O, du schöner Westerwald

(Heute wollen wir marschier'n, einen neuen Marsch probier'n)

Die Melodie von O, du schöner Westerwald geht auf alte Westerwälder Weisen aus dem 19. Jahrhundert zurück, während der Text des in vielen Ländern bekannten Marschliedes 1932 entstand.

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Musiknoten zum Lied - O, du schöner Westerwald

Heute wollen wir marschier'n,
einen neuen Marsch probier'n,
auf den schönen Westerwald,
da pfeift der Wind so kalt.
O, du schöner Westerwald,
über deine Höhen pfeift der Wind so kalt;
jedoch der kleinste Sonnenschein,
dringt tief ins Herz hinein.

Und die Grete und der Hans
geh'n des Sonntags gern zum Tanz,
weil das Tanzen Freude macht
und das Herz im Leibe lacht.
O, du schöner Westerwald,
über deine Höhen pfeift der Wind so kalt;
jedoch der kleinste Sonnenschein,
dringt tief ins Herz hinein.

Ist das Tanzen dann vorbei,
gibt es meistens Schlägerei,
und dem Bursch, den das nicht freut,
sagt man: »Der hat keinen Schneid«.
O, du schöner Westerwald,
über deine Höhen pfeift der Wind so kalt;
jedoch der kleinste Sonnenschein,
dringt tief ins Herz hinein.

Als Kind erblickte ich kurz nach der Mitte des vorigen Jahrhunderts das Licht der Welt in einer Gegend, die man ›Westerwald‹ nennt. Grüne Wälder, Hügel und Berge, dazu mittendrin kleine einsame, aber schön gelegene, Seen mit klarem Wasser in denen man einfach so baden konnte. Die Zeilen

O, du schöner Westerwald,
über deine Höhen pfeift der Wind so kalt;
jedoch der kleinste Sonnenschein,
dringt tief ins Herz hinein.

würde ich jederzeit unterschreiben, ohne auch nur darüber nachzudenken. Der Westerwald ist eben so. Dort ›im rauen Westerwald‹ treffen Höhen, Wind und Sonnenschein aufeinander, nicht selten auch alles gleichzeitig.

Der Westerwald hat sogar sein eigenes Lied, seine ganz persönliche Hymne: O, du schöner Westerwald. Wir haben das Lied oft gesungen – als Kinder in der Schule, als Jugendliche im Zeltlager und während Freizeiten, später sogar bei der Bundeswehr als ›Schütze Ar…‹. während des ›Betriebsausflugs mit Rucksack und Flinte‹ im Rahmen der Grundausbildung beim Marschieren. Spaß hatten wir dabei immer, denn das Lied besitzt eine fröhliche und mitreisende Marschmelodie und einen fröhlichen Melodiebogen auf dem Textfragment der Titelzeile O, du schöner Westerwald. Nach den Wörtern »Wind« und »kalt« wurde oft ein fröhlich übermütiger Pfiff eingebaut.

Irgendwelche anderen Gedanken als übermütig und grölend durch die Gegend zu ziehen und damit älteren Herrschaften auf die Nerven zu gehen, hatten wir damals nicht. O, du schöner Westerwald war ›unser‹ Lied, das wir kannten und liebten, so wie früher Hamburger Kinder und Jugendliche gerne mit Auf der Reeperbahn nachts um halb eins durch die Straßen oder, auch schon mal die Reeperbahn selbst, zogen. Was ist dabei…?! Kann denn Singen Sünde sein? Offenbar ja, denn es geht ja nicht um das Singen oder das Lied, sondern darum, wer es wann singt beziehungsweise gesungen hat.

Ein Lied verlor seine Unschuld

Doch, wie kann es passieren, dass ein Lied seine ›Unschuld‹ verliert, einfach so? Um das nachzuvollziehen müssen wir einen Blick auf die Geschichte des Lieds werfen. Genauer gesagt, auf die Menschen, die das Lied gesungen haben.

Die Wurzeln des Marsch- und Volkslieds O, du schöner Westerwald reichen zurück bis in das 19. Jahrhundert und einige Elemente älterer Lieder fanden wohl Eingang in das Lied. Tatsächlich entstanden ist der Liedtext im November 1932 in einem Lager des Freiwilligen Arbeitsdienstes in Emmerzhausen. Willi Münker aus Herdorf (Sieg), einer der damals Beteiligten, schildert die Entstehung des Lieds mit den Worten:

»Man möchte fast sagen aus Langeweile entstand hier der Text des Liedes O, du schöner Westerwald. Wer nun eigentlich der Textverfasser war? Jeder gab sein Schärflein hinzu.«

Auch die Melodie des Liedes entstand am gleichen Nachmittag, quasi gemeinschaftlich im ›geselligen Beisammensein‹. Es wurde fröhlich gesungen und fand recht schnell begeisterte Anhänger und Mitsinger, die es immer weiter verbreiteten und das Lied zu einem regelrechten Welterfolg werden ließen. Der Komponist Joseph Neuhäuser (1890 – 1949) komponierte dazu 1935 einen Marsch.

O, du schöner Westerwald wurde ein populäres Soldatenlied und während des Zweiten Weltkriegs durch die deutschen Soldaten in ganz Europa bekannt. Doch genau dies wurde dem Lied nun zum Verhängnis. Denn in unserem heutigen ›woke‹ Zeitalter geht es weniger darum, was gesungen wurde, sondern wer es gesungen hat. Und das waren letztlich alle im Arbeitslager – und auch die Soldaten der Wehrmacht beim Marschieren, was es heute zu einem ›Wehrmachtslied‹ verunglimpft.

Nach dem Krieg war O, du schöner Westerwald lange Zeit aus den Soldatenliederbüchern der Bundeswehr verbannt und wurde erst 1955 berücksichtigt und dann auch beim Marschieren gesungen. Und auch ich erinnere mich daran, dass nach 10 Kilometer Fußmarsch mit Rucksack auf dem Rücken und Flinte unterm Arm der nächste Schritt deutlich leichter fiel mit diesem munteren Marschlied auf den Lippen, als schweigend vor sich hin zu stolpern.

Soll man jetzt wirklich ein schönes Lied verbannen, bloß weil es früher von nicht so netten (ok, ziemlich bösen) Leuten in wenig erfreulichem (furchtbarem) Zusammenhang gesungen wurde? Oder ganz provokant gefragt: Was soll man als ›Westerwälder Jung‹ denn anderes singen als O, du schöner Westerwald?

Tom Borg, 14. Juni 2023

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