Wie man von jeher großen Maler, Dichter und Musiker mit einander zu vergleichen liebte, so hat man auch Mozart gern den Raphael unter den Componisten genannt. Die sonnige Klarheit ihrer Ton- und Farbenpoesie, die reine Grazie ihrer Form, die wundervolle Harmonie zwischen Ausdruck und Empfindung, welche letztere sich über diese kampf- und leidensvolle Welt erhebt und, von allem Erdendruck befreit, nur die verklärte Schönheit im Kunstwerke darstellt, legen in der That einen Vergleich zwischen Beiden nahe. Auch die unerschöpfliche Fülle des Schaffens theilten sie mit einander, ob es ihnen Beiden auch nicht gegeben war, ihr Dasein voll und ganz auszuleben, ob sie auch in der Blüte der Jahre und der Manneskraft dahin gehen mußten. Wie aber kein Raphael zum zweiten Male geboren wird, so auch kein Mozart. Nur die Höhezeiten der Kunstentwickelung zeitigen Genien so königlicher Art, wie sie es gewesen und als welche sie leuchtenden Glanzes hineinragen in die Jahrhunderte, die spurlos vorübergehen an ihren Werken. Nur das Unsterbliche altert nicht. Wenn es das Merkzeichen des Genius ist, daß er nicht allein die Denk- und Empfindungsweise seiner Zeit im Kunstwerk wiederspiegelt, sondern in der Vergangenheit wurzelnd zugleich die Zukunft vorbereitet und somit, ob auch an sich nicht zeitlos, alle Zeiten umspannend, etwas Ewiges an sich trägt, so hat sich Mozart in erster Reihe als solch Ewiger beglaubigt.

Als Bindeglied und Vermittler zwischen Haydn's naiver und Beethoven's bewußter, weltumfassender Kunst auf instrumentalem Gebiete, und in entscheidenderer Weise noch als Meister der Oper, deren ihm überkommenen starren italienischen Formalismus er, Dank dem Feuerstrom seiner Musik, zu einem lebendigen Organismus beseelte und zu einem classischen deutschen Kunstgebilde umprägte, der er zuerst Charaktere, natürlich empfindende Träger der Handlung und deutsche Gemüthstiefe gab, hat er seine Mission übernommen und vollendet. Nie ist ein tonreicherer Genius über diese Erde gewandelt. In unversieglicherer Fülle als je einem Anderen entströmte ihm der Quell goldner Melodien, und mit so spielender Leichtigkeit gebot Keiner allen Formen seiner Kunst schon als Knabe als Herrscher. Was er anschaute und erlebte, was er dachte und empfand, gestaltete sich ihm zu Tönen; seine ganze Seele, sein ganzes Dasein ging auf in Musik – ganz und ausschließlich war er Musiker. Es hat gewaltigere, tiefsinnigere Tongenien als den seinen gegeben, und in Schatten gestellt ward seine lichte Gestalt ohne Frage von der Riesenerscheinung Beethoven's, die sich in unmittelbarer Nachbarschaft neben ihm als hehrste Tongröße erhebt, welche die Musik aller Völker und aller Zeiten kennt. Einen harmonischeren, schönheitgesättigteren Genius als Mozart jedoch hat die Welt nie gekannt. So lange der Sinn für das Schöne, für Wohllaut, Formenanmuth und Herzensreinheit in der Menschenbrust lebt, so lange werden seine Melodien leben und die Herzen mit Freuden und Frieden füllen!

Wolfgang Amade Mozart, wie er selbst sich nannte, oder Johannes Chrysostomus Wolfgang Theophilus Mozart, wie sein Name im Taufbuche der Salzburger Dompfarre lautet, wurde am 27. Januar 1756 in Salzburg geboren. Sein Vater, Leopold Mozart, entstammte einer schlichten Handwerkerfamilie in Augsburg, war aber, voll ernsten Bildungsdranges, um die Rechte zu studiren, nach Salzburg gekommen und hatte dort, wie er sich gleich anfangs durch Musikunterricht seinen Unterhalt verdiente, als Hofmusikus und nachmals Vicecapellmeister des Erzbischofs Sigismund sein Amt und Brod gefunden. Als trefflicher Violinspieler, wie als Componist und Verfasser einer Violinschule – der ersten und lange Zeit auch einzigen in Deutschland – hatte er sich in weiteren Kreisen bekannt gemacht und daneben eine feinere und allgemeinere Bildung als seine Genossen zu erwerben gewußt. Mit Anna Maria Bertlin, einer Pflegetochter des nahen Stiftes von St. Gilgen, vermählt, mit der vereint er seiner Zeit für das schönste Ehepaar in Salzburg galt, schenkte ihm der Himmel sieben Kinder; doch nur zwei derselben: eine Tochter Maria Anna, Nannerl genannt, und der fünf Jahre jüngere Wolfgang blieben am Leben. Beide legten schon in frühester Kindheit einen wunderbaren Musiksinn an den Tag. Der dreijährige Knabe schon vergnügte sich mit dem Zusammensuchen von Terzen am Clavier. Im vierten Jahre lernte er dem Vater einige Menuette und andere Stücke mit Leichtigkeit ab, und ein Jahr später trug Papa bereits die ersten Compositionen Wolfgang's in dessen Uebungsbuch ein, das noch heute zu den Reliquien des Salzburger Mozarteums zählt. Ja, einstmals überraschte der Vater den Knaben, der kaum noch die Feder zu halten verstand, über der Composition eines Concertes, das so schwer war, daß es kein Mensch zu spielen vermochte.

Ein alter Hausfreund, Namens Schachtner, erzählt, daß, sobald Wolfgang sich »mit Musik abzugeben anfing, alle seine Sinne für alle übrigen Geschäfte gleichsam todt gewesen seien.« »Selbst die Kindereien und Tändelspiele mußten, wenn sie für ihn interessant sein sollten, von der Musik begleitet werden ... Ich ward ihm daher, weil ich mich mit ihm abgab, so äußerst lieb, daß er mich oft zehnmal an einem Tage fragte, ob ich ihn lieb hätte, und wenn ich es zuweilen, auch nur zum Spaß verneinte, stunden ihm gleich die hellichten Zähren im Auge, so zärtlich und so wohlwollend war sein gutes Herzchen.«

An seinem ernsten, strengen Vater hing er mit aller Zärtlichkeit. »Nach Gott kommt gleich der Papa«, pflegte er zu sagen. Von seiner braven, ihm aber nicht eben als Autorität gegenüber stehenden Mutter erbte er die Lust an derber Komik – eine charakteristische Salzburger Eigenschaft, die ihm sein Lebenlang zu eigen blieb.

Von frühan setzte er seine Ehre darein, nur vor »großen Musikkennern« zu spielen. Voll Lerneifers und Feuers gab er sich Allem, was er that, ganz hin. Das Rechnen z.B. trieb er mit so viel Leidenschaft, daß er Wände, Tische und Sessel mit Ziffern beschrieb. »Ich denke«, sagt Schachtner, »daß er im Ermangelungsfalle einer so vortheilhaft guten Erziehung, wie er hatte, der ruchloseste Bösewicht hätte werden können, so empfänglich war er für jeden Reiz, dessen Güte oder Schädlichkeit er zu prüfen noch nicht im Stande war.« Und diese schnelle, gläubige Hingabe an Menschen und Dinge haftete ihm dauernd an. Welt- und Menschenkenntniß blieben ihm, dem ganz nur von seiner Kunst Erfüllten, gänzlich fremd. Die Feinheit seines Gehörs, die Sicherheit seines Gedächtnisses war staunenerregend; doch waren seine Nerven dergestalt empfindlich, daß er bis zum zehnten Jahre den Trompetenton nicht ertragen konnte und beim gezwungenen Anhören desselben nahezu in Krämpfe verfiel. Ohne die geringste Anweisung auf der Violine empfangen zu haben, führte er, als man bei seinem Vater einmal einige neue Trios probirte, die zweite Geigenstimme und sodann die erste zur Ueberraschung der Anwesenden aus. Es währte nicht lange, so machte er sich auch auf der Orgel spielend heimisch. »Was man ihm lehren wollte, das war seinem Geiste schon wie bekannt und er schien sich nur darauf zu besinnen«, sagt Niemtschek, sein erster Biograph.[1] Mit größter Einsicht und Sorgfalt aber leitete der äußerst gewissenhafte Vater auch die Erziehung seiner Kinder, der er neben seinem Amte seine ganze Zeit widmete, wie er denn in der Ausbildung seines Sohnes »seine höchste Lebensaufgabe« erblickte. So gesellte sich, wie Ferdinand Hiller schreibt, »einer der wunderbarsten Organisationen, welche die Geschichte der Menschheit kennt, eine durch Lehre und Verhältnisse so vollkommene Ausbildung, wie sie sich in der Geschichte der Tonkunst nicht wiederfindet.«

Sechs Jahre war der Knabe alt, als seine und der Schwester außerordentliche Leistungen – denn auch Nannerl war merkwürdig vorgeschritten – Leopold Mozart bewogen, einen ersten Weltflug mit Beiden zu wagen. Das nächste Ziel war München, wo sie mit vielem Beifall vor dem Kurfürsten spielten; dann ging es nach Wien. In Schönbrunn mußten sie sich wieder holt vor der sehr musikalischen kaiserlichen Familie produciren. Besonderes Wohlgefallen bezeigte Kaiser Franz I. an dem »kleinen Hexenmeister«, der, nachdem er seine Künste sogar auf einer mit einem Tuch verdeckten Claviatur zum Besten gegeben, seiner Gemahlin Maria Theresia ohne Umstände auf den Schoß sprang und sie küßte, und mit den Prinzessinnen wie mit seines Gleichen verkehrte. »Sie sind brav, ich will Sie heiraten«, sagte er zur Erzherzogin Maria Antoinette, die ihm, als er einmal auf dem glatten Fußboden ausglitt, freundlich wieder aufhalf, und des nachmaligen Kaiser Joseph Violinspiel kritisirte er mit aller Unbefangenheit, indem er bald ein »Pfui, das war falsch!«, bald ein »Bravo!« dazwischen rief. Neben den berühmtesten Virtuosen mußten sich die Kinder allerwärts in den ersten Kreisen Wiens hören lassen. Machte auch ein bei Wolfgang ausbrechendes Scharlachfieber der Fortsetzung ihrer Erfolge ein schnelles Ende, schon der darauffolgende Sommer (1763) fand sie wieder auf Reisen, diesmal in Süddeutschland, am Rhein, in Brüssel und Paris. Wohin sie kamen, staunte man die Geschwister und zumal den Knaben wie ein Wunder an. Schon traten bei ihm die Virtuosenleistungen auf Clavier, Violine und Orgel, so bedeutend sie waren, hinter den Kundgebungen einer noch umfassenderen musikalischen Begabung zurück. Nicht nur, daß er in Gesellschaften und öffentlichen Concerten italienische und französische Arien nach einem bezifferten Baß oder aus der Partitur fertig vom Blatt begleitete und transponirte, er accompagnirte auch nur nach dem Gehör und schrieb zu einer ihm gegebenen Melodie, ohne des Claviers zu bedürfen, Baß und Mittelstimme, oder zu einem Baß die schönste Melodie hinzu. Vier von ihm componirte Sonaten für Pianoforte und Violine wurden in Paris gestochen und die ersten zwei derselben als opus 1 der Prinzessin Victoire, der zweiten Tochter König Ludwig's XV., gewidmet und in Versailles überreicht, wo man die Kinder mit hoher Gunst empfangen hatte. Als aber die allmächtige Marquise Pompadour der Zärtlichkeit des kleinen Wolfgang, der sie nach seiner zutraulichen Weise umhalsen wollte, wehrte, rief er entrüstet aus: »Wer ist denn die da, daß sie mich nicht küssen will? Hat mich doch die Kaiserin geküßt!«

Weit größer noch war der Erfolg ihres Aufenthaltes in England, der vom April 1764 bis in den Juli 1765 währte. Die Aufnahme bei Hofe, wo ein musiksinniges deutsches Königspaar herrschte, übertraf alle Erwartungen. Die schwierigsten Stücke von Händel und Bach, die König Georg III. ihm vorlegte, spielte Wolfgang ohne Weiteres vom Blatt, und Johann Christian Bach, des großen Sebastian Sohn und der Lehrer und Musikdirector der Königin, hatte die größte Freude an dem kleinen Musiker, dessen geistige Entwickelung in so bewundernswerther Weise fortschritt, daß er, laut dem Zeugniß seines Vaters, mit acht Jahren wußte, »was man von einem Mann von vierzig Jahren fordern kann.« Im Verkehr mit einem tüchtigen italienischen Sänger bildete er, der voll unablässigen Eifers lernte, auch seinen Gesang aus, sodaß er mit zwar schwacher Stimme, »doch mit eben so viel Geschmack als Gefühl sang« und sangbar und dankbar auch für die Stimme schreiben lernte. »So früh«, sagt Jahn in seiner im Vorliegenden vorzugsweise benutzten Mozart-Biographie[2], »kam er in den Besitz der wesentlichen Voraussetzungen eines großen Componisten, daß ihm das wie zu einem natürlichen Instinct wurde, was gewöhnlich erst in reiferen Jahren die Frucht mühevoller Arbeit ist.« Erspart freilich blieb ihm die Arbeit eben so wenig als Anderen, ja, er selbst sagt, man irre sich, wenn man glaube, daß ihm seine Kunst so leicht geworden sei; Niemand habe wol mehr Mühe auf das Studium der Composition verwandt. Der strenge Vater gewöhnte ihn eben von frühan an pflichttreue Erfüllung seiner Aufgaben, und sein natürlicher Fleiß, seine Selbstvergessenheit, wenn er sich mit Musik beschäftigte, war so groß, daß man ihn oft ernstlich vom Clavier wegtreiben mußte. Fand ihn doch bis an sein Ende immer die späte Nacht noch am Pianoforte, wo er sich in den wunderbarsten Phantasien erging, wie er denn auch zu diesen Stunden am liebsten componirte. So war er auch in London nicht müßig. Hier schrieb er für die von ihnen veranstalteten äußerst erfolgreichen Concerte seine ersten Symphonien; auch veröffentlichte er wiederum sechs Sonaten für Clavier mit Violine oder Flöte, die der Königin gewidmet wurden. Ueber Holland, wo beide Kinder lebensgefährlich erkrankten, Frankreich und die Schweiz kehrten sie endlich im Herbst 1766 nach dreijähriger Abwesenheit, mit Ruhm und Ehren bedeckt, zu denen sich auch ein beträchtlicher materieller Gewinn gesellte, in die Heimat zurück.

Nicht lange aber saßen sie daselbst still. Noch bevor ein Jahr verging, das Wolfgang zu emsigen Compositionsstudien benutzte, – in jene Zeit fallen seine ersten Vocalwerke: ein vierstimmiges Kyrie, mehrere Oratorien und die »lateinische ComödieApollo et Hyacinthus«, die neben merkwürdiger Formensicherheit schon das Streben nach dramatischer Charakteristik bekunden – waren sie wieder in Wien. Diesmal jedoch erwies sich ihnen das Glück nicht hold. Die Hoffnung Leopold Mozart's, gelegentlich der Vermählungsfeier einer Erzherzogin seinen Sohn einem besonders glänzenden Publicum vorzuführen, ward durch den Ausbruch der Blattern, von denen auch beide Kinder befallen wurden, vereitelt. Sodann verhielt sich das Publicum, das sich ehemals für die Virtuosität des Wunderkindes begeistert hatte, der Entwickelung des Künstlers gegenüber ziemlich gleichgültig, während Neid und Intrigue der Kunstgenossen um so geschäftiger waren, ihm den Erfolg zu verkümmern und selbst die Aufführung einer ersten Oper: La finta semplice, die Wolfgang im Auftrag Kaiser Joseph's componirte, siegreich hintertrieben. Alles, was die Familie nach einjährigem kostspieligen Aufenthalt in Wien erreicht hatte, war die Aufführung einer kleinen deutschen Operette Wolfgang's, Namens »Bastien und Bastienne«, im Privatkreise und seine Direction einer zur Einweihung der Waisenhauskirche von ihm geschriebenen Messe, wobei der zwölfjährige Knabe in Gegenwart des Hofes den Tactstock schwang.

Italien, die Heimat der Musik und zu jener Zeit das gelobte Land der Sänger und Componisten, war jetzt das Ziel, dem Leopold Mozart zustrebte. Wie fast alle namhaften deutschen Tonkünstler des vorigen Jahrhunderts – Allen voran Händel und Gluck – sich dort ihre letzte Vollendung und ihre ersten Lorbeeren erwarben, so sollte auch sein Sohn sich daselbst zwar nicht seine Schulbildung – denn die hatte er im Hause bereits empfangen – aber seine künstlerische Weltbildung und seinem Ruhm erhöhten Glanz gewinnen. Da, wo die ersten und berühmtesten Sänger in der Kirche wie auf der Opernbühne herrschten, genügte ja ein einziger Sieg, um dem Musiker das ganze gebildete Europa zu erschließen. Der Knabe, der jetzt gen Italien zog und sich allmälig die Welt eroberte, ahnte freilich nicht, daß seine Römerfahrt im Sinne der vorausgegangenen Meister die letzte war und daß es ihm vorbehalten blieb, nicht allein das höchste Ziel der italienischen Oper zu erreichen, sondern die Schranken der Nationalität zu durchbrechen und, italienischer Formvollendung französische Dramatik und deutsche Tiefe verbindend, mit allen Stilen frei schaltend, die deutsche Oper, oder vielmehr die universale classische Oper zu gestalten.

Gegen Ende des Jahres 1769 machten Vater und Sohn sich auf die Reise, diesmal die Frauen daheim zurück lassend. Unbegrenzte Bewunderung brachte man allerwärts dem frühreifen Genius entgegen; man drängte sich in Scharen herbei, um ihn zu sehen und zu hören, und die Dichter besangen um die Wette dies »Wunderwerk der Natur«, das sich als Clavier- und Orgelspieler, als Violinist und Sänger, als Improvisator und Componist mit gleichem Erfolge hören ließ und bei alledem keinerlei überreizte, sondern eine durchaus gesunde, ihm naturgemäße Entwickelung offenbarte. Hatte sich doch auch der Knabe bei Allem, was nicht Musik war, jenen kindlich harmlosen, zu Scherzen und Späßen allezeit aufgelegten Sinn bewahrt, der selbst den Mann noch charakterisirte und mit voller Lebensunmittelbarkeit aus seinen uns erhaltenen Briefen[3] spricht.

In Mailand trug er den hochwillkommenen Auftrag davon, zur nächsten Saison für das übliche Honorar von hundert Ducaten (auch »Figaro« und »Don Juan« wurden ihm später nicht höher gelohnt) und freie Wohnung eine Oper zu componiren. Auch in Bologna, Rom und Neapel machte man ihm weiterhin ähnliche Anerbieten, die aber in Rücksicht auf die übernommene Arbeit zurückgewiesen werden mußten. In Bologna lernte er nicht nur Padre Martini, den berühmtesten Musikgelehrten jener Zeit, der ihn einer schwierigen, glänzend bestandenen Prüfung unterzog, sondern auch den größten Sänger seines Jahrhunderts, Carlo Broschi, Farinelli genannt, kennen und nahm, obwol die absolute Herrschaft der Sänger mit ihrer absoluten Kunst dazumal bereits im Abnehmen war, noch den Eindruck jener Größen der Gesangskunst in sich auf, was für ihn von nachhaltiger Bedeutung war.

Den wärmsten Empfang bereitete man ihnen an den Höfen zu Florenz und Neapel, wie seitens der vornehmen römischen Gesellschaft. Je tiefer sie hineinkämen nach Italien, um so lebhafter werde die Bewunderung, meinte Leopold Mozart. In zahllosen Privatkreisen und Akademien mußte der Knabe sich anstaunen lassen. In Neapel schrieb man, als Wolfgang im Conservatorio alla pietà spielte, die Fertigkeit seiner linken Hand allen Ernstes dem Zauber eines Ringes zu, den er am Finger trug. Er mußte ihn erst ablegen, um die Zuhörer von der Natürlichkeit seiner Wunderkraft zu überzeugen.

Viel machte eine künstlerische That, die er in Rom vollbrachte, von sich reden. Um die weltberühmten Gesänge und namentlich Allegri's Miserere, über deren Alleinbesitz der heilige Stuhl mit aller Strenge wachte, in der Sixtinischen Capelle zu hören, waren sie in der Charwoche daselbst eingetroffen. »Du weißt«, schreibt Leopold Mozart seiner Frau, »daß das hiesige berühmte Miserere so hoch geachtet ist, daß den Musicis der Capelle unter der Excommunication verboten ist, eine Stimme davon aus der Capelle wegzutragen, zu copiren oder Jemandem zu geben. Allein wir haben es schon. Wolfgang hat es aufgeschrieben. Wir wollen es indessen auch nicht in andere Hände lassen, dieses Geheimniß, ut non incurramus mediate vel immediate in censuram ecclesiae (damit wir weder mittelbar noch unmittelbar der Kirchencensur verfallen).« Einmaliges Hören hatte dem vierzehnjährigen Knaben genügt, dies complicirte Werk aus dem Gedächtnisse niederzuschreiben!

Die gehoffte Anerkennung des jugendlichen Genius blieb auch in Rom nicht aus. Der heilige Vater selber, Clemens XIV., der große Ganganelli, überreichte ihm in einer Audienz das Ordenskreuz vom goldenen Sporn, das schon Gluck zum Ritter erhoben hatte. »Du kannst Dir einbilden, wie ich lache, wenn ich allezeit zu ihm Signore cavaliere sagen höre«, schreibt der Vater, und Wolfgang selbst schlug die ihm widerfahrene Ehre nicht sonderlich hoch an; doch wußten sie gelegentlich aus derselben Vortheil zu ziehen. Dazu kam in Bologna eine neue Würde: Wolfgang's Ernennung zum Mitglied der accademia filarmonica – eine Auszeichnung, die man nur vorzüglichen Componisten angedeihen ließ. Die erforderliche Prüfungsarbeit, zu der Andere viele Stunden brauchten, hatte er in einer halben Stunde fertig gebracht.

Und nun ging es nach Mailand zur Vollendung und Aufführung der ihm übertragenen Opera seria: Mitridate, rè di Ponto. Die Recitative waren bereits begonnen; die Arien und spärlichen Ensembles aber pflegte man erst nach Uebereinkunft mit den Sängern und Sängerinnen, deren individuellen Mitteln und Kräften sie völlig »auf den Leib gemessen« werden mußten, zu schreiben. Die schwelgerische Luft der Italiener am bel canto hatte ja das Hauptgewicht der Oper auf diesen statt auf den dramatischen Vorgang gelegt, und mehr als die Composition, die vielfach nichts Anderes als ein lose zusammengeschürztes Arienbündel war, galt dem Publicum die virtuosenhafte Ausführung. In der Hand des Sängers lagen Erfolg oder Niederlage des Componisten; – was war natürlicher, als daß Letzterer dem Ersten zu gefallen und zu schmeicheln strebte und die künstlerische Production in eine verkehrte Abhängigkeit vom Virtuosenthum gerieth?

Dem vierzehnjährigen Knaben konnte es selbstredend nicht wie einem Händel und Gluck in den Sinn kommen, gegen die bestehenden Verhältnisse anzukämpfen und den Sängern die hergebrachten Concessionen schuldig zu bleiben. Er wußte sie sich trotz der nicht ausbleibenden Cabalen geneigt zu machen, und bei der von ihm geleiteten ersten Aufführung am 26. December 1770 ging die Oper »alle stelle«. Zwanzigmal mußte sie mit immer gleichem Beifall wiederholt werden und die Kritik bestätigte: »Der jugendliche, kaum fünfzehnjährige Capellmeister studirt das Schöne in der Natur und giebt es mit der seltensten musikalischen Grazie geschmückt wieder.«

Das überzeugendste Resultat des erfochtenen Sieges aber war zunächst ein neues, noch einträglicheres Mailänder Opernengagement für den Carneval 1773, zu dem noch ein Oratorien-Auftrag für Padua, sowie gleich nach Mozart's Rückkehr nach Salzburg die Bestellung einer Serenata, d.i. eines musikalischen Festspiels, zur Vermählung des Erzherzog Ferdinand mit der Tochter des Erbprinzen von Modena in Mailand für den October 1771 hinzukam. So war ihres Bleibens in der Heimat, wo Wolfgang nun auch Concertmeisterwürden trug, kurz genug. Als sie vor Ablauf des August bereits wieder in Mailand eintrafen, war das zu componirende Textbuch noch nicht einmal angelangt. Man rechnete eben damals darauf, daß dem Tonsetzer seine Kunst jederzeit schnellfertig zu Gebote stand. Sicher auch durfte der junge cavaliere filarmonico – so nannte man Mozart in Italien – seiner Fertigkeit vertrauen; denn so geläufig war ihm bereits die musikalische Technik, daß er zu der erworbenen formalen Vollendung nur noch einer Verinnerlichung seiner Phantasie, einer Vertiefung des Gedanken- und Gefühlsgehaltes bedurfte, wie sie ihm eben die wachsende Reise allein bringen konnte. Gleichwol spendete er in früher Jugend schon den Werken zeitgenössischer Meister so Ebenbürtiges, ja Ueberlegenes, daß seine Serenade »Ascanio in Alba«, die er so eilig auf das Papier warf, daß ihn die Finger schmerzten, der zur gleichen Gelegenheit aufgeführten großen Festoper eine empfindliche Niederlage bereitete. Und doch hatten sich bei Schaffen derselben keine Geringeren als Metastasio und Hasse, die als Dichter und Componist den Höhepunkt der derzeitigen italienischen Oper bezeichneten, vereinigt. Voll neidloser Einsicht erkannte Hasse selber, der, wie selten Einer, sein Lebenlang die Bühne beherrscht hatte, die künftige Größe seines glücklichen Rivalen und prophezeite: »Dieser Knabe wird uns Alle vergessen machen!«

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Anmerkungen:

  1. Leben des Capellmeisters W.G. Mozart. Prag, 1798. Nur ein Artikel in Schlichtegroll's Nekrolog auf das Jahr 1791 (Gotha), zu dem Mozart's Schwester einen Beitrag lieferte, welchen Nottebohm's »Mozartiana« (Leipzig, Breitkopf&Härtel, 1880) neuerdings vollständig veröffentlichte, ist als Vorläufer dieser biographischen Arbeit zu nennen.
  2. Leipzig, Breitkopf & Härtel. 1856–59. 2. Aufl. 1867.
  3. Nohl, Mozart's Briefe. 2. Aufl. Leipzig, Breitkopf & Härtel. 1877.
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