Singen, spielen & musizieren

Singen

Musik und Singen als Zeichen der Hoffnung

Von Christa Schyboll

Die Menschheit ist in der Not einer Pandemie gefangen. Und diese gemeinsame Gefangenschaft wird auch zur physisch erlebten Wirklichkeit durch weltweite Quarantäne-Maßnahmen, die die große Welle der Infektionen zumindest verlangsamen sollen. Möglichst alle Menschen sollten eigentlich zuhause bleiben. Doch das ist unmöglich, weil Schlüsselbereiche der existenziellen Grundversorgung für alle ohne menschliche Helfer nicht auskommen können.

Mehr und mehr Krankensysteme kommen gleichzeitig langsam an ihr Limit. Und ohnmächtig müssen wir alle zusehen, wie Mitmenschen sterben, weil kein System der Welt so viele Beatmungsgeräte, Schutzkleidung und anderes Nötige auf Vorrat halten kann, wie es nun flächendeckend für Abermillionen Menschen benötigt wird. Stattdessen erleben wir den Aufbau von Leichenhallen, die Abgabe von Opium, um das Sterben zu erleichtern und die ersten Engpässe in Lebensnotwendigem, wie beispielsweise Medikamente und Wirkstoff.

Gegen das Virus ist noch kein Mittel gefunden und es kann noch viele Monate dauern, bis die weltweit daran forschenden Wissenschaftler da einen entscheidenden Schritt vorankommen. Bis es so weit ist, müssen die Menschen neue Kräfte aufbringen, um Zuversicht und Hoffnung in sich zu nähren und zu stärken, denn das Leben will weiter gelebt werden.

Ausgerechnet die Musik ist es nun, die ein wenig Licht in das Dunkel dieses derzeitigen Menschheitskapitels bringt.

Italienische Lebensfreude und Zuversicht als musikalisches Fanal an die Welt

Jetzt, wo die Not am größten ist, singen Menschen gemeinsam. Es begann in Italien, das in Europa zum ersten Hotspot der Epidemie wurde und besonders stark betroffen ist. All die Millionen, die gezwungen waren, mittlerweile zuhause zu bleiben, zeigten sich irgendwann und irgendwo in einer der besonders stark betroffenen Provinzen an Fenstern und Balkonen, lachten trotz aller Not einander zu und stimmten Lieder an.

Die italienische Nationalhymne, war wohl eines der ersten Lieder, die mutmachend die Herzen der Menschen ergriff und aus geöffneten Fenstern und von Balkonen schallte. Auch ›Bella ciao‹, das berühmte antifaschistische Partisanenlied, wurde stark und stimmungsvoll von den Balkonen intoniert.

Doch das nicht nur in Italien, sondern auch in Deutschland. So fand sich beispielsweise eine Reihenhaussiedlung in Bamberg, die diese Hymne, die im Zweiten Weltkrieg entstand, als solidarische Grußadresse an ihre italienischen Mitmenschen sang. Mit Instrumenten und engagiertem Gesang gegen die Angst, die Not und den Tod machten sie sich mit ›Bella ciao‹ gegenseitig neuen Mut.

Zuvor begann diese Aktion mit einer emotionalen Ansprache auf italienisch, die per Video aufgenommen wurde und in kurzer Zeit viel Tausendfach auf YouTube geliked wurde. Darin erzählt beispielsweise ein Nachbar, wie berührt er von dieser italienischen Situation des gemeinsamen Singens war und mit seinen Nachbarn daraufhin auch diese schöne musikalische Form von Solidarität auf Balkonen und offenen Fenstern organisierte. Da saßen die mittlerweile ebenfalls unter Quarantäne stehenden Deutschen und sangen gemeinsam mit Notenblättern die berühmte italienische Hymne. Selbst eine italienische Flagge in der Hand eines kleinen Mädchens zierte das Ambiente.

Ursprünglich entstammt das Lied der Widerstandsbewegung gegen die oft unmenschlichen Arbeitsbedingungen gegen äußerst kargen Lohn, mit dem man kaum überleben konnte. Diese Verhältnisse haben wir heute in Europa weitgehend hinter uns gelassen. Heute geht es um einen anderen Widerstand. Um die Widerstandskräfte gegen einen winzig, nicht sichtbaren Virus, der der ganzen Menschheit auf allen Kontinenten schwerst zusetzt. Jetzt gilt es einen anderen Kampf zu kämpfen, wozu die aufbrechende, hoffnungsvolle Stimmung des Liedes geeignet ist.

Die Ode an die Freude – ein musikalischer Hoffnungsträger

Neben ›Bella ciao‹ kam aber auch die Europahymne Beethovens zu großen Ehren: Die Freude, schöner Götterfunken! Dieses weltweit beliebte und berühmte Musikstück wurde ebenfalls an offenen Fenstern, in Wohnzimmern und wo immer möglich in vielfacher Art musiziert, gesungen und intoniert.

Dazu kommt, dass 2020 ein bedeutendes Beethovenjahr ist. Es jährt sich der 250. Geburtstag des Großmeisters der Klassik. Bis heute gilt er als einer der weltweit meistgespielten Komponisten. Der Text der Ode an die Freude stammt aus der Feder des ebenfalls berühmten Klassikers Friedrich von Schiller. Es ist eines seiner bekanntesten Gedichte, das im November 1785 fertig verfasst wurde. Es erfuhr jedoch noch mehrfache Bearbeitungen und wurde endgültig zur Berühmtheit, als Ludwig von Beethoven es im 4. Satz seiner 9. Sinfonie bearbeitete.

Für Schiller – und sicher auch für Beethoven, der diesen Text erwählte – war die Freude des Menschen eine der Haupttriebfedern für die körperliche und die geistige Welt des Menschen im Einzelnen wie auch in der Gemeinschaft.

Und was brauchen wir mehr in der Dunkelheit der derzeitigen Geschehnisse, als die Freude. Das Licht der Hoffnung, um die Not möglichst bald wieder hinter uns zu lassen.

Diese besonderes beliebte Welthymne mit seiner innewohnenden Kraft schenkt den Menschen einen musikalischen Haltepunkt in einer Zeit der Prüfungen, die mit und durch Musik vielleicht für alle etwas erträglicher wird und Zuversicht in unseren Herzen wachsen lässt.

Dort, wo derzeit noch nicht gesungen wird, besann man sich an anderen Konzertmöglichkeiten, um mittels vielfachem Tönen die Dankbarkeit all jenen gegenüber auszudrücken, die in der allgemeinen Not für uns alle da sind: Krankenschwestern, Pfleger und Ärzte, Müllentsorger, Kassiererinnen, LKW-Fahrer*innen, Bauern, Lieferdienste, Bankangestellte oder die Menschen in den Versorgungsunternehmen für Strom, Gas oder Wasser, um nur einige zu nennen, die unter Einsatz der eigenen Gesundheit und des Lebens dennoch weiter für die Allgemeinheit da sind. Auch die vielen Politiker*innen sind mit zu bedenken, die nun alle bis zur Erschöpfung arbeiten, freundlich bleiben müssen, trotz Übermüdung, Zuversicht verbreiten sollen, trotz vieler Mangelerscheinungen von Materialien, die nötig sind und nicht besorgt werden können und die zudem schwere Entscheidungen treffen müssen, die ungeahnt schwerwiegende Folgewirkungen haben können. All jene werden bedacht mit Klatschen, Trommeln, auf Töpfen, Pauken, mit Trompeten und Flöten, die zum Einsatz kommen, um ihr Tun auf diese Weise zu ehren.

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