Geschichte des Liedes

Das deutsche Volkslied

Das Volksgemüt im Lied

Man hört auch Lieder, die, aus dem Erzählungston herausfallend, das verschiedene Standesbewusstsein gegensätzlich und eifernd aussprechen. Der Ritter klagt voll Ingrimm, dass Kaufleute edel geworden und der Bauer sich empöre; dass die Krämer zu Augsburg eine Singschule errichtet haben und sich was Rechtes dünken; er gibt seinem Sohn Anweisung, wie er sich vom Sattel ernähren müsse, denn sein Eigentum ist vertan, und so gilt es, die reichen Bauern und Pfeffersäcke in den Städten abzuzapfen. Auf der andern Seite singen die Bürger ihren Hass gegen das Raubgelichter, gegen die Adelsverbindungen, und stellen diesen die Städtebündnisse warnend und drohend entgegen.- Und welch eine Fülle des Stoffes musste sich in den Bauernkriegen darbieten, die in vielen Gegenden Deutschlands das Volksleben so ernst bewegten! Da wurde bald der Bauer der Held, bald der Edelmann, der für die Vergehungen seiner Väter furchtbar heimgesucht ward. Da tönt im Liede bald das Schicksal des Ritters, dessen Herrensitz in Flammen rauchte, bald donnernde Flüche gegen die Aufrührer, die in ihrem Rachewahnsinn jedes menschliche Gefühl verloren hatten.

Damit ist bereits das Gebiet des rein historischen Liedes betreten. Es behandelt die großen Ereignisse der Zeit mit scharfer Parteifarbe für und gegen den Helden. Die Niederlage Herzog Ulrichs von Württemberg ward von den Seinen in Liedern beklagt, von der feindlichen Partei mit Siegesgefühl besungen. Sickingen und Hutten wurden schon bei Lebzeiten zu Helden des Volksliedes, und Luther bald von seinen Feinden mit den rohesten Schmachliedern beworfen, bald von protestantischer Seite verteidigt und aus den Schild gehoben. So hört man im Volksliede die kriegerische und geistige Bewegung der Zeit widerklingen, ja, man empfängt aus diesem Liederreichtum ein so lebendiges Bild, wie es keine absichtliche Darstellung treuer hätte wiedergeben können.

Neben der bunten Vielgestalt des weltlichen Liedes findet sich auch das religiöse Volkslied verbreitet. Das Volksgemüt ist an sich gläubig; wie hätte in Zeiten, wo jede Empfindung zum Liede wurde, der Erguss frommen Gebetes nicht auch in diese Form strömen sollen? In der römischen Kirche fehlte es nicht an Anregung dazu. Gemeinsame Wallfahrten zu Gnadenbildern oder an Heiligentagen forderten zum Gesang aus. Schon im vierzehnten Jahrhundert singen die Geißelbrüder bei ihren Umzügen Lieder, die von der Stimmung des Augenblicks hervorgerufen wurden. Die Entfaltung sinnlichen Reizes, den die Kirche den Augen bot, wirkte mächtig auf die Phantasie und rief Lieder hervor, in welchen das religiöse Gefühl sich wiederum mit sinnlicher Glut ausspricht. Leider stört die meisten geistlichen Volkslieber eine weltliche, oft törichte Bildersprache, und nur in wenigen, besonders in einigen Oster- und Weihnachtsliedern, findet die Empfindung einen einfachen, zum Herzen sprechenden Ausdruck.

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