Volksweise

Das durchkomponierte Lied

Durchkomponiert werden vor Allem jene Gedichte, welche nicht in Strophen zerfallen oder deren Strophen in Versmaß und Zeilenzahl ungleich sind; ferner diejenigen, deren Inhalt für eine gemeinschaftliche Melodie zu verschiedenartig oder zu unruhig ist, wo namentlich die Begleitung eine selbstständige, konsequente Zeichnung verlangt. Die musikalischen Formen sind hier, je nach dem Text, sehr verschieden. Man unterscheidet hauptsächlich:

  1. Die Rondoform, welche darin besteht, dass die erste und letzte Strophe die Hauptmelodie erhalten, und zwar in der Haupttonart, während die dazwischen liegenden Strophen auf Seitensätze in verwandten Tonarten fallen. Der Begleitungsrhythmus bleibt oft ganz derselbe, wie bei Franz Schubert und Mendelssohn, oder er ändert sich nach dem Charakter jeder Strophe. Oft bildet noch ein brillanter Anhang den Schluss, namentlich bei modernen Konzertliedern. Diese Rondoform finden wir bei den meisten Proch'schen Liedern, dann in Schumanns "Du meine Seele" oder auch bei Lachners "Waldvöglein".
  2. Die halbatrophische Form, wenn auf einen Teil der Strophen dieselbe Melodie wiederholt wird, während eine oder zwei Strophen anders behandelt sind. Dies ist namentlich bei Mendelssohn häufig anzutreffen, z. B. in den Liedern: "Laue Luft", "Durch den Wald" oder "Der Frühling naht".
  3. Die sonatenartige Form, wenn der Seitensatz bei herrschender harter Tonart auf der Quinte, bei weicher auf der Terz eintritt, und sich nach dem zweiten Auftreten des Hauptsatzes in der Haupttonart wiederholt. Diese Form hat noch manch älteres Lied; inzwischen ist sie seltener geworden; als Muster diene Beethovens "Herz mein Herz".
  4. Die Arie, wenn der Text in einen ruhigen und einen bewegten Teil getrennt ist, welche sich auch musikalisch im Tempo, oft sogar in Takt und Tonart unterscheiden. Im langsamen Teile herrscht dann der gebundene, im bewegten der leidenschaftliche Gesang vor. Die Modulation geht nicht nur wie in der vorigen Form, bei harter Tonart nach der Quinte und bei weicher nach der Terz, sondern berührt auch die verwandten Tonarten. Die Begleitung führt gerne das Hauptmotiv des ganzen Teiles durch und ist meistens ebenfalls interessant gehalten. Auch diese Form gehört mehr der klassischen, als der romantischen Epoche an. Beispiele dafür sind Beethovens "Adelaide", "Lied aus der Ferne" und "Bußlied" sowie Schuberts zweite "Suleika" und Marschners "Gefangener".
  5. Die Balladenform, wenn die Musik in mehr als zwei nach Takt, Tempo und Tonart verschiedene Teile zerfällt. Diese Form haben viele Lieder, welche nicht gerade Balladen sind, sondern bloß mehrere wechselnde, unter sich verschiedene Vorstellungen in sich schließen. Insbesondere Franz Schubert nutzte diese Form recht häufig, beispielsweise in "Kriegers Ahnung", "Viola" oder den "Wanderer" sowie "An die untergehende Sonne".
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