Das Geburtsjahr des »Erlkönig« (1815) war das fruchtbarste in Schuberts Leben. Es sah zwei Messen und andere Kirchenwerke, eine Symphonie, zahlreiche Klavierkompositionen – darunter vier Sonaten – sowie sieben Opern und Singspiele (»Der vierjährige Posten«, »Fernando«, »Claudine von Villabella«, »Die beiden Freunde von Salamanca«, »Der Spiegelritter«, »Der Minnesänger« und »Adrast«) und über 130 Lieder entstehen. Von letzteren, unter denen die herrlichen »Gesänge Ossians« hervorragen, entfallen allein 45 auf Goethesche Gedichte. Mit einer Reihe Balladen, wie Schillers »Bürgschaft« und anderen, brachte der junge Tonsetzer dem mit Vorliebe dem Epischen zugewandten Zeitgeschmack seinen Tribut dar. Zumsteegs Balladen, die ihn, wie Spaun erzählt, »aufs tiefste ergriffen«, und die nicht ohne Einfluß auf ihn blieben, mögen ihn dazu veranlaßt haben. Von den genannten Opernpartituren sollte bei seinen Lebzeiten keine einzige das Licht der Lampen erblicken. Erst 1896 gelangte »der vierjährige Posten« in Dr. Robert Hirschfelds Bearbeitung in Dresden, sowie 1897 zur Schubertfeier in Wien zu flüchtigem glücklosen Bühnendasein. Schubert huldigte der dramatischen Muse lebenslang mit viel Beharrlichkeit und wenig Erfolg. Die Bühne hat sich Zeit seines Lebens sowohl, als mit geringen Ausnahmen auch nach seinem Tode, seinen größeren dramatischen Werken verschlossen, und nur die bescheidensten seiner diesbezüglichen Leistungen, die sich ausschließlich auf das Melodrama und Singspiel beschränkten, war es ihm vergönnt, je aufgeführt zu sehen. Des Vorteils eines praktischen Studiums, der Möglichkeit Erfahrungen zu sammeln und sie weiterhin zu verwerten, ging er damit verlustig. Ob aber der große Liedermeister, dessen dramatische und symphonische Versuche nach Liszts Ausspruch nur als akzessorisch in seiner arbeitsreichen Laufbahn zu betrachten sind, selbst im intimen Umgang mit der Bühne gelernt haben würde, ihre Bedingungen zu erfüllen, wer weiß es?

Reich an schöpferischen Ergebnissen war auch das folgende Jahr. Eine unvollendete Oper »Die Bürgschaft«, zwei Symphonien, eine Messe, das Stabat mater, Liederperlen wie den »Wanderer«, die Harfner-Gesänge und vieles andere umfassend, trug es dem Künstler für eine leider verloren gegangene Kantate »Prometheus« sein erstes Honorar von 40 fl. ein. Mittlerweile machte Schubert den Versuch, sich dem Joch der Schulmeisterei, das er bisher mit Selbstverleugnung getragen hatte, zu entziehen. Er bewarb sich (wahrscheinlich im April 1816) um eine Lehrerstelle an der Musikschule zu Laibach. So bescheiden das damit verbundene Einkommen im Betrag von 500 fl. Wiener Währung war, den anspruchslosen jungen Mann lockte die sichere Anstellung; »er gelobet« – so schreibt er – »die bestmögliche Verwendung seiner Fähigkeiten, um einer gnädigen Bittgewähr vollkommen zu entsprechen.« Dabei beruft er sich auf Salieris Empfehlung; aber diese Empfehlung fiel, da sein Meister heimlich einen andern begünstigte, so kühl aus, daß die Bewerbung ohne Erfolg blieb.

Dennoch schlug endlich die Stunde der Befreiung. Im Oktober 1816 trat Schubert aus der Schule seines Vaters aus. Die erlösende Tat vollbrachte, laut dem Biographen unsers Meisters, Heinrich von Kreißle[1] – dessen Angaben neuerlich durch die methodischen Forschungen Max Friedländers vielfältig berichtigt und ergänzt worden sind – Franz von Schober, ein Freund Spauns, der zu Schubert in das innigste Verhältnis trat. Er bot dem Bedrängten in seinem eigenen Hause eine Zufluchtsstätte, die ihm, auch wenn er sie nachmals zeitweise unbenutzt ließ, doch immerdar offen blieb. Damit leistete er seinem genialen Freund und mit ihm der musikalischen Welt einen Dienst, der ihm unvergessen bleiben muß. Dieser Freundschaftsdienst ist nachmals angezweifelt worden; indessen hat Schober selbst, dem die vorstehende Skizze in einer ihrer früheren Auflagen (1878) vorlag, dem nicht widersprochen, sondern die darin gegebene, auf Kreißle fußende Darstellung seines[2]

Seit seinem nunmehr aufgegebenen Schullehreramt bekleidete Schubert lebenslang keine feste Stellung mehr, obgleich er, um sich aus seiner Dürftigkeit herauszuhelfen, die Hand wiederholt nach einer solchen ausstreckte. Seine Tage spannen sich äußerlich mit seltener Gleichförmigkeit ab. Die Vormittagsstunden waren der Arbeit, dem Schaffen geweiht. Den Nachmittag verbrachte er im Freien in der schönen Umgebung Wiens. Der Abend gehörte dem Verkehr mit seinen Freunden, einem Kreis kunstbegeisterter junger Männer, unter ihnen neben Spaun und Schober als vornehmste Elemente die Maler Kupelwieser und Moritz von Schwind, die Dichter Mayrhofer, Bauernfeld, Grillparzer, die Musiker Hüttenbrenner, Franz Lachner, Randhartinger. In der heitern Tafelrunde der Genossen, die sich allabendlich im Gasthaus und allwöchentlich einmal zu einer »offiziellen Versammlung«, einer »Schubertiade«, wie man sie nach ihrem geistigen Mittelpunkt benannte, zusammenfanden, feierte Schubert, ein Freund feurigen Rebenblutes, seine frohesten, an künstlerischer Anregung reichen Stunden. Hier überließ er sich, so melancholisch er zuweilen sein konnte, seiner natürlichen, harmlosen Lustigkeit. Von weitesttragender Bedeutung für ihn aber ward der vertraute Umgang mit Michael Vogl, dem berühmten ersten Bariton der Hofoper, der sich ihm durch Schober um diese Zeit erschloß. Die Liederschätze, die in der stillen Arbeitsstube des jungen Tondichters vergraben lagen, trug der gefeierte Liebling der vornehmen Gesellschaft hinaus in Salon und Konzertsaal und sorgte besser als ihr um seinen Ruhm unbekümmerter Autor für ihren Weg in die Welt und das Bekanntwerden seines Namens. Schubert schätzte in ihm den ersten und ausgezeichnetsten Interpreten seiner Lieder, und sein Vortrag derselben galt als ein so mustergültiger, daß zahlreiche zur Steigerung des Effektes von ihm angebrachte Verzierungen sogar in den Druck übergingen, sodaß es in unseren Tagen erst revidierter Ausgaben (durch Mandyczewski und Friedländer) bedurfte, um die ursprüngliche Lesart wieder herzustellen. Der eine singend, der andre begleitend, waren Vogl und Schubert, wohin sie kamen, willkommene Gäste, zogen sie im Sommer auch wiederholt als fahrende Sänger durch Oberösterreich und das Salzkammergut, allerwärts offene Türen und Herzen findend. Schubert selbst schreibt einmal: »Die Art und Weise wie Vogl singt und ich akkompagniere, wie wir in einem solchen Augenblicke Eins zu sein scheinen, ist diesen Leuten etwas ganz Neues, Unerhörtes.« Wie Vogl im Gesang das Dramatische zum Hauptfaktor erhob und nach dem Urteil kompetenter Zeitgenossen »in der Darstellung des Charakteristischen, in der künstlerischen Verbindung der Wahrheit mit der Schönheit« seine eigentliche Stärke entwickelte, so kommt auch in Schuberts Liedern das charakteristische, dramatische Element in ungleich höherem Grade als in denen seiner Vorgänger zum Ausdruck. Vermutlich auch verharrte Schubert zunächst auf Anregung des befreundeten Sängers dauernd in der Pflege des Liedes, selbst wenn er hierbei nicht minder einem inneren Naturgebot folgte. Jedenfalls wirkte der um 29 Jahre ältere, ihm an Kenntnissen und umfassender wissenschaftlicher Bildung weit überlegene Vogl, der mit den griechischen und römischen Klassikern auf so vertrautem Fuße stand, daß sie ihm sogar in der Theatergarderobe während der Zwischenakte Gesellschaft leisteten, belehrend und ratend auf den jungen Musiker ein. Sorgte er doch auch, nach Schobers Zeugnis, väterlich für Befriedigung seiner Bedürfnisse. Die ihm von Vogl gewährte Beihilfe abgerechnet, blieb Schubert, so sehr sich auch der Kreis seiner Bewunderer mehrte, ohne irgend welche Unterstützung. »Seine Lage«, sagt Spann, »war eine wahrhaft drückende. Kein Verleger war zu finden, der es gewagt hätte, für seine herrlichen Schöpfungen auch nur einiges zu bieten. Der so Reiche an Melodien konnte selbst nicht die Miete für ein Klavier erschwingen. Die Schwierigkeiten seiner Lage lähmten jedoch seinen Fleiß und seine Lust durchaus nicht. Er mußte singen und dichten, es war sein Leben. Er blieb auch immer heiter, und freundlich nahm er es an, daß er durch viele Jahre bei dem gemeinschaftlichen heitern Abendmahle, das sich meist über Mitternacht erstreckte, der Gast eines alten Freundes war« – nämlich Spanns selber. »Wir halfen einander gegenseitig aus«, erzählte der 1890 verstorbene Bauernfeld einmal d. Verf. »Wer gerade etwas im Beutel hatte, zahlte für den andern.« Sich durch Musikunterricht Erwerb zu schaffen, wies der jedem Zwang abholde Künstler widerstrebend von sich. Seine schüchterne, in geselligen Formen unbeholfene Natur ging ohnehin dem Verkehr mit vornehmen Häusern gern aus dem Weg. In einem einzigen Fall nur entschloß er sich zu einer Ausnahme von der Regel: den Antrag des Grafen Johann Esterhazy, den Sommer 1818 als Musiklehrer seiner zwei Töchter auf seinem ungarischen Schloß Zéléz zu verbringen, nahm er an; er wiederholte sogar seinen Aufenthalt daselbst noch einmal im Sommer 1824. Man hat sich diese wohl einfach auf seine Notlage zurückzuführende Ausnahme durch einen Roman zu erklären gesucht, in dem (laut Kreißle und Bauernfeld) Schubert die Rolle des musikalischen Tasso, Komtesse Caroline, die jüngste Tochter des Hauses, die der Leonore gespielt haben soll. Indessen stellten Friedländers Forschungen fest, daß jener Roman ins Reich der Sage gehört und Komtesse Caroline 1818, als Schubert zum erstenmal in Zéléz war, erst zwölf Jahre zählte. Bei seinem zweiten Aufenthalt 1824 machte ihre aufblühende Schönheit wohl Eindruck auf den Komponisten; doch kann derselbe, seinen eignen brieflichen Äußerungen zufolge, kein sehr tiefgehender gewesen sein. Nach Mitteilungen Anselm Hüttenbrenners, des schon genannten Jugendfreundes von Schubert, hatte dieser eine minder romantische Neigung für eine einfache, nicht mit Schönheit gesegnete Schullehrerstochter, Therese Grob, gefaßt, die bei Ausführung seiner F-dur-Messe 1814 das Sopransolo darin schön gesungen hatte. Aber sie heiratete, da er keine Anstellung fand, nach dem Wunsch ihrer Eltern einen andern, – nach Angabe Otto Erich Deutschs,[3] der ihr aber einen Seidenspinner zum Vater gibt, einen Bäckermeister – und obwohl Schubert ihr Verlust sehr zu Herzen ging, tröstete er sich am Ende damit, »daß sie ihm halt nicht bestimmt war.«

Das Gedächtnis Caroline Esterhazys bleibt trotzdem für alle Zukunft mit einer der schönsten Klavierdichtungen ihres einstigen Lehrers verbunden: ihr wurde nach seinem Tode die vierhändige Phantasie in F-moll op. 103 von seinen Verlegern gewidmet. Und auch mit andern Tonwerken Schuberts verknüpft sich die Erinnerung an das gräfliche Haus. So namentlich mit dem Divertissement à la hongroise op. 54. Weisen, die er von einer Magd in der Küche singen hörte, bilden die Themen, aus denen er dies Gemälde von ebenso dichterischer als nationaler Färbung schuf; erhöhte er doch hin und wieder gern den melodischen und harmonischen Reiz seiner Werke durch ungarische Motive. Bei seinem zweiten Aufenthalt in Zéléz im Jahre 1824 entstanden das große Duo für Pianoforte op. 140, die vierhändigen Variationen op. 35 und das Quartett »Gebet vor der Schlacht«, das lange Jahre hindurch das ausschließliche Eigentum der Familie Esterhazy blieb und erst spät (als op. 135) der Öffentlichkeit übergeben ward. Schubert schrieb dasselbe auf Wunsch der Gräfin, die ihn eines Morgens aufforderte, das betreffende Gedicht von de la Motte Fouqué für ihr Hausquartett in Musik zu setzen. Am Abend desselben Tages bereits ward die vollendete umfangreiche Komposition zur Freude aller am Klavier durchgesungen. Mit Hilfe eines nahen Freundes des Hauses, Baron von Schönstein, bildete die Familie nämlich ein vollstimmiges Quartett, bei dem auch Caroline, die eine angenehme Altstimme besaß und daneben eine vorzügliche Pianistin war, häufig mitwirkte.

Auch zu Carl von Schönstein trat Schubert bald in ein näheres Verhältnis und fand in ihm nicht nur einen enthusiastischen Verehrer, sondern zugleich einen so geistvollen Vermittler seiner Lieder, daß man ihn als solchen sogar Vogl zur Seite stellen durfte. Er ließ es sich angelegen sein, die Gesänge seines Freundes zuerst in den höheren Gesellschaftskreisen Wiens einzuführen, in denen er selber heimisch war, und noch im Jahre 1838, als Franz Liszt daselbst Gelegenheit hatte, ihn zu hören, bekannte sich dieser von seinem Vortrag der Lieder Schuberts, »dieses poetischsten aller Musiker«, bis »zu Tränen gerührt.« Ihren verschiedenen Naturen entsprechend, teilten die beiden bevorzugtesten Schubertsänger sich friedlich in die vom Liedermeister gespendeten Reichtümer. Während Vogl sich mit Vorliebe den dramatischer geprägten Gesängen zuwandte, neigte sich Schönstein mehr den rein lyrischen zu, und so wurden die »Winterreise« und Ähnliches das Terrain, auf dem der erstere, die ihm auch gewidmeten »Müllerlieder« dagegen dasjenige, auf dem der andere seine größten Siege feierte.

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Anmerkungen:

  1. Franz Schubert, Wien, Gerold. 1865.
  2. Verhältnisses zu Schubert in einem Brief an den Verfasser vom 11. Dez. 1878, dem er das hier reproduzierte Bildnis beifügte, als »wahr« bezeichnet. Der 1796 bei Malmö in Schweden Geborene starb als Weimarischer Legationsrat 1882 in Dresden.
  3. »Bühne und Welt«, 2. Juniheft 1807.
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