Das Wiegenlied O Jesulein süß, o Jesulein mild wurde ursprünglich auf die aus dem frühen 17. Jahrhundert stammende Melodie des Wiegenlieds O Jesulein zart gesungen, wobei die letzte Textzeile nicht wiederholt sondern das Lied verkürzt wurde.
Vor allem in evangelischen Gesangsbüchern erschien diese Melodie recht bald als geistliches Kinderlied mit dem hier gegebenen Text von Valentin Thilo (1607-1662). In der Folgezeit wurde Thilos Text von vielen Komponisten vertont, unter anderem auch von Johann Sebastian Bach (BWV 493), dessen Melodie hier präsentiert wird.
Während O Jesulein zart das neugeborene Jesuskind und ärmlichen Verhältnisse rund um seine Geburt hervorhebt und in Beziehung setzt zur göttlichen Herkunft, greift Thilo gleich die göttliche Mission auf und stellt heraus, dass Jesus geboren wurde, weil er als Mensch geboren werden sollte. So heißt es denn auch gleich in der ersten Strophe:
des Vaters Will'n hast du erfüllt,
bist kommen aus dem Himmelreich,
uns armen Mensehen worden gleich
Die geistliche Intention des Textdichters ist unverkennbar. Hier geht es nicht um die rührige Geschichte einer Geburt, sondern um die heilige Mission, die das als Mensch geborene göttliche Kind zu erfüllen hat. Denn die Verse der zweiten Strophe
dein's Vaters Zorn hast du gestillt.
Du zahlst für uns all' unsre Schuld
beziehen sich auf den Sündenfall Adams und Evas, die das Verbot, die verbotene Frucht vom Baum der Erkenntnis zu essen, verstießen. Für diesen Ungehorsam vertrieb Gott die beiden aus dem Paradies und seitdem geht diese Erbsünde auf alle Menschen über. Um diese alte Schuld, den Sündenfall Adams und Evas, zu tilgen und die Menschheit zu erlösen, musste, der christlichen Lehre zufolge, Jesus als Mensch geboren werden, damit er die Sünde auf sich nehmen und die Menschheit davon befreien und erlösen kann. Und so lautet die Bitte der vierten Strophe an Jesus, den Erlöser:
wir bitten durch dein Geburt im Stall,
beschütz uns all vor Sündenfall.
Tom Borg, 12. Oktober 2023