Leise zieht durch mein Gemüt

Frühlingslied aus dem 19. Jahrhundert

Downloadformate

Musiknoten zum Lied - Leise zieht durch mein Gemüt

Leise zieht durch mein Gemüt,
liebliches Geläute,
klinge kleines Frühlingslied,
kling' hinaus ins Weite!

Kling' hinaus bis an das Haus,
wo die Veilchen sprießen:
Wenn du eine Rose schaust,
sag', ich lass sie grüßen.

Sprich zum Vöglein, das da singt
auf dem schwanken Zweige,
und das Bächlein, das da klingt
dass mir keines schweige!

Schalle, Lied, wo’s grünt und blüht
hold im Abendscheine,
wieg' in süßen Schlummer dann
Röschen, das ich meine!

Die ersten beiden Strophen des poetischen Frühlingslieds Leise zieht durch mein Gemüt dichtete der romantische Lyriker Heinrich Heine (1797-1856) im Jahr 1830. Veröffentlicht wurde es 1831 im 2. Band der zweiten Auflage der »Reisebilder« unter dem Titel »Neuer Frühling«. Neun Jahre später fügte der Germanist und Dichter August Heinrich Hoffmann von Fallersleben (1798-1874) zwei weitere Strophen hinzu, die sich im Volksgesang jedoch nicht durchsetzen konnten.

Heines Gedicht Leise zieht durch mein Gemüt wurde weit über hundert Mal vertont. Im Volksgesang durchsetzen konnte sich letztlich aber nur die einfühlsame Melodie, die Felix Mendelssohn Bartholdy (1809-1847) im Jahr 1834 eigens für Heines Frühlingsgedicht komponierte.

Der erste Eindruck, den Heinrich Heines Gedicht vermittelt, ist der einer friedlichen und beschaulichen Welt. Ein »liebliches Geläute« durchzieht sein Gemüt leise und schafft eine Atmosphäre der Zärtlichkeit und Ruhe hinter der sich aber ein stilles, sanftes Sehnen verbirgt, welches das Frühlingslied »hinaus ins Weite« tragen soll: »klinge kleines Frühlingslied«. Diese Worte lassen eine tiefe innere Unruhe vermuten, eine unbestimmte Sehnsucht nach etwas oder jemanden dort draußen in der weiten Welt.

Heines Lyrik spielt mit den Erwartungen und Sehnsüchten, die sich beim Lesen der Worte aufdrängen. Das Gedicht entstand in der politisch aufgeladenen Zeit des deutschen Vormärz und könnte politische Sehnsüchte ebenso ansprechen wie persönliche Liebesträume. »Kling' hinaus bis an das Haus, wo die Veilchen sprießen« heißt es in der zweiten Strophe. Doch wen oder was symbolisiert das Haus? Ist es das Haus, wo seine Liebste wohnt, von der das lyrische Ich still und leise träumt? Es deutet sich an durch die Worte »Wenn du eine Rose schaust, sag', ich lass sie grüßen«, denn die Rose gilt als das Symbol der Liebe und Schönheit, aber auch Vergänglichkeit. Doch auch im politischen Kontext begegnen wir der Rose. Was also meinte Heinrich Heine?

Die Naturverbundenheit, die durch Hoffmann von Fallerslebens spätere Ergänzung weiter ausgemalt wird, drängt eine Verbindung zwischen dem Frühling und der Natur auf. Der Frühling steht aber auch für die Zeit des Aufbruchs in der Politik ebenso wie im Lebensweg der Menschen. Vielleicht ist es gerade diese Vielfalt der Interpretationsmöglichkeiten, die den Reiz des Gedichts ausmachen. Vielleicht sollten wir weniger denken und interpretieren, sondern uns der sentimentalen Stimmung des Liedes hingeben, dem Klang folgen und uns vom Zauber des Frühlings einfangen lassen, wenn er Leise zieht durch mein Gemüt.

Claudia Nicolai, 26. April 2024

 Top