Volkslied

Vokalmusik als Summe von Melodie und Text

Die Vokalmusik ist eine Vereinigung zweier völlig gleichberechtigter Künste, deren jede der andern die gebührende Rechnung zu tragen schuldig ist. Der Dichter darf weder der Musik einen Inhalt bieten, für den sie keine genügenden Ausdrucksmittel besitzt, noch darf der Tonsetzer Musik über einen Text machen, die nicht in demselben begründet ist oder ihm wohl gar widerspricht. Ebenso eignen sich gewisse poetische Formen nicht für musikalische Behandlung, gewisse musikalische nicht für Gesangskomposition. Namentlich sind für musikalische Behandlung fast in allen Fällen untauglich:

Gedichte in spezifisch antiken Versmaßen, wie in Hexametern und Pentametern; eine gelungene Ausnahme macht Schuberts "Heimweh"; auch die Ode lässt sich manchmal in Musik setzen, wenn nicht das nachfolgende Hindernis eintritt, nämlich Gedichte von allzu gedrängtem Ideenreichtum, deren Auffassung eine gewisse längere Geistestätigkeit verlangt, mit außergewöhnlichen Gleichnissen, mythologischen und historischen Anspielungen, mit langen und verwickelten Perioden. Aus diesem Grunde sind die wenigsten Gedichte von beispielsweise Herder, Klopstock, Schiller, Lenau, Hahn oder Lingg zur musikalischen Komposition geeignet; man wird sie stets lieber lesen, als singen.

Auch längere Naturbeschreibungen, Allegorien, Lehrgedichte und Satiren sowie Dialoge, Fabeln und die meisten politischen Gedichte taugen nicht zur volksnahen Vertonung.

Gedichte in besonderen Reimformen, deren eigentümliche Gestaltung in der Musik verloren ginge wie Sonette, Canzonen, Triolette und die übrigen italienischen und spanischen Kunststücke sind auch äußerst schwierig in Ton zu setzen.

Sehr brauchbare Formen sind dagegen die altdeutschen Reimpaare, die sogenannte Nibelungenstrophe, überhaupt die 2-5 füssigen Jamben, Trochäen, Daktylen, Amphibrachen und Anapästen. Der Reim ist für die Musik ziemlich unnötig; auch sind sogar gänzlich des Versmaßes entbehrende Texte, wie Bibelverse, Sprichwörter und dergleich schon trefflich vertont worden. Nicht fehlen dagegen sollte ein symmetrischer Wechsel von Hebung und Senkung. Die Sätze seien möglichst kurz und affirmativ, also, namentlich am Schlusse, nicht relativ oder fragend; die Nebensätze lieber vor- oder nachgestellt, als in den Hauptsatz eingeschoben. Ferner ist es gut, wenn mit jeder Verszeile, um so mehr mit einer Strophe, auch der Sinn abschließt. Der Hiatus, der entsteht, wenn das eine Wort mit einem Vokal endet, das zweite damit anfängt, ist zwar in der Poesie verpönt, für die Gesangskomposition aber sehr willkommen; man kann, namentlich in der deutschen, so mit Konsonanten beladenen Sprache, nie genug Vokale bekommen.

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