Das Wanderlied Im Frühtau zu Berge stammt aus Schweden. Dort wurde es 1908 in Schwedisches Studentenbuch veröffentlich. Die Melodie geht auf eine schwedische Volksweise aus dem 19. Jahrhundert zurück. Den schwedischen Originaltext verfasste Olof Thunmann (1879-1844).
Im Jahr 1917 erschien in Robert Kothes Fünfzehn Lautenlieder. Die vierzehnte Folge eine deutsche Version des schwedischen Wanderlieds mit dem Titel Im Frühtau zu Berge und dem Vorläufer des heute geläufigen Textes.
Eine Übersicht der Entwicklungsgeschichte kann man im Historisch-Kritisches Liederlexikon nachlesen. Die heute bekannte und gesungene Textversion entspricht der Mundorgel Ausgabe 1964/1968. In der Ausgabe aus dem Jahr 1964 steht »Bearbeitung der deutschen Textfassung: Walther Hensel (1887–1956)«. Vier Jahre später dann »Bearbeitung der deutschen Textfassung: Lieselotte Holzmeister (1921–1994)«. Die ältere Textversion schon die geläufigere und geschmeidigere zu sein.
Der Mundorgel es auch zu verdanken, dass Im Frühtau zu Berge in Deutschland so populär wurde. Bereits in der 1953 erschienenen Erstauflage der Mundorgel war das Lied enthalten. In den Folgejahren wurde es auch in alle wichtigen Gebrauchsliederbücher aufgenommen. Denn dieses schwedische Wanderlied traf wohl den Geschmack und die Sehnsucht der Nachkriegsgeneration im Wirtschaftswunderland Deutschland. Hinaus in die Natur wandern, die Freiheit genießen, hinausgehen und »den Sonnenschein zu fangen«, das war die Stimmung der damaligen Flower-Power Zeit, Ende der 1960er und Anfang der 1970er Jahre. Der Verfasser dieser Zeilen, Jahrgang 1960, erinnert sich noch sehr genau an die Schulzeit, wo der Deutschlehrer, damals auch schon ein Studienrat mittleren Alters, in der achten oder neunten Klasse das Gedicht als Hymne der Freiheit pries und von den Gedanken des Lieds schwärmte. Vor allem der Satz »Wer wollte aber singen, wenn wir schon Grillen fingen« sagte uns Schülern gar nichts. Es war schon damals altertümliche Sprache. Sie geht ja auch zurück auf eine Redewendung des 17. Jahrhunderts und meint in etwa »wunderlichen Gedanken nachhängen«, »verdrießlich sein« oder schlicht »nicht gut drauf sein«.
Freiheit und Natur aber waren die Themen jener Zeit. Und so verwundert es auch nicht, dass die meisten deutschen Aufnahmen von Im Frühtau zu Berge in jenen Jahren entstanden.
Dennoch hat das Lied bis heute nichts von seinem Reiz verloren. Freiheit und Natur sind auch heute noch hoch im Kurs. Nur klingt es heute gewöhnungsbedürftig, wenn jemand singt: »Wir sind hinaus gegangen, den Sonnenschein zu fangen«. Der letzte, der erfolgreich für uns den Sonnenschein fangen durfte, war Tony Marshall. Und auch der hatte seinen Höhepunkt in der ersten Hälfte der 1970er Jahre.
Doch Im Frühtau zu Berge wird bis heute wachgehalten durch die fröhliche und schwungvolle Melodie. Daran hat sich in den letzten 70 Jahren nichts geändert. Und vom »Wandern ohne Sorgen« werden auch noch die nächsten Genrationen träumen…
Tom Borg, 31. Mai 2023