Drei Zigeuner fand ich einmal

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Musiknoten zum Lied - Drei Zigeuner fand ich einmal

Drei Zigeuner fand ich einmal
liegen an einer Weide,
als mein Fuhrwerk mit müder Qual
schlich durch die sandige Heide.

Hielt der eine für sich allein
in den Händen die Fiedel,
spielte, umglüht vom Abendschein,
sich ein feuriges Liedel.

Hielt der zweite die Pfeif im Mund,
blickte nach seinem Rauche,
froh, als ob er vom Erdenrund
nichts zum Glücke mehr brauche.

Und der dritte behaglich schlief,
und sein' Harfe am Baume hing,
über die Saiten ein Windhauch lief,
über sein Herze ein Traum ging.

An den Kleidern trugen die drei
Löcher und bunte Flicken,
aber sie boten trotzig und frei
Spott den Erdengeschicken.

Dreifach haben sie mir gezeigt,
wenn uns das Leben umnachtet,
wie man's verraucht, verschläft und vergeigt
und wie man es dreimal verachtet.

Nach den Zigeunern lange noch schau'n
mußt' ich im Weiterfahren,
nach den Gesichtern dunkelbraun,
nach den schwarzlockigen Haaren.

Den romantischen Text von den drei Zigeunern schrieb Nikolaus Lenau (1802-1850) im Jahr 1838. Die Herkunft der Melodie ist nicht eindeutig geklärt. Manche Volksliedforscher schreiben sie Thomas Meyer-Steinweg (1873-1936) zu, der sie 1811 komponiert haben soll. Möglicherweise handelt es sich aber auch um eine vom Volksmund überlieferte Melodie.

Für Franz Liszt (1811-1866) diente das Gedicht als Inspiration für sein Stück Der Zigeuner (1860), das er einem »Fräulein Genast« widmete mit den Worten »Ihr ganz devoter Zigeuner F. Liszt«.

Doch das Leben dieser Volksgruppe war in der Realität weniger romantisch. Insbesondere in der Zeit des Nationalsozialismus wurden Sinti und Roma, wie sie sich selbst bezeichnen, Opfer systematischer Verfolgung und Deportationen. Nicht zuletzt deswegen ist der Begriff »Zigeuner« heute verpönt, was zwangsläufig auch zur Meidung der entsprechenden Lieder führt. Mehr dazu bei der Kommentierung des Lieds Lustig ist das Zigeunerleben und auch Erläuterung zum Begriff »Zigeuner«.

Bis heute sind Sinti und Roma aufgrund der Vorurteile im Alltag immer noch Ausgrenzungen und Anfeindungen ausgesetzt. Und gleichzeitig sind nicht alle Menschen die das Z*-Wort verwenden, zwangsläufig rassistisch. Dezent schwingt immer auch eine Sehnsucht mit nach jenem freien Leben, wie es auch Lenau in diesem Lied beschreibt.

Die Vorstellung, »frei wie die Zigeuner zu sein«, wird bis heute mit einem Lebensstil assoziiert, der von Mobilität, Unabhängigkeit und Ungebundenheit geprägt ist. Zu leben wie es uns gefällt, frei umherzuziehen und in den Tag hineinzuleben, so wie es noch die große Sehnsucht der legendären 69er Generation war, das alles funktioniert schon lange nicht mehr. Das war wohl auch schon zu Lenaus Zeiten so, was es ihm ja erst ermöglichte, jenes Leben als Ideal zu präsentieren.

Lust auf Leben

Warum lässt sich Lenau, wie auch wir, von dem Leben der »Zigeuner« einfangen und beeindrucken? Ist es die vermeintliche Freiheit, die pure Leidenschaft, das Leben in seiner vollen Pracht zu genießen, ohne Regeln und Einschränkungen einfach den Moment zu leben?

Lebenslust, dieses Gefühl, das uns dazu treibt, das Leben in seiner ganzen Fülle erleben und genießen zu wollen. Freude, Glück und Erfüllung im Leben – wir wollen alles und am liebsten sofort. Doch die Regeln unserer Gesellschaft, unserer Gemeinschaft mit anderen, hindern uns daran, einfach nach dem vermeintlich so greifbar nahen Lebensglück zu greifen. Wir trauen uns nicht, auszubrechen, den Ketten der gesellschaftlichen Regeln und Zwänge zu entfliehen.

Stattdessen beneiden wir andere, die das Leben führen, zu dem uns der Mut fehlt. Wir beneiden die drei Zigeuner in Lenaus Gedicht und stellen uns vor, dass wir es ihnen nachmachen. Doch uns fehlt der Mut dazu. Denn gesellschaftliche Regeln stellen nicht nur Verbote und Gebote auf, sie spenden auch ein gewisses Quantum Sicherheit, auf die wir nicht verzichten wollen. Aber der Preis dafür ist hoch. Mit der wachsenden Sicherheit inmitten eines geregelten Lebens verlieren wir auch die Fähigkeit, die Schönheit und Freude in den kleinen Dingen des Alltags zu entdecken.

Egal, ob es das Lachen eines Kindes, der Duft von frisch gebackenem Brot oder ein Sonnenuntergang ist, der das Herz erwärmt. Uns ist die Fähigkeit abhandengekommen, Dankbarkeit für das Gegenwärtige zu empfinden und darin Freude zu finden.

Die drei Zigeuner in Lenaus Gedicht fragen nicht nach Regeln und was erlaubt ist. Sie leben einfach drauflos, so als wäre heute der letzte Tag des Lebens. Und ganz gleich, was morgen sein wird, sie haben das Heute gelebt. Darauf schauen wir mit Neid, weil uns der Mut für diese Form des Lebens fehlt. Wir haben Freiheit, Freude und Abenteuer gegen Sicherheit eingetauscht und verteufeln jeden, der auf diese Werte pfeift. Und doch würden wir gerne mit ihnen tauschen – aber nur für ein paar Stunden oder Tage…

Tom Borg, 29. November 2023

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