Am Brunnen vor dem Tore

Das 1822 von Wilhelm Müller geschriebene Gedicht Am Brunnen vor dem Tore vertonte 1827 Franz Schubert. Doch erst die spätere volksliedhafte Bearbeitung durch Friedrich Silcher entfachte die große Begeisterung, die Am Brunnen vor dem Tore zu einem der bekanntesten und beliebstesten deutschen Volkslieder machte.

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Musiknoten zum Lied - Am Brunnen vor dem Tore

Am Brunnen vor dem Tore da steht ein Lindenbaum,
ich träumt in seinem Schatten so manchen süßen Traum.
Ich schnitt in seine Rinde so manches liebe Wort.
Es zog in Freud und Leide zu ihm mich immerfort,
zu ihm mich immerfort.

Ich mußt' auch heute wandern vorbei in tiefer Nacht,
da hab' ich noch im Dunkeln die Augen zugemacht.
Und seine Zweige rauschten, als riefen sie mir zu:
Komm her zu mir, Geselle, hier find'st du deine Ruh!

Die kalten Winde bliesen mir grad ins Angesicht,
der Hut flog mir vom Kopfe, ich wendete mich nicht.
Nun bin ich manche Stunde entfernt von jenem Ort,
und immer hör ich's rauschen: du fändest Ruhe dort!

Am Brunnen vor dem Tore ist eines der meistgesungenen deutschen Volkslieder. Den Text schrieb Wilhelm Müller, dem wir auch das Volkslied Das Wandern ist des Müllers Lust zu verdanken haben. Beide waren Teil des Gedichtzyklus Die Winterreise den Müller 1824 veröffentlichte.

Der von Müller ursprünglich gewählte Titel des Gedichts lautete Der Lindenbaum. Das Gedicht selbst umfasst sechs Strophen mit je vier Versen und Reim auf den Versen zwei und vier. Für die Vertonung wurden jeweils zwei Strophen zusammengefasst.

Eine erste Vertonung als Kunstlied erfolgte 1827 durch Franz Schubert (1797-1828), ein Jahr vor seinem Tod, im Rahmen der Vertonung des Gedichtzyklus Die Winterreise, woraus Schubert zunächst die ersten zwölf Lieder vertonte. Doch erst durch die Bearbeitung von Friedrich Silcher (1789-1860) gelang Am Brunnen vor dem Tore der Sprung vom Kunstlied zum Volkslied. Silchers behutsame Überarbeitung führte zu einem gut singbaren Arrangement ohne dabei die Originalmelodie zu ›verstümmeln‹ und legte damit den Grundstein für den Erfolg des Lieds als Volkslied.

Trivia am Rande: Den Lindenbaum, wie das Gedicht in Müllers Zyklus überschrieben ist, gab es wohl tatsächlich. Sie stand in Allendorf an der Werra bei Bad Soden außerhalb der Stadtmauer, eben »vor dem Tore«. Dorthin kam Müller oft mit anderen Studenten, zum gemeinsamen trinken und singen. 1912 fiel die Linde einem Sturm zum Opfer. Aber zum Gedenken an das inzwischen berühmte Lied wurde sie noch im gleichen Jahr wieder neu gepflanzt, obwohl es auch Hinweise gibt, dass die Original-Eiche zu Müllers Zeiten noch gar nicht gepflanzt war. Auch das alte Steintor wurde 1998 wiederhergestellt und einen Brunnen samt Denkmal gibt es ebenfalls (wieder). Doch dieses touristische Kulturerbe kann den Glanz des Lieds nicht überdecken. Am Brunnen vor dem Tore ist eines der schönsten deutschen Volkslieder und lässt uns noch heute davon träumen, wie romantisch das Plätzchen unter der Linde damals wohl gewirkt haben mag. Das Lied jedenfalls wird uns noch lange begleiten und auch kommende Generationen noch begeistern.

Tom Borg, 27. Juni 2023

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