Der Winter ist vergangen

Das fröhliche Maienlied, dessen Text sich vom Frühlingslied zum Liebes- und Abschieslich wandelt, entstand um 1600.

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Musiknoten zum Lied - Der Winter ist vergangen

Der Winter ist vergangen,
ich seh des Maien Schein,
ich seh die Blümlein prangen,
des ist mein Herz erfreut.
So fern in jenem Tale,
da ist gar lustig sein,
da singt Frau Nachtigale
und manch Waldvögelein.

Ich geh den Mai zu hauen
hin durch das grüne Gras,
schenk meinem Buhl die Treue,
die mir die Liebste was.
Und ruf, daß sie mag kommen,
wohl an dem Fenster stahn,
empfangen den Mai mit Blumen.
Er ist gar wohlgetan.

Und als die Allerliebste
sein Reden hatt gehört
da stand sie Traurigliche
und sprach zu ihm ein Wort
"Ich hab den Mai empfangen
mit großer Würdigkeit!"
Er küßt sie an die Wangen
war das nicht Ehrbarkeit?

Er nahm sie sonder Trauern
in seine Arme blank,
der Wächter auf den Mauern
hob an sein Lied und sang:
Ist jemand noch darinnen,
der mag jetzt heimwärts gehen.
ich seh den Tag aufdringen
wohl durch die Wolken schön.

Ach, Wächter auf der Mauer,
wie quälst du mich so hart!
Ich lieg in schwerer Trauer,
mein Herz leidet Schmach.
Das macht die Allerliebste,
von der ich scheiden mus;
das klag ich Gott dem Herren,
dass ich sie lassen muss.

Ade, mein Allerliebste,
ade, ihr Blümlein fein.
Ade, schön Rosenblume,
es muß geschieden sein,
bis das ich wiederkomme,
sollst du die Liebste sein.
Das Herz in meinem Leibe
das ist ja allzeit dein.

Der Text des Liedes zur Begrüßung des Frühlings geht zurück auf eine niederländische Handschrift aus dem Jahre 1537 und eine Melodie aus dem Lautenbuch des Joh. F. Thyius, das um 1600 erschien. Hoffmann von Fallersleben hat das ursprünglich niederländische Lied Mitte des 19. Jahrhunderts nach Deutschland geholt; populär wurde es jedoch erst nach 1877 durch die Übersetzung des Volksliedforschers Franz Magnus Böhme. Böhme war es auch, der den Text mit einer historischen Melodie verknüpfte und unter dem Titel »Maibaum« in Deutscher Liederhort Band 2, Nr. 393b aufnahm.

Durch die Wandervogel- und Jugendmusikbewegung des frühen 20. Jahrhunderts fand Der Winter ist vergangen als vermeintlich altes deutsches Volkslied eine große Verbreitung, die bis heute ungebrochen ist, unter anderem dank der Aufnahme in viele Schul- und Gebrauchsliederbücher. Allerdings rutschte es in jüngerer Zeit wieder aus dem Fokus der Sangesfreunde. Es mag am Text liegen, dessen Wörter aus heutiger Sicht teilweise etwas arg ungelenk klingen mögen.

Bei genauerem Hinschauen zeigt sich dann aber, dass dies fröhliche Lied entgegen des ersten Eindrucks gar kein Frühlingslied ist. Vielmehr wendet sich der Text vom Frühling ab und hin zum Liebes- und Abschiedslied. Der Frühling ist hier das Symbol für etwas Aufblühendes; es steht für Freude und Hoffnung. Die »Frau Nachtigale und manch Waldvögelein« deuten zwar eine Romanze an und der verliebte Sänger pflanzt auch eine junge Birke vor dem Fenster der Liebsten (ein Mai hauen) und erhält als Dank einen Kuss auf die Wange, doch er muss weiterziehen, die Liebste verlassen. Der Wächter drängt am Tor bereits den jungen Mann dazu, bald aufzubrechen.

Die fröhliche und unbeschwerte Melodie kann es nicht verdrängen: Der Winter ist vergangen ist ein Symbol auch für das Ende einer Romanze, die wie der Winter vergeht, denn auch der junge Mann muss (weiter) gehen. Die optimistische Zuversicht der ersten Strophe verliert sich mit jeder weiteren Strophe. Nur die Erinnerung, die bleibt, denn »das Herz in meinem Leibe das ist ja allzeit dein«.

Tom Borg, 6. Februar 2024

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