Im grünen Wald, dort wo die Drossel singt

Das romantische Heimatlied Im grünen Wald, dort wo die Drossel singt dichtete Friedericke Kemper. Die Melodie komponierte Max Oscheit.

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Musiknoten zum Lied - Im grünen Wald, dort wo die Drossel singt

Im grünen Wald, dort wo die Drossel singt, Drossel singt,
und im Gebüsch das muntre Rehlein springt, Rehlein springt,
wo Tann und Fichten stehn am Waldessaum,
verlebt ich meiner Jugend schönsten Traum.

Das Rehlein trank wohl aus dem klaren Bach, klaren Bach,
während der Kuckuck aus dem Walde lacht, Walde lacht.
Der Jäger ziehlt schon hinter einem Baum,
das war des Rehleins letzter Lebenstraum.

Getroffen war's und sterbend lag es da, lag es da,
das man vorher noch lustig hüpfen sah, hüpfen sah.
Da trat der Jäger aus dem Waldessaum
und sprach: Das Leben ist ja nur ein Traum.

Die Jugendjahr', sie sind schon längst entfloh'n, längst entfloh'n,
die ich verlebt als junger Jägerssohn, Jägerssohn.
Er nahm die Büchse, schlug sie an ein' Baum
und sprach: Das Leben ist ja nur ein Traum.

Im grünen Wald, dort wo die Drossel singt, das romantisch anmutende Heimatlied, wurde erstmals 1912 gedruckt und erschien dann ab Anfang der 20er Jahre des vergangenen Jahrhunderts in zahlreichen Liederbüchern. Der Text wird Friedericke Kemper, die von 1836 bis 1904 lebte, zugeschrieben. Die Melodie machte Max Oscheit (1880-1923) populär. Bekannt war das Lied vor allem im südwestdeutschen Raum und wurde auch als Lied vom Rehlein oder als Schwarzwaldlied bezeichnet.

Dem vom Bayrischen Soldatenbund herausgegebenen Büchlein Volks- und Soldatenlieder zufolge war Im grünen Wald, dort wo die Drossel singt ein Jägerlied, das von Soldaten gesungen und umgedichtet wurde. Aufgezeichnet schon vor dem 1. Weltkrieg verbreitete es sich nach Kriegsbeginn im Jahr 1914 über ganz Deutschland. Aber auch Carl Zuckmeyer trug dazu bei, indem er das vierstimmig gesetzte Lied in seinem Werk Der fröhliche Weinberg von Männern singen lässt. Da ist dann von Romantik nicht mehr viel übrig. Oder war von Romantik nie die Rede gewesen?

Im grünen Wald, dort wo die Drossel singt ist ein Lied, das von einem Rehlein im Gebüsch erzählt, von einem klaren Bach und dem Kuckuck im Wald. Unsere Vorstellung von romantischer Heimat schlechthin, vor allem im vorigen Jahrhundert. Die friedliche, freie Natur in einem freien und selbstbestimmten Leben zu genießen, war das Motto der Jugend- und Wandervogelbewegung, die Anfang des 20. Jahrhunderts viele Menschen in ihren Bann zog.

Auch nach dem Zweiten Weltkrieg erfreute sich das Lied Im grünen Wald, dort wo die Drossel singt großer Beliebtheit. Vielen Stars der Volksmusik haben das Lied aufgenommen. Heino sang es ebenso wie Freddy Quinn und Ronny.

Die Menschen im Nachkriegsdeutschland sehnten sich nach Frieden, Natur und Sinnlichkeit. Es war die Zeit des Wirtschaftswunders. Nach den Schrecken des Kriegs wollten die Menschen einfach nur das Leben genießen. Und was symbolisiert dies besser als die friedliche und beschauliche Natur?

Hab Acht, liebes Rehlein

Doch der erste Eindruck von der beschaulichen und friedlichen Natur, den das Lied Im grünen Wald, dort wo die Drossel singt uns vorgaukelt, täuscht. Während das Rehlein und der Kuckuck noch vergnügt ihr Leben in der freien Natur genießen, schleicht sich bereits ein Jäger heran. Er zielt, versteckt hinterm Baum, auf das »muntere Rehlein«. Sein Schuss beendet nicht nur das Leben des fröhlich springenden Rehleins, sondern auch den Eindruck der friedlich, romantischen Naturidylle. Mit einem Schuss ist alles dahin.

»Das Leben ist ja nur ein Traum«, so kommentiert der Jäger den Tod des Rehleins. Der Traum vom munteren Herumspringen, glücklich in der freien Natur zu leben; nur ein Traum, der für das tote Rehlein ausgeträumt war.

Doch wie es dem Reh geschah, so ergeht es auch dem Jäger. Jahre später, seine Jugendjahre sind längst vergangen, sind nur noch eine Erinnerung, ein Traum, da erkennt der Jäger, dass auch sein Leben nur ein Traum war. Seine »Jugendjahr', sie sind schon längst entfloh'n«.

Als Jäger war er Herr über Leben und Tod im Wald. Doch außerhalb des Waldes, im echten Leben, da entscheidet eine andere Macht über sein Wohl und Übel, Leben und Tod. Als Symbol seiner Enttäuschung über den Verlust der Jugendjahre zerschlägt der Jägersmann seine Büchse; die Waffe, die ihn zum Herrn über Leben und Tod im seinem Waldrevier macht.

Man kann in dieses Lied vieles hineininterpretieren und den Text als Symbol für alles Mögliche benutzen. Doch die Analogie vom jungen Rehlein und des Jägers Jugendjahre, sie bleibt und mahnt uns, dass all unsere Jugendträume letztendlich nur Träume sind. Manchmal werden sie wahr, manchmal enden sie abrupt wie das Leben des jungen Rehs. Unsere Träume treiben uns an, geben uns Ziele, die wir vielleicht nie erreichen werden. Aber leben müssen wir unser Leben heute. Morgen kann es schon vorbei sein…

Claudia Nicolai, 20. Mai 2023

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