Das Adventslied Ihr lieben Christen, freut euch nun basiert auf einem Gedicht des evangelischen Theologen und Reformators Erasmus Alber (1500-1553). Unter dem Titel »Von der Ankunft des Herrn Christus am Jüngsten Tag« entwarf er ein 18 Strophen langes Werk, das in apokalyptisch-bedrückender Stimmung und Bildern die Ankunft des richtenden Herrn herbeisehnt. Und er ruft die Christen auf, sich auf die Christus Ankunft am jüngsten Tag zu freuen. Geschrieben wurde das Lied in der Zeit der Türkenbelagerungen Europas.
Die ursprüngliche eigene Melodie des Liedes geriet in Vergessenheit und wurde durch die Melodie des Liedes »Nun lasst uns den Leib begraben« ersetzt. Seit 1950 wird es mit einer Melodie von Nikolaus Herman (um 1500-1561) gesungen, die auch dem Lied »Steht auf, ihr lieben Kinderlein« unterlegt ist und vom Hermann 1560 veröffentlicht wurde.
Im Evangelischen Gesangbuch (EG 6) ist das Lied mit fünf Strophen angegeben. Diese entsprechen den ursprünglichen Strophen 1, 2, 4, 13 und 18.
Der biblische Hintergrund, auf den sich Alber bezieht, ist die Apokalyptik des Buches Daniel. Was Daniel einst beschrieben hatte, die dem Ende vorausgehenden Zeitabschnitte, scheinen für Alber erfüllt zu sein. Er lebt in der unmittelbaren Erwartung des Weltendes und Gottes Gericht. Die Prophezeiungen Daniels und seine eigenen Beobachtungen und Erfahrungen lassen für Alber keinen anderen Schluss zu, als dass das Ende der Welt, der jüngste Tag, bevorsteht. Hieraus ergibt sich zwangsläufig die düstere Stimmung die Albers Gedicht durchzieht. So heißt es beispielsweise in der ursprünglichen Strophe 14:
Die Welt kann nun nicht länger stehn
ist schwach und alt sie muss vergehn
sie kracht an allen Orten sehr
und kann die Last nicht tragen mehr.
Diese apokalyptischen Worte und Andeutungen klingen in unserer Zeit abstrus, fernab unserer realen Welt. Deshalb ist der heute gebräuchliche Textteil, der, ohne den tieferen Sinn zu verdecken, leichter zu konsumieren ist, durchaus eine Hilfe zur Annäherung an Albers Text. Wir hören von Jesus Christ, Gottes Sohn, »der unser Bruder worden ist«. Da klingen die Worte vom Gericht wenig bedrohlich. Und so konzentrieren wir uns auf die Zeit des Advents, der Ankunft Jesu, und freuen uns auf eine friedliche Weihnachtszeit.
Tom Borg, 14. Oktober 2023