Hänschen klein

Das Kinderlied Hänschen klein in der nach Otto Frömmel umgedichteten und dann zurecht gesungenen Abwandlung des Gedichts von Wiedemann, das unter den Anmerkungen vollständig angegeben ist.

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Musiknoten zum Lied - Hänschen klein

Hänschen klein ging allein
in die weite Welt hinein.
Stock und Hut stehn ihm gut,
wandert wohlgemut.
Doch die Mutter weinet sehr,
hat ja nun kein Hänschen mehr.
Da besinnt sich das Kind,
läuft nach Haus geschwind.

Hänschen klein ist eines der bekanntesten Kinderlieder. Auf die Melodie des Jagdlieds »Jägerlust« (»Fahret hin«) gibt es unzählige Abwandlungen des Textes, von dem die beiden ›Meilensteine‹ nachfolgend aufgezeigt werden.

Die aktuell geläufige Textversion dürfte die oben angegebene sein, auch wenn gelegentlich einzelne Wörter abgeändert werden. Entstanden ist diese vom Volk zurechtgesungene Version aus einer freien Umdichtung Otto Frömmels (vgl. Otto Frömmel: Kinder-Reime. Lieder und Spiele. Zweites Heft. Verlag von Eduard Avenarius, Leipzig, 1900, S. 62f). Dort heißt es:

Hänschen klein zieht allein
In die weite Welt hinein,
Stock und Hut kleidet gut,
Wandert wohlgemut,
Aber Mama weinet sehr,
Hat nun kein klein Hänschen mehr.
Da besinnt sich das Kind,
Kehrt zurück geschwind.

Lieb' Mama, ich bin da
Sagt das Hänschen, hopsasa
Glaub' es mir, bleibe hier,
Geh' nicht mehr von dir.
Da freut sich die Mama sehr,
Und dss Hänschen noch viel mehr;
Denn es ist, wie ihr wißt,
Gar so schön bei ihr.

Dieser Text samt seiner Intention stellt Wiedemanns ursprüngliches Gedicht nahezu auf den Kopf. Frömmel tut hier seine eigene Meinung von einem braven Kind kund. Damit traf er aber offenbar den Zeitgeist, denn der Text verbreitete sich rasend schnell und machte Hänschen klein zu einem auch bei Erwachsenen und vor allem Müttern beliebten Lied. Offenbar liebten die Eltern die Umdichtung zum schlechten Gewissen des Kindes das sich dann eines besseren besinnt und schuldbewusst zum Elternhaus zurück kehrt. Und welche Mutter möchte nicht von ihrem Kind geliebt werden? Heimlich möchte so manche Mutter ihr Kind gerne bemuttern und versinkt in Traurigkeit, wenn das Kind das Haus verlässt. So dachte man zumindest damals.

Auf jeden Fall verdanken wir Otto Frömmel diese Version des Lieds, das noch heute in vielen Kindergärten gesungen wird.

Das Gedicht des Dresdner Lehrer Franz Wiedemann (1821-1882), dem die Erstfassung des Textes zugeschrieben wird, hatte etwas völlig anderes im Sinn. Seine Motivation war eine vollkommen andere, die insbesondere nicht dem Kind das Schuldbewusstsein aufbürdete, das arme Mütterchen verlassen zu haben. Vielmehr geht es bei Wiedemanns Text und den ständig wiederkehrenden Prozess des Abschieds und der Wiederkehr, sowie der inneren Bindung der Mutter zu ihrem Kind, die sie auch nach Jahren noch ihr Kind sofort erkennen lässt.

Zwischen Emanzipation und Abhängigkeit

Die überlieferte Fassung des Gedichts von Franz Wiedemann lautet:

Hänschen klein
Ging allein
In die weite Welt hinein.
Stock und Hut
Steht ihm gut,
Ist gar wohlgemut.
Aber Mama weinet sehr,
Hat ja nun kein Hänschen mehr!
»Wünsch dir Glück!«
Sagt ihr Blick,
»Kehr’ nur bald zurück!«

Sieben Jahr
Trüb und klar
Hänschen in der Fremde war.
Da besinnt
Sich das Kind,
Eilt nach Haus geschwind.
Doch nun ist’s kein Hänschen mehr.
Nein, ein großer Hans ist er.
Braun gebrannt
Stirn und Hand.
Wird er wohl erkannt?

Eins, zwei, drei
Geh’n vorbei,
Wissen nicht, wer das wohl sei.
Schwester spricht:
»Welch Gesicht?«
Kennt den Bruder nicht.
Kommt daher sein Mütterlein,
Schaut ihm kaum ins Aug hinein,
Ruft sie schon:
»Hans, mein Sohn!
Grüß dich Gott, mein Sohn!«

Anders als bei Otto Frömmel bekommt das kleine Hänschen keine Schuldgefühle der Mutter gegenüber. Diese ist zwar traurig und bedauert den Abschied, lässt ihr Hänschen aber in die Welt ziehen und wünscht ihm Glück. Das entspricht der damaligen Gepflogenheit der Wanderschaft, die drei Jahre und einen Tag dauerte. Hänschen treibt sich sieben Jahre in der Welt herum, bevor es ihn wieder in die Heimat zieht. Doch kehrt er freien Stückes zurück, nicht weil er den Schmerz der Mutter lindern möchte, sondern weil er seine Heimat, sein Zuhause und die Familie wiedersehen möchte. Er fragt sich, ob man ihn noch erkennt und wie man ihn empfangen wird, jetzt wo das kleine Hänschen als großer Hans zurückkehrt.

Hans ist nun ein Mann. Die Schwester erkennt ihren Bruder nicht mehr. Doch das Auge der Mutter erkennt sofort den Sohn. »Hans, mein Sohn« begrüßt sie ihn fröhlich. Mit den Worten »Grüß dich Gott, mein Sohn!« zeigt sie, dass sie nicht nur ihren Sohn sofort erkennt. Nein, sie ist ihrem Sohn auch nicht böse, dass er vor sieben Jahren hinaus in die Welt wanderte. Die Mutter akzeptiert dies und freut sich umso mehr, ihren nun erwachsenen Sohn in die Arme nehmen zu können.

Wie viel anders klingt da Otto Frömmels Version. Sie macht den großen Hans wieder zum kleinen Hänschen das zur Mutter zurückkehrt, weil die Mutter traurig ihrem Buben nachweint. Dort kehrt das kleine Hänschen zurück in Mutters Arme, ist weiterhin der behütete kleine Junge, das Hänschen.

In Franz Wiedemanns Gedicht kehrt der erwachsene Hans zur Mutter zurück. Obwohl sie weiterhin Mutter und Kind sind, akzeptiert die Mutter ihren einst kleinen Jungen jetzt als erwachsenen Mann. Sie begegnet ihm mit Liebe und Freude, so wie sie ihn einst mit Liebe und Traurigkeit gehen ließ.

Es ist der Lauf der Welt, den Wiedemann schildert und den Otto Frömmel der Mutter zuliebe anhalten möchte. Es mag der damals vorherrschenden Unterordnung der Kinder geschuldet sein, der heimischen Geborgenheit, die es hochzuhalten galt. Doch so wie das kleine Hänschen sich zum großen Hans entwickelte, in die Welt hinaus ging und als gestandener Mann zur Mutter zurückkehrte, so müssen wie alle unseren Weg gehen und dürfen darauf hoffen, dass da noch eine Mutter ist, die uns sofort erkennt und freudig empfängt.

Claudia Nicolai, 22. April 2016

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