Mariechen saß weinend im Garten ist eine Ballade, die von einer verlassenen Geliebten und ihrem unehelichen Kind erzählt. Als Vorlage für den Text diente das Gedicht »Mariechen«, das der österreichische Offizier und Schriftsteller Joseph Christian von Zedlitz (1790–1862) im Jahr 1832 veröffentlichte. Gesungen wird das Lied auf eine volkstümliche Melodie unbekannter Herkunft.
Anfangs fand das sentimentale Lied vor allem Verbreitung als sogenanntes Küchenlied, das Frauen während der Arbeit sangen. Doch Zedlitz griff mit seinem Gedicht ein durchaus reales Problem auf, das damals viele junge Mädchen in persönliche Katastrophen stürzte. Denn im 19. Jahrhundert waren viele junge Frauen gezwungen, als Küchenhilfe, Zimmermädchen oder einfache Magd zu arbeiten, um ihre Familien zu unterstützen. Nicht wenige hofften dabei auf eine Liebschaft mit der Herrschaft und träumten gar von einer Heirat mit einem wohlsituierten Mann, der ihre wirtschaftliche Notlage verbessern helfen konnte. Doch meist wurden die jungen Frauen ausgenutzt und standen am Ende mit gebrochenem Herzen und nicht selten auch einem unehelichen Kind da. Als unverheiratete junge Mütter, die von den Vätern ihrer Kinder im Stich gelassen und verstoßen wurden, rutschten sie dann meist noch tiefer, denn zur wirtschaftlichen Not kam nun auch noch das Gefühl der Schande und die soziale Ächtung hinzu.
In dieser Situation befand sich Mariechen, als sie weinend im Garten sitzt, mit ihrem Baby im Arm, und beide verlassen vom Vater des Kindes. Mariechen weiß nicht weiter. Sie sieht keinen Ausweg für sich und ihr Kind und denkt daran, sich zusammen mit dem Kind ins Wasser des Sees zu stürzen um ihrer unglücklichen Leben ein Ende zu machen.
Doch da geschieht ein kleines Wunder. Das schlafende Kind öffnet die Augen, blickt die Mutter freundlich an und lacht. Und dieses lachende Kindergesicht macht Marie so glücklich, dass sie ihrem Baby verspricht: »wir wollen leben, wir beide, du und ich!«
Heute gibt es viele Hilfsangebote für alleinstehende Mütter und Teenager, die ungewollt schwanger werden oder an der Aufgabe verzweifeln. Doch vor 200 Jahren war es mitunter eine Katastrophe. Zwar war es ein Segen, einem Kind das Leben zu schenken. Aber gleichzeitig war das »Projekt alleinerziehende Mutter« auch eine soziale und wirtschaftliche Herausforderung, die damals ungleich schwieriger war als heute. Es galt, ein weiteres hungriges Mäulchen zu stopfen, und daies in einer Gesellschaft, die eine unverheiratete Mutter als Schande betrachtete. Doch das Lächeln ihres Kindes lässt jede Mutter ihre Sorgen, Nöte und Strapazen vergessen. Und so verspricht auch Marie ihrem Baby: »wir wollen leben, wir beide, du und ich!«
Claudia Nicolai, 16. April 2024