Beim Rosenwirt am Grabentor

Studentenlied aus der letzten Dekade des 19. Jahrhunderts

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Musiknoten zum Lied - Beim Rosenwirt am Grabentor

Beim Rosenwirt am Grabentor
des Abends um halb sechs
den Hammer schwingt der Wirt empor
und schlägt den Zapfen ex!
Das schlurrt und gurrt aus feuchter Nacht
vom Spundloch in die Kann'
ei seht, wie's Antlitz jedem lacht
jedwedem Zechersmann:
Bierlein rinn! Bierlein rinn!
Was nutzen mir die Kreuzerlein,
wenn ich gestorben bin!

Bei Rosenwirt im Stüberl drin,
da sitzt ein junges Blut,
die schmucke, schlanke Kellnerin
war ihm noch gestern gut.
Doch heute ist sie durchgebrannt
fahr wohl, du falsche Hex'!
Der Bursch kehrt sein Gesicht zur Wand
und summt um halber sechs:
Bierlein rinn! Bierlein rinn!
Was nutzen mir die Kreuzerlein,
wenn ich gestorben bin!

Beim Rosenwirt am Eichentisch,
da thront ein braver Greis,
die Wangen rot, die Augen frisch,
die Haare silberweiß!
Schlug ihm gleich manchen großen Plan
das Schicksal schnöd entzwei -
um halber sechs schlägt auch wer an,
der Alte brummt dabei:
Bierlein rinn! Bierlein rinn!
Was nutzen mir die Kreuzerlein,
wenn ich gestorben bin!

Beim Rosenwirt am Grabentor,
da blüht ein fein Gewächs,
das heben wir im Glas empor
schon abends um halb sechs.
Wir heben es gar emsig hoch
wir leeren's auf den Grund
um Mitternacht da klingt es noch,
schallt´s noch von Mund zu Mund:
Bierlein rinn! Bierlein rinn!
Was nutzen mir die Kreuzerlein,
wenn ich gestorben bin!

Und schlägt mir einst der Sensenmann
den Nagel auf die Truh,
rast´ ich von harter Lebensbahn
in kühler Grabesruh,
dann schwingt bekränzt den Becher mir,
dem müden Wandersmann,
der euch gelehrt den Spruch zum Bier,
und hebet also an:
Bierlein rinn! Bierlein rinn!
Was nutzen mir die Kreuzerlein,
wenn ich gestorben bin!

Die Melodie zum Lied Beim Rosenwirt am Grabentor komponierte Otto Alexander Victor Lob (1834-1908) 1896 in Heidelberg. Es war eines der vielen Lieder, die er nach einem erlebnisreichen Leben in Deutschland und den USA, als alter Mann nach seiner Rückkehr nach Heidelberg der dortigen Studentenschaft schenkte.

Die ersten vier Strophen des Gedichts Beim Rosenwirt am Grabentor hatte Julius Rudolf Gspandl (1866-1912) bereits im Jahr 1886 verfasst. 1909 fügte er eine weitere, fünfte Strophe hinzu, die sich explizit mit dem Tod befasst. Die älteren Strophen thematisieren eher die Lebensfreude, die zwar jeweils beim Trinken landen, aber den Sinn des Lebens hinterfragen: Was nutzt uns das Leben, wenn wir es nicht genießen? Unter Genuss versteht das lyrische Ich des Lieds: Beim Wirt in der Schenke sitzen und Bier trinken. Dabei stellt er immer wieder am Ende jeder Strophe die rhetorische Frage: »Was nutzen mir die Kreuzerlein, wenn ich gestorben bin!«

Und das Lied liefert auch gleich Beispiele für die Gemeinheiten des Lebens in den Strophen zwei und drei. Zuerst sitzt beim Rosenwirt ein »junges Blut«, sprich: ein junger Mann. Gestern hat »die schmucke, schlanke Kellnerin« ihm noch schöne Augen gemacht, doch »heute ist sie durchgebrannt« und der Verlassene wendet sich dem Bierkrug zu. Und auch ein »braver Greis«, dem »das Schicksal manchen großen Plan« zerschlug, tröstet sich mit einigen Krügen Bier.

So geht es halt im Leben, da geht mancher Schuss daneben, wie es Katja Ebstein einmal sang. Ein jeder hat sein Päcklein zu tragen. Und irgendwann begegnen wir dem »Sensenmann«, denn der Tod holt uns alle eines Tages. Dann war die ganze Hetzerei durch das Leben umsonst. Denn das letzte Hemd hat keine Tasche, sagt der Volksmund. Genau deshalb singt das lyrische Ich des Liedes davon, das Leben zu genießen, denn: »Was nutzen mir die Kreuzerlein, wenn ich gestorben bin!«

Und so lautet dann auch der letzte Wunsch des trinkenden Sängers an seine Freunde: Sie mögen auf ihn trinken, wenn er dereinst von ihnen gegangen ist. Denn: »Was nutzen mir die Kreuzerlein, wenn ich gestorben bin!« Also trinket!

Tom Borg, 8. November 2023

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