Die güldne Sonne

Kirchliches Morgenlied von Paul Gerhardt in der Vertonung von Johann Georg Ebeling

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Musiknoten zum Lied - Die güldne Sonne

Die güldne Sonne voll Freud und Wonne
bringt unsern Grenzen mit ihrem Glänzen
ein herzerquickendes, liebliches Licht.
Mein Haupt und Glieder, die lagen darnieder;
aber nun steh ich, bin munter und fröhlich,
schaue den Himmel mit meinem Gesicht.

Mein Auge schauet, was Gott gebauet
zu seinen Ehren und uns zu lehren,
wie sein Vermögen sei mächtig und groß
und wo die Frommen dann sollen hinkommen,
wann sie mit Frieden von hinnen geschieden
aus dieser Erden vergänglichem Schoß.

Lasset uns singen, dem Schöpfer bringen
Güter und Gaben; was wir nur haben,
alles sei Gotte zum Opfer gesetzt!
Die besten Güter sind unsre Gemüter;
dankbare Lieder sind Weihrauch und Widder,
an welchen er sich am meisten ergötzt.

Abend und Morgen sind seine Sorgen;
segnen und mehren, Unglück verwehren
sind seine Werke und Taten allein.
Wenn wir uns legen, so ist er zugegen;
wenn wir aufstehen, so lässt er aufgehen
über uns seiner Barmherzigkeit Schein.

Ich hab erhoben zu dir hoch droben
all meine Sinnen; lass mein Beginnen
ohn allen Anstoß und glücklich ergehn.
Laster und Schande, des Luzifers Bande,
Fallen und Tücke treib ferne zurücke;
lass mich auf deinen Geboten bestehn.

Lass mich mit Freuden ohn alles Neiden
sehen den Segen, den du wirst legen
in meines Bruders und Nähesten Haus.
Geiziges Brennen, unchristliches Rennen
nach Gut mit Sünde, das tilge geschwinde
von meinem Herzen und wirf es hinaus.

Menschliches Wesen, was ist’s gewesen?
In einer Stunde geht es zugrunde,
sobald das Lüftlein des Todes drein bläst.
Alles in allen muss brechen und fallen,
Himmel und Erden die müssen das werden,
was sie vor ihrer Erschöpfung gewest.

Alles vergehet, Gott aber stehet
ohn alles Wanken; seine Gedanken,
sein Wort und Willen hat ewigen Grund.
Sein Heil und Gnaden, die nehmen nicht Schaden,
heilen im Herzen die tödlichen Schmerzen,
halten uns zeitlich und ewig gesund.

Gott, meine Krone, vergib und schone,
lass meine Schulden in Gnad und Hulden
aus deinen Augen sein abgewandt.
Sonsten regiere mich, lenke und führe,
wie dir’s gefället; ich habe gestellet
alles in deine Beliebung und Hand.

Willst du mir geben, wormit mein Leben
ich kann ernähren, so lass mich hören
allzeit im Herzen dies heilige Wort:
Gott ist das Größte, das Schönste und Beste,
Gott ist das Süß’te und Allergewiss’te,
aus allen Schätzen der edleste Hort.

Willst du mich kränken, mit Galle tränken,
und soll von Plagen ich auch was tragen,
wohlan, so mach es, wie dir es beliebt.
Was gut und tüchtig, was schädlich und nichtig
meinem Gebeine, das weißt du alleine,
hast niemals keinen zu sehre betrübt.

Kreuz und Elende, das nimmt ein Ende;
nach Meeresbrausen und Windessausen
leuchtet der Sonnen gewünschtes Gesicht.
Freude die Fülle und selige Stille
hab ich zu warten im himmlischen Garten;
dahin sind meine Gedanken gericht’.

Das Morgenlied Die güldne Sonne voll Freud und Wonne ist ein gewaltiges Werk des lutherisch-evangelischen Theologen Paul Gerhardt (1607-1670) das sich über zwölf Strophen erstreckt und vom Komponisten Johann Georg Ebeling vertont wurde. Ebeling war es auch, der das Lied 1666 in einer Sammlung von Gerhardts Liedern veröffentlichte.

Über das Lied schreiben die Volksliedforscher Theo & Sunhilt Mang (Liederquell, Dörfler Verlag, 2015, ISBN 978-3-89555-679-1, S. 1120): »Man könnte sagen, dass dieses Morgenlied das Gegenstück zum Abendlied Nun ruhen alle Wälder von Paul Gerhardt ist.«

Doch so gottesfürchtig wie Paul Gerhardt die Welt betrachtete, ist das Lied mehr als eine Hymne an die morgendliche Sonne und deren Aufgang. Denn die güldene Sonne ist seit eh und jeher das Synonym für Christus, für sein Licht, seine Wärme und Strahlkraft. Mit dem ersten Vers der ersten Strophe Die güldne Sonne voll Freud und Wonne bringt Gerhardt es sofort auf den Punkt: die güldene Sonne steht nicht (nur) für den Tagesanfang, sondern auf für das Zentrum seines Glaubens: Christus. Er weckt uns auf, leitet uns and und führt uns unserer Wege. Diese Sichtweise wirft ein vollkommen anderes Licht auf die zweite Hälfte der ersten Strophe:

Mein Haupt und Glieder, die lagen darnieder
aber nun steh ich, bin munter und fröhlich,
schaue den Himmel mit meinem Gesicht.

Da spricht Gerhardt nicht vom Tagesanbruch, vom Schauspiel der Natur, sondern von Gott. Er hat uns nach der Dunkelheit der Nacht wohlbehütet erweckt. Er ist die Sonne, die alles zum Leben erweckt, die Güldene Sonne, die alles Leben hervorbringt.

In der zweiten Strophe spricht Gerhardt dies auch direkt an, denn gleich im ersten Vers heißt es: »Mein Auge schauet, was Gott gebauet«. Gerhardt sieht die Natur und alles um sich herum als Gottes Werk. Ein Geschenk, das Gott den Menschen, die Teil dieser Schöpfung sind, macht. Darum sollen wir Gott ein Lobopfer darbringen, obwohl gerade Gerhardt weiß, wie schwer uns solche Opfer fallen (s. Str. 3).

Paul Gerhardts unerschütterlicher Glaube

Es ist immer wieder erstaunlich, mit welcher Überzeugung Paul Gerhardt seinen Glauben lebt. Dabei hätte er doch allen Grund gehabt, an Gott und dessen Güte zu zweifeln. Seit seinem elften Lebensjahr tobte herrschte im damaligen Deutschland Krieg. Ein Krieg, der 30 Jahre dauern sollte. Als er endete war Gerhardt 41 Jahre alt und hatte alle Schrecken miterlebt, die ein so langer Krieg mit sich bringt. 30 Jahre sind eine ganze Generation, die im Krieg aufgewachsen ist, nichts anders erlebt haben als Greul, Leid und Tod. Und mittendrin Paul Gerhardt, der fest an seinen Gott und dessen Güte glaubt. Er glaubt so sehr daran, dass er (evangelisch-lutherische) Theologie studiert. Aus seiner Feder stammen viele der bedeutsamsten Kirchenlieder. Woher nahm Gerhardt sein Vertrauen in Gott, der als Herrscher über diese Welt die ganzen Greul und Schrecken des Krieges erlaubte und duldete; schließlich müsste es doch in Gottes Macht liegen, diesen Krieg zu beenden?

Für Paul Gerhardt war es kein Zwiespalt, er machte Gott keinen Vorwurf, sondern versucht, Gottes Wille zu ergründen. Trotz aller Belastungen und Schmerzen die sowohl die Zeit als auch Gerhardts Leben selbst mit sich brachten, zweifelte Gerhardt nicht an Gott, sondern blieb beinahe trotzig bei seinem Bekenntnis zum Glauben. Obwohl es viele Anlässe zum Zweifeln gegeben hätte. Gerhardts Frau starb früh und vier Kinder hatte er während seiner kurzen Ehe beerdigen müssen. Doch sein Glaube blieb fest.

Alles vergehet, Gott aber stehet
ohn alles Wanken; seine Gedanken,
sein Wort und Willen hat ewigen Grund.

So steht es in Strophe acht. Und Gerhardt glaube an ein gutes Ende. Dies zeigt auch sein Gedicht Die güldne Sonne voll Freud und Wonne. Es durchwandert den ganzen Bogen des Lebens vom Sonnenaufgang bis zum Sonnenuntergang. Doch Gerhardt war überzeugt, dass die güldene Sonne für immer scheint für alle, die an sie glauben. Soe wie er es in der zwölften und letzten Strophe zum Ausdruck bringt:

Kreuz und Elende, das nimmt ein Ende;
nach Meeresbrausen und Windessausen
leuchtet der Sonnen gewünschtes Gesicht.
Freude die Fülle und selige Stille
hab ich zu warten im himmlischen Garten;
dahin sind meine Gedanken gericht’.

Tom Borg, 6. Oktober 2023

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