Auf dem Berge dort oben, da wehet der Wind

Wiegenlied von Christoph August Tiedge auf eine Melodie von Karl von Burgwedel

Downloadformate

Musiknoten zum Lied - Auf dem Berge dort oben, da wehet der Wind

Auf dem Berge dort oben, da wehet der Wind
da sitzet Mariechen und wieget ihr Kind.
Sie wiegt es mit ihrer schneeweißen Hand,
den Blick in die Ferne hinaus gewandt.

In die Ferne hinüber schweift all ihr Sinn;
ihr Lieber, ihr Treuer, der ging dahin!
Sonst ging er, sonst kam er; nun kommt er nicht mehr!
Nun ist’s um Mariechen so tot und so leer!

In den Busen da fallen die Tränen hinein;
da trinkt ihr Kindlein sie saugend mit ein.
Es schmeichelt der Mutter die kindliche Hand;
ihr Blick ist hinaus in die Ferne gewandt.

Ach, wie sausend wehet der Wind so kalt!
Mariechen, dein Liebster ging aus in den Wald;
ihm reichten die tanzenden Elfen die Hand;
er folgte der lockenden Schaar, und verschwand.

Auf den Bergen dort oben, da wehet der Wind;
da sitzet Mariechen, und wieget ihr Kind,
und schaut in die Nacht hin, mit weinendem Blick.
Dahin ging ihr Liebster, und kehrt nicht zurück!

Das Motiv des Kindelwiegens wurde früher oft in Liedern verwendet. Beispielsweise in Auf dem Berge, da gehet der Wind oder Stille, stille, kein Geräusch gemacht!

Den Text zu Auf dem Berge dort oben, da wehet der Wind veröffentlichte Christoph August Tiedge (1752-1841) im Jahr 1774. Die Musik stammt von Karl von Burgwedel. Die erste Strophe ist dem alten Weihnachtslied Dort oben vom Berg, da wehet der Wind entnommen. Dennoch ist Auf dem Berge dort oben, da wehet der Wind kein Weihnachtslied, sondern ein traditionelles Volkslied.

Mariechen sitzt hoch oben auf einem Berg und wiegt ihr Kind. Sie wiegt es alleine, denn ihr Liebster ist von ihr gegangen. Er »ging aus in den Wald« heißt es in der vierten Strophe. Doch er kehrte nicht zurück und wird es auch nicht mehr. Mariechen muss ihr Kind alleine großziehen und das, obwohl ihr Herz selbst voll der Trauer und Sehnsucht ist. Sie schaut sehnsüchtig in die Ferne, wünscht sich ihren Liebsten zurück, doch alles was ihr blieb ist das Kind, das sie traurig wiegt, dort oben auf dem Berg, ganz alleine.

Obwohl Auf dem Berge dort oben, da wehet der Wind ein Wiegenlied ist, das einem Kind zum Einschlafen sanft vorgesungen wird, erzählt es selbst davon, wie Mariechen ein Kind wiegt. Es erzählt von der Traurigkeit des Verlusts eines geliebten Menschen, um den Mariechen trauert während sie ihr Kind wiegt, das ihr als Trost und Erinnerung blieb.

Trauer, der emotionale Zustand, der auf einen Verlust folgen kann, ist ein Ausdruck von tiefer Traurigkeit, Verzweiflung und Hilflosigkeit. Dies alles empfindet Mariechen, während sie ihr Kind wiegt. Gleichzeitig könnte man die Situation aus philosophischer Sicht betrachten und herausstellen, dass ein Mensch gegangen ist, aber ein neuer Mensch, das Kindlein, in Mariechens Leben getreten ist. Ein Sinnbild für das Kommen und Gehen, das in unserer Welt herrscht. Doch die Trauer um den Verlust kann es nicht überdecken. Und so wiegt Mariechen mit Trauer und gleichzeitig Mutterliebe ihr Kind. Eigentlich eine schöne Textaussage – und gut, dass Kinder, denen dieses Lied zum Einschlafen vorgesungen wird, den Text noch nicht verstehen.

Tom Borg, 6. November 2023

 Top