnlich dem Liederkreis »An die ferne Geliebte«, mit dem Beethovens Kunst die Welt beschenkte. Ist aber der ältere der beiden Schubertschen Zyklen rein lyrisch, einfach bis zur Annäherung an die Volksweise in Bau und Ausdruck gehalten, so kennzeichnet den späteren eine ungleich größere Mannigfaltigkeit der Form und Kühnheit der Tonsprache, eine gesteigerte Leidenschaft und Dramatik und demgemäß eine lebendigere Beteiligung des tonmalerischen Elementes. Schubert versteht es, mit der Empfindung gleichzeitig auch die Phantasie mächtig anzuregen. Er führt uns mitten hinein in die Situation und gibt seinen Liedern das Gepräge sinnlicher Wahrheit; so daß wie Liszt sagt, »aus dem kleinsten Lied oft eine Miniaturoper wird, voll tragischer und dramatischer Passion«. Man denke nur an den einzigen »Leiermann«! In tiefste Schwermut getaucht ist jeder einzelne der 24 Gesänge; der letzte Sonnenschimmer ist verglommen, aus der sanften Melancholie der »Müllerlieder« ist hier Trostlosigkeit, friedlose Resignation und Verzweiflung geworden. Schubert selbst äußerte, laut Spaun, von diesem »Zyklus schauerlicher Lieder«: »Sie haben mich mehr angegriffen, als dieses je bei andern Liedern der Fall war«, und, da sie den Freunden zuerst nicht zusagten: »Mir gefallen diese Lieder mehr als alle anderen, und sie werden euch auch noch gefallen!«

Lichtere Bilder mischen sich in den »Schwanengesang«, die letzte Liederreihe, die nicht mehr von des Komponisten Hand, sondern erst nach seinem Tode von seinem Verleger zusammengestellt wurde. Von überaus hohem Wert sind zumal die Heineschen Lieder »Der Atlas«, »Die Stadt«, »Am Meer«, »Der Doppelgänger«, in denen Schubert jene mehr rezitierende Weise anschlägt, die Schumann weiter führte. Mit dem Schlußgesang, der »Taubenpost«, nahm er für immer Abschied von der Gattung, die in ihm ihren höchsten Förderer und Meister ehrt.

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