Bolle reiste jüngst zu Pfingsten

Bolles Pfingstausflug ist eine Moritat (in einigen Liederbüchern auch Scherzlied genannt), die so populär wurde, dass man sie als Volkslied bezeichnen kann. Das Geschehen spielt im Norden Berlins, genauer im Ort Pankow, der 1920 eingemeindet wurde.

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Musiknoten zum Lied - Bolle reiste jüngst zu Pfingsten

Bolle reiste jüngst zu Pfingsten,
nach Pankow war sein Ziel.
Da verlor er seinen Jüngsten
janz plötzlich im Jewühl.
'ne volle halbe Stunde
hat er nach ihm jespürt.
|: Aber dennoch hat sich Bolle
janz köstlich amüsiert. :|

In Pankow gabs kein Essen,
in Pankow gabs kein Bier,
war alles aufjefressen
von fremden Gästen hier.
Nich mal ne Butterstulle
hat man ihm reserviert!
|: Aber dennoch hat sich Bolle
janz köstlich amüsiert. :|

Auf der Schönholzer Heide,
da gabs ne Keilerei,
und Bolle, gar nicht feige,
war mittendrin dabei,
hat's Messer rausgezogen,
und fünfe massakriert,
|: aber dennoch hat sich Bolle
janz köstlich amüsiert. :|

Schon fing es an zu tagen,
als er sein Heim erblickt.
Das Hemd war ohne Kragen,
das Nasenbein zerknickt,
das rechte Auge fehlte,
das linke marmoriert,
|: aber dennoch hat sich Bolle
janz köstlich amüsiert. :|

Als er nach Haus gekommen,
da gings ihm aber schlecht;
da hat ihn seine Olle
janz mörderlich verdrescht!
Ne volle halbe Stunde
hat sie auf ihm poliert,
|: aber dennoch hat sich Bolle
janz köstlich amüsiert. :|

Bolle wollte sterben,
er hat sich's überlegt.
Er hat sich auf die Schienen
der Kleinbahn hingelegt.
Die Kleinbahn hatt' Verspätung,
und vierzehn Tage drauf,
|: da fand man unsern Bolle
als Dörrgemüse auf! :|

Und Bolle wurd' begraben
in einer alten Kist'.
Der Pfarrer sagte Amen
und warf ihn auf den Mist.
Die Leute klatschten Beifall
und gingen dann nach Haus.
|: Und nun ist die Geschichte
von unserm Bolle aus. :|

Das Scherzlied Bolle reiste jüngst zu Pfingten oder auch kurz Bolle ist wahrscheinlich um 1900 entstanden. Laut Volksliedforscher Theo & Sunhilt Mang (Liederquell, Dörfler Verlag, 2015, ISBN 978-3-89555-679-1, S. 631) aber vor 1915. Zu den ursprünglich fünf Strophen kam später eine sechste hinzu, die erstmals dokumentiert wurde in Johannes Koepp und Wilhelm Cleff: Lieber Leierkastenmann. Berliner Lieder. Bad Godesberg: Voggenreiter Verlag 1959, Seite 53. Und noch eine siebte Strophe fand sich ein, hier nach Online-Gemeinschaftsprojekt „Volkslieder“ von SWR2, dem Carus-Verlag und ZEIT ONLINE wiedergegeben.

Bis in die 1930er Jahre wurde Bolle reiste jüngst zu Pfingsten in erster Linie mündlich weitergegeben und erst nach 1945 vermehrt in Liederbücher aufgenommen. Entstanden ist es wohl im Berliner Raum, da es zum einen auf Orte des Großraums Berlin Bezug nimmt und zum anderen in den frühen Versionen im Berliner Tonfall gesungen wurde. So hatte auch 1934 der Herausgeber Gustav Schulten das Lied in der vielfach aufgelegten Sammlung Der Kilometerstein notiert.

Erzählt wird die Geschichte eines Mannes mit Spitz- oder Nachnamen »Bolle«, der zu Pfingsten mit seinem jüngsten Sohn einen Ausflug nach Pankow unternimmt. Das beliebte Ausflugsziel war damals noch eine Landgemeinde und wurde erst später eingemeindet. Dabei verliert Bolle zunächst seinen Jüngsten »im Jewühl«. Anschließend stellt er fest, dass es kein Bier und kein Essen gab, denn es »war alles aufjefressen von fremden Gästen hier«. Darüber regt sich Bolle so doll auf, dass er in eine Schlägerei gerät und später ziemlich ramponiert nach Hause kommt. Dafür hat ihn dann »seine Olle janz mörderlich verdrescht!« Doch das bringt Bolle nicht aus der Ruhe und jede der ersten fünf Strophen endet auf »aber dennoch hat sich Bolle janz köstlich amüsiert«.

Doch schließlich wollte Bolle sterben und legt sich auf die Schienen der Kleinbahn. Die aber kommt vierzehn Tage lang nicht. Und so »fand man unsern Bolle als Dörrgemüse auf!«, der in der letzten Strophe dann begraben wird.

Die beiden Schlusszeilen »aber dennoch hat sich Bolle janz köstlich amüsiert«, die wiederholt werden, haben vermutlich dem Lied den Weg zum Gassenhauer geebnet. Denn die fröhliche und unbekümmerte Art, das Leben zu genießen, zeichnete die Berliner der damaligen Zeit aus. Und diese Schlusszeilen reizen noch heute zu Neuschöpfungen. Vom reinen Spaßlied bis hin zur politischen Parodie, es gibt wohl nichts, das Bolle nicht auf Trab hält. Die fröhliche Melodie schließlich tut das ihrige dazu, dass dieses Lied vom Kindergarten bis zum Bierzelt überall gerne und ausgelassen gesungen wird.

Tom Borg, 14. Juni 2023

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