Zogen einst fünf wilde Schwäne

Zogen einst fünf wilde Schwäne ist ein Antikriegslied, das bereits Anfang des 20. Jahrhunderts sehr beliebt war und mit der Friedensbewegung der 1970er Jahre einen zweiten Frühling erlebte.

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Musiknoten zum Lied - Zogen einst fünf wilde Schwäne

Zogen einst fünf wilde Schwäne,
Schwäne leuchtend weiß und schön.
Sing, sing, was geschah?
Keiner ward mehr gesehen. Ja!
Keiner ward mehr gesehn.

Wuchsen einst fünf junge Birken
schön und schlank am Bachesrand.
Sing, sing, was geschah?
Keine in Blüten stand. Ja!

Zogen einst fünf junge Burschen
stolz und kühn zum Kampf hinaus.
Sing, sing, was geschah?
Keiner kehrt nach Haus. Ja!

Wuchsen einst fünf junge Mädchen
schön und schlank am Memelstrand.
Sing, sing, was geschah?
Keins den Brautkranz wand. Ja!

Zogen einst fünf wilde Schwäne wurde erstmals in Orten nahe der Danziger Bucht aufgezeichnet. Die Nennung des Memelstrands in der vierten Strophe lässt aber auch einen litauischen Ursprung vermuten.

Die erste bekannte Aufzeichnung von Zogen einst fünf wilde Schwäne stammt von Johannes Patock, einem Lehrer in Kaschuben (Westpreußen), aus dem Jahr 1908. Eine weitere frühe Quelle stammt aus Ostpreußen und wurde 1918 von Karl Plenzat (1882–1945) in seinem Buch Der Liederschrein veröffentlicht.

Verbreitet war das Lied vor allem in der Region um die Danziger Bucht. Aber auch um das Kurische Haff, wo die in der vierten Strophe erwähnte Memel in die Ostsee einmündet. Die Memel und die Gebiete die sie durchfließt spiegeln die melancholisch traurige Stimmung des Lieds vom Verlust, dem „Weggehen“, wieder, denn sie hatte eine wechselvolle Geschichte. Einst war sie Deutschlands östlichster Strom und Heinrich von Fallersleben setzte ihr in seinem Lied der Deutschen ein Denkmal mit den Worten „von der Maas bis an die Memel“.

Über Jahrhunderte durchströmte die Memel über rund 800 Kilometer das polnisch-litauische Großreich und floss dann durch Nordostpreußen zur Ostsee. Aber nicht nur während der beiden Weltkriege war sie ständig umkämpft. Schon in den Jahrhunderten war die Memel als wichtiger Handelsweg oft umkämpft.

Die Memel lieferte ihren Anwohnern Handel und etwas Wohlstand – aber immer wieder auch Leid. Dieses Leid wird im Lied nicht direkt angesprochen. Doch es geht immer wieder um Verlust. So ziehen „Schwäne leuchtend weiß und schön“ in die Ferne und kehren nie zurück. Es wachsen Birken, aber blühen nicht; und es wachsen Mädchen, die nicht heiraten. Nur einmal, in der dritten Strophe, ist vom Krieg die Rede: „Zogen einst fünf junge Burschen stolz und kühn zum Kampf hinaus“.

Zogen einst fünf wilde Schwäne wettert nicht gegen den Krieg, sonst beschreibt die Kriegsfolgen. Kriegs- und Kampfereignisse werden nicht beschrieben. Nur die Realität des Kriegs durch das Nennen der Kriegsfolgen, die Verluste, die Natur und Menschen treffen. Und auch die Sinnlosigkeit mit der Frage: „Sing, sing, was geschah?“ Ähnlich gestaltete es auch der amerikanische Songwriter Pete Seeger in seinem Lied »Sag mir, wo die Blumen sind…«. Beide Lieder entfalten ihre Kraft nicht durch brachiale Phrasen, sondern durch die sanfte Frage nach den Verlusten, die der Krieg mit sich bringt.

Tom Borg, 7. Januar 2023

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