Die hochdeutsche Version des Textes in der Nordsee-Variante lautet:
Wo die Nordseewellen spülen an den Strand
wo die gelben Blumen blüh'n ins grüne Land
wo die Möwen schreien, schrill im Strumgebraus
dort ist meine Heimat, da bin ich zu Haus.
Well'n und Wogen sangen mir mein Wiegenlied,
hohe Deiche waren mir das „Gott behüt“,
merkten auch mein Sehnen und mein heiß Begehr:
Durch die Welt zu fliegen, über Land und Meer.
Wohl hat mir das Leben meine Qual gestillt,
und mir das gegeben, was mein Herz erfüllt,
alles ist verschwunden, was mir leid und lieb,
hab' das Glück gefunden, doch das Heimweh blieb.
Heimweh nach dem schönen, grünen Marschenland,
wo die Nordseewellen spülen an den Strand,
wo die Möwen schreien, schrill im Sturmgebraus,
da ist meine Heimat, da bin ich zu Haus.
Das Lied Wo de Ostseewellen trecken an den Strand ist das Symbol einer Erfolgsgeschichte ohne Happy End. Eng verbunden mit dem Namen der vorpommerschen Heimatdichterin Martha Müller-Grählert, die den Originaltext um die Jahrhundertwende dichtete.
Damals war die 1876 geborene Martha Grählert, nun verheiratete Müller, mit ihrem Mann nach Japan gegangen, wo Müller an einer Landwirtschaftsschule unterrichtete.
Weit weg in der Ferne packte Grählert das Heimweh nach ihrer geliebte Ostsee. Sie schrieb voller Sehnsucht das Gedicht "Miene Heimat" in vorpommerschem Platt und schickte es nach Hause, wo es dann 1907 in den "Meggendorfer Blättern" erstmals veröffentlicht wurde.
1914 kehrte Martha Müller-Grählert nach Deutschland zurück, aber ihre Ehe zerbrach und die Dichterin geriet in finanzielle Not; sie musste nun allerlei ernste und heitere Geschichten und Gedichte schreiben. Einen nennenswerten Erfolg hatte sie damit jedoch nicht. "Miene Heimat" blieb Martha Müller-Grählerts einziger Erfolg, der sie dennoch berühmt und unsterblich machte.
Am 18.11.1939 starb sie einsam und arm mit 62 Jahren in einem Altersheim in Franzburg (Vorpommern). Ihre letzte Ruhe fand sie auf dem Kirchhof in Zingst. Auf ihrem Grabkreuz stehen die Worte: »Hier is miene Heimat - hir bün ick tau Huus«.
Ihr Heimwehgedicht machte Martha Müller-Grählert berühmt und unsterblich, aber nicht reich. Den finanziellen Erfolg hatten andere. Und das kam so: Ein Glaser aus Flensburg gelangte auf seiner Wanderschaft in die Schweiz nach Zürich und trat dem Züricher "Arbeiter-Männergesangverein" bei. Dieser wurde geleitet von Simon Krannig, einem Dirigenten aus Thüringen. Diesem zeigte der Glaser das Gedicht "Miene Heimat" und bat um eine Vertonung. Krannig war begeistert und komponierte ruckzuck die Melodie, die heute weltbekannt ist.
1909 starb der Glaser aus Flensburg und anlässlich der Beerdigung kam es Uraufführung des Liedes auf einem Züricher Friedhof am Grab des Glasers.
Daraufhin geriet das Lied zunächst in Vergessenheit, bis es irgendwann an die Nordsee gelangte. Der Soltauer Verleger Fischer-Friesenhausen entdeckte schließlich das Potential des Liedes, übersetzte es ins Hochdeutsche und gab ihm die heute bekannte Form. Als Besitzer der Verlagsrechte, sorgte er für eine große Verbreitung und ließ das Lied in vielen Versionen veröffentlichen. So wurden aus den Ostseewellen die Nordseewellen – und noch viele Versionen mehr…
Martha Grählert-Müllers Gedicht "Miene Heimat" hat viele Menschen reich gemacht. Sie selbst hatte aber leider nicht davon profitiert. Bis zu ihrem Tod kämpfte sie um die Anerkennung ihrer Autorenrechte und eine Beteiligung an den Tantiemen. Vergeblich. Doch ihr Gedicht macht sie unsterblich.
Tom Borg, 21. April 2023