Am 22. Mai 1836, bei Gelegenheit des von Mendelssohn geleiteten rheinischen Musikfestes, trat der »Paulus« in Düsseldorf zum erstenmal vor die Öffentlichkeit. »Mit Liebe und unglaublichem Feuer« gaben sich die Mitwirkenden demselben hin und der Erfolg war ein glänzender. Nur der Komponist selbst fand sich damit noch nicht zufriedengestellt. Die strengste Kritik pflegte er an seinen Werken zu üben, und gern machte er sich die bei der ersten Aufführung gesammelten Erfahrungen für eine letzte Überarbeitung zunutze. Kaum in Frankfurt am Main angekommen, wo er in Vertretung seines erkrankten Freundes Schelble für mehrere Wochen die Direktion des »Cäcilienvereins« übernommen hatte, nahm er eine bedeutende Umänderung des »Paulus« vor und verkürzte ihn um nicht weniger als neun Nummern. In dieser Gestalt hielt er dann seinen Siegeszug durch die Musikwelt und erlebte schon in dem kurzen Zeitraum von anderthalb Jahren mehr denn fünfzig Aufführungen, dem Namen seines Urhebers eine erste Stelle unter seinen musikalischen Zeitgenossen erobernd.

Während dieses Sommeraufenthaltes in Frankfurt vollzog sich noch ein für Mendelssohn wichtiges Ereignis: in der holden Gestalt Cécile Jeanrenauds, der Tochter eines Predigers der reformierten Kirche daselbst, fand er das Ideal seines Herzens und seine Braut. Im Frühling des nächsten Jahres führte er sie, nachdem ihn der Winter wieder in seinem Leipziger Amte gesehen, als seine Gattin heim und lebte beglückt und beglückend an ihrer Seite. Den Sommer nach seiner Vermählung brachte er in Frankfurt und am Rheine zu. Das Klavierkonzert in D-moll op. 40, der 42. Psalm und das E-moll-Quartett op. 44 entblühten jener sonnigen Zeit. Im September dirigierte er beim Birminghamer Musikfest seinen »Paulus«; dann kehrte er wieder nach Leipzig zurück, das ihm und seinen Werken immer enthusiastischer ergeben ward. Einer bereits im vorhergegangenen Jahre mit vielem Glück von ihm geleiteten großen Aufführung von Händels »Israel in Ägypten« ließ er nun desselben Meisters »Messias« folgen. Weiter veranstaltete er eine Reihe »historischer« Konzerte, darin er den gesamten Entwicklungsgang der Tonkunst von Bach bis auf die Jetztzeit durch einzelne bedeutende und charakteristische Werke vorführte. Immerdar von dem Grundsatze ausgehend: »wenigstens ein Stück auf dem Programm zu haben, wodurch man möglicherweise einen Fortschritt nachweisen könne«, brachte er, nach einem großenteils in Berlin verlebten Sommer, im nächstfolgenden Winter unter anderem die von Robert Schumann aufgefundene C-dur-Symphonie Schuberts zuerst auf's Repertoire, dirigierte er auch 1838 und 39 wieder die rheinischen Musikfeste zu Köln und Düsseldorf.

Seine schöpferische Tätigkeit blieb nach wie vor eine vielseitige, und erscheinen als erheblichste Ergebnisse der Jahre 1838 und 39 der 95. und 114. Psalm für Chor, Solo und Orchester, Serenade und Allegro giojoso op. 43, die Quartette in D- und Es-dur op. 44, das schöne D-moll-Trio op. 49, die Sonate für Klavier und Cello op. 45, eine Orgelsonate op. 65 (Nr. II.), eine große Anzahl ein- und mehrstimmiger Gesänge und die Ouvertüre zu Victor Hugos Drama »Ruy Blas«. Diese letztere schnell entworfene Arbeit gehört, trotz ihres äußeren Prunkes, nicht zu den wertvolleren Gaben Mendelssohns, ob seine poetisierenden Ouvertüren in ihrer Neuheit auch seine Symphonien und Kammerkompositionen im ganzen hinter sich zurücklassen. Seine Psalmen, wie seine Hymnen und Motetten durchdringt die Hingebung eines von warmer Religiosität erfüllten Herzens. Fing er doch, wie seine Mutter ihrer Freundin Pereira erzählte, »schon als Kind kein Stück an, ohne zuvor das Notenblatt mit der Chiffre L. e. g. G. – das ist ›Laß es gelingen, Gott!‹ zu bezeichnen.«

Das Jahr 1840 brachte ein größeres Tonwerk zur Reife: den »Lobgesang«. Neben mehreren kleineren Festgesängen zur Feier des 400 jährigen Jubelfestes der Erfindung der Buchdruckerkunst geschrieben, kam derselbe am 25. Juni 1840 in der Thomaskirche zu Leipzig zur Aufführung. Der Komponist hat sein Werk als »Symphoniekantate« bezeichnet und dem vokalen Teil drei symphonische Orchestersätze vorausgehen lassen, so daß die Form an Beethovens neunte Symphonie erinnert, sich aber von dieser durch unmittelbaren Anschluß der einzelnen Sätze aneinander unterscheidet. Der orchestrale Teil verblaßte mit der Zeit, dagegen enthält der vokale noch heute Wirksames, wie vor allem das dramatische Rezitativ des Tenors: »Hüter, ist die Nacht bald hin?« und die jubelnde Beantwortung durch den Chor.

Auch als Orgelspieler bewunderte Leipzig seinen Mendelssohn, als er zum Besten eines für Sebastian Bach zu errichtenden Denkmals ein Orgelkonzert, und zwar, wie er schreibt »solissimo« veranstaltete. Obwohl infolge übermäßiger Anstrengung bald darauf erkrankt, leitete er im September wieder das Musikfest zu Birmingham. Sein Direktionstalent nach seinem vollen Umfang zu bekunden, bot ihm sodann im April 1841 Bachs »Matthäus-Passion« Gelegenheit. Mit diesem für Leipzig bedeutungsvollen musikalischen Ereignis schloß er vorläufig seine erste mehrjährige Wirksamkeit hierselbst ab, um im Juli einem ehrenvollen Ruf nach Berlin zu folgen.

Nur ungern schied Mendelssohn aus einer Stadt, in deren Mitte er sich als Mensch wie als Künstler in gleichem Maße geliebt und heimisch fühlte und deren blühendes Tonleben zum großen Teil seine eigene Schöpfung war. Es war ein dankbarer Boden, auf dem er hier wirkte; dafür waren ihm seit Beginn seiner Amtsführung mannigfache Beweise zugekommen. So hatte ihn die Universität Leipzig bereits im Jahre 1836 honoris causa zum Doctor philosophiae ernannt, der König von Sachsen ihn fünf Jahre später zu seinem Kapellmeister erhoben. Andrerseits würdigte man seine Verdienste auch dadurch, daß man seiner Stimme in Fragen der Kunst einen entscheidenden Einfluß gestattete. Ein von ihm gestellter Antrag auf Gehaltserhöhung der sehr bescheiden honorierten Orchestermitglieder fand beispielsweise, gleich einem der Regierung unterbreiteten Vorschlag, eine vorhandene ansehnliche Stiftung (die Blünmersche) zur Gründung einer Musikschule in Leipzig zu verwenden, Genehmigung. Nur Mendelssohns Übersiedelung nach Berlin verzögerte die Ausführung letzteren Planes.

Nicht lange aber war seines Bleibens an der Spree. Von dem kunstsinnigen Friedrich Wilhelm IV. als Kapellmeister berufen, sah er sich gleichwohl in keinen bestimmten Wirkungskreis gestellt. Im Plane des Königs lag es, die Akademie der Künste umzugestalten und auf vier Klassen: Malerei, Skulptur, Architektur und Musik zu erweitern. Deren vier Dirigenten sollten die Oberleitung über die gesamte Akademie wechselnd führen, wobei Mendelssohn zum Direktor der als ein großes Konservatorium gedachten musikalischen Abteilung ausersehen war. Hindernisse aller Art stellten sich jedoch der Ausführung dieses Projektes entgegen, und von dem musikalischen Leben Berlins ebensowenig als von einer Stellung ohne bestimmte Befugnisse befriedigt, kehrte Mendelssohn schon nach Ablauf eines Jahres nach Leipzig zurück.

Seine öffentlichen Leistungen in der preußischen Residenz hatten sich lediglich auf die Direktion einiger Konzerte, sowie auf die Aufführung seiner »Antigone« beschränkt, die er auf Veranlassung des Königs schrieb. Einer der früher verbreitetsten, jetzt freilich fast ganz verstummten Schöpfungen des Meisters treten wir in diesem Werk gegenüber, das schon als der erste Versuch einer Verbindung der antiken Tragödie mit moderner Musik Interesse erweckt. Von früher Jugend an von klassischem Geiste genährt und seinen Schönheitssinn an Studien der Antike bildend, trug Mendelssohn – mochte ihm auch das Großzügige, machtvoll Geniale des Wurfes fehlen, wie es antike Gestaltung verlangt – immer noch in höherem Grade als andere die Befähigung zu einer derartigen, wohl nie in vollkommen befriedigender Weise zu lösenden Aufgabe in sich. Die Wirkung der die Sophokleische Dichtung begleitenden Musik war denn auch eine günstige, als erstere, mit Hilfe Tiecks in Szene gesetzt, am 6. November 1841 zuerst über die Potsdamer Hofbühne ging, und ein noch gesteigerter Eindruck gab sich bei einer Wiederholung in denselben Räumen, sowie bei der öffentlichen Aufführung im Schauspielhause zu Berlin und im Leipziger Stadttheater kund.

Dagegen verdiente sich ein zweites großes Werk, das zu jener Zeit in Berlin zur Vollendung kam: die A-moll-Symphonie op. 56, die er im Juni 1842 im philharmonischen Konzert zu London zur Aufführung brachte, nachdem er zuvor wieder das rheinische Musikfest geleitet hatte, beim ersten Eintritt in die Öffentlichkeit nur mäßigen Beifall. Es war dies die unter dem Namen der »schottischen« bekannt gewordene Symphonie, zu der Mendelssohn, wie er selbst schreibt, während seiner Reise nach Schottland, an den Stätten der Maria Stuart, im Jahre 1829 schon die Anregung empfangen und die ihn auch in Italien beschäftigt hatte. Gleich der früher beendeten A-Dur-Symphonie trägt auch sie ein volkstümliches Gepräge, das ihnen beiden einen gewissen verwandtschaftlichen Zug mit der C-Dur-Symphonie Franz Schuberts gibt. Von Pathos, imposanter Tiefe und Beethovenscher Gewalt ist nichts in ihnen zu spüren; dafür die Grazie und Zartheit des Baus, die durchsichtige Klarheit und instrumentale Eleganz, die Mendelssohns Werke mit eigenem Liebreiz umkleiden. Ein sentimental-romantisches Element durchzieht sie beide. Die »italienische Symphonie« (A-Dur) nimmt nur im Schlußsatze, dem Saltarello, auf den Süden erkennbaren Bezug. An Bedeutung erscheint die »schottische« – deren vier Sätze sich ohne Unterbrechung folgen, was die Zuhörer zuerst befremdete – ihr überlegen; weist ihr doch Hans von Bülows Urteil geradezu unter allen Nach-Beethovenschen Symphonien als abgeschlossenes Kunstwerk den ersten Rang an, bevor er dem Brahmskultus huldigte.

Mit Beginn der Saison traf Mendelssohn in Leipzig ein, um die Leitung der Konzerte, die während seiner Abwesenheit im vergangenen Winter seinem Freund David übertragen worden war, wieder zu übernehmen. Ein kurzer Aufenthalt in Berlin war nur bestimmt, sein Verhältnis daselbst ganz zu lösen. Er erbat sich in dieser Absicht eine Audienz bei seinem königlichen Gönner. Doch entlockte dieser dem Widerstrebenden das Versprechen, nach Berlin zurückzukehren, sobald sich ein geeigneter Wirkungskreis für ihn darbiete. Auch betraute er den schon durch Verleihung des Ordens »pour le mérite« Ausgezeichneten mit der »Oberleitung der kirchlichen und geistlichen Musik« in Preußen und dem Titel eines königlichen Generalmusikdirektors. Die Leipziger lernten alsbald eine seiner wertvollsten Arbeiten: die zu Goethes Text geschriebene Konzertballade »Walpurgisnacht« kennen. In Italien geschaffen, darnach im Jahre 1842 umgestaltet, zeigt sie alle für den Tondichter charakteristischen Züge, nur daß sich ihnen hier eine derbe humoristische Realistik vereint, die in dem Chor: »Kommt mit Zacken und mit Gabeln« ihre Hauptwirkung erreicht. Eine vom Komponisten gewiß ungeahnte Art der Neubelebung erfuhr sie 30 Jahre später, indem die Münchner (1870) und die Wiener Hofopernbühne (1876), ähnlich wie früher das Leipziger Theater, sie zu szenischer Darstellung brachten, ohne dem Repertoire freilich einen dauernden Gewinn damit bringen zu können.

Mit Mendelssohns Rückkehr nach Leipzig war, endlich auch die Verwirklichung eines von ihm ins Leben gerufenen Planes gesichert: die Gründung eines Konservatoriums daselbst. Es ward unter Protektion des Königs von Sachsen am 3. April 1843 eröffnet. Mendelssohn selbst übernahm, außer dem mit Robert Schumann gleichzeitig erteilten Unterricht in der Komposition, noch das Instrumental-, jener das Klavierspiel, Moritz Hauptmann Kontrapunkt und Harmonielehre, Ferdinand David stand dem Violin-, Becker dem Orgelspiel vor. Wenzel und Plaidy traten als Klavierlehrer, Böhme und Frau Grabau-Bünau als Gesanglehrer ein. Rasch nahm die Anstalt den erwünschten Aufschwung und gegenwärtig darf sie sich eines siebzigjährigen glänzenden Gedeihens rühmen.

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