Das alte Jahr vergangen ist

Hoffmann von Fallerslebens Gedicht Neujahrslied in der Vertonung von Ludwig Erk

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Musiknoten zum Lied - Das alte Jahr vergangen ist

Das alte Jahr vergangen ist,
das neue Jahr beginnt.
Wir danken Gott zu dieser Frist.
Wohl uns, dass wir noch sind!
Wir sehn aufs alte Jahr zurück
und haben neuen Mut:
Ein neues Jahr, ein neues Glück.
Die Zeit ist immer gut.

Ja, keine Zeit war jemals schlecht:
In jeder lebet fort
Gefühl für Wahrheit, Ehr' und Recht
und für ein freies Wort.
Hinweg mit allem Weh und Ach!
Hinweg mit allem Leid!
Wir selbst sind Glück und Ungemach,
wir selber sind die Zeit.

Und machen wir uns froh und gut,
ist froh und gut die Zeit,
und gibt uns Kraft und frohen Mut
bei jedem neuen Leid.
Und was einmal die Zeit gebracht,
das nimmt sie wieder hin
drum haben wir bei Tag und Nacht
auch immer frohen Sinn.

Und weil die Zeit nur vorwärts will,
so schreiten vorwärts wir;
die Zeit gebeut, nie stehn wir still,
wir schreiten fort mit ihr.
Ein neues Jahr, ein neues Glück!
Wir ziehen froh hinein,
denn vorwärts! vorwärts! nie zurück!
soll unsre Losung sein.

Das dem Liedtext zugrunde liegende Gedicht verfasste der Germanist und Hochschullehrer August Heinrich Hoffmann von Fallersleben, der zwischen 1798 und 1874 lebte. Veröffentlicht wurde es im Jahr 1841 in Hannover unter dem Titel »Neujahrslied«. Die hier vorgestellte Vertonung stammt von dem Volksliedsammler und Komponisten Ludwig Erk (1807-1883), der ein Pianoforte-Arrangement in seinem Sammelband Deutscher Liederschatz (Band 3, Nr. 18) veröffentlichte.

Anders als das Kirchenlied Das alte Jahr verflossen ist das dankend, aber auch hoffend und bittend sich an Gott wendet und um Beistand bittet, ist Hoffmanns Text von Selbstbewusstsein und Optimismus geprägt. Zwar dankt auch Hoffmann Gott für das neue Jahr, das er als neue »Frist« für das Leben in dieser Welt auffasst. Doch Hoffmann schaut nur kurz zurück und richtet dann seinen Blick auf das neue Jahr. Ihn erfüllt die Zuversicht: »Ein neues Jahr, ein neues Glück. Die Zeit ist immer gut.«

Diese optimistischen und zuversichtlichen Worte aus Hoffmann von Fallerslebens Mund verwundern auf den ersten Blick. Denn als Mitstreiter des politischen Vormärz, jener Epoche zwischen der Julirevolution 1830 und der Märzrevolution von 1848 war er einigen Repressalien ausgesetzt und verlor wegen seines Eintretens für ein einheitliches Deutschland 1842 seine Professur, nachdem er 1841 das Lied der Deutschen dichtete und mit seiner Gedichtsammlung »Unpolitische Lieder« für einigen Wirbel und Unmut sorgte.

Doch Hoffmann von Fallersleben ließ sich nicht entmutigen. Auch wenn er wegen der politischen Lage einige Jahre auf Wanderschaft gehen musste, um der politischen Verfolgung zu entgehen, war es sein fester Glaube, dass »keine Zeit war jemals schlecht« war. Denn »in jeder lebet fort Gefühl für Wahrheit, Ehr’ und Recht und für ein freies Wort«. Diese Werte waren für Hoffmann elementar und eine Voraussetzung für ein friedliches Zusammenleben der Menschen.

Optimistisch in die Zukunft

Ein hoffnungsvoller und optimistischer Start in einen neuen Zeitabschnitt beginnt mit dem Blick nach Vorn, dem Abschütteln von allem das und belastet. Deshalb ruft auch Hoffmann: »Hinweg mit allem Weh und Ach! Hinweg mit allem Leid!« Denn es bringt nichts, über vertane Chancen und erlittenes Leid zu jammern und andere für alles Unerfreuliche verantwortlich zu machen. Unsere Zukunft halten wir selbst in Händen, denn »wir selbst sind Glück und Ungemach, wir selber sind die Zeit.« So sagt es Hoffmann in der zweiten Strophe und fügt sogleich hinzu: »Und machen wir uns froh und gut, ist froh und gut die Zeit«. Mit diesen optimistischen Worten skizziert Hoffmann von Fallersleben die Aufbruchstimmung, die im Deutschland des 19. Jahrhunderts herrschte.

Für Hoffmann, den ruhelosen Freigeist zählt nur eine Richtung: die Zukunft. Es gibt für ihn nur eine Richtung im Leben und die die lautet: vorwärts, auf zu neuen Ufern und neuen Höhen. Einfach nur vorwärts, denn was die Zukunft uns bringen wird, das wissen wir nicht. Doch wir können die Zukunft mitgestalten. Allerdings ist sich Hoffmann der Vergänglichkeit bewusst. »Was einmal die Zeit gebracht, das nimmt sie wieder hin«. Es ist sinnlos, sich Sorgen zu machen oder verpassten Gelegenheiten nachzutrauern. »Drum haben wir bei Tag und Nacht auch immer frohen Sinn«.

Hoffmann schaut nach vorne. Er jammert nicht über das Negative, das ihm begegnet oder widerfahren ist. Er sagt optimistisch: »Ein neues Jahr, ein neues Glück!« Das ist eine Ermunterung, der Zukunft mit einer positiven Einstellung entgegenzugehen. Egal, welche Höhen und Tiefen wir erlebt haben, die Zeit, sie schreitet voran und bringt uns neue Erfahrungen und Erlebnisse. Es liegt an uns, wie wir damit umgehen und wie wir unser Leben und unsere Umwelt gestalten. Wir haben es in der Hand, unsere Erfahrungen und Gefühle so zu gestalten, dass wir mit den Höhen und Tiefen klarkommen, die die Zeit uns bringen wird. Denn sicher ist nur eines: Die Zeit schreitet vorwärts - und wir mit ihr.

Tom Borg, 14. November 2023

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