Volkslied

Der Refrain kommt auf

Im Laufe der Zeit wandelten sich die Inhalte des Volkslieds. Die epische Poesie ist im Volke zwar nicht abgeblüht, hat aber ihren Inhalt und demgemäß ihre Form mehr lyrisch umgewandelt. Es sind jetzt nicht mehr die Heldentaten des Volkes oder einzelner hervorragender Männer der Vergangenheit, die besungen werden, sondern es sind erträumte oder wirklich erlebte Ereignisse, die in Reim und Ton dargestellt werden. Die Lyrik des Volkes ist eben so bedeutend, dass sie sich zu bestimmten objektiven Vorgängen verdichten, dass sie sich episch ausbreiten muss. Der Hintergrund des jetzigen epischen Volksliedes ist aber nicht mehr die Geschichte der Welt oder des einzelnen Volkes, sondern die Geschichte des Herzens, in der Regel zweier, "die nicht zusammenkommen können", oder die bei einander waren und die ein herbes Geschick trennte.

Für diese Lieder wird der musikalische Vortrag von Bedeutung. Die Erzählung ist selten ruhig und gleichmäßig. Das Volkslied skizziert meist nur und hält sich bei Nebensächlichem oft ungebührlich lange auf, über das Tatsächliche leichter hinweggehend, weil ihm eben die Darstellung der Stimmung näher liegt, als die der Tatsachen, durch welche diese hervorgerufen wird. Hier nun ist es mehr, als in andern Liedern Aufgabe der Musik, zu vermitteln, Lücken und Gedankensprünge auszufüllen, indem es die einzelnen Momente der Erzählung heraushebt und die nur äußerlich anklingenden einheitlich zusammenfasst. Dies und der erzählende Ton führt das epische Lied früh zu knapper, innerlich und äußerlich abgerundeter Form der Melodie, ohne jene Ausschreitungen, welche das lyrische Lied sich oft erlaubt, und in denen allerdings auch ein Hauptreiz derselben liegt.

Die Melodien der epischen Lieder schmiegen sich bald so eng dem Wortrhythmus an, dass sie sämtlich ein ziemlich unterschiedsloses Gepräge erhalten, ohne dabei jenen eigentümlichen Balladenton zu treffen, den erst die spätem Meister fanden. In diesen Liedern ist häufig der Refrain angewendet. Dieser hat meist mit der sprachlichen Darstellung des Inhalts so wenig gemein, dass man ihn von ihr lostrennen muss, um diese unzerstückelt zu erhalten. Der Refrain zeigt sich schon früh und war unzweifelhaft von dem Responsoriengesang der Kirche angeregt. Wie hier der Kirchenchor dem Liturgen mit mehr sentenzenhaften Gesängen antwortete, so das Volk dem Vorsänger, zunächst durch Wiederholung der letzten Worte oder der Schlusszeile, bis sich dann jene, durch das ganze Lied verwebten feststehenden Formeln als Refrain herausbildeten, in denen die Grundstimmung zu einer kurzen Sentenz zusammengefasst ist, und welche dem eigentlichen Liede dann selbständig gegenübertritt.

In den ersten Jahrhunderten des Volksgesanges, nach Einführung des Christentums , wurden vorwiegend die kirchlichen Rufe "Kyrie" und "Christe eleison" als feststehende Refrains benutzt. Das spätere Volkslied entwickelt darin eine große Mannigfaltigkeit. Weil ihm, speziell in den erzählenden Liedern, der kurzatmige Bau der Strophen einen zu engen Rahmen gewährt für den Erguss der Stimmung, so erweitert es denselben durch Einschiebung solcher Refrains.

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