Im December waren die Mozart's wieder daheim. Bald darauf veränderten sich die Verhältnisse daselbst in unerwünschter Weise. Erzbischof Sigismund starb und an seine Stelle trat der schon bei seiner Wahl von allgemeinem Staunen und Schrecken begrüßte Hieronymus, der in Mozart's Leben ein traurige Rolle spielen sollte. Die Composition der Festoper zur Huldigungsfeier: »Il sogno di Scipione«, ward von Wolfgang ausgeführt, der ohnedies in seiner Eigenschaft als erzbischöflicher Concertmeister die Musik für den Hof und den Dom zu schreiben hatte, wie denn auch im Laufe der nächsten Monate nicht weniger als acht Symphonien und eine Reihe Kirchenstücke entstanden.

Die äußerst erfolgreiche Aufführung der in und für Mailand componirten Oper Lucio Silla, sowie eine spätere Wiener Reise unterbrachen von Neuem den Salzburger Aufenthalt. Die Hoffnung jedoch, die Leopold Mozart daran geknüpft hatte: daß sich hier oder dort eine Anstellung für seinen Sohn darbieten solle, verwirklichte sich nicht. Nichtsdestoweniger empfand er mit aller Bestimmtheit, daß Wolfgang unter den obwaltenden Umständen und dem neuen Regiment nicht gedeihen konnte. Die engen Verhältnisse, der mangelnde geistige Verkehr, die karge Besoldung, die drückende Abhängigkeit von einem ungeliebten, tyrannischen Herrn – Mängel, für die ihnen auch die schönste Natur und das einträchtigste Familienleben keine genügende Entschädigung bot – verleideten ihnen Beiden das Leben in der Heimat. Selbst der auswärtigen Thätigkeit seines Concertmeisters setzte die Mißgunst des Erzbischofs engste Grenzen. Die Oper »Silla« blieb die letzte, die er für Italien schrieb; der Annahme fernerer Anträge machte die Urlaubsverweigerung des schlimmen Hieronymus einfach ein Ende. Nur bei einem Münchener Engagement hatte er, in Folge seiner nahen Beziehungen zum kurfürstlichen Hofe, seine Erlaubniß nicht versagen können, und so durfte Mozart am 13. Januar 1775 seineOpera buffa: »La finta giardiniera« (sie wurde unter dem Titel: »Die verstellte Gärtnerin« später für die deutsche Bühne bearbeitet) in der bayrischen Residenz zur Aufführung bringen. Sie fiel, umsomehr als ihm vortreffliche Sänger zu Gebote standen, glänzend genug aus, und im Gegensatz zu dem Orte seiner ständigen Wirksamkeit, wo man ihm gegenüber mit Gunst und Anerkennung geizte, sah er sich hier von Hof und Publicum mit Beifall und Ehrenbezeigungen überschüttet. Man meinte nie eine schönere Musik gehört zu haben, und in der That zeigte sich dieselbe an erfinderischer Kraft und lebendiger Charakteristik wie an formaler Behandlung nicht allein seinen eigenen bisherigen Bühnenarbeiten, sondern auch den besten gleichzeitigen komischen Opern überhaupt weitaus überlegen.

Für eine Festoper: Il rè pastore, welche die Anwesenheit des Erzherzogs Maximilian, des jüngsten Sohnes Maria Theresia's und nachmaligen Kurfürsten von Cöln, feierte, ward Mozart's Talent noch im selben Jahre auch vom erzbischöflichen Hofe in Anspruch genommen, ohne daß dieselbe, in der für derartige Zwecke damals beliebten concertmäßigen Weise gehalten, über die Bedeutung einer Gelegenheitsmusik hinausging. Im Uebrigen schuf Wolfgang für den höfischen Gebrauch eine große Anzahl Messen und Kirchenstücke, Symphonien, Serenaden, Cassationen, Concerte und Kammercompositionen, die sämmtlich nach Umfang und Verwendung der Mittel den örtlichen Verhältnissen angepaßt waren. In all diesen Musikgattungen, ebenso wie in der Oper, bereits fertig ausgebildete Formen vorfindend, bethätigte er sich trotz der ihn einengenden Schranken in denselben durch Werke, die hinter denen Joseph Haydn's, seines größten Zeitgenossen, nicht zurückstehen; wie ihn denn später der Flug seines Genius noch höher als Jenen trug. Erscheinen auch seine vielgetadelten Messen, die mehr ein festlich glänzendes, ja theatralisches, als ein ernst kirchliches Gepräge tragen und selbst in seiner edelsten That auf diesem Gebiete, derF-dur-Messe, mehr sinnliche Klangschöne als tiefe Erfassung des Textes bekunden, viel mehr den conventionellen Ansprüchen jener Zeit denn unsern gegenwärtigen religiösen Bedürfnissen angemessen – wer sagt, ob Mozart, hätte er sich innerhalb freierer, ungehemmterer Verhältnisse entwickeln dürfen, nicht auch in dieser Richtung Größeres, Eigenthümlicheres hervorgebracht haben würde? Von früh an durch seinen streng religiösen Vater zu einem guten Katholiken erzogen, für kirchliche Eindrücke empfänglich, ja selbst – wie dies aus seinem späteren Gesuch um die Adjunctenstelle an der Wiener Stephanskirche hervorgeht – an seinen Beruf zum Kirchencomponisten glaubend, hätte er sich dann wol auch nach dieser Seite hin selbsteigenste Wege eröffnet. Eigenen Impulsen aber folgte die Kunst jener Tage nur selten, und von allen Messen Mozart's ward beispielsweise nur eine einzige (die unvollendete in C-moll) auf freien Antrieb, ohne äußeren Anlaß von ihm geschrieben. In engster Abhängigkeit vom Leben stand die Musik. Sie diente bestimmten Mitteln und Zwecken, ward um dieser oder jener Veranlassung willen – selten um ihrer selbst willen – herbeigerufen. Nicht der inneren Neigung, sondern dem von Außen kommenden Auftrage gehorchte die Wahl des Künstlers, was unvermeidlich die Gefahren eines handwerksmäßigen Betriebes, einer übermäßigen Nachgiebigkeit gegen äußere Rücksichten nach sich zog. Vor der einen ward Mozart durch die lebendige Kraft seiner genialen Natur bewahrt; der anderen aber konnte er sich, seiner abhängigen Lage zufolge, nicht genügend erwehren. Auf das Drückendste empfand er die Enge der ihn umgebenden Schranken. Die Art seiner Collegen, der »Hofmusicis« (unter ihnen auch Michael Haydn, des großen Joseph Bruder), die er als »grob, lumpenhaft und liederlich« bezeichnet, befriedigte ihn eben so wenig als die ganze Weise des Musikbetriebes. »Ich lebe hier«, schreibt er 1776 an Padre Martini, »an einem Ort, wo die Musik wenig Glück macht. Mit dem Theater sind wir aus Mangel an Sängern übel daran; denn Freigebigkeit ist nicht unser Fehler.« Er hatte ein Recht zu dieser letzteren Bemerkung; denn seine Concertmeisterdienste als Virtuos, Orchesterspieler und Componist lohnte ihm Hieronymus mit jährlich 150 Gulden. Dabei nahm er jede Gelegenheit wahr, ihn und seinen Vater seine Geringschätzung empfinden zu lassen; ja er sagte ihm, dem Akademiker von Bologna und Verona, dessen Ruhm weltläufig geworden, geradezu, daß er nichts von seiner Kunst verstehe und erst nach Neapel ins Conservatorium gehen müsse, um etwas zu lernen! Bei seinem freimüthig offenen, sarkastischen Wesen blieb dem Jüngling keine Hoffnung auf eine Verbesserung seiner Lage in seiner Vaterstadt. Was Wunder, wenn es ihn so unaufhaltsam hinaus in's Weite trieb, daß, nachdem ein Urlaubsgesuch zu einer Kunstreise im Jahre 1777 von ihm und seinem Vater seitens des Erzbischofs rund abgeschlagen worden war, er schnell entschlossen um seinen Abschied bat? Er brauchte nicht lange auf seine Entlassung zu warten; sie ward ihm in den ungnädigsten Ausdrücken zu Theil. Nun war er frei! Da ihn der Vater nicht begleiten konnte, ihm aber der Sinn und Blick für das Praktische gänzlich gebrach, indeß seine arglose Gutherzigkeit, seine witzige Zunge und jähe Hitze ihm oft schlimme Streiche spielten, ward ihm die Mutter zur Reisegefährtin bestimmt. Schwere Opfer freilich mußte sich Leopold Mozart auferlegen, um die für nothwendig erkannte Reise zu ermöglichen. Doch unbedenklich brachte er sie dem geliebten Sohne und seinem »superieuren Talente« dar. Der nun zum Mann Gereifte mußte hinaus, um im Kampfe um's Dasein Freiheit und Selbständigkeit zu bewähren. Was ihm die Schule nach allen Richtungen zu lehren vermochte, das hatte er nicht nur als ausübender und schaffender Künstler, sondern auch an Sprach- und gemeinnützigen Kenntnissen in sich aufgenommen – nun konnte allein das Leben ihn als Meister und Menschen weiter bilden.

Glücklich im Gefühle der endlich errungenen Freiheit begab sich Wolfgang mit der Mutter im September 1777 auf die Reise. Ihr eigentliches Ziel war Paris; doch wurden auf dem Wege dahin in München und mehr noch in Mannheim, wo Mozart eine Anstellung oder mindestens ein Opernengagement zu erlangen hoffte, längere Stationen gemacht. Besonders anziehend mußte der letztgenannte Ort für ihn sein, der unter der kunstsinnigen Regierung Carl Theodor's von der Pfalz für »das Paradies der Tonkünstler« galt. Instrumental- und Opernkräfte standen daselbst auf der vollen Höhe der Zeit. Insbesondere aber mußten des Kurfürsten Bestrebungen für eine deutsch-nationale Singspielbühne in dem jungen Meister den Wunsch erwecken, dieser seine Kraft weihen zu dürfen. Mit aller Macht drängte es ihn zur Bethätigung derselben. »Ich darf nur von einer Oper reden hören, so bin ich schon ganz außer mir«, heißt es in einem Briefe an den Vater. Auch auf Wien, wo Joseph II. zu jener Zeit mit ähnlichen Ideen umging, richtete sich sein Blick; sein Hoffen aber schlug hier wie dort fehl, und so sehr er sich mit seinen Leistungen bei Hofe wie im Kreise seiner Kunstgenossen bewundert sah, ja, obwol man es selbst an Eröffnung von Aussichten nicht fehlen ließ, mußte er nach einem langen, über viele Monate ausgedehnten Aufenthalt unverrichteter Sache weiter ziehen.

Sein Herz freilich blieb in Mannheim zurück. An Aloysia Weber, eine fünfzehnjährige aufblühende Schönheit, die ihn als Sängerin entzückte und als Schülerin in nahe Berührung mit ihm trat, hatte er es verloren. Gern hätte er um ihretwillen, deren später berühmt gewordenes Talent durch seinen Einfluß zuerst zur Entfaltung und Anerkennung kam und der er in der wunderschönen Arie »Non sò donde viene« eine unvergängliche Huldigung darbrachte, all' seine bisherigen Pläne aufgegeben. Die Liebe zu ihr und das Mitgefühl für ihre Familie, die bei dem kümmerlichen Einkommen des Vaters als Theatercopist und Souffleur (er war ein Bruder von C.M. von Weber's Vater und durch seine Leidenschaft für die Bühne derart herabgekommen) in beschränktesten Verhältnissen lebte, gab ihm den Gedanken ein, mit Weber's nach Italien zu gehen und dort Opern zu schreiben, in denen Aloysia als Primadonna auftreten sollte. Der Vater aber, der unverrückt das eine Ziel im Auge behielt und das leichtentzündliche Herz Wolfgang's kannte, mahnte ihn streng an seine Pflicht. »Es kommt jetzt ganz allein auf Dich an«, schreibt er ihm, »in eins der größten Ansehen, die jemals ein Tonkünstler erreicht hat, Dich nach und nach zu erheben. Das bist Du Deinem von dem gütigsten Gott erhaltenen außerordentlichen Talent schuldig und es kommt nur auf Deine Vernunft und Lebensart an, ob Du als ein gemeiner Tonkünstler, auf den die Welt vergißt, oder als ein berühmter Capellmeister, von dem die Nachwelt auch noch in Büchern lieset, – ob Du von einem Weibsbild etwa eingeschläfert mit einer Stube voll nothleidender Kinder auf einem Strohsack, oder nach einem christlich hingebrachten Leben mit Vergnügen, Ehre und Reichthum, mit Allem für Deine Familie wohl versehen, bei aller Welt in Ansehen sterben willst? ... Fort mit Dir nach Paris und das bald! Setze Dich großen Leuten an die Seite – aut Caesar aut nihil!«

Mozart gehorchte dem Vater, ob auch schweren Herzens. Binnen Kurzem (im März 1778) war er in Paris. Aber auch hier begegnete ihm nicht viel Anderes als Enttäuschungen. Das allgemeine Interesse daselbst ward durch den Kampf der italienischen und der durch Gluck reformirten französischen Oper, der Piccinisten und Gluckisten, der sich eben in erbitterter Weise abspielte, in Anspruch genommen. Mozart schlug sich zu keiner der Parteien. Seine Sympathien aber gehörten – wie begreiflich bei dem absoluten Musiker und ersten Melodisten der Welt – zunächst den Italienern und allmälig nur nahm er den Einfluß der ernsten Gluck'schen, auf das Dramatische gerichteten Bestrebungen auf, der aus seinen späteren Bühnenthaten spricht. Dies blieb indessen auch das weitaus wichtigste Resultat des Pariser Aufenthaltes. Neid und Intrigue machten ihm auch hier wieder zu schaffen. Die Empfehlungen des Encyclopädisten Grimm, der ihm und den Seinen früher nützlich gewesen war und auf den sein Vater große Hoffnungen gesetzt hatte, wollten diesmal nicht verfangen. Grimm selbst schreibt an Leopold Mozart, sein Sohn sei zu treuherzig, zu wenig activ, zu leicht zu gewinnen, zu unerfahren in den zweckdienlichen Mitteln, um in Paris zu reussiren. Nichts wollte ihm glücken. Am schmerzlichsten traf ihn der Tod der Mutter, die er in der fremden Stadt begraben mußte. Aber auch die ihm bereits eröffneten Opernaussichten scheiterten. Er sah sich wie anderwärts wiederum auf Musikstunden angewiesen. Und das Unterrichten war »ganz wider sein Genie.« »Zu der Arbeit«, sagt er, »bin ich nicht geboren.« Die einzige Gelegenheit, sich als Componist geltend zu machen, war die sehr beifällig aufgenommene Aufführung einer neuen (der sogenannten französischen) Symphonie in dem Concert spirituel und die Herausgabe einiger Sonaten für Clavier und Violine. Endlich kam er mit dem Vater überein, nach Salzburg zurückzukehren. Man bot ihm, seine Wiederkehr wünschend, bei beliebigem Urlaub einen höheren Sold und machte ihm mit Uebertragen des Hoforganistenamtes Aussicht auf eine Capellmeisterstelle und auf das Engagement Aloysia's für die erzbischöfliche Oper. Das wirkte. Er schlug, wenn auch zögernd, ein. Gleich darauf erreichte ihn freilich die Kunde, daß die Geliebte inzwischen in München als Opernsängerin gewonnen worden war. Sein Opfer war umsonst – doch der Vater duldete kein Zurücktreten. Er hielt ihn beim Worte. So trat er bekümmert im September die Heimreise an. Er beeilte sie nicht; erst nach längeren Unterbrechungen in Straßburg, Mannheim und München langte er im Januar 1779 in Salzburg an. Zu all den Enttäuschungen, die er auf seiner mit so vielen Hoffnungen begonnenen Reise erfahren, hatte ihn in München die schwerste getroffen: Aloysia hatte ihm nicht Treue bewahrt.

Die alten, ihm von sonst verhaßten Verhältnisse fand er unverändert vor. »Wenn ich in Salzburg spiele oder von meinen Compositionen was aufgeführt wird, so ist's als wenn lauter Tische und Sesseln die Zuhörer wären«, äußert er dem Vater gegenüber. Selbst die Arbeit erfreut ihn nicht, »weil sein Gemüth nicht vergnügt war.« Denn »wenn man seine jungen Jahre so in einem Bettelort in Unthätigkeit verschlänzt, ist es traurig genug und auch Verlust.« Gleichwol war er jetzt eben so wenig als zu irgend einer Zeit seines Lebens müßig. Symphonien, ein Concert für zwei Claviere, eine vierhändige Sonate, Orgelsonaten, mehrere Messen und Vespern, die Musik zum Drama »König Thamos«, die er auf Veranlassung des damaligen Salzburger Theaterdirectors Schikaneder – des späteren Verfassers vom Textbuche zur Zauberflöte – schrieb und deren Chöre er mit Unterlegung eines anderen Textesweiterhin als »Hymnen« bekannt machte, sowie eine deutsche, nicht ganz vollendete Operette »Zaïde« fallen in jene Zeit. Nach größeren Aufgaben aber verlangte ihn, um seine in unausgesetzter vielseitigster Uebung erstarkte Kraft zu bewähren. Da kam ihm die Einladung zur Composition einer großen Oper für den Carneval 1781 in München und mit ihr die ersehnte Befreiung aus der heimischen Enge. Der nun entstehende »Idomeneo« sollte jene Reihe musikalischdramatischer Meisterwerke eröffnen, in denen sich der nun vollgereifte Genius Mozart's bezeugte: er war seine erste monumentale That.

Was Mozart von der Oper der Franzosen und von Gluck erlernt, das ward ihm jetzt fruchtbar. Nicht wie Jener auf eine Reform des musikalischen Dramas auf Grundlage der Poesie zwar zielte er hinaus. Dazu war sein Genius zu unpolemischer und unreflectirender, vor Allem zu ausschließlich musikalischer Natur. Aber er sucht der ernsten, auf dramatische Wahrheit gerichteten Größe Gluck's die schöne Sinnlichkeit, den Melodienfluß und Coloraturenglanz der Italiener zu vereinen und gießt den Zauber seiner eigenen, in Wohllautfülle schwelgenden Individualität über das Ganze aus. Erreicht wird freilich eine einheitliche Verschmelzung der Vorzüge beider Opernstile hier noch nicht. Denn wenn auch die gesteigerte Charakteristik, die belebtere Handlung, die häufigere Verwendung von Chören und Ensembles, die reichere Abwechselung durch pantomimische Tänze und Ballets, Märsche und Aufzüge, die Behandlung des Recitativs auf das französische Vorbild hinweisen: für die gesammte Anlage des Werkes, das Abgeschlossene der Situationen und Einzelformen, die Fassung der in ihrer Ueberzahl dominirenden Arien und die in ihnen beobachtete Rücksichtnahme auf die Sänger, für die uns heutzutage unnatürlich genug erscheinende Gruppirung der Stimmen (welche einem Tenor drei Soprane, darunter die Castratenpartie des Idamante, gegenüberstellt) waren vielmehr die traditionellen Satzungen der alten Opera seria maßgebend. Wie begreiflich, da zu jener Zeit die italienische Musik in der Kirche wie auf der Bühne die weltbeherrschende war und auch in Deutschland, wenigstens in Süddeutschland – denn die deutsche Oper Keiser's wie die Kirchenmusik der Bach's blieb auf Nord- und Mitteldeutschland beschränkt – keine nationale Kunst in Gegensatz zu ihr trat! War doch die musikalische Atmosphäre, in der Mozart emporwuchs, so durchaus italienisch, daß er das Wesen der italienischen Musik als das Wesen der Musik überhaupt begriff. Wie er, der spätere Schöpfer der deutschen Nationaloper, aber die italienische zur Höhe ihrer Entwickelung führte, so setzte er dieser Letzteren in ihrer universalen Bedeutung mit dem »Idomeneo« ein Ziel. Fortan behielt sie nur noch nationale Geltung.

Es wird erzählt, daß Mozart selbst neben dem »Don Juan« den »Idomeneo« unter seinen Opern am höchsten gehalten habe. Auch nahm derselbe in der Schätzung der Kenner allezeit einen hohen Rang ein, mochten auch seine älteren und neuesten Wiederbelebungsversuche auf der Bühne nicht von dauerndem Erfolge sein. Das steife, dem verblaßten Genre der alten mythologischen Heroenoper angehörende Textbuch, das der Salzburger Abbate Varesco nach einer französischen Tragödie für Mozart zustutzte, beraubt auch die noch jung gebliebene Musik vielfältig ihrer Wirkung. Nichtsdestoweniger gehören die Arien der Ilia – deren zweite an Tamino's Bildniß-Arie aus der Zauberflöte vernehmlich anklingt –, die große Schlußscene mit dem Sturm, mit den frappanten Harmoniewechseln und ihrer damals phänomenalen Verwendung von Chor und Orchester, das Quartett, der Gelübde-Chor und die ganze Opferscene zu den schönsten und unvergänglichsten Eingebungen ihres Schöpfers.

Ueber den Erfolg der am 29. Januar 1781 stattfindenden ersten Aufführung fehlen die Berichte; sicherlich jedoch stand er hinter dem der Proben, der an Lebhaftigkeit und Wärme nichts zu wünschen übrig ließ, nicht zurück. Im Künstlerthume wie im Leben Mozart's aber bezeichnet der »Idomeneo« eine entscheidende Wendung. Mit ihm schloß die Salzburger Epoche ab.

Der Erzbischof, der eben des Längeren in Wien verweilte, berief mit dem Hofhaltspersonal auch seinen Concertmeister, mit dem er nur zu gern vor Anderen glänzte, nach der Kaiserstadt. Was konnte diesem erwünschter sein? Freilich mußte er dort harte Demüthigungen erdulden. Hieronymus behandelte ihn völlig wie einen Bedienten und ließ ihn mit Köchen und Kammerdienern an einem Tische speisen; doch wußte der junge Künstler, der bei aller Harmlosigkeit doch seine Würde zu wahren verstand, seine Tafelgenossen durch »die größte Seriosität« von sich fern zu halten. Schwerer noch kränkte es ihn, daß ihm der Erzbischof bei jeder Gelegenheit, sich in anderen aristokratischen Häusern selbständig hören zu lassen, die Erlaubniß verweigerte – und doch konnten sie ihm allein den Weg zum Kaiser bahnen, und er setzte so große Hoffnungen auf eine Begegnung mit Joseph II. Seine Mitwirkung gelegentlich einer Wohlthätigkeits-Academie wurde endlich gestattet, da »die ganze Noblesse Wiens den Erzbischof darum quälte«; die Einwilligung zu einem vielversprechenden eigenen Concerte blieb ihm jedoch hartnäckig versagt. Obendrein wurde ihm, gerade als sich ihm in Wien günstige Aussichten eröffneten, die bevorstehende Rückkehr nach Salzburg angekündigt. Vergebens suchte ihn der Vater zu beschwichtigen. Der Bruch war unausbleiblich, denn Mozart haßte, laut seinen eigenen Worten, den Erzbischof bis zur Raserei. Und nun kam es zu dem entscheidenden Zusammenstoß. Schon einmal hatte ihn Hieronymus »einen Buben, einen liederlichen Kerl« genannt und ihn »weitergehen« heißen, ihn auch aus der von ihm innegehabten Dienstwohnung ausweisen lassen. Er hatte es um des Vaters willen ertragen. Nun er sich aber, da der tyrannische Fürst seine Abreise befohlen hatte, bei ihm sehen ließ, wiederholten sich die Beschimpfungen. Er sei ein »Lump«, herrschte er ihn an, »ein Lausbub, ein Fex, der liederlichste Bursch, der ihn so schlecht wie kein anderer Mensch bediene.« Des Künstlers lang geprüfte Geduld war endlich zu Ende. »Sind also Ew. Hochfürstliche Gnaden nicht zufrieden mit mir?« fragte er. – »Was? Er will mir drohen?« war die Antwort. »Er Fex! dort ist die Thür! Ich will mit einem solchen elenden Buben nichts mehr zu thun haben!« – »Und ich mit Ihnen auch nichts mehr!« – »Also geh Er!« –

Und Mozart nahm ihn beim Worte. Er ging. Der Erzbischof aber wollte den, um dessen Besitz man ihn allgemein beneidete, nicht verlieren. Man verweigerte die Annahme des Entlassungsgesuchs, und als der beleidigte Meister dennoch auf derselben bestand, warf der erzbischöfliche Oberstküchenmeister Graf Arco ihn mit einem Fußtritt zur Thüre hinaus!

Das war das Ende seiner Salzburger Leiden, das an Brutalität seines Gleichen sucht. Die Sclavenketten aber waren wenigstens gebrochen. Jetzt war Mozart frei, ganz frei. Jetzt, meinte er, fange sein Glück erst an. Der Mann mit dem kindlich vertrauenden Herzen, der, ob ihm das Leben auch Enttäuschung über Enttäuschung bereitete, nicht aufhörte an seinen Stern, seinen Genius und die Menschheit zu glauben, blickte voll Zuversicht in die Zukunft, und doch sollte auch sie sein Hoffen trügen!

Ganz unzufrieden mit dem Ausgang der Sache war Wolfgang's Vater. Er unterließ nicht, ihm bitterste Vorwürfe zu machen, ja er forderte sogar die Rückgängigmachung des Abschiedsgesuchs. Doch trotz all seiner kindlichen Liebe verharrte der Sohn bei dem, was seine Ehre erheischte. Zum ersten Male machte er seine theuer erworbene Selbständigkeit geltend und behauptete sie fortan, freilich zum Schaden des innigen Verhältnisses, das ihn bisher mit dem Vater verband und das nun bis zum Ende des Letzteren (1787), wenigstens von Leopold Mozart's Seite, getrübt blieb.

Einen geeigneten Boden, wie er sich ihm für das Gedeihen seiner sonnigen Kunst nirgends günstiger darbieten konnte, fand er in Wien. Das genußfröhliche Leben daselbst, die hohe Bildungsstufe, die entwickelte Musikpflege – viele vornehme Adelshäuser hielten sich eine Privatcapelle oder ein Streichquartett – und insbesondere die Blüte der dramatischen Kunst, der Kaiser Joseph durch Gründung des Nationaltheaters eine würdige Heimstätte bereitet hatte, mußten der Schaffenslust des Musikers die ersprießlichste Nahrung geben. Das willkommenste Feld der Wirksamkeit zudem eröffnete sich ihm in der Nationalsingspielbühne, welche gleichfalls die Schöpfung des großen Kaisers war und mit der er, obwol seine eigenen Sympathien der italienischen Musik zuneigten, an Stelle der aufgehobenen italienischen Oper (1778) sein deutsches Volk beschenkte. Mozart's eifrigstes Trachten ging dahin, mit einem Auftrag für eben diese Bühne betraut zu werden. Er durfte nicht lange darauf warten. Die Annahme seiner »Zaïde« zwar scheiterte am Textbuche derselben; da er sich indeß durch eine im gräflich Thun'schen Hause stattfindende Aufführung des »Idomeneo« die Gunst des Intendanten gewonnen hatte und selbst Joseph's II. Stimme für ihn sprach, übergab man ihm bald ein geeignetes Libretto: »Belmonte und Constanze, oder die Entführung aus dem Serail.«

Die Aufgabe begeisterte ihn dergestalt, daß er gleich nachdem er sie empfangen eine Arie, und zwar die schönste von allen und seineigenes Lieblingsstück: die Tenornummer »O, wie ängstlich« niederschrieb. Drei Wochen später war bereits der erste Act beendet. Doch fast ein volles Jahr verging bis zur Fertigstellung und Aufführung des Werkes. Erst am 12. Juli 1782 erfolgte die Letztere. Mit ihr war Mozart's musikalische Stellung in Wien begründet und zu gleich die erste deutsche Oper geschaffen. Mochten auch die Italiener, Salieri an der Spitze, die ihren eigenen Einfluß und die Macht der welschen Musik gefährdet sahen, allerlei Cabalen in Scene setzen – der Genius siegte. So gespannt die Erwartungen gewesen, das Publicum, dessen Sinn für übersprudelnde Laune und gesunde Komik sich angesprochen fand, zeigte sich entzückt und hingenommen. Nicht enden wollten Beifall und Dacaporufen, und eine Aufführung zog die andere nach sich. »Die Leute, kann ich sagen«, berichtet Mozart nach der dritten, »sind recht närrisch auf diese Oper. Es thut Einem doch wohl, wenn man solchen Beifall erhält.« Auch die Kritik nennt »des Verfassers Geschmack und neue Ideen hinreißend.« Gluck, die erste musikalischdramatische Autorität Wiens, nicht minder Fürst Kaunitz, der allmächtige Staatsmann und seine Kunstkenner, sagten dem Componisten viel Schmeichelhaftes. Dagegen hatte der doch musikgeübte, wenn auch nicht tiefer musikalische Kaiser keinen rechten Begriff von der Bedeutung der Schöpfung, die er erst in's Leben gerufen. Es sei nicht allzuviel daran, äußerte er später einmal über dieselbe, und sein Urtheil gegenüber dem Meister lautete: »Zu schön für unsere Ohren, und gewaltig viel Noten, lieber Mozart!«, worauf der freimüthige Künstler die Erwiderung gab: »Gerade so viel Noten, Ew. Majestät, als nöthig ist.«

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