Moorsoldaten

(Wohin auch das Auge blicket)

Das Lied Moorsoldaten entstand im Konzentrationslager Börgermoor II bei Papenburg. Durch verlegte KZ-Insaßen wurde das Lied verbreitet und erlangte internationale Bekanntheit. Den KZ-Insaßen war dieses Lied jedoch so wertvoll, dass sie es nach Möglichkeit nicht auf den Märschen, sondern nur bei besonderen Anlässen und Gedenktagen sangen.

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Musiknoten zum Lied - Moorsoldaten

Wohin auch das Auge blicket,
Moor und Heide nur ringsum.
Vogelsang uns nicht erquicket,
Erlen stehen kahl und krumm.
|: Wir sind die Moorsoldaten
und ziehen mit dem Spaten
ins Moor. :|

Hier in dieser öden Heide
ist das Lager aufgebaut.
Wo wir fern von jeder Freude
hinter Stacheldrahtverhau.
|: Wir sind die Moorsoldaten
und ziehen mit dem Spaten
ins Moor. :|

Morgens ziehen die Kolonnen
in das Moor zur Arbeit hin.
Graben bei dem Brand der Sonnen -
doch zur Heimat steht ihr Sinn.
|: Wir sind die Moorsoldaten
und ziehen mit dem Spaten
ins Moor. :|

Heimwärts, heimwärts jeder sehnet
sich zu Eltern, Weib und Kind.
Manche Brust ein Seufzer dehnet,
weil wir hier gefangen sind.
|: Wir sind die Moorsoldaten
und ziehen mit dem Spaten
ins Moor. :|

Auf und nieder gehn die Posten,
keiner, keiner kann hindurch,
Flucht wird nur das Leben kosten!
Vierfach ist umzäunt die Burg.
|: Wir sind die Moorsoldaten
und ziehen mit dem Spaten
ins Moor. :|

Doch für uns gibt es keine Klagen,
ewig kanns nicht Winter sein.
Einmal werden froh wir sagen:
Heimat, du bist wieder mein.
Dann ziehn die Moorsoldaten
nicht mehr mit dem Spaten
ins Moor.

Das Lied von den Moorsoldaten ist kein Volkslied und gehört eigentlich nicht in diese Sammlung. Dass es trotzdem aufgenommen wurde, hat etwas mit den persönlichen Erfahrungen des Webmasters zu tun. Diese sind natürlich nicht zu vergleichen mit dem was die »Moorsoldaten« durchmachen mussten, aber sie sind als Mahnung in Erinnerung geblieben und präsent.

Meine Mutter ist Jahrgang 1930 und mit ihren Geschwistern in Ostpreußen aufgewachsen, damals der östlichste Landstrich Deutschlands an der Grenze zu Russland. Mit der Politik in Berlin hatte man nichts am Hut, man betrieb Landwirtschaft; Hitler war nur ein Name - mehr nicht. Doch dann kam der Krieg - und alles wurde anders. Die Familie musste vor den russischen Soldaten fliehen und verlor so ziemlich alles, was sie besaß – bis auf das nackte Leben, das sie retten konnten.

Mein Vater ist Jahrgang 1928. Er war damals Sportler und Turner und somit zwangsweise auch in der Hitlerjugend, sonst hätte er wohl gar nicht an Wettkämpfen teilnehmen können. Er und sein jüngerer Bruder, damals beide Jugendliche oder halbe Kinder, wurden als Soldaten in den Krieg geschickt, gen Osten. Mein Onkel kehrte nie zurück, er gilt seitdem als verschollen. Mein Vater kehrte zurück. Wie, das hatte er mir erzählt als ich so etwa 13 oder 14 Jahre alt war. Er wollte mir damals wohl klarmachen, wie gut es meiner Generation eigentlich geht. Denn er musste seinerzeit als 16-jähriger "Soldat" mit seiner gesamten Ausrüstung durch die Oder (zurück)schwimmen, von einem Ufer zum anderen. Wer dabei etwas verlor – abgesehen vom Leben – bekam dafür kein »hurra, du hast es schafft«, sondern eine Strafe. Erst später begriff ich, warum mein Vater, obwohl er ein guter Schwimmer war, zeit seines Lebens tiefe Wasser mied. Generell hat er wenig vom Krieg erzählt. Er muss damals, als 15/16-jähriger Junge, wohl viel Grauen erlebt haben. Aber er hat es überlebt.

Mit 14 wurde ich mit der Gedenkstätte des Konzentrationslagers Bergen-Belsen konfrontiert. Wirklich begreifen konnte ich all das Grauen, das dort geschehen war, nicht. Aber es wuchs das Gefühl, dass es kein von Gott gegebenes Schicksal war, sondern von uns Menschen verursacht. Es liegt an uns Menschen, solche Grausamkeiten zu verhindern. Ein jeder von uns kann selbst entscheiden, wie er mit seinen Mitmenschen umgehen will. An eine göttliche Vorsehung glaube ich nicht. Wir Menschen müssen an uns selbst glauben und darauf hoffen, dass alles ein gutes Ende nehmen wird. In diesem Sinne sehe ich auch das Lied von den Moorsoldaten. Die Lagerinsassen haben ihr Schicksal mit Stolz und Würde ertragen und gleichzeitig daran geglaubt, dass es irgendwann wieder besser werden wird:

Doch für uns gibt es keine Klagen,
ewig kanns nicht Winter sein.
Einmal werden froh wir sagen:
Heimat, du bist wieder mein.
Dann ziehn die Moorsoldaten
nicht mehr mit dem Spaten
ins Moor.

Was mir dazu besonders im Erinnerung blieb, ist die Anmerkung des Komponisten Rudi Goguel, der sich in einem Interview daran erinnerte: »Und bei den letzten Strophen sangen auch die SS-Leute einträchtig mit uns, offenbar weil sie sich selbst als Moorsoldaten angesprochen fühlten.«

Es liegt mir fern, Opfer und (Mit-)Täter in einen Topf zu werfen. Und dennoch hat Goguel wohl recht: irgendwie waren die SS-Leute am Ende auch Opfer. Opfer ihrer eigenen Gedankenlosigkeit, Opfer ihres fehlenden Muts, im rechten Moment »NEIN!« zu sagen. Mitläufer gelten als Verführte. Aber Mitläufer machen ein System wie in der NS-Zeit erst möglich. Ohne Anhänger und Mitläufer ist auch der skrupelloseste Diktatur machtlos. Man muss den Mut haben, auch einmal »NEIN!« zu sagen. Und zwar rechtzeitig. Verpasst man den rechten Moment, hat man dennoch die Wahl zwischen mitlaufen oder protestieren. Uns Menschen lockt oft die Mitte zwischen den beiden Polen, ohne dass wir dabei merken, dass wir damit eigentlich immer verlieren, weil man weder das eine, noch das andere richtig hat; so wie es Goguel sagte: die SS-Leute fühlten sich selbst als Moorsoldaten. Sie waren zwar die Aufpasser, aber letztlich genauso im Lager gefangen wie die eigentlichen Gefangenen. Nur mit dem Unterschied: sie waren an ihrer Mitschuld selbst schuld.

Daran sollte uns dieses Lied immer erinnern. Oder um es mit Reinhold Niebuhr zu sagen: Gott, gib mir die Gelassenheit, Dinge hinzunehmen, die ich nicht ändern kann, den Mut, Dinge zu ändern, die ich ändern kann,und die Weisheit, das eine vom anderen zu unterscheiden.

Die Entstehungsgeschichte des Lieds Wir sind die Moorsoldaten ist bis ins Detail dokumentiert, denn alle drei Initiatoren haben den Krieg und das Konzentrationslager Börgermoor überlebt. Ebenso viele Lagerinsassen, die das Lied damals miterlebt haben und später in andere Lager und Gegenden trugen. Nachzulesen u.a. im Artikel Die Moorsoldaten - vom KZ-Lied zum Welthit des Spiegel.

Mehr zur Entstehungsgeschichte des Lieds kann man hier nachlesen: Lernen aus der Geschichte

Tom Borg, 23. April 2023

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