O Haupt voll Blut und Wunden

Paul Gerhardts Gedicht O Haupt voll Blut und Wunden in der Vertonung von Hans Leo Hassler

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Musiknoten zum Lied - O Haupt voll Blut und Wunden

O Haupt voll Blut und Wunden,
voll Schmerz und voller Hohn,
o Haupt, zum Spott gebunden
mit einer Dornenkron,
o Haupt, sonst schön gezieret
mit höchster Ehr und Zier,
jetzt aber hoch schimpfieret:
gegrüßet seist du mir!

Du edles Angesichte,
davor sonst schrickt und scheut
das große Weltgewichte:
wie bist du so bespeit,
wie bist du so erbleichet!
Wer hat dein Augenlicht,
dem sonst kein Licht nicht gleichet,
so schändlich zugericht’?

Die Farbe deiner Wangen,
der roten Lippen Pracht
ist hin und ganz vergangen;
des blassen Todes Macht
hat alles hingenommen,
hat alles hingerafft,
und daher bist du kommen
von deines Leibes Kraft.

Nun, was du, Herr, erduldet,
ist alles meine Last;
ich hab es selbst verschuldet,
was du getragen hast.
Schau her, hier steh ich Armer,
der Zorn verdienet hat.
Gib mir, o mein Erbarmer,
den Anblick deiner Gnad.

Erkenne mich, mein Hüter,
mein Hirte, nimm mich an.
Von dir, Quell aller Güter,
ist mir viel Guts getan;
dein Mund hat mich gelabet
mit Milch und süßer Kost,
dein Geist hat mich begabet
mit mancher Himmelslust.

Ich will hier bei dir stehen,
verachte mich doch nicht;
von dir will ich nicht gehen,
wenn dir dein Herze bricht;
wenn dein Haupt wird erblassen
im letzten Todesstoß,
alsdann will ich dich fassen
in meinen Arm und Schoß.

Es dient zu meinen Freuden
und tut mir herzlich wohl,
wenn ich in deinem Leiden,
mein Heil, mich finden soll.
Ach möcht ich, o mein Leben,
an deinem Kreuze hier
mein Leben von mir geben,
wie wohl geschähe mir!

Ich danke dir von Herzen,
o Jesu, liebster Freund,
für deines Todes Schmerzen,
da du’s so gut gemeint.
Ach gib, dass ich mich halte
zu dir und deiner Treu
und, wenn ich nun erkalte,
in dir mein Ende sei.

Wenn ich einmal soll scheiden,
so scheide nicht von mir,
wenn ich den Tod soll leiden,
so tritt du dann herfür;
wenn mir am allerbängsten
wird um das Herze sein,
so reiß mich aus den Ängsten
kraft deiner Angst und Pein.

Erscheine mir zum Schilde,
zum Trost in meinem Tod,
und lass mich sehn dein Bilde
in deiner Kreuzesnot.
Da will ich nach dir blicken,
da will ich glaubensvoll
dich fest an mein Herz drücken.
Wer so stirbt, der stirbt wohl.

Paul Gerhardt, der evangelisch-lutherische Theologe, dem wir so viele Kirchenlieder zu verdanken habe, schieb das Gedicht O Haupt voll Blut und Wunden 1656 im Rahmen seiner Nachdichtung des lateinischen Hymnus caput cruentatum des Abtes Arnulf von Lowen. Bereits 30 Jahre nach Gerhardts Tod wurde das Lied O Haupt voll Blut und Wunden in ein katholisches Gesangbuch aufgenommen. Auch im evangelischen Gesangbuch ist Gerhardts Hymne enthalten. O Haupt voll Blut und Wunden wurde zum bekanntesten und bedeutendsten Lied der Passionszeit, es ist der Passionschoral schlechthin. Und das konfessionsübergreifend. Denn auf zehn Strophen beschreibt O Haupt voll Blut und Wunden das Leiden und den Tod von Jesus Christus am Kreuz. Das Lied vermittelt Hingabe und Trauer, ebenso wie auch die Schmerzen, die Jesus für die Erlösung der Menschheit erlitten hat und spricht damit Gläubige auf der ganzen Welt an.

Die hier unterlegte Melodie komponierte Hans Leo Hassler 1601 eigentlich als Melodie für ein Lied über Liebesleid. Doch mit O Haupt voll Blut und Wunden wurde sie weltweit bekannt und später auch anderen Texten unterlegt.

Daneben existieren jedoch auch zahlreiche weitere Vertonungen von Paul Gerhardts Gedicht, unter anderem von Friedrich Silcher, Franz Liszt, Johann Nepomuk David und Max Reger. Und die Magie der Melodie hält an. Im 20. Jahrhundert erlebte sie eine Renaissance. So verwendete das amerikanische Duo Simon & Carfunkel Hasslers Melodie für den Song American Tune in dem von den Leiden der Pilgrim Fathers auf der Mayflower erzählt wird. Man sieht: die vierhundert Jahre alte Melodie hat nichts von ihrer Kraft eingebüßt. Sie spricht uns weiterhin an – auch außerhalb des kirchlichen Umfelds.

Einzig die Frage, ob es nun ein katholisches oder protestantisches Lied ist oder beiden gehört, blieb bis heute ungeklärt. Denn während der Ausgangshymnus eindeutig katholisch geprägt ist, war und ist Paul Gerhard unbestritten eine Symbolfigur der Protestanten. Beide Glaubensrichtungen friedlich vereint in einem Lied…

Tom Borg, 7. Mai 2023

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