Die Blümelein, sie schlafen

Die Melodie des Liedes Die Blümelein, sie schlafen geht zurück auf eine alte Weise von 1697, die Anton Wilhelm von Zuccalmaglio (1803-1869) für seine Liedersammlung 1840 umgestaltete.

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Musiknoten zum Lied - Die Blümelein, sie schlafen

Die Blümelein, sie schlafen
schon längst im Mondenschein,
sie nicken mit den Köpfchen
auf ihren Stengelein.
Es rüttelt sich der Blütenbaum,
er säuselt wie ein Traum;
schlafe, schlafe,
schlaf du, mein Kindelein.

Die Vögelein, sie sangen
so süß im Sonnenschein,
sie sind zur Ruh gegangen
in ihre Nestelein.
Das Heimchen in dem Ährengrund
es tut allein sich kund.
Schlafe, schlafe,
schlaf du, mein Kindelein.

Sandmännchen kommt geschlichen
und guckt durchs Fensterlein,
ob irgend noch ein Kindchen
nicht mag zu Bette sein.
Und wo er nur ein Kindlein fand,
streut er ins Aug ihm Sand.
Schlafe, schlafe,
schlaf du, mein Kindelein.

Sandmännchen, aus dem Zimmer!
Es schläft mein Herzchen fein.
Es ist gar fest verschlossen
schon sein Guckäugelein.
Es leuchtet morgen mir Willkomm,
das Äugelein so fromm.
Schlafe, schlafe,
schlaf du, mein Kindelein.

Die Blümelein sie schlafen wurde 1840 erstmals unter dem Titel »Sandmännchen« in der Sammlung »Deutsche Volkslieder mit ihren Originalweisen«> veröffentlicht. In dieser von Anton Wilhelm von Zuccalmaglio und August Kretzschmer gemeinsam herausgegebenen Volksliedsammlung trug Zuccalmaglio als Herkunftsangabe »Vom Niederrhein« ein, um damit anzuzeigen, dass es sich um ein altbekanntes und verbreitetes »Volkslied« handelt. Tatsächlich war er aber selbst der Verfasser des Lieds.

Zuccalmaglio unterlegte seinem Text die Melodie des Weihnachtslieds Zu Bethlehelm geboren, die er nur geringfügig veränderte. Diese bereits bekannte Melodie und nicht zuletzt Zuccalmaglios gefühlvoller Text trugen zur raschen Verbreitung des Lieds bei. Unter dem Titel Die Blümelein sie schlafen war es bereits in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts im Repertoire der bürgerlichen Hausmusik angekommen. 1858 fügte Johannes Brahms das Lied als Klavierlied seinen »Vierzehn Volks-Kinderliedern« (WoO 31) hinzu. Vier Jahre später erschien das »Sandmännchen« mit Klavierbegleitung in Friedrich Wilhelm Arnolds Heft »Deutsche Volks-Lieder aus Alter und neuer Zeit, gesammelt und mit Clavierbegleitung versehen von F. W. Arnold«.

Auch Franz Magnus Böhme kam 1895 nicht umhin, in seinem Werk »Volksthümliche Lieder« (vgl. S. 467, Nr. 624) anzumerken: "Das vollendet schöne Liedchen ist durch Schulliederhefte weit verbreitet, selbst in Männergesangvereinen (!) beliebt." Es blieb auch bis ins frühe 20. Jahrhundert ein beliebtes Chorlied. Dank der Jugendbewegung wurde es in viele Gebrauchs- und Kinderliederbücher aufgenommen, so beispielsweise 1928 in Walter Werckmeisters »Deutsches Lautenlied«.

Auch, wenn es als (Männer-) Chorlied kaum noch gesungen wird, erfreut sich Die Blümelein sie schlafen großer Bekanntheit als Kinder- und Wiegenlied. Es ist fester Bestandteil der entsprechenden Liederbücher und wurde von vielen namhaften Kinderchören und Künstlern interpretiert.

Das Sandmännchen kommt

Das im romantischen Geist geschriebene Schlaflied richtet sich an Kinder. Mit »Die Blümelein sie schlafen schon längst im Mondenschein« will es dem Kind erklären, dass auch die Natur und Tiere sich nun schlafen legen. Auch »die Vögelein … sind zur Ruh gegangen« heißt es in der zweiten Strophe. Die Vögelein liegen in ihren "»Nestchen klein«, so wie das Kind in seinem Bettchen. Deshalb raunt und säuselt es von überall: »Schlafe, schlafe, schlaf du, mein Kindelein!«

Doch wenn nach zwei Strophen huldvoller Überzeugungsarbeit das liebe Kindlein immer noch nicht schlafen will, wird es bedrohlich. Denn dann kommt das Sandmännchen geschlichen. Es »guckt durch's Fensterlein« nach Kindern die nicht »zu Bette seyn«. Diesen Kindern streut das Sandmännchen Sand in ihre Augen.

Die mythische Sagengestalt des Sandmanns galt im 19. Jahrhundert als Schreckgestalt. In E.T.A. Hoffmanns (1776–1822) Schauernovelle »Der Sandmann« beschreibt eine alte Amme den Sandmann als

»böser Mann, der kommt zu den Kindern, wenn sie nicht zu Bett gehen wollen und wirft ihnen Händevoll Sand in die Augen, daß sie blutig zum Kopf herausspringen, die wirft er dann in den Sack und trägt sie in den Halbmond zur Atzung für seine Kinderchen; die sitzen dort im Nest und haben krumme Schnäbel, wie die Eulen, damit picken sie der unartigen Menschenkindlein Augen auf.«

Dieses bedrohliche Szenario entschärft Zuccalmaglio durch den Einsatz von Verkleinerungen und Verniedlichungen. So wird aus dem bösen Sandmann ein harmlos klingendes Sandmännchen, das umgeben von Begriffen wie »Fensterlein«, »Liebchen«, »Kindchen«, »Herzchen« und »Guckäugelein« zu der Figur wird, als die wir das Sandmännchen heutzutage kennen: es besucht abends die Kinder an ihren Bettchen und streut Sand in ihre Augen damit sie einschlafen und träumen. Es ist damit auch eine einfache Erklärung für die Eltern, warum die Kinder sich am Morgen den »Schlafsand« aus den Augenwinkeln reiben müssen - und ein Ansporn für die Kinder, am nächsten Abend zu versuchen, ohne den Sand des Sandmännchens einzuschlafen.

Trotz unserer aufgeklärten Zeit ist die Figur des Sandmännchens ebenso wie das Schlaflied Die Blümelein sie schlafen bis heute weit verbreitet.

Claudia Nicolai, 4. November 2016

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