Kinderlied aus dem 19. Jahrhundert
"Spannenlanger Hansel,
nudeldicke Dirn,
geh'n wir in den Garten,
schütteln wir die Birn'.
Schüttel' ich die großen,
schüttelst du die klein',
wenn das Säckchen voll ist,
geh'n wir wieder heim."
"Lauf doch nicht so eilig,
spannenlanger Hans!
Ich verlier' die Birnen
und die Schuh noch ganz."
"Trägst ja nur die kleinen,
nudeldicke Dirn,
und ich schlepp' den schweren Sack
mit den großen Birn'."
Das volkstümliche Kinderlied Spannenlanger Hansel ist aus dem 19. Jahrhundert überliefert und seit Beginn des 20. Jahrhunderts häufig in Schulliederbücher zu finden. Als Herkunftsort der Melodie wird die Gegend um das österreichische Salzburg vermutet. 1911 wurde es jedoch auch mit einer anderen Melodie in »Badisches Liederbuch für die Schule und Familie« gedruckt.
Der älteste bekannte Druck des Liedtextes erschien 1838 in »Großmutter und Enkel« (Untertitel: »Ein lustiges Büchlein für Kleinkinderstuben und Ammenschulen«). 1848 nahm Karl Simrock es in seine Sammlung »Das deutsche Kinderbuch« auf. Diese frühen Drucke enthielten jeweils nur die erste Strophe. Die zweite wurde später hinzugefügt und tauchte erst in den 1870er Jahren auf.
Heute gehört Spannenlanger Hansel zu den bekanntesten Kinderliedern, das häufig in Kindergärten und Vorschulen gesungen wird, meist als bewegtes Singspiel. Dabei ahmen die Kinder den »spannenlangen Hansel« nach, indem sie die Arme heben und sich in die Höhe strecken, so als wollten sie Birnen pflücken, während andere die »nudeldicke Dirn« durch Aufblasen der Backen nachahmen.
Da die Erntezeit der Birnen sich normalerweise von August bis Oktober erstreckt, lässt sich auch ein jahreszeitlicher Bezug herstellen. Denn es muss Herbst sein, damit man die reifen Birnen mit Schütteln des Baums ernten kann. Das Schütteln selbst war früher eine einfache Methode, um Früchte von einem Baum zu ernten, was auch bei Äpfeln gängige Praxis war. Bei Kirschen klappt es weniger gut.
Im Lied Spannenlanger Hansel schüttelt der Hansel an Baum und Ästen, während die namenlose »nudeldicke « Dirn die heruntergefallenen Birnen aufsammelt. Dass hier munter in einem Kinderlied körperliche Merkmale aufgegriffen und leicht spöttisch besungen werden, scheint der Beliebtheit dieses Volkslieds nicht zu schaden. Der spöttische Ton überdeckt dezent die verbale Übergriffigkeit, denn in diesem Lied bleibt es ausnahmsweise mal beim Spaß – und den haben Kinder beim Spielen und Singen dieses Lieds.
Tom Borg, 16. April 2024
