Durchaus romantischer Natur ist die Idee der »Davidsbündlerschaft«, die sich nicht nur, nach Schumanns Worten »wie ein roter Faden durch die Zeitschrift hinzieht, ›Wahrheit und Dichtung‹ in humoristischer Weise verbindend«, sondern auch mehrfach in seine Tonwerke – »die Davidsbündlertänze« op. 6, den »Karneval« op. 9 – hereinklingt. Wir haben uns unter derselben einen Bund zu denken, der »nur im Kopf seines Stifters existierte« und dessen gegensätzliche Künstlercharaktere: Florestan und Eusebius (Schumann), Raro (Wieck), Chiara (Clara Wieck), Jonathan (L. Schuncke), Serpentinus (Carl Banck), Gottschalk Wedel (Anton von Zuccalmaglio) usw., ihm, als Spiegelbilder einzelner Persönlichkeiten des damaligen Leipziger Musikkreises, dazu dienten, verschiedene Kunstanschauungen und eine reiche Mannigfaltigkeit der Stimmungen zur Aussprache zu bringen. Ziel und Aufgabe des phantastischen Bundes war die Bekämpfung des musikalischen Philistertums; daher David, der alte Sängerheld und siegreiche Philisterfeind, zum Schutzpatron desselben erkoren ward. Schumann selbst, der auch einen Roman »Die Davidsbündler« plante, liebte es, sich hinter den Pseudonymen Florestan und Eusebius zu verbergen, in denen er seine Doppelnatur (und zwar in Florestan die feurige, leidenschaftliche, in Eusebius dagegen die weiche, träumerische Seite seines Gemüts) personifizierte. Sie sind auch als Autoren auf dem Titel der Klaviersonate in Fis-moll op. 11 genannt, die Liszt als das bedeutendste Werk dieser Gattung seit Beethoven bezeichnet hat. Schumanns ganze Eigentümlichkeit zeigt sich in ihr enthüllt. Schwärmerischmelancholisch, leidenschaftlich, humoristisch, grüblerisch und dabei kräftig, energisch zugleich, zieht sie uns in ihre Zauberkreise, samt den »Phantasiestücken« op. 12, den »symphonischen Etüden« op. 13, dem »Konzert ohne Orchester« op. 14, den »Kinderszenen« op. 15, der »Kreisleriana« op. 16, der Liszt gewidmeten wunderbaren »Phantasie« op. 17, der »Humoreske« op. 20, den »Novelletten« op. 21, der G-moll-Sonate op. 22, den »Nachtstücken« op. 23, dem »Faschingsschwank« op. 26, den »Romanzen« op. 28 zu den genialsten Klavierdichtungen zählend, die wir überhaupt besitzen. Sie ist Clara Wieck gewidmet, seiner Freundin und Kunstgenossin, die schon als Kind das lebhafteste Interesse in ihm erweckt hatte. Die freundschaftlich künstlerische Teilnahme, die er während eines jahrelangen nahen Verkehrs für sie empfunden und die sich stets in warmer Anerkennung ihres Genius geäußert hatte, verwandelte sich inzwischen in eine tiefe Herzensneigung, als das Mädchen zur Jungfrau erblüht war. Eine reiche Fülle herrlichster Tonpoesien entlockte die Liebe der Künstlerbrust. »Das Konzert, die Sonate, die Davidsbündlertänze, die Kreisleriana und die Novelletten hat sie beinahe allein veranlaßt,« schreibt er an einen Freund. Aber es waren nicht zarte Blüten, von Glück und Sonnenschein gezeitigt – unter bitterem, schmerzlichen Kampf vielmehr, unter Kummer und Herzeleid waren sie geboren. Friedrich Wieck verweigerte seine Einwilligung zur Verbindung seiner Tochter mit Schumann, da dieser, wie er meinte, ihr noch keine gesicherte Lebensstellung bieten könne und er selbst zuvor noch weiter für die Zukunft und den Ruhm Claras sorgen wollte. Erst nach jahrelangem Hoffen und Harren sollten die beiden ans Ziel gelangen. In die Kämpfe, die sie zu bestehen hatten, wie überhaupt in ihr Leben, gewährt das reichhaltige, viele Briefe und Tagebuchblätter mitteilende Werk Berthold Litzmanns: »Clara Schumann« [1] klaren Einblick. Schumanns Plan, behufs schnelleren Erreichens ihrer Wünsche mit seiner Zeitschrift nach Wien überzusiedeln, stellte sich während seines halbjährigen Probeaufenthaltes daselbst vom Oktober 1838 bis April 1839 als unvorteilhaft heraus. Er sah davon ab, obgleich es eine wirkliche Musikzeitung zu jener Zeit in dem musikalischen Wien nicht gab. »Er passe nicht unter diese Menschen,« schreibt er schon bald nach seiner Ankunft im Oktober 1838 an Zuccalmaglio, und in der Tat kam und ging der geniale Mann, fast ohne von den Wienern beachtet zu werden. Auch an eine Umsiedlung nach England dachte er vorübergehend, doch hatten sich mittlerweile seine Verhältnisse derart gestaltet, daß er sich auch in Leipzig ohne Bedenken einen häuslichen Herd bauen konnte. Freilich sah er sich genötigt, um Wiecks dauernden Widerstand zu besiegen, den Beistand der Gerichte anzurufen. Sie erklärten Wiecks Einspruch für unbegründet. Um gegenüber den Auszeichnungen, die seine Braut von verschiedenen Höfen trug, auch seinerseits einen Titel in die Wagschale werfen zu können, bewarb sich Schumann bei der Universität Jena um die philosophische Doktorwürde. Sie wurde ihm bereitwilligst, auf Grund seiner ruhmreichen Tätigkeit als schaffender Künstler sowie als Kritiker und Ästhetiker, im Februar 1840 erteilt.

Am 12. September desselben Jahres endlich durften Robert Schumann und Clara Wieck in der Kirche zu Schönefeld bei Leipzig ihre Hände ineinanderlegen zum Bunde fürs Leben. Es war ein stilles häusliches Glück, das er sich gründete, ein ganz seinem Beruf geweihtes, nur von zeitweiligen Kunst- und Erholungsreisen unterbrochenes Leben, noch beschaulicher und zurückgezogener als dasjenige, dem er sich vordem hingegeben hatte. Aber dies stille friedliche Glück schien eine fruchtbare Atmosphäre für sein Schaffen, denn Blüten und Knospen reich an Zahl förderte es ans Licht. Man hat dies erste Jahr seiner Ehe Schumanns »Liederjahr« genannt und mit Recht: es waren ja eben nur lyrische Ergüsse, die dem Herzen entsprangen, das seine junge Seligkeit in die Welt hinaussang und das sich in einer Fülle von weit über hundert Liedern binnen Jahresfrist kaum genug tun konnte. Wer kennte sie nicht, jene Schätze, die der Sänger uns in ihnen geschenkt, und die erklingen werden, so lange es deutsche Zungen und deutsche Herzen gibt? Er hat es verstanden, mit seinem dichterischen Sinn die künstlichsten Perlen auszulesen, die unsere Lyrik hervorgebracht. Goethe und Rückert, Heine und Chamisso, Eichendorff und Kerner, Geibel und Lenau, Hebbel und wie sie alle heißen, haben ihm ihre Gaben dargeboten, und er hat ihnen seinen lebendigen Odem eingehaucht und mit der musikalischen Wiedergeburt unsterbliches Leben verliehen. Gedenken wir nur der Rückertschen »Widmung« op. 25, des »Nußbaums«, der »Mondnacht«, der »Frühlingsnacht«, wie des ganzen Eichendorffschen »Liederkreises« op. 39, der Justinus Kernerschen Lieder op. 35, der berühmten Zyklen »Frauenliebe- und Leben« op. 42 und »Dichterliebe« op. 48, oder der späteren Gesänge »Meine Rose« op. 90, »Dein Angesicht« op. 127, sowie der zweistimmigen Lieder op. 43 usw., so bezeichnen wir mit das Herrlichste, was wir in dieser Art überhaupt unser Eigentum nennen Schumann selbst sagt einmal: »Ich getraue mir nicht, mehr versprechen zu können, als ich gerade im Lied geleistet, und bin auch zufrieden damit.« Das romantische Kunstlied erreicht mit ihm seine Höhe. Als Liederkomponisten gebührt ihm im Verein mit Franz Schubert die oberste Stelle. In unmittelbarer Nachbarschaft des Wiener Meistersängers hat er seinen Platz. Er ist der Charakteristischere, Pathetischere. Der Größere bleibt wohl Schubert, der, aus einem reicheren Urvermögen schaffend, mit geringeren Mitteln prägnanter im Ausdruck ist. Auf dem von Schubert Überkommenen fußt Schumann; aber er führt es nach einer selbständigen Richtung hin weiter. Sein dichterisches Naturell läßt ihn dem Liede nicht wie jenen von der rein musikalischen, sondern vielmehr von der poetischen Seite beikommen. Die poetische Stimmung rückt er in den Vordergrund und bildet demgemäß das deklamatorische Element mit Vorliebe aus. Vermittelst einer sorgfältigen Auswahl der Texte – die ihm seine Zeit in ungleich reicherer Fülle darbot, als sie einst Schubert zur Verfügung stand – und einer auch den Einzelmomenten des Gedichts gerecht werdenden Feinheit der Charakteristik weiß er eine gesteigerte Einheit zwischen Ton- und Dichtwerk zu erzielen. Das Klavier hebt er aus seiner bisherigen nebensächlichen, dem Gesang gänzlich untergeordneten Rolle zur Gleichberechtigung mit diesem empor. Ihm überträgt er die seelenmalerische Deutung des Textes und macht es zur eigentlichen Trägerin des Ganzen, so daß der Musikhistoriker Brendel Schumanns Lieder Musikstücke für Klavier und Gesang nannte. Eine vor ihm ungeahnte Bedeutung weiß er dem Nachspiel zu geben, das er ganz eigen dichterisch behandelt. Man vergegenwärtige sich z.B. den Schluß von »Frauenliebe und -Leben«, wo er das erste Liebesbegegnen noch einmal in der Erinnerung zurückruft; oder das Ende von »Stille Tränen«, das trotz aller Wehmut doch in einem leisen Troste ausklingt.

Die Aufgaben, die er dem Klavierspieler stellt, sind schwierigerer Art als man sie vor ihm kannte. Seine Technik ist überhaupt keineswegs leicht und handlich, und an »Häkelperioden«, wie er sie bei Chopin bemängelt, fehlt es auch seiner eigenen Schreibweise nicht, wie sie ja ohnehin – wir erinnern nur an die weitgriffigen Akkorde, die gewagten Sprünge, das verschwimmende Helldunkel des Kolorits, die ungewöhnlichen Begleitungsfiguren – eine leise Wahlverwandtschaft mit diesem seinem Lieblinge offenbart. So spricht auch Bülow von den »unendlich interessanten und schönen Labyrinthen« Schumanns. Charakteristisch für diesen ist beiläufig die häufige Verwendung von Synkopen, die seinen Rhythmen etwas seltsam Kurzatmiges, verhalten Leidenschaftliches, ja Fieberhaftes gibt; desgleichen die Vermischung gerader und ungerader Bewegungen. Seine Rhythmik ist originell und interessant, wenn sie in seinen schwächeren Werken auch von einer gewissen Monotonie nicht frei ist. Trivial wird er nie. Seine Harmonik ist pikant. Er scheut keine Härten, wo sie am Platze sind. Die Genoveva-Ouvertüre z.B. beginnt er mit einem frei anschlagenden kleinen Nonenakkord, und das Larghetto der B-dur-Symphonie schließt er mit einer Harmoniefolge, die Wagner zum Verfasser haben könnte. Die Rücksicht auf sinnlichen Reiz gilt ihm wenig, und wenn seine Melodik an schmeichelndem Wohllaut und frischer Sinnlichkeit hinter der des von ihm so hoch gehaltenen Schubert zurücksteht, so wohnt ihr dafür ein geistigeres Wesen inne.

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Anmerkungen:

  1. 3 Bde. Breitkopf & Härtel, 1902/8. 4, 3. u. 2. Aufl. Siehe auch Marie Wieck »Aus d. Kreise Wieck-Schumann«. Dresden, Pierson. 1912.
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