Die Aufnahme des »Don Juan«, »der Oper aller Opern« (so nennt ihn Nissen, der als späterer Gatte von Mozart's Wittwe der eigentlich grundlegende Biograph des Meisters wurde,[1] dessen reiches aber ungeordnetes Material die späteren Arbeiten Oulibicheff's,[2] Nohl's[3] und vor allem Jahn's zum allgemeinen Besten verwertheten), war bei den musikverständigen Böhmen eine glanz- und jubelvolle. Konnte doch Bondini, der Prager Theaterunternehmer, an den Dichter nach Wien schreiben: »Es lebe da Ponte! Es lebe Mozart! Alle Directoren und Sänger sollen sie preisen; so lange diese Beiden leben, weiß man nichts von Theaterelend!« In Wien dagegen, wo der »Don Juan« am 7. Mai 1788 zur ersten Aufführung kam, gefiel er nicht. Musiker und Kenner waren in seiner Verurtheilung einig, und es bedurfte erst einer Erklärung Haydn's, daß Mozart der erste der lebenden Componisten sei, um sie zum Schweigen zu bringen. Die Oper sei göttlich, meinte der Kaiser, vielleicht schöner noch als »Figaro«; aber keine Speise für die Wiener. »Lassen wir ihnen nur Zeit, sie zu kosten!« tröstete sich Mozart mit echter Künstlerzuversicht. Und in der That, man gewöhnte sich an das ungewohnte Phänomen, und der Beifall wuchs mit der Zahl der Vorstellungen. Die siegreiche Schöpfung des Genius spottete aller Hemmnisse, alles Mißwollens der Kritik, die beispielsweise in Berlin die Aeußerung verbrach: »Grille, Laune, Stolz, aber nicht das Herz war ›Don Juan's‹ Schöpfer«, und diesem unbedenklich Correctheit, Geschmack, Feinheit und Vollendung absprach. In unaufhaltsamem Fluge gewann sie sich nicht allein die lebendige Bewunderung eines Goethe, der in ihr Schiller's Hoffnung von der Oper und der Idealität auf der Bühne »auf einen hohen Grad erfüllt sah«, sie eroberte sich die alte und die neue Welt.

Den bedrängten äußeren Umständen des Künstlers brachte indeß weder »Figaro« noch »Don Giovanni«, die doch Beide für Andere eine ergiebige Einnahmequelle wurden, Abhülfe. Zwar ernannte ihn Kaiser Joseph nach Gluck's Tode im December 1787 zum Kammermusikus; statt der 2000 Gulden aber, die Jenes Gehalt betragen, fand man sich bei ihm mit 800 Gulden ab. »Zu viel für das, was ich leiste, zu wenig für das, was ich leisten könnte«, schrieb Mozart selbst einmal in die Steuerliste. Das Einzige, was man in seiner Stellung von ihm forderte, war ja die Tanzmusik für die kaiserlichen Maskenbälle. Wiederholt hatte ihn schon früher der Plan einer Reise nach England und Frankreich beschäftigt; die Sorge für das tägliche Brod durch das ihm lästige Unterrichtertheilen gönnte ihm gleichwol nicht die dazu erforderliche Freiheit. Und dennoch brachte er es nicht einmal dazu, ein gesuchter Lehrer zu sein! Den kleinen Kozeluch, Righini, Steffan gab man den Vorzug vor dem großen Mozart! Der Blick für seine Größe eben fehlte seinen Zeitgenossen. War er doch dem großen Publicum in Wien hauptsächlich nur als Clavierspieler bekannt. In dieser Eigenschaft wenigstens erkannte man, von Clementi und Haydn beglaubigt, seine Superiorität allgemein an, und die von ihm veranstalteten Academien blieben der Mehrzahl nach den gebührenden Erfolg nicht schuldig.

Sehr gering hinwiederum war im Verhältniß der Vortheil, den er aus Veröffentlichung seiner Compositionen zog. Ein kleiner Theil seiner Arbeiten überhaupt nur gelangte bei seinen Lebzeiten in Druck, darunter gar Vieles, was er für Schüler Freunde und Bekannte, Sänger und Sängerinnen schrieb, auf unrechtmäßige Weise, da der sorglose Künstler versäumte, seine Rechte dabei wahrzunehmen. Anderes galt wieder als zu schwere Kost. »Schreib populärer«, mahnte ihn sein Verleger Hoffmeister, »sonst kann ich nichts mehr von Dir drucken und bezahlen.« Worauf die Antwort lautete: »Nun, so verdiene ich nichts mehr und hungere und scheer' mich doch den Teufel darum!«

Innerem, nicht äußerem Geheiß danken auch das leidenschaftliche G-moll-Quintett (vom Jahre 1787) und die Symphonien Es-dur, G-moll und C-dur mit der Schlußfuge (vom Sommer 1788) ihr Dasein. Es sind dies seine größten Werke dieser Gattung, die seine früheren gleichartigen Erzeugnisse weit überholen. Behält er hier wie in Quartett und Sonate auch die von Haydn überkommenen Formen bei, so erfüllt er dieselben doch mit einem bedeutungsvolleren Inhalte und giebt ihnen durch den ihm eigenen Melodie- und Wohllautszauber, den er namentlich im Adagio walten läßt, durch die edle Schönheit seiner Themen, seine für jene Zeit oft kühnen und frappanten Modulationen einen neuen Reiz. Dazu kommt seine äußerst seine und geniale, während seiner Reisen in Mannheim und München, Paris und London geübte Behandlung des Orchesters und insbesondere der Blasinstrumente. Er führt die Letzteren nicht nur füllungsweise, oder hier und dort solistisch, sondern auch als selbständige Gruppen in's Feld (mit Vorliebe Fagott und Clarinette verwendend, während er die Flöte ebenso wenig als die Harfe leiden mag), so daß bezüglich dessen selbst der ältere Haydn Vieles von ihm gelernt zu haben bekannte. »Durch Mozart wurde das Orchester vermenschlicht«, sagt Louis Köhler. In seiner letzten großen Dreizahl, der anmuthig lichten Es-dur, der ernst bewegten G-moll und der glanzvoll feierlichen Jupitersymphonie, in deren berühmter Schlußfuge er mit Durchführung ihrer fünf Themen seine ganze Macht und Kunst als Contrapunktiker triumphirend entfaltet, erscheint das altclassische Ideal der Symphonie erreicht. Die Instrumentalmusik, die den Bedürfnissen ihrer Zeit gemäß, wie überhaupt alle Musik, nur unterhalten, nicht beschäftigen, nur ein allgemeines unbestimmtes, kein innerst persönliches Empfinden zum Ausdruck bringen will und soll, ist hier zur harmonischen Weltsprache geworden. Weiter machte Beethoven, der »Musiker des Geistes«, wie man ihn im Gegensatz zu Mozart, dem »Musiker der Seele«, genannt hat, sie – ihre Darstellungsmittel, wie ihren Gedanken- und Gefühlskreis erweiternd – zur Sprache seines eigenen ungeheueren Ichs, zum Ausdruck bestimmter Seelenzustände, der höchsten Ideen der Menschheit, des poetischen Gehaltes von Natur und Leben. Von dem Aufruhr des Schmerzes und dem Kampfe der Leidenschaft, von der Empfindungsgewalt und Gedankentiefe, die Beethoven, das Unendliche in ihr Bereich ziehend, in seine Kunst hineintrug und somit die tonkünstlerische Richtung des neunzehnten Jahrhunderts bestimmte, wußte der Optimismus des mit sich und der Welt ganz einigen Mozart und seiner Zeit noch nichts. Das Hineinragen des persönlichen Lebens in das Kunstwerk, das Geltendmachen der Individualität, das unsere moderne subjective Schaffensweise charakterisirt, lag dem älteren classischen Musikideal, welches eine objective selbstlose Hingabe des Künstlers an sein Werk bedingte, so fern, daß es schwer sein dürfte, Mozart's Leben in seinen Schöpfungen wiederzufinden.

Eine neue ihn anziehende Aufgabe bot sich dem Meister um jene Zeit (1788) durch einen Gönner, Baron van Swieten, dar, für den er Händel's »Acis und Galathea«, »Messias«, »Cäcilienode« und »Alexanderfest« nach und nach bearbeitete. Claviercompositionen Händel's und Bach's kannte er schon seit Längerem. Er hatte sie, wie überhaupt alle bedeutenden Meister, eingehend studirt, auch die Schreibweise Beider mannigfach nachzuahmen versucht, und nicht den geringsten Theil seiner hochentwickelten polyphonen Meisterschaft dankte er ohne Zweifel diesen Studien, die ihn, im Gegensatz zu dem in Wien herrschenden Geschmack, auf den ernsten und strengen Stil hinwiesen. Nun trat ihm bald darauf, nachdem er sich mit Händel's mächtigen Werken beschäftigt und sie durch die erforderlichen Ergänzungen dem Verständniß seiner Zeitgenossen näher gebracht, auch Bach's volle Größe näher. Er lernte in Leipzig eine Anzahl seiner Motetten kennen und vertiefte sich voll innerster Erbauung in das Studium derselben, aus denen sich, wie er sagte, »doch etwas lernen lasse.« Denn Mozart war wieder einmal auf Reisen. In der Hoffnung auf Gelderwerb hatte er den Vorschlag seines Schülers und Freundes, Fürst Carl Lichnowsky, ihn nach Berlin zu begleiten, im Frühjahr 1789 angenommen. Auf dem Wege dahin spielte er in Dresden bei Hofe und ließ sich in Leipzig zum Entzücken des Cantor Doles, Bach's Schüler und Nachfolger, auf der Orgel hören, gab auch später daselbst ein »schwach besuchtes« Concert. In Berlin hätte ihn der musikliebende König Friedrich Wilhelm II. gern als Capellmeister an seinen Hof gefesselt. Ein ihm gebotener Jahresgehalt von 3000 Thalern versprach aller seiner Noth ein Ende zu machen. Der mit Leib und Seele seinem Wien und Oesterreich anhängende Musiker konnte sich jedoch nicht entschließen, »seinen guten Kaiser zu verlassen.« Und als dann Joseph II., dem er auf Drängen seiner Freunde von dem ihm gewordenen Antrage Mittheilung machte, ihn fragte: »Wie, Sie wollen mich verlassen, Mozart?« war die Sache durch die einfache Erwiderung: »Ew. Majestät, ich empfehle mich zu Gnaden, ich bleibe«, abgemacht, ohne Mozart auch nur die mindeste Verbesserung seiner Lage zu bringen.

Alles, was für ihn geschah, war daß man seinen »Figaro«, der nach der neunten Vorstellung für zwei Jahre verstummt war, wieder auf die Bühne rief und ihm die Composition einer neuen Oper: der am 26. Januar 1700 aufgeführten »Così fan tutte, ossia la scuola degli amanti« (So machen sie's Alle, oder die Schule der Liebenden) überließ. Diesmal zündete die mehr im leichten italienischen Genre gehaltene Musik sofort, indeß man da Ponte's Textbuch, das er hier selbständig, ohne Benutzung eines fremden Originals verfaßt hatte, allgemein verwarf. Den läppischen und zugleich frivolen Maskenscherz, den dies Letztere als echte Opera buffa darstellt, aber umkleidete der Genius mit seinen holdesten Weisen. Da die typisch gehaltenen Charaktere seiner Portraitirkunst nicht wie in »Figaro« und »Don Juan« Gelegenheit zur Entfaltung gaben, benutzte er die wechselnden Situationen zu Ensembles, welche, liebenswürdiger Laune und schmeichelnden Wohllauts voll, ganz »in reifer süßer Sinnlichkeit schweben.« Man vergegenwärtige sich nur die Quintette in Es- und F-dur (zumal das Letztere: »Wirst Du auch mein gedenken«), das Terzett »Weht sanfter, ihr Winde« und das erste Finale, oder das Duett der Männer mit Chor und Blasinstrumenten, sowie das Guglielmo's und Dorabella's »Empfange dies Herzchen« im zweiten Act!

Ohne für Mozart gesorgt zu haben, starb Kaiser Joseph im Februar 1790. Sein Nachfolger Leopold II. aber schenkte dem Gesuch des Künstlers um die zweite Capellmeisterstelle ebenso wenig als seiner Bitte um Uebertragung des Unterrichts der Prinzen Gehör. Andere inferiore Talente wurden bei Veranstaltung von Hoffestlichkeiten ihm vorangestellt. Immer drückender ward seine Lage; immer schwerer bei andauernder Kränklichkeit Constanze's die häusliche Sorgenlast. Die Vorschüsse und Darlehen der Verleger und Freunde, die er bisher schon vielfach in Anspruch genommen, reichten jetzt nicht mehr aus – er fiel Wucherern in die Hände. Es war ein trauriges Jahr, dies 1790, und wie kein anderes in seinem Leben an künstlerischen Früchten arm! Er klagt selbst, daß ihm die Arbeit an ein paar Quartetten, die er für den König von Preußen schrieb, schwer werde. Wieder treibt ihn die Noth auf eine Kunstreise, seine letzte. Die Kaiserkrönung in Frankfurt dünkt ihm eine günstige Gelegenheit. Sich als Kammercompositeur dem kaiserlichen Gefolge anschließen zu dürfen, wird ihm gleichwol nicht verstattet. Um nur die Mittel zu dem nöthigen Reisewagen zu liefern, muß das Silberzeug zum Pfandverleiher wandern. Das Ergebniß der Reise entsprach freilich leider den Hoffnungen des sanguinischen Meisters nicht, und ebenso blieben die Aussichten, die sich ihm nach seiner Rückkehr durch Salomon aus London – wie später durch O'Reilly, den Director der dortigen italienischen Oper, und da Ponte – auf einen einträglichen englischen Aufenthalt eröffneten, ein leeres Luftgespinnst. Des Schicksals harte Hand nahm Mozart hinweg, noch bevor sie sich verwirklichen konnten.

Wie thatenreich aber ist noch dies letzte Jahr dieses kurzen Künstlerlebens! Die Quintette in D und Es, das B-dur-Concert, die beiden vierhändigen F-moll-Phantasien, die er für das Orgelwerk einer Spieluhr schrieb, den wunderschönen Chor Ave verum und andere Vocalcompositionen und dazu die »Zauberflöte«, »Titus« und das Requiem: das Alles umschließt die Spanne eines einzigen Jahres!

Um Schikaneder, einem alten Salzburger Bekannten, der als Director des kleinen Theaters im Stahremberg'schen Freihause auf der Wieden in Noth gerathen war, wieder aufzuhelfen, ließ Mozart, der immer Hülfreiche, sich im Frühjahr 1791 zur Composition der »Zauberflöte« bereit finden; doch »wenn wir ein Malheur haben«, meint er, »so kann ich nichts dazu, denn eine Zauberoper habe ich noch nicht componirt.« Damit die Arbeit flott gefördert werde, quartiert er sich in dem Theater dicht benachbarten Gartenhause im Freihof ein (es steht seit 1877 auf dem Kapuzinerberge in Salzburg). Schon ist ein großer Theil der Musik bis zum Finale des ersten Actes geschrieben, da erfährt Schikaneder, daß auf dem Concurrenztheater der Leopoldstadt eine nach dem gleichen Märchen (aus Wieland's Dschinnistan) bearbeitete Oper vorbereitet werde. Aber trotz alledem weiß er, oder vielmehr einer seiner Schauspieler, Namens Giesecke, Rath. Man erhebt das harmlose Zauberspiel auf einen zeitgemäßen symbolischen Hintergrund, zu einer Verherrlichung der Tendenzen der durch Leopold II. verbotenen Freimaurerei, welcher – wie damals die bedeutendsten Männer Wiens – auch Mozart eifrig anhing. Der böse Zauberer Sarastro wird nun zu dem Repräsentanten dieser Ideen und zu einem Wohlthäter der Menschheit umgewandelt; ja nach der einigermaßen spitzfindigen Deutung eines Maurers[4] soll nicht nur für die ihm neugegebene Gestalt der damalige Wiener Oberpriester der Freimaurerei, Ignaz von Born, vorbildlich gewesen, sondern auch in der Königin der Nacht Maria Theresia, die Freimaurerfeindin, die sich ihr Volk nach seinen besseren Instincten entrissen sah, in Tamino Joseph II., in Pamina, Papagena und Papageno – welcher Letztere zugleich Schikaneder schildert – das österreichische Volk, in Monastatos das Mönchsthum gemeint sein.

Aus diesem bunten, einheitslosen, trotz seiner ernst gemeinten Symbolik lächerlichen und trivialen Text gestaltete Mozart sein volksthümlichstes Werk. Es war ihm genug, daß derselbe die ihn begeisternden freimaurerischen Ideen verlebendigte, um mit heiligem Ernste seiner musikalischen Verklärung obzuliegen. Wie sehr ihm dieselbe am Herzen lag, das sagt uns die feierlich mysteriöse Pracht der von Licht und Glanz überfluteten Ouvertüre, des Einleitungsmarsches des zweiten Actes, der Priesterchöre, des Gesanges der geharnischten Männer, dem die alte Choralmelodie »Ach, Gott, vom Himmel sieh darein« alsCantus firmus dient. Nicht minder das innig gemüthvolle: »In diesen heil'gen Hallen« – wol der populärste von allen ernsten Gesängen der Welt. Der Schärfe der individuellen Charakteristik mußte allerdings das symbolische Wesen nothwendig Abbruch thun. So macht sich im Gegensatz zu »Figaro« und »Don Juan«, ja auch theilweise zu »Così fan tutte« und »Entführung«, deren dramatischerer Stoff einen ungleich stärkeren Ausdruck der Leidenschaft, eine feinere Detailausführung erheischte, hier mehr ein Allgemeineres, ein Grund- und Gesammtton geltend. Das Possenhafte und das Mystische eint sich dabei zu wunderbarem Zusammenklange, der seiner Natur nach ein echt deutscher ist. Was der Meister mit der »Entführung« begonnen, das führt er nun weiter, indem er der von ihm geschaffenen deutschen Oper einerseits eine reichere Formen- und Farben-Mannigfaltigkeit und -Freiheit, andererseits ein neues Element: das des Mystischen und Wunderbaren, hinzugewinnt. Sehen wir hier nicht alle Gattungen der Vocalmusik: vom schlichten Volkslied bis zum complicirten Solo-und Chor-Ensemble und der Fuge, dem dramatisch-lyrischen Ausdruck dienstbar gemacht? Und ist die »Zauberflöte« nicht die Mutter aller späteren Zauber-und Märchen-, wie aller Priesteropern, vom »Unterbrochenen Opferfest« bis zu »Olympia« und »Jessonda«, geworden? Ist der »Don Juan« in dramatischer Beziehung der »Zauberflöte« weit überlegen, so reichte mit Beethoven doch schon Mancher der Letzteren den Preis, weil Mozart sich hier »als deutscher Meister« zeigte. Denn wenn er in seinen italienischen Opern das Erbe einer langen Tradition übernahm und durch eigenartige Ausbildung gewissermaßen zum Abschluß brachte, so tritt er mit der »Zauberflöte« auf die Schwelle der Zukunft und erschließt seinem Volke das Heiligthum der nationalen Kunst.

Inmitten der Arbeit an der »Zauberflöte« empfing Mozart einen Auftrag, der bei der seltsam geheimnißvollen Weise, in der ihm derselbe übermittelt ward, seine erregte Phantasie tief beschäftigte. Ein ihm unbekannter Bote, lang, hager, ernst, graugekleidet, überbrachte ihm einen anonymen Brief mit der Frage, um welchen Preis und innerhalb welcher Zeit er eine Seelenmesse zu vollenden geneigt sei? Die Aufgabe zog den Meister an. Er hatte sich, in dem Wunsche wieder im Kirchenstil thätig zu sein, einige Monate zuvor um die unbesoldete Stelle eines musikalischen Adjuncten an der Stephanskirche beworben und dieselbe auch mit der Anwartschaft auf das spätere Amt eines Domcapellmeisters erhalten. Nun theilte er seiner Frau den ihm willkommenen Antrag mit und daß es ihn verlange, mit allem Fleiß ein Werk auszuarbeiten, das seine Freunde und Feinde noch nach seinem Tode studiren sollten. Dann erfolgte seine Zusage mit der Forderung von fünfzig, nach anderer Lesart hundert Ducaten. Wieder erschien der Bote, zahlte die bedungene Summe mit dem Versprechen einer späteren Zulage und bedeutete den Componisten, ganz nach seiner Stimmung und Laune zu schreiben, sich aber keine Mühe zu geben, den Besteller zu erfahren, da dies ja doch vergeblich sein werde.

Erst lange nach Mozart's Tode lüftete sich der Schleier des Geheimnisses, und es erwies sich, daß ein Graf Walsegg der Besteller war, der mit dem Requiem, welches er für sein eigenes Werk ausgab, das Andenken seiner verstorbenen Gattin feiern wollte. Die sich verdüsternde Phantasie des sonst so lebensfreudigen Künstlers aber erblickte in dem mysteriösen Auftrage eine Weisung von oben, des eigenen nahen Endes zu gedenken und sich den letzten und höchsten Dingen hinzugeben.

Eine ihm inzwischen zufallende neue Aufgabe: eine Festoper für Leopold II. Krönung zum böhmischen König in Prag, wurde zu schnellem Abschluß geführt. Binnen achtzehn Tagen ward »La clemenza di Tito« geschrieben und einstudirt. Freilich trägt die Musik den Stempel ihres eilfertigen Entstehens an der Stirn. Es sind die langen Arien, die Glanzduette, die obligaten und concertirenden Soloinstrumente, die steife, etikettemäßige Haltung, sogar die sopransingenden Liebhaber der Opera seria, wie sie einstmals die höfischen Feste verherrlichte. So süß und schmeichelnd die Melodik dieser Arien (wie Vitellia's »Nie wird mich Hymen«, oder Sextus' »Ach, nur einmal«), an denen wir uns heutigen Tages mehr im Concertsaal als auf der Bühne erfreuen: Charakterzeichnung und dramatisches Leben fehlen dem Ganzen wie keiner anderen von Mozart's Opern. Einzig das große erste Finale mit dem Capitolbrande zeigt dramatische Macht und Schlagkraft; hier tritt der Genius seines Schöpfers voll und ganz an's Licht und in sein Recht.

Ungeachtet der Verehrung, welche der Letztere in Prag genoß, war der Erfolg des am 6. September 1791 mit aller Pracht zuerst aufgeführten Werkes ein geringer. Dies schlug Mozart um so mehr nieder, als er sich ohnehin unwohl und durch die übermäßige Anstrengung angegriffen fühlte. Mit Thränen und voll trüber Ahnungen nahm er bald darauf von den böhmischen Freunden Abschied, um in Wien die letzte Hand an Vollendung der »Zauberflöte« zu legen. Sie feierte am 30. September ihren Geburtstag. Der Beifall zwar floß anfangs so sparsam, daß Mozart blaß und bestürzt nach dem ersten Act Schikaneder's Trost in Anspruch nahm und nur mit Mühe zu bewegen war, am Schlusse dem Hervorrufe des Publicums Gehör zu schenken. Alsbald jedoch bewährte diese Tonsprache ihre ganze Allgewalt. Mehr als je zuvor ein musikalisches Kunstwerk sang sie sich in die Herzen unseres Volkes hinein. Das Geschenk, mit dem Mozart großmüthig einen Freund aus dem Elend errettete, gewann ihm mehr als eine andere seiner Thaten die begeisterte Liebe seiner Nation, die neben dem »Freischütz« keine populärere Oper als die »Zauberflöte« besitzt. Es war zugleich das letzte große Werk, das er hienieden vollendete.

Mit allem Fleiß gab er sich nun ausschließlich der Förderung des Requiems hin. Schon vor der Prager Reise hatte ihn der graue Unbekannte wieder an dasselbe gemahnt. Nun schuf er Tag und Nacht ohne Rast noch Ruh', unbekümmert darum, daß er sich von häufigen Ohnmachten, von immer tieferer Erschöpfung, immer schwermüthigerer Stimmung überkommen fühlte. War es ein Wunder, daß seine zarte Natur endlich den unerbittlichen Anforderungen seines Geistes erlag? War doch sein Körper schwach und klein gebaut, wie auch sein Angesicht – so schildert ihn ein Freund – »wenn man das große feurige Auge ausnimmt, die Größe seines Genies nicht ankündigte«. Er, der lebensfrohe Gesellschafter, der allzeit lustige Tänzer und Reiter und Billardspieler, mied jetzt die Kreise der Freunde; nur nach seiner Arbeit verlangte ihn. Vergebens waren Constanze's Bemühungen, ihn aufzuheitern. Selbst die Natur, die sonst befreiend auf ihn wirkte und ihn zum Schaffen anregte, stimmte ihn jetzt traurig. Während einer Spazierfahrt im Prater begann er von seinem nahen Tode zu reden und sagte mit Thränen im Auge, daß er das Requiem für sich selber schreibe. »Gewiß man hat mir Gift gegeben«, meinte er; »ich kann mich von diesem Gedanken nicht losmachen.« Die erschreckte Constanze nahm ihm die Partitur des Requiems weg und zog den Arzt zu Rathe. Auch erholte er sich wieder so weit, daß er für ein Logenfest die Cantate »das Lob der Freundschaft« zu componiren und deren Aufführung zu leiten im Stande war. Durch den Erfolg neu gehoben, forderte er das Requiem zurück. Doch nach wenig Tagen befiel ihn wiederum die frühere Melancholie und seine Kräfte schwanden mehr und mehr dahin. Dabei beschäftigte ihn unausgesetzt die begonnene Arbeit, die sein Schwanengesang werden sollte. »Mein Kopf ist verwirrt«, schreibt er einem Freunde, »ich sammle mich mit Mühe und kann das Bild dieses Unbekannten nicht von meinen Augen fortbringen. Ich sehe ihn fortwährend; er bittet, er drängt mich und verlangt mit Ungeduld das Werk. Ich arbeite weiter, weil die Arbeit mich weniger erschöpft als die Muße. Sonst habe ich nichts mehr zu fürchten. Ich merke an dem, wie ich mich fühle, daß die Stunde schlägt. Ich bin im Bereich des Todes. Ich bin zu Ende gekommen, ehe ich mich meines Talentes gefreut habe. Das Leben war aber dennoch so schön! Die Bahn eröffnete sich unter so glücklichen Auspicien; aber man kann sein Geschick nicht ändern. Keiner bestimmt seine Tage, man muß sich ergeben, wie die Vorsehung will.«

So schuf er mit der Hast eines Sterbenden, den schon ein Hauch höheren Lebens umweht und der die kurzen, ihm noch beschiedenen Minuten für die Ewigkeit auszunutzen trachtet. Sein hohes Lied vom Tode, sein Anruf der allerbarmenden Liebe, die noch über dem Gericht und dem Ende aller Dinge steht, ist ein musikgewordenes Erlebniß seiner innersten Seele, sein wehmuthsvoller Abschied von dieser irdischen, seine lichte Vorahnung jener himmlischen Welt. Jeden beendeten Theil nahm er mit den Freunden, die ihm gerade zur Hand waren, durch. Auch als er nicht mehr vom Lager aufstehen konnte, noch am Nachmittag vor seinem Tode ließ er sich die Partitur auf sein Bett bringen. Er sang selbst den Alt, während anwesende Freunde die anderen Stimmen ausführten. Bei den ersten Tacten des rührend innigen Lacrimosa je doch überwältigten ihn die Thränen; er konnte nicht weiter. Obgleich er, wie er es selbst aussprach, den Tod als »den Schlüssel zu unserer wahren Glückseligkeit« ansah, fiel ihm der Abschied vom Leben nicht leicht. Mußte er nicht sein Weib und seine zwei kleinen Knaben[5] unversorgt zurücklassen, eben jetzt, wo der Erfolg der »Zauberflöte« und Zusicherungen aus Ungarn und Amsterdam, welche ihm für einige zu liefernde Compositionen einen bedeutenden Jahresgehalt boten, ihn aller Sorgen für die Zukunft zu entheben versprachen?

»Einmal möchte ich doch noch meine, Zauberflöte' hören«, sagte er am Tag vor seinem Tode zu seiner Frau und summte mit kaum vernehmbarer Stimme den »Vogelfänger«. Und als gegen Abend seine Schwägerin Sophie kam, rief er ihr zu: »Gut, daß Sie da sind; heute Nacht bleiben Sie bei mir, Sie müssen mich sterben sehen!« Als sie aber seine trüben Gedanken abzuwehren versuchte, entgegnete er: »Ich habe ja schon den Todtengeruch auf der Zunge; ich rieche den Tod, und wer wird meiner Constanze beistehen, wenn Sie nicht bleiben?« Mit seinem Schüler Süßmayr, der die Recitative zum »Titus« geschrieben hatte, besprach er sodann die weitere Ausführung des in seinen Hauptzügen skizzirten Requiems, das von diesem denn auch nach seiner Weisung vollendet wurde. »Habe ich es nicht gesagt, daß ich es für mich schreibe?« sagte er, indem sein feuchter Blick zum letzten Male auf seinem Werke ruhte. Selbst als ihn kalte Umschläge auf seinen heißen Kopf des Bewußtseins beraubten, suchte er mit dem Munde noch die Pauken im Requiem auszudrücken. Gegen Mitternacht richtete er sich auf, seine Augen waren starr. Dann neigte er sein Haupt gegen die Wand und schien einzuschlummern. Fünf Minuten vor ein Uhr in der Frühe des 5. December 1791 war er verschieden.

Drei ärztliche Gutachten gaben in Widerspruch zu einander Gehirnentzündung, Frieselfieber, Wassersucht als Ursache seines Todes an.

Die von Jammer und Schwäche überwältigte Constanze fand in van Swieten einen Beistand. Er übernahm, als sie erkrankte, auch die Sorge für das Begräbniß. Da sich indeß nur sechzig Gulden im Nachlaß vorfanden – eine Schuldenlast von 3000 Gulden tilgte später auf ein Gesuch der Wittwe der Kaiser – sparte man den Luxus eines eigenen Grabes: die Reste des großen Mozart wurden in eine Massengruft gesenkt. Mutterseelenallein trug man ihn am Nachmittag des 6. December unter Regen und Schneesturm hinaus auf den St. Marxer Friedhof. Die wenigen Freunde, die ihm das Geleit geben wollten, waren des Unwetters wegen nach der Einsegnung in der Stephanskirche oder am Stubenthor umgekehrt. Als die wieder genesene Constanze nachmals das Grab besuchen wollte, war inzwischen ein neuer Todtengräber angestellt, der ihr die Stelle nicht mehr anzugeben vermochte. Da, wo man dieselbe muthmaßte, zwar hat man dem Meister 1859 ein Denkmal errichtet, doch kennt Niemand mit Bestimmtheit die Stätte, da Mozart den letzten Schlaf schläft – nur in seiner eigensten Heimat, in seinen Werken dürfen wir den Genius suchen.

Was anders als ein Kampf mit Neid und Noth war, abgesehen von seinem stillen Schaffensglück, das Leben dieses Reichstbegnadeten gewesen, dessen glanzvoll aufgehender Stern nahezu im Dunkel erlosch? – und doch lebt die Welt der Töne ein Jahrhundert lang von dem Licht, das von ihm ausging in segnenden Strahlen. Wen in diesem zwiespaltreichen Dasein darnach verlangt, den Tongeist zu citiren, der wie kein anderer Sinnliches und Geistiges zu vollkommener Harmonie zu verschmelzen verstand, der wird immerdar den hehren Namen Mozart anrufen!

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Anmerkungen:

  1. Biographie W.A. Mozart's. Leipzig, 1828.
  2. Mozart's Leben. Deutsch bearbeitet von Schraishuon. Stuttgart, 1847.
  3. Mozart's Leben. Leipzig, 1877. Desgl. Mozart. Leipzig, Reclam.
  4. Zille, Die Zauberflöte. Texterläuterungen. Leipzig, Lißmann. 1866.
  5. Mozart's Wittwe heiratete 1809, wie erwähnt, den dänischen Staatsrath von Nissen. Von seinen Söhnen starb Carl, der ältere, 1859 in einer bescheidenen Stellung als österreichischer Beamter in Mailand. Wolfgang, der jüngere, lebte als Musikdirector in Lemberg und später in Wien; er starb 1844 in Carlsbad. Mozart's Schwester Nannerl hatte sich bereits 1784 mit einem Freiherrn Berchthold von Sonnenburg in St. Gilgen bei Salzburg vermählt.
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