Bereits 1825 gelangte Chopins opus 1, das Rondo in C-moll, in den Druck, dem bald darauf sein op. 5, das seiner jugendlichen Flamme, der Gräfin Alexandrine Moriolles, zugeeignete Rondeau à la Mazur, folgte. Nach bestandenem Abiturientenexamen verließ er 1826 das Lyzeum. Dagegen trat er für drei Jahre in das Konservatorium ein, und Elsner durfte am 20. Juli 1829 in seinem letzten Examenbericht das Urteil verzeichnen: »Chopin, Frédéric (Schüler im dritten Jahre) erstaunliche Befähigung, musikalisches Genie.«[1]

Wiederholt schon hatten sich infolge seiner durch übereifrige Studien angegriffenen Gesundheit Erholungsreisen für Frédéric nötig gemacht. So brauchte er beispielsweise 1826 im schlesischen Bad Reinerz die Kur. Gern verbrachte er immer einen Teil des Sommers bei dem Fürsten Radziwill oder anderen Gönnern und Freunden auf dem Lande, wo sich ihm Gelegenheit bot, den bizarren und doch so hinreißenden Weisen des polnischen Volkes zu lauschen, das Gesang und Tanz wie kein anderes leidenschaftlich pflegte. Um gute Musik zu hören und mehrere der deutschen Musikgrößen kennen zu lernen, unternahm er im September 1828 einen ersten Ausflug nach Berlin. Bei einer Aufführung der Singakademie sah er daselbst Spontini, Zelter und Mendelssohn. Aber er hielt es, wie er schreibt, »nicht für schicklich, sich ihnen selber vorzustellen«, und sein Beschützer Fürst Anton Radziwill, auf dessen Vermittlung er gehofft hatte, war leider nicht in Berlin anwesend. Dagegen trat er zu Hummel, der 1828 nach Warschau kam und gleich Field nicht ohne Einfluß auf ihn blieb, in angenehme Beziehungen. Paganini hörte er 1829 in seiner Vaterstadt.

Unvergleichlich ergebnisreicher als der Berliner Ausflug wurde für ihn eine Reise nach Wien, die er um Mitte Juli 1829 antrat. Hier tat er seinen ersten Schritt in die große musikalische Welt. Auf Andrängen des Musikverlegers Haslinger und mehrerer Aristokraten veranstaltete er am 11. und 18. August zwei musikalische Akademien im kaiserlichen Opernhause, das ihm der Leiter desselben, Graf Gallenberg – der Gatte der von Beethoven angebeteten Gräfin Giulietta Guicciardi – zur Verfügung stellte. Seine von ihm gespielten Variationen op. 2, der Krakowiak op. 14 und Improvisationen trugen ihm, wie er selbst in die Heimat berichtet, »stürmischen Beifall und zahlreiche Hervorrufe« ein. Auch die Wiener Musiker, die ihrem jungen Kunstgenossen aufs liebenswürdigste entgegenkamen, geizten mit ihrem Lobe nicht, und die Presse begrüßte Chopin als »Meister vom ersten Range«, als »eines der leuchtendsten Meteore am musikalischen Horizonte«. Verlautete überhaupt ein Einwand gegen sein Spiel, so war es der, daß es zu zart, zu sanft sei. Doch Chopin meinte: »Das ist meine Art zu spielen, die den Damen so sehr gefällt.« »Er war« – sagt sein vortrefflicher Biograph Niecks, von dessen Forschungen die vorstehende Skizze mehrfach Nutzen zog – »eben schon damals und wurde mit der Zeit noch mehr der Damen-Pianist par excellence

Über Prag und Dresden, wo er mit dem Fugenkomponisten Klengel und Hofkapellmeister Morlacchi Beziehungen anknüpfte, kehrte er gegen Mitte September zu den Seinen zurück.

Das kommende Jahr sollte ihn, nachdem er im März in Warschau wiederum zweimal konzertiert und sein neues F-moll-Konzert in die Öffentlichkeit eingeführt hatte, auf Elsners Rat nach Italien führen. Doch verzögerte er seine Abreise immer aufs neue. Die unruhige Lage Europas, die eigene Unentschlossenheit – eine seiner Charakter-Eigentümlichkeiten – und wohl mehr noch die Liebe zu einer jungen Bühnensängerin, Constantia Gladkowska, die sein Herz erfüllte, machte ihm den Abschied schwer. Im Gedanken an sie, »seinen Friedensengel«, ist das Adagio seines F-moll-Konzerts geschrieben. Alle seine Tonschöpfungen aus dieser Zeit durchdringen die Empfindungen für sie, mochte er sie auch vor aller Augen wie ein Mysterium verborgen halten und sich allein seinen vertrautesten Freunden, Titus Woyciechowski und Jan Matuszynski, offenbaren. Nach ihr auch sehnte er sich voll leidenschaftlicher Glut, als er sich endlich von ihr losgerissen hatte, und den Ring, den sie ihm beim Scheiden an die Hand gesteckt, hütete er als sein teuerstes Kleinod. »Sage ihr«, schreibt er am Weihnachtsmorgen 1830 an Jan, »so lange mein Herz schlägt, werde ich nicht aufhören, sie anzubeten. Sage ihr, daß nach meinem Tode meine Asche unter ihre Füße gestreut werden soll. Aber alles dies ist noch zu wenig, Du kannst ihr noch viel mehr von mir sagen.«

Bange Vorgefühle bedrängten ihn, bevor er der Heimat Lebewohl sagte. »Ich habe eine Ahnung«, heißt es in einem Briefe vom 4. September, »daß ich Warschau verlassen werde, um nie wieder zurückzukehren. O wie traurig muß es sein, an irgend einem andern Orte zu sterben, als da, wo man geboren ist!«

Am 11. Oktober 1830 gab er in Warschau noch ein letztes Konzert, in dem er sein E-moll-Konzert und die Phantasie über polnische Weisen op. 13 spielte, bei welcher Gelegenheit auch seine Constantia Gladkowska singend mitwirkte.

Endlich am 1. November erfolgte seine Abreise unter dem feierlichen Geleit von Freunden und Schülern des Konservatoriums, die ihm als Abschiedsgabe einen silbernen Becher, mit heimatlicher Erde gefüllt, darbrachten. Seine trüben Ahnungen aber erfüllten sich – nie wieder sollte sein Fuß den Boden Polens betreten. Die Folgen der wenige Wochen später, am 29. November ausbrechenden polnischen Revolution hielten ihn, obwohl er selbst nicht an derselben beteiligt war, für alle Zukunft von seinem Vaterlande fern. Er konnte sich nicht entschließen, es anders wiederzusehen, als er es verlassen hatte. Lieber erduldete er freiwillig hinfort das harte Los der Verbannung, mit der Heimat zugleich der Geliebten und künftigen Gefährtin seines Lebens beraubt. Zwei Jahre später reichte Constantia einem andern Manne die Hand. Ihm aber hat das Schicksal niemals ein Glück geboten, wie er es an ihrer Seite geträumt hatte. Auch eine andere, der er nachmals sein für weibliche Reize tief empfängliches Herz schenkte: die ihm seit ihrer Kindheit vertraute Schwester seiner Jugend- und Pensionsfreunde, der drei Brüder Wodzinski, neigte seiner Werbung zwar ihr Ohr, wurde jedoch später die Gattin des Grafen Skarbek. Der Segen besitzender Liebe und eines häuslichen Herdes gehörte zu den Gütern, die das Leben dem vom Ruhm Gekrönten versagte.

Bis Wien war er gekommen, als ihn die Kunde von dem für sein Vaterland so verhängnisvollen Ereignis ereilte. Seinen Wunsch, sofort heimzukehren und sich am Feldzug zu beteiligen, mißbilligten seine Eltern. Auch den Plan, nach Italien zu gehen, gab er nun auf und dehnte seinen Aufenthalt in der österreichischen Hauptstadt bis in den nächstfolgenden Sommer aus. Doch nur zweimal während dieser langen Zeit gab er dem Publikum Gelegenheit ihn zu hören. Verstimmt mußte er, der Reizbare, leicht Verletzte, gewahren, daß das ihm früher von seinen Kunstgenossen bezeugte Interesse erkaltet sei. Er hörte Thalberg – der, wie er schreibt, »famos spielt, aber nicht mein Mann ist« – desgleichen Döhler, Hummel, Aloys Schmitt, trat mit Carl Maria von Bocktet, Czerny, Abbe Stadler, mit dem Geiger Slavik, dem Cellisten Merk, dem Musikhistoriker Kiesewetter und vielen anderen in Verkehr, besuchte, seiner Neigung und Gewohnheit gemäß, viel Gesellschaften; aber er erregte nicht das Aufsehen, das zu erwarten er berechtigt war. Deckte doch die Einnahme des Konzerts, das er kurz vor seiner am 20. Juli 1831 erfolgenden Abreise veranstaltete, nicht einmal die Kosten.

In Paris gedachte er sein Glück zu versuchen. Da die Ausfertigung eines Passes dahin zu eben dieser Zeit großen Schwierigkeiten begegnete, ließ er sich denselben nach England visieren. »Passant par Paris à Londres« lautete er. Über München, wo er am 28. August zum letzten Male in seinem Leben öffentlich auf deutschem Boden spielte, und Stuttgart nahm er seinen Weg und traf Ende September in Paris ein – freilich nicht »en passant«, wie er oft scherzend sagte, sondern für immerdar, wie es sein Schicksal gewollt. Nur zu natürlich scheint es, daß die von den verbannten Polen mit Vorliebe aufgesuchte französische Weltstadt mit ihrer geistigen wie sinnlichen Verfeinerung, mit ihrem Reichtum an künstlerischen Berühmtheiten, ihrem Zusammenfluß an Bildungs- und Genußmitteln mannigfaltigster Art, ihre Anziehungskraft übte auf den empfänglichen Künstlergeist. Die Konzerte, die er nach seiner Ankunft veranstaltete, gewannen ihm die lebhafte Bewunderung der eleganten Gesellschaft sowohl als seiner Kunstgenossen. Sein erstes Erscheinen im Pleyelschen Saal am 26. Februar 1832 schon begrüßte, wie Liszt als Augen- und Ohrenzeuge erzählt, ein wahrer Beifallssturm. Er spielte eines seiner Konzerte – das von Karlowicz mitgeteilte Programm bezeichnet dasselbe nicht näher – und seine Mozart-Variationen. Enthusiastisch hieß man ein Talent willkommen, das nach der ideellen, wie nach der formellen Seite seiner Kunst hin eine neue Phase zu begründen versprach, und gänzlich übertönt wurden vereinzelte Stimmen, die, wie Field, von einem »talent de chambre de malade« sprachen, oder gar, wie Kalkbrenner, dem fertigen Meister anrieten, noch einen dreijährigen Kursus bei ihm durchzumachen.

Sofort nahm er als Pianist wie als Lehrer einen der bevorzugtesten Plätze ein. Den Ersten seiner Kunst trat er nahe. Cherubini, Rossini, Paër, Baillot, Kalkbrenner, Liszt, Berlioz, Bellini, Mendelssohn, Hiller, Franchomme u. a., die Musiker mit großer Vergangenheit oder großer Zukunft, erkannten in ihm einen ihres gleichen. Auch seine Landsleute, die sich in Paris gegenwärtig fanden, beeilten sich, Chopins Bekanntschaft zu suchen und ihm die entgegenkommendste Aufnahme zu bereiten. Bald stand er in nahem und häufigem Verkehr mit dem Hause der Fürsten Czartoryski, Lubomirski, der Gräfinnen Komar, Plater und anderen, meist der polnischen Aristokratie angehörigen Männern und Frauen, unter welch letzteren vor allen die Gräfin Delphine Potocka zu nennen ist, die, um ihrer Schönheit und geistvollen Anmut willen, als eine der bewundertsten Erscheinungen der vornehmen Welt gefeiert wurde. Ihr, deren Stimme und Talent einen unwiderstehlichen Zauber auf ihn übten, widmete er sein zweites Konzert in F-moll, für dessen Adagio er selbst immerdar eine besondere Vorliebe bezeigte und das in Wahrheit zu den schönsten und erhabensten seiner Eingebungen zählt. Und ihre Stimme auch war es, die den Sterbenden noch entzücken sollte, als er Abschied von Kunst und Leben nahm.

Selbst Aristokrat in Gewohnheiten und Neigungen, so daß man ihn, wie es heißt, unwillkürlich wie einen Fürsten behandelte, von früher Jugend auf mit der eleganten Ausdrucksweise des Salons vertraut, mit dem ausgebildetsten Geschmack und einem erstaunlichen Erfindungsreichtum begabt, blieb Chopin, der die Salonmusik höheren Sinnes um eine Reihe ihrer auserlesensten, feinduftigsten Blüten vermehrte, der Liebling und Mittelpunkt aristokratischer Kreise, den die Frauen zumal mit ihrer Gunst freigebig beschenkten, wie sie auch mit Vorliebe seine Schülerinnen wurden. »Ich bewege mich in der vornehmsten Gesellschaft – unter Gesandten, Fürsten und Ministern«, schreibt er im Januar 1833 einem polnischen Freund. Im Gegensatz zu anderen seiner Kunstgenossen, bildeten die Triumphe, die er feierte, nicht die Klippe, an der zu scheitern er Gefahr gelaufen wäre. So glänzend sie waren, sie vermochten doch keinen Augenblick ihn zu blenden oder zu berauschen; ohne Stolz, aber auch ohne falsche Bescheidenheit nahm er sie hin. Dennoch hinderte er selbst ihre öftere Wiederholung, indem er der Öffentlichkeit nur selten Gelegenheit bot, ihn zu hören. Während der ersten Jahre seines Pariser Aufenthaltes bis 1835 trat er häufiger auf. Dann verstummte er für eine Reihe von Jahren, und die in seiner letzten Lebenszeit gegebenen Konzerte belaufen sich auf wenig mehr als ein halb Dutzend. Alle, die ihn jemals zu hören das Glück hatten, stimmen in der entzückten Schilderung der wundersamen, weltentrückenden Wirkung seines Spiels überein, und wie der ihm wahlverwandte Liszt von der idealen Macht seiner Töne zeugt, bekennen auch die ihm fernerstehenden deutschen Meister Schumann und Mendelssohn, denen nur flüchtige Begegnungen mit ihm vergönnt waren, sich hingenommen von der »grundeigentümlichen, einzigen« Art seiner persönlichen wie künstlerischen Erscheinung. »Es bestand eine solche Übereinstimmung zwischen seiner Person, seinem Spiel und seinen Werken, daß man sie, wie es scheint, nicht mehr voneinander trennen kann, wie die verschiedenen Züge desselben Gesichts«, schreibt Ernest Legouv. [2] Selbst der ironische Heine äußert begeistert: »Die Einflüsse dreier Nationalitäten machen seine Persönlichkeit zu einer höchst merkwürdigen Erscheinung. Polen gab ihm seinen chevaleresken Sinn und seinen geschichtlichen Schmerz, Frankreich gab ihm seine leichte Anmut, seine Grazie, Deutschland gab ihm den romantischen Tiefsinn. Die Natur gab ihm eine zierliche, schlanke, etwas schmächtige Gestalt, das edelste Herz und das Genie. Wenn er am Klavier sitzt und improvisiert, ist er weder Pole, noch Franzose, noch Deutscher; er verrät dann einen weit höheren Ursprung, man merkt alsdann, er kam aus dem Lande Mozarts, Rafaels, Goethes, sein wahres Vaterland ist das Traumreich der Poesie.«

Hören wir allerdings die tiefinnerliche, seine ganze Seele zum Ausdruck bringende Weise seines »zugleich keuschen und leidenschaftlichen« Spiels schildern, so begreifen wir gern seine Abneigung, mit diesen seinen besten Gaben vor ein großes Publikum zu treten, dessen kleinster Teil den Wert derselben auch nur zu ahnen imstande war. Er war kein Virtuos im gewöhnlichen Sinn, er gab ein Stück seines Herzens, wenn er spielte. Und er wußte sehr wohl, daß seine Darstellungsweise keinen Eindruck machte auf die Menge, daß sie die Massen nicht packte und nur in den Kreisen auserlesener Hörer verstanden werden konnte, die es vermochten, ihm in die idealen Sphären der Kunst zu folgen, in denen sein Genius heimisch war. Seine Arena war nicht der weite Raum des Konzertsaals, für den es ihm an physischer Kraft, für den es seinem samtweichen, zarten, äußerst nuancenreichen Ton an Macht und Größe fehlte. Der Salon war seine natürliche Sphäre, ein engerer Kreis von Dichtern, Künstlern, Kennern war die ihm gemäße Zuhörerschaft. So äußerte er eines Tages zu Liszt: »Ich eigne mich nicht dazu Konzerte zu geben; das Publikum schüchtert mich ein, sein Atem erstickt, seine neugierigen Blicke lähmen mich; ich verstumme vor den fremden Gesichtern. Aber Du bist dazu berufen, denn wo Du Dir das Publikum nicht gewinnst, hast Du die Kraft, es Dir zu unterwerfen.« Es gebrach ihm, dem Zartorganisierten, von früh auf nur zu sehr Verwöhnten, an der Energie, deren gerade der Musiker zur öffentlichen Ausübung seiner Kunst bedarf. Er besaß die Fehler seiner Tugenden. »Wo er auf Hindernisse stieß,« sagt Karasowski, »wich er zurück, statt sie zu besiegen. Er liebte den Frieden mit sich und anderen – und das Leben, vor allem das des Künstlers, will Kampf.« Und gleichwohl hat es den Anschein, als ob die Beifallsbezeigungen der wenigen auserlesenen Hörer ihn nicht zu entschädigen vermochten für den Mangel an Popularität, an lebendiger und allgemeiner Teilnahme an seinen Leistungen; als ob er nicht ohne Bitterkeit auf das Glück des Künstlers verzichtet hätte, seine Schöpfungen widerklingen zu hören in tausend und aber tausend Herzen! Es war dies wohl einer der ihn am tiefsten verwundenden Dornen seiner Künstlerlaufbahn. Genug, wir finden Chopin bald nach seiner Ankunft in Paris in dem stillen Wirken eines Lehrers seiner Kunst begriffen, das seiner zurückhaltenden Natur sympathischer erschien als jegliches Hinaustreten in das geräuschvolle öffentliche Leben. Bis nahe an sein Ende erteilte er, trotz seinem oft so leidensvollen Gesundheitszustande, während der Saison täglich und mit ebensoviel Gewissenhaftigkeit als Befriedigung Klavierunterricht. In gesunden Tagen gab er vier bis fünf Stunden, für deren jede er ein Honorar von 20 Frs. empfing. Er legte das Hauptgewicht auf Ausbildung des Anschlags und die Unabhängigkeit der Finger. Im Fingersatz war er ein kühner Reformator. Durch einen eigentümlichen Pedalgebrauch erzielte er überraschende Nuancen, neue Effekte. Vollendete Glätte und Geschmeidigkeit, Schönheit des Tons, Wahrheit und Wärme des Ausdrucks – Eigenschaften die sein eigenes Spiel in seltnem Grade auszeichneten – suchte er auch seinen Schülern anzubilden. Heiliger Kunsteifer durchglühte ihn, jedes Wort von seinen Lippen wirkte anregend und begeisternd. »Spiele wie du es fühlst,« pflegte er zu sagen. »Sie müssen singen, wenn Sie spielen wollen,« empfahl er einer Schülerin und riet ihr den häufigen Besuch der italienischen Oper, als notwendig zur Ausbildung eines Klavierspielers.

Eine so große Anzahl Lernbegieriger umdrängte ihn, daß es schwierig war, Aufnahme bei ihm zu erlangen. Nichtsdestoweniger gingen keine weltberühmten Virtuosen aus seiner Schule hervor. Nicht von fern läßt sich seine pianistische Nachkommenschaft, die als bekanntere Namen nur den frühverstorbenen Karl Filtsch, Karl Mikuli, George Mathias, Adolf Gutmann nennt, derjenigen Liszts vergleichen, die nahezu alle hervorragenden Klavierspieler seiner Zeit umfaßt. Mehr Dilettanten als Künstler gingen bei Chopin in die Lehre; unter ihnen waren es wiederum seine Landsleute, denen er vorzugsweise das Geheimnis seiner Spielweise zu offenbaren liebte. Als seine Lieblingsschülerin und als diejenige, die am treuesten ihres Meisters Traditionen bewahrte, bezeichnet man, neben Marie von. Kalergis-Mouchanoff, die Fürstin Marcelline Czartoryska, der Chopin, ebenso wie ihrem Gatten und der Gräfin Potocka, eine fast leidenschaftliche Anhänglichkeit widmete. Chopins Freundschaft war ja wie seine Liebe eine Art Leidenschaft. Aus seinen Briefen an Titus Woyciechowski spricht eine fast weibliche Zärtlichkeit. Dennoch hat er sich wohl keinem jemals ganz erschlossen. Das Weh seines Herzens verbarg er hinter der Heiterkeit der Resignation. Ja seine Zurückhaltung ging so weit, daß er in späteren Jahren sogar jede Korrespondenz, außer der mit seinen Angehörigen, nach Möglichkeit vermied. Stolz und herrschsüchtig, intolerant, selbst schroff auf der einen, edel, uneigennützig, zartfühlend bis zur Sensitivität auf der andern Seite, mischten sich in ihm wunderliche Gegensätze. »Halb großartig, halb kleinlich« nannte George Sand sein Naturell. Immer zum Spott, zur Satire geneigt, mit scharfem Blick für die Eigentümlichkeiten und Schwächen anderer ausgerüstet, konnte er doch, wie Hiller sagt, nicht allein sein; vornehme Geselligkeit war seine Lebenslust. Ästhetik, Literatur kümmerten ihn wenig, und mehr als alle Schönheit der Natur interessierten ihn die Menschen und ihr Tun.

Exklusiv wie im Leben zeigte er sich auch in seinem musikalischen Geschmack. Beschränkter in seinen Sympathien wie ihn finden wir wohl keinen anderen unserer großen Tondichter. Seine Lieblinge waren in erster Linie Bach und Mozart. Beethoven, ebenso Weber und Schubert verehrte er nicht unbedingt, nicht im ganzen und großen, sondern nur in einzelnen Werken. »Das Löwenmark, das sich in jeder musikalischen Phrase Beethovens findet, war ihm ein zu substantieller Stoff«, wie Liszt bemerkt. Als Klavierkomponisten bevorzugte er Hummel, Field, Moscheles. Auch Liszt ließ er von seinen Schülern spielen. Dagegen fand Thalberg keine, Mendelssohn sowie Schumann wenig Gnade bei ihm. Berlioz und Meyerbeer waren ihm zuwider, Rossini, Bellini bewunderte er. Mit Recht sagt Liszt: »Bei den großen Meisterwerken der Kunst fragte er einzig nach dem, was seiner Natur entsprach. Was sich derselben näherte, gefiel ihm; dem aber, was ihr ferner lag, ließ er kaum Gerechtigkeit widerfahren.«

Übrigens war Chopin selbst gegen Liszt, der sich ihm von Anbeginn als guter Freund und Kamerad bewährte, auch wiederholt in Konzerten mit ihm spielte, nicht frei von Bitterkeit, was wohl auf dessen unvergleichlich größere Virtuosenerfolge zurückzuführen ist. Als Liszt in liebenswürdiger Kollegialität die Absicht aussprach, über ein von Chopin (im April 1841) veranstaltetes »concert de fashion« in der Gazette musicale zu berichten, entfuhr Chopin die bezeichnende Äußerung: »II me donnera un petit royaume dans son empire« Ein Verdacht, den Liszts Kritik natürlich glänzend Lügen strafte.

________________

Anmerkungen:

  1. Vgl. Miecyslaw Karlowicz, »Souvenirs inédits de Frédéric Chopintraduits par Laure Disière« (Paris und Leipzig, H. Welter, 1904). Dieselben enthalten einen großen Teil von Chopins brieflichem Nachlaß; denn dieser ist nicht, wie man bis dahin glaubte, bei der am 19. Sept. 1863 vom Statthalter von Polen Graf Berg befohlenen Plünderung des von einer Schwester Chopins bewohnten Palais Zamoyski in Warschau – aus dem man eine Bombe auf den Grafen geworfen hatte – total verbrannt. Er wird vielmehr, so weit noch vorhanden, von einer Enkelin von Chopins Schwester Louise, Mlle. Ciechomska, sorgsam bewahrt. Ihm sind die nachstehend hier mitgeteilten Briefe des Tondichters über seinen Bruch mit George Sand entnommen, die sich teilweise bei Leichtentritt, sowie jetzt bei Scharlitt, »Ch. Ges. Briefe« wiedergegeben finden.
  2. »Soixante Ans de Souvenirs«, teilweise verdeutscht von S. Bräutigam. Leipzig, Breitkopf & Härtel.
 Top