O Heiland, reiß die Himmel auf

Weihnachtslied aus dem 16./17. Jahrhundert

Downloadformate

Musiknoten zum Lied - O Heiland, reiß die Himmel auf

O Heiland, reiß die Himmel auf,
herab, herab vom Himmel lauf.
Reiß ab vom Himmel Tor und Tür,
reiß ab, wo Schloß und Riegel für!

O Gott, ein’ Tau vom Himmel gieß,
im Tau herab, o Heiland, fließ!
Ihr Wolken, brecht und regnet aus
den König über Jakobs Haus.

O Erd’, schlag aus, schlag aus, o Erd’,
daß Berg und Tal grün alles werd’!
O Erd’, herfür dies Blümlein bring,
o Heiland, aus der Erden spring!

Wo bleibst du, Trost der ganzen Welt,
darauf sie all’ ihr’ Hoffnung stellt?
O komm, ach komm vom höchsten Saal,
komm, tröst uns hier im Jammertal!

O klare Sonn’, du schöner Stern,
dich wollten wir anschauen gern.
O Sonn’, geh auf, ohn’ deinen Schein
in Finsternis wir alle sein!

Hier leiden wir die größte Not,
vor Augen steht der ewig’ Tod:
Ach komm, führ uns mit starker Hand
vom Elend zu dem Vaterland!

Da wollen wir all’ danken dir,
unserem Erlöser, für und für.
Da wollen wir all’ loben dich
je allzeit immer und ewiglich!

O Heiland, reiß die Himmel auf ist ein kirchliches Adventslied, das Friedrich Spee (1591–1635) zugeschrieben wird.

In der 1622 in Würzburg gedruckten katechetischen Liedersammlung »Das Allerschönste Kind in der Welt« wurde es ohne Angabe eines Verfassers erstmals veröffentlicht. Ein Jahr später wurde es in ein Gesangbch aufgenommen.

Der Komponist der Melodie ist unbekannt. Die bis heute gesungene Melodie ist erstmals im Rheinfelsischen Gesangbuch von 1666 nachgewiesen.

Das Lied O Heiland, reiß die Himmel auf fand bald Eingang in katholische und evangelische Liedersammlungen. Bis heute ist das Lied im Gotteslob (Nummer 231) und im Evangelischen Gesangbuch (EG 7) sowie diversen anderen Gesangsbüchern zu finden.

Die siebte Strophe, die im Original fehlte, tauchte erstmals 1631 im »Groß Catholisch Gesangbuch«, einer von David Gregor Corner zusammengestellten katholischen Kirchenliedersammlung des 17. Jahrhunderts auf.

Obwohl O Heiland, reiß die Himmel auf nicht die Bekanntheit anderer Adventslieder wie beispielsweise »Macht hoch die Tür« erlangte, wird es bis heute gern gesungen. Es hat jedoch nicht den fröhlichen Klang, den man bei anderen Advent- und Weihnachtsliedern so oft heraushört. Spee stimmt kein ""Hallelujah"" an, sondern fordert: »O Heiland, reiß die Himmel auf«. Gleich drei Mal kommt das dynamische Verb »reiß« in der ersten Zeile vor. Es ist ein drängender, fordernder Ton. Der Heiland soll sich beeilen; er wird gebraucht, jetzt gleich.

Friedrichs Spees Gedankenwelt erschließt sich uns nicht gleich, obwohl mit dem Ruf Jesajas "»Ach dass du den Himmel zerrissest und führest herab, dass die Berge vor dir zerflössen«(Jes. 63,19) eine biblische Vorlage vorhanden scheint. Um das Lied und dessen vermeintlichen Widersprüchen im Text, der nächst von Hoffnung spricht und dann in der zweiten Hälfte düsterer wird, zu verstehen, muss man sich die damalige Zeit mit ihren Gräultaten vergegenwärtigen.

Das dunkle Mittelalter

Friedrich Spee, der Sohn eines adligen Amtmannes in Kaiserswerth bei Düsseldorf, lebte vor über 400 Jahren. 1610, im Alter von 19 Jahren, trat er als Novize dem Jesuitenorden in Trier bei. Nach seinem Studium wurde er 1622 zum Priester geweiht und war als Seelsorger und Theologieprofessor in Paderborn, Köln und Trier tätig.

Als Pater Spee 1622 den Text des Liedes dichtet, wütete der Dreißigjährige Krieg, der alleine in Deutschland fast einem Drittel der Bevölkerung das Leben kostete. Grund genug für Spee »O Heiland, reiß die Himmel auf« auszurufen. Er klagt Gott sein Leid:

Hier leiden wir die größte Not,
vor Augen steht der ewig Tod.
Ach komm, führ uns mit starker Hand
vom Elend zu dem Vaterland.

Gottes Hilfe wird gebraucht. Spee fleht den Heiland an:

Wo bleibst du, Trost der ganzen Welt,
darauf sie all ihr Hoffnung stellt?

Er verspricht sich Hoffnung und Hilfe von Gott:

O komm, ach komm vom höchsten Saal,
komm, tröst uns hier im Jammertal.

Und als Jammertal muss Spee die Welt damals erschienen sein. Denn es war auch die Zeit der Hexenverfolgungen. Als Seelsorger besuchte er die verurteilten Frauen im Gefängnis und begleitete die zum Tod auf dem Scheiterhaufen verurteilten Frauen auf ihrem letzten Weg.

Friedrich Spee kritisierte den Hexenwahn anonym in einem Buch und prangerte auch die Kirche an mit seiner Aussage, dass die Hexenverbrennungen keine Gottesurteile sondern menschlicher Irrtum seien, auf Basis von Geständnisse erzwungen unter grausamster Folterunger - angeblich im Auftrag Gottes.

Als Seelsorger hat Friedrich Spee in dunkelste menschliche Abgründe gesehen und deshalb fordert er:

Oh Heiland reiß die Himmel auf,
herab, herab vom Himmel lauf

Er bittet Gott um Hilfe und er vertraut auf Gott und darauf »daß Berg und Tal grün alles wird«.

Doch es eilt. Der Heiland wird hier auf Erden gebraucht, jetzt und sofort. Beim Blick auf die Zeit in der Spee lebte ist es nur allzu verständlich, dass er in der vierten Strophe fragt: »Wo bleibst du, Trost der ganzen Welt?«

Friedrich Spee wartete auf die Ankunft des Herrn. Die Strophen 4 und 5 spiegeln seine Ungeduld wider. Er mag das Leid nicht mehr mit ansehen. Rief er noch in der ersten Strophe »reiß ab vom Himmel Tor und Tür, reiß ab, wo Schloß und Riegel für", so fragt er jetzt ganz ungeduldig: "Wo bleibst du?«

Advent ist die Zeit des Wartens. Auch wir warten auf die Erlösung, die Vergebung unserer Sünden. Und so manche Not gibt es auch noch hier auf Erden. Grund genug also, aus vollem Herzen zu singen: O Heiland, reiß die Himmel auf!

Tom Borg, 11. Dezember 2016

 Top