Den Verkehr mit seinen Kunstgenossen stellte Chopin – wie Stephen Heller, Marmontel u. a. dies bedauernd aussprachen – mehr und mehr hinter den mit aristokratischen Häusern und zumal mit seinen polnischen Freunden zurück, in deren Mitte er sich am wohlsten fühlte und bei denen der ohnehin wählerische anspruchsvolle Mann eine sich fast bis zur Vergötterung steigernde Verehrung genoß. Da auch die neu ankommenden Polen sich beeilten, ihn aufzusuchen, ward ihm solchergestalt ein steter lebendiger Verkehr mit dem Vaterlande vermittelt, und wie man ihm jedes Vorkommnis daselbst getreulich berichtete, blieben ihm auch die heimischen Kunsterzeugnisse nicht fremd. Insbesondere erregten die neuen polnischen Gedichte, die man mitbrachte, seine Teilnahme. Nicht selten geschah es dann, daß er eins derselben in Musik setzte und die von ihm erfundenen, vielfach im Volkston gehaltenen Weisen sich traditionell fortpflanzten, bis sie den Weg in die Heimat fanden und dort von Mund zu Munde gingen, ohne daß doch zumeist der Name ihres Urhebers bekannt geworden wäre. Chopin gedachte sie zu sammeln, aber es kam nicht dazu. Erst nach seinem Tode wurden »Siebzehn polnische Lieder« op. 74 aus den Jahren 1824-1844, als die einzigen von ihm gedruckten Gesangskompositionen herausgegeben.

An öffentlichen Fragen und Diskussionen – namentlich wenn sie die ihm unsympathische Politik betrafen – pflegte Chopin sich nie zu beteiligen; entbehrte doch seine Natur zu sehr der inneren Ruhe, um nicht die Aufrechterhaltung der äußeren wenigstens zu erstreben. Nur in Sachen seiner Kunst verzichtete er nicht darauf, sein Urteil rückhaltlos auszusprechen und seinen Einfluß energisch geltend zu machen. Sein »vielleicht kühner, aber edler Vorsatz war, eine neue Kunstära herbeizuführen«, wie er an seinen Lehrer Elsner schrieb. Als im Jahre 1832, kurz nach seiner Ankunft in Paris, sich in der Musik, wie in der Literatur und Malerei, eine neue Schule bildete, die, die politische Gärung jener Zeit auf das Gebiet der Kunst verpflanzend, mit Ungestüm das Joch der alten Formeln abschüttelte und die Romantik auf die Tagesordnung setzte, schloß sich an Hector Berlioz, den kühnsten und genialsten französischen Repräsentanten dieser Richtung, gleich Liszt auch Chopin an. Freilich behauptete er, dank seinem individuellen Geschmack, dabei einen äußerst exklusiven Standpunkt. »Er nahm«, wie Niecks sagt, »die Grundsätze der romantischen Schule an, mißbilligte jedoch fast alle die Kunstwerke, in welchen dieselben verkörpert waren; oder vielmehr er schloß sich ihrer negativen Lehre an, indem er wie sie die Fesseln toter Formeln zerbrach; gleichzeitig aber verwarf er das Positive ihrer Lehre und wandelte abseits von ihnen. Er zeigt uns das seltsame Schauspiel eines durch und durch romantischen, ausgesprochen unklassischen Komponisten, der weder mit Berlioz und Liszt, noch mit Schumann und anderen Führern der Romantik sympathisierte und für welchen Mozart, dieser reinste Typus der Klassizität, der Gegenstand beharrlicher und glühender Liebe und Bewunderung war.«

So selbständig sich übrigens Chopin inmitten der geistigen Strömungen und Bestrebungen der französischen Hauptstadt verhielt, diese stärkten seinen Unabhängigkeitsgeist und verhalfen ihm dazu, seine Individualität nach ihrer ganzen Fülle zu entfalten. Insbesondere mochte er Liszt für manche tiefgehende Anregung und Einwirkung verpflichtet sein, wie dieser auch umgekehrt von ihm lernte. Herrschte in Chopins früheren Arbeiten ein virtuosenhafter Stil vor, so tritt in seinen späteren ein mehr dichterischer zu Tage. Seine Werke überraschen durch ihre geniale Nichtachtung althergebrachter Formen und Gesetze, durch die kühne Selbständigkeit, mit der sie an die Stelle des Alten Neues setzen, der Idee allein das Recht zugestehend, Form und Gesetz sich selber zu bedingen. Nicht aber ein revolutionärer Geist war es, der ihn dazu inspirierte, sondern der Glaube an den ewigen Fortschritt der Kunst und das stolze Bewußtsein des Genies, das Regel und Gesetz in sich selber trägt. Ihm war die Kunst ein heiliger Beruf, dem er sich mit frommer Begeisterung weihte. Darum auch fühlte sich sein reizbares, auf das Ideale gerichtete Künstlergemüt leicht verletzt durch die profanen Äußerungen Verständnisloser, und den indiskreten Versuchen, sein Talent auszubeuten, denen der Künstler so häufig begegnet, wußte er sehr scharfe Zurechtweisungen entgegenzusetzen. So, als eines Tages, nach einem Diner, das in der voreiligen Rechnung auf sein Talent und den durch dasselbe zu gewährenden Genuß eines seltenen musikalischen Desserts veranstaltet worden war, der Wirt ihn aufforderte, seinen Gästen diesen erwarteten Genuß zu verschaffen, weigerte er sich anfangs; als aber die Bitten immer zudringlicher wurden, sagte er mit fast erstickter Stimme, wie um die Wirkung seiner Worte noch zu verstärken: »Ach, mein Herr, ich habe ja fast nichts gegessen!«

Die Jahre 1835-37 fanden Chopin mehrfach auf Reisen. Nach fünfjähriger Trennung sah der inzwischen Berühmtgewordene im Sommer 1835 seine Eltern in Karlsbad wieder, wo sein Vater – er starb 1844 – die Kur gebrauchte. Dann verweilte er in Dresden und Leipzig, woselbst er auch im nächsten Jahre nach einem Aufenthalt in Marienbad flüchtig einkehrte. An letzterem Orte spielte sich ein Roman ab, der sich im September des vorausgehenden Jahres in Dresden angesponnen hatte: Chopins Liebe zu Gräfin Maria Wodzinska, über der jedoch – es wurde schon früher gesagt – kein glücklicher Stern leuchtete. Er verlobte sich mit ihr – einer talentvollen Schülerin Fields, von der er ein Thema in seinem Es-dur-Walzer op. 18 verewigt hat – am 11. September 1836 in Dresden, unter Zustimmung ihrer Mutter, die ihn »wie einen Sohn liebte.« Auch empfing er von dieser und seiner Braut, die sein (später lithographiertes) Bildnis in Aquarell malte, [1] mehrere von Karlowicz veröffentlichte Briefe. Maria heimzuführen aber war ihm nicht beschieden, da »ihr Vater das Los seines geliebten Kindes nicht an das Leben des kranken leidenden Musikers binden wollte.« »Temperamentloser, passiver Natur«, fügte sich die Achtzehnjährige seinem Willen, und ihr Verlöbnis löste sich, noch ehe es ein Jahr lang bestanden hatte. Nach Chopins Tode fand man in seinem Schreibpult Marias Briefe, von einem rosa Band umwunden, mit der Aufschrift vor: »Mein Leid«. Wir erfahren dies durch das von Kornelia Parnas herausgegebene »Liebesidyll Maria«, das ein von Chopin seiner Braut gewidmetes Musikalbum reproduziert und in einem Geleitwort die Mitteilungen von Karlowicz ergänzt [2].

In Leipzig begrüßten namentlich Schumann und Wieck den polnischen Meister als den Auserwählten, der er in Wahrheit war. Im Jahre 1837 führte ihn ein rascher Ausflug für elf Tage nach London. Im selben Sommer auch genoß er zum ersten Male, und zwar mit Liszt und der Gräfin d'Agoult gemeinsam, die Gastfreundschaft George Sands in Schloß Nohant. Geschah es doch zu Anfang eben dieses Jahres, daß die geniale Schriftstellerin, schon damals eine der gefeiertsten Erscheinungen von Paris, in sein Leben trat und den tiefgreifendsten Einfluß auf dasselbe gewann. Sie hörte den ihr befreundeten Liszt voll enthusiastischer Bewunderung von Chopin sprechen und sein »poetisches Genie« preisen; sie lernte seine Werke kennen und, begierig auf seine Bekanntschaft, bat sie Liszt, dieselbe zu vermitteln. Chopin fühlte sich dagegen durch eine seltsame Scheu von ihr zurückgehalten. Er behauptete, er liebe schriftstellernde Frauen nicht, noch verstehe er, mit ihnen umzugehen. Nachdem Liszt sie ihm nichtsdestoweniger eines Abends zugeführt hatte, besiegte sie bald sein anfängliches Vorurteil. Ihre eigenartige Schönheit, ihr seltener Geist übten auch auf ihn, wie auf so viele andere bedeutende Männer, eine unwiderstehliche Anziehungskraft. So grundverschieden ihre Naturen waren: die seine mehr weiblich zart, die ihre mehr männlich energisch angelegt, gerade diese Gegensätze erhöhten den Reiz ihres Verkehrs. »Chopin«, sagt sie, »war das Resumé von wundervollen Inkonsequenzen, die zu schaffen Gott allein sich gestattet und die ihre eigentümliche Logik haben. Seinen Grundsätzen nach, war er bescheiden, seiner Gewohnheit nach sanft. Dabei aber war er herrisch aus Instinkt und von einem berechtigten, wenn auch ihm selbst unbewußten Hochmut erfüllt.«

Sie traten in nahe Beziehungen zueinander, und bald sehen wir George Sand mit dem Recht einer Freundin – sie nennt ihre Liebe zu ihm »une sorte d'adoration maternelle très vive« – den bisher so zurückgezogenen Meister einem weiteren Kreise zugänglich machen. Eine Anzahl der berühmtesten seiner Zeitgenossen, Repräsentanten der verschiedensten Künste, fanden sich bei ihm ein, um seinen musikalischen Offenbarungen zu lauschen. Liszt, Heinrich Heine und Adolphe Nourrit, Ferdinand Hiller und Meyerbeer, Eugene Delacroix und Ary Scheffer, Mickiewicz, Niemcewicz und Witwicki, die Poeten seines Vaterlandes, der polnische Maler Kwiatkowski, von dem mehrere der besten Porträts seines großen Landsmanns auf uns gekommen sind, versammelten sich neben George Sand und der schönen Gräfin d'Agoult um seinen Flügel und bildeten die auserlesene Zuhörerschaft, die ihm eine enthusiastische Verehrung zollte.

Schon am 28. März 1837 hatte George an Liszt geschrieben: »Sagen Sie Chopin, ich lasse ihn bitten, Sie nach Nohant zu begleiten; Marie [Gräfin d'Agoult] kann ohne ihn nicht leben, und ich bete ihn an.« Und er folgte ihrer Lockung. Da ward im Herbst des Jahres 1837 Chopin von den beängstigenden Anfällen einer Brust- und Herzkrankheit heimgesucht, die, wohl ein Erbe seines Vaters, ihn vorzeitig dem Leben entrückte. So ungern er sich sonst auch dazu verstand, Paris und seine Gewohnheiten zeitweise aufzugeben, der Arzt riet ihm zu einer Reise nach dem Süden, und George Sand, deren Sohn einen Aufenthalt auf der Insel Majorca nehmen sollte, erhörte gern Chopins Wunsch, ihn mit ihren Kindern dahin zu begleiten. Sie trafen sich in Perpignan und landeten, nach kurzem Verweilen in Barcelona, in der ersten Hälfte des November 1838 in Palma. »Ich befinde mich unter Palmen, Zedern, Kaktus, Aloe und Oliven-, Orangen-, Zitronen-, Feigen- und Granatbäumen«, schreibt Chopin am 15. November an seinen Freund Jules Fontana. »Der Himmel ist wie ein Türkis, der See wie Lapis Lazuli und die Berge wie Smaragden. Die Luft ist ganz wie im Himmel ... In der Nacht hört man überall Gitarrenspiel oder Gesang. Die Stadt, wie alles hier, weist nach Afrika. Mit einem Wort: ein reizendes Leben ... Ich bin dem Schönsten auf dieser Welt nahe, – ich bin ein besserer Mensch.«

Leider nur war diese Befriedigung von kurzer Dauer. Das Landhaus, das die Reisenden bezogen, schützte sie so unzulänglich vor Wind und Wetter, daß Chopin bald erkrankte. Die furchtsame Bevölkerung betrachtete den an einem Bronchialkatarrh Leidenden einfach als Schwindsüchtigen, von dem der Insel die Gefahr der Ansteckung drohe, und der Besitzer der Villa setzte durch, daß seine Mieter dieselbe schleunigst verlassen, zuvor aber die Kosten für Reinigung und Übertünchung des ganzen Hauses erlegen mußten, das, wie er behauptete, durch Chopin verseucht worden sei. In einer einsamen, romantisch gelegenen Karthause, Valdemosa mit Namen, fanden sie im Dezember für 1000 Frs. eine ihnen zusagende, überaus originelle Unterkunft. Doch bei allem poetischen und landschaftlichen Reiz bot dies klösterliche Obdach dem bedürfnisreichen Künstler zu geringe Bequemlichkeit. Seine Krankheit nahm zu, sie wurde lebensgefährlich und heischte die sorgsamste Pflege seitens seiner Reisegefährtin. Tagebuchblätter, die er zu jener Zeit, wie später in Paris, Nohant, Stirling-Castle in Schottland, aufgezeichnet haben soll und die die »Neue Musikzeitung« im Januar 1907 veröffentlichte, stellten sich, schon zufolge der in ihnen enthaltenen unrichtigen Daten, als gefälscht heraus. Dagegen vernehmen wir das unmittelbare Zeugnis George Sands, wenn sie aus Majorca über Chopin schreibt: »Es kann keine edlere, zartfühlendere uneigennützigere Seele, keinen treueren Genossen, keinen glänzenderen, witzigeren Geist, keine ernstere, innerhalb ihres Bereichs vollkommenere Intelligenz geben – aber ach! auch keine ungleicher gestimmte Natur, keine umschattetere, fieberhaftere Phantasie, keine empfindlichere Reizbarkeit, keine unmöglicher zu befriedigenden Herzensansprüche. Doch war dies nicht seine Schuld, sondern die seiner Krankheit. Sein Gemüt war wund, die Falte eines Rosenblatts, der Schatten einer Fliege machten es bluten. Außer mir und meinen Kindern war ihm alles antipathisch .. Er war ein unleidlicher, bis zur Verzweiflung kleinmütiger Kranker.«

Genug, der winterliche Aufenthalt auf der mit allen Wundern des Südens ausgestatteten Zauberinsel erwies sich für ihn, nach George Sands Worten, als »ein entsetzliches Fiasko«. Noch ehe er Palma im Februar 1839 verließ, erlitt er einen »furchtbaren Blutsturz«. Zu langer Ruhe sahen sie sich infolgedessen in Marseille gezwungen. Erst Ende Mai konnten sie nach Nohant, der Besitzung George Sands, aufbrechen, nachdem es ihnen zuvor vergönnt war, auf einem kurzen Ausflug zu Schiff nach Genua wenigstens mit einem Blick Italien zu streifen.

Nur teilweise wiederhergestellt, war Chopin aus dem Süden zurückgekehrt; geheilt von seinem Leiden war er nicht. Seine Gesundheit blieb unablässigen Schwankungen unterworfen, seine Nervosität wuchs beständig. Einzig während der Monate, die er allsommerlich in Nohant bei seiner Freundin zubrachte, mit der er in den Jahren 1840-47 auch in Paris die Wohnung teilte, fühlte er Linderung. Dort, in dem Musenhof der Romantik, wo sich die bedeutendsten Zeitgenossen Stelldichein gaben und die apartesten Unterhaltungen ersannen – wo man u. a. auf der kleinen Hausbühne nach hinter der Szene angeschlagenen schriftlichen Skizzen allerlei Dramen und Komödien improvisierte, die Chopin, wie früher Liszt, auf dem Klavier mit Humor und Genie musikalisch illustrierte – sammelte er frische Kräfte. Mochten auch manche der sich dort zusammenfindenden Elemente seinem aristokratischen Sinn wenig zusagen, sein Schaffenstrieb schien auf dem Land belebter, so daß er stets mit einer ansehnlichen musikalischen Ausbeute heimzukehren pflegte. Mit jedem Winter aber steigerte sich sein Leiden, umso mehr als er sein aufreibendes geselliges Leben trotz ärztlichen Verbotes nicht aufgab.

Im Frühjahr 1847 verschlimmerte sich sein Zustand und er verfiel in eine Krankheit, von der er sich nicht wieder zu erheben glaubte. Er wurde noch einmal gerettet, doch lebte er infolge eines verhängnisvollen Ereignisses, das sich augenscheinlich im Sommer 1847 zutrug, nur mit dem Tod im Herzen weiter. Seine Freundschaft mit George Sand erlitt einen unheilbaren Bruch. Die Dichterin selbst begründet ihn in ihrer »Histoire de ma vie« durch einen Streit Chopins mit ihrem Sohne Maurice, den zu schlichten sie für recht hielt. »Er senkte das Haupt und sagte, daß ich ihn nicht mehr liebte.« Dagegen erklärte ihn Franchomme, einer der nächsten Freunde des Musikers, damit, daß Chopin, nach einem Zerwürfnis George Sands mit ihrer seit dem Mai an den Bildhauer Clesinger verheirateten Tochter Solange und zunächst mit deren Gatten, diese gegen den Wunsch ihrer Mutter bei sich empfangen habe. Scharlitt sieht, auf einem der von Karlowicz veröffentlichten Briefe Chopins fußend, den Anlaß in einem neuen Verhältnis der Sand mit Victor Borie, um deswillen sie ihre Tochter verheiratete und ihren Sohn durch eine Liebesaffäre beschäftigte, gegen welche Dinge Chopin protestierte und das Haus verließ. Jedenfalls stimmten alle Freunde Chopins darin überein, daß die geniale Schriftstellerin des immer leidenderen, überaus reizbaren und trübe gestimmten Freundes, den sie selbst »einen unausstehlichen Patienten« nennt, überdrüssig geworden war. Gewiß ist, daß sie sich, kurz nachdem sie in dem Roman »Lucrezia Floriani« sich selbst als Titelheldin und Chopin als Fürsten Karol in nicht eben zartfühlender Weise porträtiert hatte – obgleich sie selbst dem widerspricht – trennten, um sich nie wieder zu vereinigen. Chopin selbst öffnet sich seiner Schwester Louise gegenüber am Weihnachtstag 1847 mit den Worten: »Solange war in Nohant, aber ihre Mutter hat sie kalt empfangen und ihr gesagt, wenn sie sich von ihrem Mann trenne, könne sie wieder nach Nohant kommen. Sol fand ihr Hochzeitszimmer in ein Theater, ihr Boudoir in eine Schauspielergarderobe umgewandelt... Jetzt scheint die Mutter gegen ihren Schwiegersohn noch erzürnter als gegen ihre Tochter, obgleich sie mir in ihrem Briefe schrieb, daß ihr Schwiegersohn nicht schlimm sei, daß nur ihre Tochter ihn schlimm mache. Man möchte glauben, daß sie sich mit einem Male sowohl ihrer Tochter als meiner entledigen wollte, weil wir ihr unbequem waren. Sie glaubt gerecht zu sein und stellt mich als ihren Feind dar, weil ich für ihren Schwiegersohn Partei genommen habe, den sie einzig darum nicht leiden kann, weil er ihre Tochter geheiratet hat [er hatte diese, was Chopin verheimlicht wurde, zuvor verführt]; während ich mich so sehr ich konnte dieser Heirat widersetzt habe.

Seltsames Wesen bei all ihrer Intelligenz! Ein Wahn ergreift sie, sie zerstört ihr Leben gleich dem ihrer Tochter. Auch mit ihrem Sohne wird es schlimm enden, ich sehe es voraus. Zu ihrer Entschuldigung sucht sie das Unrecht bei denen, die ihr Bestes wollen, die an sie glauben, die ihr nie etwas angetan haben – die sie aber nicht um sich dulden kann, weil sie der Spiegel ihres Gewissens sind. Darum hat sie mir kein Wort geschrieben, darum kommt sie diesen Winter nicht nach Paris, darum sprach sie kein Wort mit ihrer Tochter. Ich beklage nicht, ihr die acht köstlichsten Jahre ihres Lebens, in denen ihre Tochter, ihr Sohn heranwuchsen, tragen geholfen zu haben; aber ich beklage, daß ihre Tochter, diese sorgsamst gepflegte, vor so vielen Stürmen behütete Blume, von den Händen der Mutter mit einer Unklugheit, einer Leichtfertigkeit geknickt wurde, die man wohl einer Frau von zwanzig, aber keiner von vierzig Jahren verzeihen kann... Madame Sand kann nur ein gutes Andenken an mich in ihrer Seele bewahren.«

Noch einmal, am 10. Februar 1848, berührt ein Brief Chopins an seine Familie die schmerzliche Angelegenheit: »Ich habe ein Kreuz darüber gemacht. Mag Gott sie behüten, wenn sie wahre Anhänglichkeit nicht von Schmeichelei zu unterscheiden weiß. Doch vielleicht erscheinen die andern nur mir als Schmeichler, indes ihr Glück in Wahrheit da ist, wo ich es nicht sehe ... Den Spuren einer derart kapriziösen Seele vermag niemand zu folgen. Acht Jahre eines geordneten Lebens waren zu viel. Aber vielleicht sind das die Bedingungen ihrer Existenz, ihres schriftstellerischen Talentes, ihres Glücks? Kränke Dich nicht darüber, es liegt hinter mir. Die Zeit ist ein großer Heilkünstler. Bis jetzt bin ich noch nicht wiederhergestellt. Darum schreibe ich auch nicht; ich verbrenne alles, was ich anfange. Warum muß man denn schreiben? ... Es ist so lange her, daß wir uns ohne Kampf, ohne Szene sahen! Und ich könnte zu ihr gehen unter der Bedingung, daß ich von ihrer Tochter schwiege ... Madame Sand unterhält wenigstens einen kalten Briefwechsel mit ihrer Tochter. Das freut mich, denn so existiert doch noch ein Band zwischen Mutter und Tochter.

In einem vom 19. August 1848 aus Schottland an seine Mutter gerichteten wichtigen Briefe spricht Chopin sich sodann noch im Sinne der vorerwähnten, von Scharlitt gegebenen Erklärung deutlich aus.

Nur einen Augenblick sahen sie sich, wie George Sand erzählte, im März 1848 noch einmal wieder. Sie »faßte seine zitternde, eiskalte Hand und wollte zu ihm reden – er aber wandte sich ab«. Sein eigener Bericht lautet anders.

Mit furchtbarer Schwere ward Chopin von dieser Trennung betroffen. Er fühlte und sprach es aus, daß mit diesem Freundschaftsbande der letzte Faden zerriß, an dem sein Leben noch hing. Aber bis zum letzten Atemzuge gehörte ihr sein Herz, und mit bittersüßer Selbstpein überließ er sich immer von neuem der wehmütigen Erinnerung an sie und die Zeiten vergangenen Glückes.

Im Frühjahr 1848, nach der in Paris ausgebrochenen Februarrevolution, beschloß er, eine Reise nach London zur Ausführung zu bringen. Dachte er in der Tat, wie man glaubte, an eine Übersiedlung nach England, um der beständigen Mahnung an seinen Verlust zu entrinnen? Bevor er Paris verließ, gab er am 16. Februar noch ein Abschiedskonzert bei Pleyel, und seine Freunde hörten ihn daselbst zum letzten Male.

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Anmerkungen:

  1. Es ist dieser Skizze vorangestellt.
  2. Leipzig, Breitkopf & Härtel, 1910"
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