Wie soll ich dich empfangen

Paul Gehardts Text Wie soll ich dich empfangen erschien erstmals 1653 im Gesangbuch »Praxis Pietatis Melica«. Die Melodie stammt von Johann Crüger.

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Musiknoten zum Lied - Wie soll ich dich empfangen

Wie soll ich dich empfangen
Und wie begegn' ich dir?
O aller Welt Verlangen,
O meiner Seelen Zier!
O Jesu, Jesu, setze
Mir selbst die Fackel bei,
Damit, was dich ergötze,
Mir kund und wissend sei.

Dein Zion streut dir Palmen
Und grüne Zweige hin,
Und ich will dir in Psalmen
Ermuntern meinen Sinn.
Mein Herze soll dir grünen
In stetem Lob und Preis
Und deinem Namen dienen,
So gut es kann und weiß.

Was hast du unterlassen
Zu meinem Trost und Freud?
Als Leib und Seele saßen
In ihrem größten Leid,
Als mir das Reich genommen,
Da Fried und Freude lacht,
Da bist du, mein Heil, kommen
Und hast mich froh gemacht.

Ich lag in schweren Banden,
Du kommst und machst mich los;
Ich stund in Spott und Schanden,
Du kommst und machst mich groß
Und hebst mich hoch zu Ehren
Und schenkst mir großes Gut,
Das sich nicht läßt verzehren,
Wie irdisch Reichtum tut.

Nichts, nichts hat dich getrieben
Zu mir vom Himmelszelt
Als das geliebte Lieben,
Damit du alle Welt
In ihren tausend Plagen
Und großen Jammerlast,
Die kein Mund kann aussagen,
So fest umfangen hast.

Das schreib dir in dein Herze,
Du hochbetrübtes Heer,
Bei denen Gram und Schmerze
Sich häuft je mehr und mehr.
Seid unverzagt, ihr habet
Die Hilfe vor der Tür;
Der eure Herzen labet
Und tröstet, steht allhier.

Ihr dürft euch nicht bemühen
Noch sorgen Tag und Nacht,
Wie ihr ihn wollet ziehen
Mit eures Armes Macht.
Er kommt, er kommt mit Willen,
Ist voller Lieb und Lust,
All Angst und Not zu stillen,
Die ihm an euch bewußt.

Auch dürft ihr nicht erschrecken
Vor eurer Sündenschuld.
Nein, Jesus will sie decken
Mit seiner Lieb und Huld.
Er kommt, er kommt den Sündern
Zum Trost und wahren Heil,
Schafft, daß bei Gottes Kindern
Verbleib ihr Erb und Teil.

Was fragt ihr nach dem Schreien
Der Feind und ihrer Tück?
Der Herr wird sie zerstreuen
In einem Augenblick.
Er kommt, er kommt, ein König,
Dem wahrlich alle Feind
Auf Erden viel zu wenig
Zum Widerstande seind.

Er kommt zum Weltgerichte,
Zum Fluch dem, der ihm flucht,
Mit Gnad und süßem Lichte
Dem, der ihn liebt und sucht.
Ach komm, ach komm, o Sonne,
Und hol uns allzumal
Zum ewgen Licht und Wonne
In deinen Freudensaal.

Wie soll ich dich empfangen ist ein Adventsgedicht des großen lutherischen Kirchenlieddichters Paul Gerhardt (1607–1676). 1653 wurde das Werk in der fünften Auflage des Gesangbuchs Praxis Pietatis Melica von Johann Crüger (1598-1662) veröffentlicht. Crüger, der Melodien für viele protestantische Kirchenlider komponierte, fügte auch diesem gewaltigen Werk eine imposante Melodie hinzu, nach der das Lied bis heute gesungen wird.

Als Adventslied ist Wie soll ich dich empfangen, im Evangelischen Gesangbuch unter der Nummer 11 zu finden. Es gehört zum »Pflichtprogramm« der christlichen Weihnachtszeit, denn es drückt wie kaum ein anderes Lied die Erwartungshaltung der Menschen zur Weihnachtszeit aus.

Mit dem 1. Advent beginnt das Kirchenjahr und damit die Vorbereitung auf Weihnachten, dem Geburtstag von Jesus Christus. Und Paul Gerhardt stellt sich die Frage: wie soll ich Jesus empfangen? Denn das lateinische Wort »Advent« bedeutet: »er kommt«. Doch diese Ankunft kann man unterschiedlich auffassen. Zunächst einmal kommt Jesus in Bethlehem zur Welt, wie es die Weihnachtsgeschichte erzählt. Das bedeutet aber auch, dass er mit seiner Ankunft in unser Leben tritt. Und zugleich ist damit die Hoffnung und Erwartung verbunden, das Jesus wiederauferstehen und dereinst als Herr der ganzen Welt wiederkommen wird. Damit stehen auch wir vor der Frage: »Wie soll ich dich empfangen und wie begegn' ich dir?«

Der 1. Advent ist die Zeit der Vorbereitung. Jesus selbst hat seine Jünger - und damit auch uns - dazu aufgefordert: Bereitet euch darauf vor, dass ich wiederkomme und seid immer bereit, denn ihr wisst nicht, wann das sein wird (vgl. Markus 13,28-37).

Doch wie bereitet man sich auf die Wiederkehr Jesu' vor, wenn man nicht weiß, wann diese sein wird? Man kann nur dann immer vorbereitet sein, wenn man allzeit so lebt, als wäre heute der letzte Tag. Doch um wirklich vorbereitet zu sein, bedarf es mehr. Wir müssen uns selbst hinterfragen, ob wir den hohen Ansprüchen genügen, ob wir vorbereitet sind. Paul Gerhardt bittet dazu Jesus in Anspielung auf das Gleichnis von den klugen und törichten Jungfrauen: »O Jesu, Jesu, setze mir selbst die Fackel bei«.

Selbstreflexion und Vorbereitung

Paul Gerhardt hat sein Gedicht inhaltlich in zwei Hälften aufgeteilt, die beide jeweils fünf Strophen umfassen und – Zufall oder nicht? – im ersten Vers und letzten Vers mit dem Wörtern »empfangen« und »umfangen« dem ersten Block eine Struktur geben. In diesen Strophen beschreibt Paul Gerhardt seine Vorstellung zum Thema Wie soll ich dich empfangen. Denn nach der Vorbereitung auf die Ankunft Jesu, dem ersten Gedanken zum Advent, und der selbstkritischen Hinterfragung des eigenen Glaubens und Handelns folgt mit dem 3. Advent die Zeit der Erwartung, die in Paul Gerhardts Gedicht den eigentlichen Schwerpunkt bilden. Denn nun wendet sich Gerhardt in der zweiten Hälfte des Gedichts an die Gemeinde. Gleich in der sechsten Strophe heißt es: »Seid unverzagt, ihr habet die Hilfe vor der Tür«. Ist das nicht eine gute Nachricht?!

Die Hilfe für uns Menschen steht vor der Tür in Gestalt des Jesus. Wir müssen ihm nur die Tür öffnen und ihn hereinlassen. Doch, seien wir ehrlich, wer denkt schon im Alltag ständig daran. Ja, eigentlich leben wir unseren Alltag ohne Jesus. Müssen wir uns deshalb schämen? Nein, Paul Gerhardt schreibt in der siebten Strophe: »Ihr dürft euch nicht bemühen noch sorgen Tag und Nacht«. Er will uns damit sagen, dass wir uns nicht anstrengen müssen, um Jesus zu überzeugen, uns zu helfen. Vielmehr kommt Jesus gerne, voller Liebe zu uns. Wir müssen ihn nur empfangen – ohne Angst und Furcht. »Was fragt ihr nach dem Schreien der Feind und ihrer Tück« heißt es in Strophe 9. Damit gibt Gerhardt zumindest eine Teilantwort auf die Frage Wie soll ich dich empfangen: Mit Freude und Vertrauen. Denn:

Er kommt zum Weltgerichte,
Zum Fluch dem, der ihm flucht
Mit Gnad' und süßem Lichte
Dem, der ihn liebt und sucht.

Eine Antwort auf Paul Gerhardts Frage wäre somit: wir müssen Jesus keinen bombastischen Empfang bereiten, sondern »nur« allzeit bereit sein, ihn in unser Leben und Herzen aufzunehmen.

Tom Borg, 8. September 2023

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